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Ökosozialistischer Umbau heisst auch: Tierindustrie abschaffen!

Landwirtschaftliche Grossbetriebe verfolgen entgegen landläufigen Vorstellungen nicht das Ziel, dass möglichst viele Menschen möglichst billig ernährt werden können. Im herrschenden System richtet sich die Produktion nach dem Profit, nicht nach den Bedürfnissen der Menschen. Die Geschäfte der Tierindustrie beruhen auf einer Ausbeutung von Tier, Mensch und Natur. Ihr Rückbau und ihre Vergesellschaftung müssen daher Teil eines ökosozialistischen Umbauprogramms sein. Ein Appell für die Vergesellschaftung der Fleisch- und Agrarindustrie. (Red.)

von Martín Lallana; aus vientosur

Eine agrarindustrielle Produktion von Lebensmitteln ist unsinnig, daher ist ihre vollständige Abschaffung die einzig vernünftige Lösung. In vielen ländlichen Gebieten in Spanien wird dies seit Jahren gefordert. Einige hören vielleicht zum ersten Mal davon; Betroffene, die wegen der intensiven Produktion kein sauberes Trinkwasser mehr haben, setzen sich jedoch schon lange dafür ein. Denn die umwelt- und gesundheitsschädlichen Folgen vor allem der intensiven Tierproduktion sind unbestreitbar. Wir würden allerdings einen Fehler begehen, wenn wir die Tierindustrie als eine besondere Struktur innerhalb der aktuellen kapitalistischen Agrar- und Lebensmittelproduktion begreifen. Diese Betriebe sind das Ergebnis historischer Prozesse und Dynamiken der Kapitalkonzentration. Sie stehen in einem engen Zusammenhang mit jenen Prozessen, die zu einer Entvölkerung der ländlichen Gebiete führen; eine Entwicklung, die sich in vielen Teilen Spaniens beobachten lässt.

Um das Problem anzugehen und unsere politische Strategie auf die Abschaffung der Tierindustrie auszurichten, müssen wir diese Betriebe als Teil eines grösseren Produktionszusammenhangs begreifen. Die Massentierhaltung besteht nicht nur aus dem Stall, in dem Tausende von Tieren zusammengepfercht sind, sondern auch aus der ganzen Wertschöpfungskette, die vom Anbau der Futtermittel über die Herstellung von Verarbeitungsprodukten und deren Verkauf in grossen Supermärkten bis hin zur massenhaften Schlachtung von Tieren in grossen Schlachthöfen reicht. Dazu gehört auch der grösste Teil der industriellen Viehzucht und die weitere Produktions- und Vertriebsstruktur des Agrar- und Ernährungssystems. Es geht also nicht nur um die Abschaffung einzelner Grossbetriebe, sondern um die Planung eines ökosozialistischen Umbaus der gesamten Struktur der Tierhaltung. Hierfür ist es wichtig, die Prozesse des Raubbaus und der Ausbeutung sowie die Dynamik von Produktion und Konsum zu untersuchen.

Raubbau und Ausbeutung

Mit der industriellen Tierproduktion lässt sich viel Geld verdienen, doch geht dies auf Kosten von Mensch und Natur. Ihre Funktionsweise beruht im Wesentlichen auf der unentgeltlichen Aneignung kollektiver Ressourcen für den privaten Profit. Die Einfuhr von Rohstoffen wie Soja für die Herstellung von Tierfutter treibt – Tausende von Kilometern von unseren Grenzen entfernt – die Abholzung von Wäldern voran. Die gewalttätige Vertreibung von Menschen von ihrem Land, der Anstieg von CO2-Emissionen und der Verlust der Biodiversität sind weitere Folgen dieser unentgeltlichen Aneignung und Ausplünderung, die Tag für Tag begangen wird, um den Betrieb der Tierindustrie aufrechtzuerhalten. Zudem bietet die GAP-Förderung [gemeint ist die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU; Anm. d. Red.] von Mais, Weizen und Gerste als Futtermittel eine Möglichkeit, öffentliche Mittel für private Profitinteressen anzueignen. Auch die Verschmutzung von Wasser, Boden und Luft, die die Betriebe verursachen, ist eine Form der kostenlosen Aneignung kollektiver Ressourcen wie etwa Grundwasservorkommen, fruchtbare Böden und saubere Luft.

Zum Raubbau an den Ressourcen kommt die Ausbeutung der Arbeitskraft hinzu. Diese findet vor allem in zwei Bereichen statt: bei der Aufzucht der Tiere und in der Schlachtung und Verarbeitung. Seit einigen Jahrzehnten ist die Branche von einer starken Konzentration und Zentralisation des Kapitals geprägt. Das trifft vorrangig auf Handel, Schlachtung und Weiterverarbeitung zu, aber auch auf in der Wertschöpfungskette vorgelagerte Produktionsschritte. Mit der wachsenden Kontrolle über das Kapital nimmt die Entscheidungsmacht einzelner Unternehmer darüber zu, was, wo und unter welchen Bedingungen produziert wird und wer innerhalb der Wertschöpfungsketten am stärksten profitiert.

Der landwirtschaftliche Betrieb, am Beginn der Kette, ist einem Modell der vertikalen Integration unterworfen: Er agiert als Subunternehmer für einen Konzern, der den gesamten Produktionsprozess beherrscht. Die Grossen der Branche bündeln Schlachtung, Zerlegung, Verpackung und Logistik unter einem Dach. Den Landwirten bieten sie Rundum-Pakete von der Anlieferung des Spermas bis zum Abholen des Schlachtviehs. Sie legen fest, wie viele Tiere aufgezogen werden, welches Futter verwendet wird und zu welchem Preis die Tiere abkauft werden. Aufgrund ihrer Marktmacht können sie gegenüber den Tierproduzenten niedrige Preise durchsetzen. Im gesamten Produktionsprozess machen die Arbeitskosten nur 2,1%, das Futtermittel dagegen 75% aus. Mit der Tierproduktion wird der unprofitabelste Bereich ausgelagert, der Landwirt, der kaum Entscheidungsbefugnis über den Produktionsprozess hat und ständig zur Kostensenkung gedrängt wird, trägt die Risiken möglicher Preissteigerungen bei den Rohstoffen. So sind am Anfang der Wertschöpfungskette, in der konventionellen Tiermast, nur noch Betriebe konkurrenzfähig, die in grossem Stil und möglichst billig Lebewesen für die Schlachtung produzieren.

Sehr viel offensichtlicher ist die Ausbeutung der Arbeitskraft in den grossen Schlachthöfen und in der Fleischverarbeitung. Während in der eigentlichen Tierproduktion nur sehr wenig Menschen beschäftigt sind – Ställe mit 3’000 Schweinen lassen sich von 1-2 Arbeiter:innen managen – werden in der Schlachtung, Zerlegung und Verarbeitung mehr Arbeitskräfte benötigt. In beiden Fällen handelt es sich um äusserst prekäre Arbeitsplätze, die hauptsächlich von unterprivilegierten, migrantischen Teilen der arbeitenden Klassen ausgeübt werden. In Spanien arbeiten tausende Migrant:innen vor allem aus Marokko und dem Senegal in den grossen Schlachtbetrieben unter äusserst prekären Bedingungen und für einen Hungerlohn.

Fleischkonsum: deutliche Reduzierung des Konsums nötig

Strategisch muss es um die Abschaffung des derzeitigen Modells industrieller Tierhaltung gehen. Dies muss notwendigerweise verbunden sein mit einer deutlichen Reduzierung des Fleischkonsums. Die Menge an Fleisch, zumeist von schlechter Qualität, die in Spanien konsumiert wird, ist viel zu hoch. Würden alle Menschen auf der Welt so viel Fleisch essen, wäre dies aus ökologischen und gesundheitlichen Gründen schlicht untragbar. Daher ist es dringlich, eine Reduktion des Fleischkonsums in Angriff zu nehmen.

Wenn diese Frage auf den Tisch kommt, dauert es jedoch nicht lange, bis aus vielen Ecken des politischen Spektrums heftige Reaktionen kommen. Um dieses Problem anzugehen, erachten wir es daher als notwendig, dass wir uns eine wichtige Lehre der politischen Ökonomie ins Gedächtnis rufen: Es ist nicht etwa der Konsum, der die Produktion bestimmt, sondern in der Regel genau umgekehrt. Es sind Entscheidungen in der Produktionsstruktur, die die Konsummuster bestimmen. Die Nachfrage ergibt sich nicht durch die Summe individueller Willensbildungen und Entscheidungen, wie es die neoklassische Ökonomie behauptet. Durch gezielte Werbung wird Nachfrage auch geschaffen, damit die Produkte gekauft werden und die Kapitalverwertung funktioniert.

Der derzeitige Fleischkonsum ist auch deshalb so hoch, weil sich Fleisch billig produzieren und sich gleichzeitig viel Geld damit verdienen lässt. Wenn der Sektor nicht so hohe Gewinnmargen bieten würde, wäre die Zunahme des Konsums niemals derart angestiegen. Es ist kein Zufall, dass der grösste Teil des Fleisches in Form von verarbeiteten Erzeugnissen angeboten wird, die einfach und schnell zuzubereiten sind. Die massive Zunahme des Konsums von verarbeitetem Fleisch, steht in einem engen Zusammenhang mit einem Lebens- und Arbeitsrhythmus, der durch einen Mangel an Zeit und Energie für die Zubereitung von Speisen gekennzeichnet ist. Neben dem Raubbau an der Natur und der Ausbeutung der Arbeitskraft wird unsere Erschöpfung durch eine ungesunde Ernährung auch wirtschaftlich ausgenutzt. Damit eröffnet das Hinterfragen des Fleischkonsums auch die Tür, um Lebensweisen zu hinterfragen, die letztlich auf die Ausbeutung von Arbeiter:innen, Tieren und Natur zurückzuführen sind.

Ein ökosozialistischer Plan zur Abschaffung der Massentierhaltung

Es scheint gewagt, gleich vom grundlegenden Rückbau eines ganzen Wirtschaftszweiges zu sprechen. Eine politische Position in dieser Frage zu beziehen ist kompliziert und auch nicht frei von Widersprüchen. Allerdings kommen wir angesichts der ökologischen Krise, die sich noch verschärfen wird, und der daraus folgenden Dringlichkeit eines grundlegenden Umbaus der Produktion nicht um die Frage herum. Der Rückbau der Tierindustrie und des damit verbundenen Modells industrieller Tierhaltung muss unter ähnlichen Voraussetzungen erfolgen wie die Konversion anderer zentraler Produktionsbereiche, z. B. der fossilen Energie oder der Automobilindustrie.

Drei Pfeiler sind zentral:

  1. Umbau der Grossbetriebe in Höfe, die sich in gemeinschaftlichem Eigentum befinden und gemeinschaftlich bewirtschaftet werden (Vergesellschaftung der Produktion).
  2. Eine grundlegende agrarökologische Umstellung der Produktion.
  3. Eine Ausrichtung der Produktion auf die Versorgung aller Menschen mit gesunden Nahrungsmitteln.

Der erste Pfeiler betrifft die Frage, was mit den Betrieben selbst geschehen soll. Das Gebäude als solches lässt sich an einem Vormittag mit einem Bagger abbauen. Dies ist für die meisten Grossställe wahrscheinlich die angemessenste Option. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit der Konversion in kleinere ökologische Tierhaltungsbetriebe. Dies könnte bei einer kleinen Anzahl von Betrieben praktiziert werden, wäre aber keine nachhaltige Lösung, um sie auf die ganze Branche zu übertragen. Auch bestehende extensive Tierhaltungsbetriebe wären zu unterstützen. Grundsätzlich sollte der ökosoziale Umbau der Tierhaltung mit der Einführung eines Modells des gemeinschaftlichen Eigentums verbunden werden. Über das Was und Wie der Produktion sollten vor allem die Arbeiter:innen und lokalen Gemeinschaften entscheiden. Dies sollte auf die gesamte Wertschöpfungskette ausgedehnt werden, von der Futtermittelproduktion bis zu den Lieferketten.

Dieser Rückbau würde zur Vernichtung von Tausenden von Arbeitsplätzen führen, insbesondere in grossen Schlachthöfen und Verarbeitungsbetrieben. Die Planung der Konversion sollte daher sicherstellen, dass die Arbeiter:innen mit anderen Aufgaben betraut werden können. Neben der allgemeinen Arbeitszeitverkürzung, die ein wesentlicher Bestandteil eines ökosozialistischen Umbauprogramms ist, werden durch den Aufbau alternativer Produktionsstrukturen über die Landwirtschaft hinaus auch neue Arbeitsplätze geschaffen. In diesem Prozess sind jedoch, wie bereits erwähnt, auch bestehende rassistische Unterdrückungsmechanismen zu berücksichtigen. Andernfalls könnte dies zur Vertreibung und zu einer weiteren Verarmung migrantischer Arbeiter:innen führen.

Beim zweiten Pfeiler muss man sich mit der Frage beschäftigen, was mit den riesigen Flächen geschehen soll, die derzeit für die Futtermittelproduktion genutzt werden. Dabei gibt es zwei Gebiete zu berücksichtigen: jene ausser- und jene innerhalb unserer Grenzen. Im ersten Fall kann eine verringerte Nachfrage nach den entsprechenden Agrarprodukten dazu führen, dass die gewaltsame Vertreibung von Gemeinschaften und die Abholzung von Wäldern gestoppt wird. Dies ist ein wichtiges Ziel, auf das politisch mit internationalistischen Bündnissen hingearbeitet werden sollte. Im zweiten Fall eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten für einen agrarökologischen Umbau der landwirtschaftlichen Produktion. Aktuell führt die Futtermittelproduktion in Monokulturen zu einem Verlust der Bodenfruchtbarkeit. Auch erfordert sie einen hohen Einsatz von Düngemitteln, Pestiziden und fossilen Brennstoffen. Diese Art der Produktion verbietet sich angesichts der derzeitigen ökologischen Krise. Zudem wird die Klimakrise dazu führen, dass die landwirtschaftlichen Erträge sinken werden. Beim Umbau wird es deshalb eine der wichtigsten Aufgaben sein, die Fruchtbarkeit der Böden wiederherzustellen und die Produktion mit agrarökologischen Methoden auf die Erzeugung von Nahrungsmitteln für die menschliche Ernährung auszurichten. Es müssen auch nicht alle frei werdenden Flächen weiterhin für die landwirtschaftliche Produktion genutzt werden: Ein Teil davon kann auch unter Naturschutz gestellt werden, um Raum für die Erhaltung der Biodiversität zu schaffen.

Der dritte wichtige Pfeiler dieses Umbauprozesses besteht darin, eine gesunde und gerechte Lebensmittelversorgung und -verteilung zu organisieren. Dies sollte ein selbstverständlicher Teil eines umfassenderen ökosozialistischen Umbauprozesses sein. Genauso wie wir dafür eintreten, dass alle Menschen ein Recht auf eine Versorgung mit Energie und Wohnraum haben, so sollte es auch ein Recht auf eine gute und gesunde Ernährung geben. Würde der Zugang zu Nahrungsmitteln im Kontext eines «grünen» Umbaus dem Markt überlassen, könnte es zu Preissteigerungen kommen. Gesunde Nahrungsmittel wären dann für weite Teile der arbeitenden Klassen unerschwinglich. Wir knüpfen in unseren Überlegungen daher am Grundsatz der Ernährungssouveränität an. Die konkreten Formen, wie diese lokal umgesetzt wird, können vielfältig sein, zum Beispiel lassen sich Gemeinschaftsküchen einrichten. Alle diese Formen sollten jedoch immer Verteilungskreisläufe etablieren, die auf lokalem oder regionalem gemeinschaftlichem Eigentum basieren.

Auf diese Weise ermöglicht uns die öffentliche Diskussion über die Massentierhaltung, Vorschläge für einen ökosozialistischen Umbau der ganzen industriell-kapitalistischen Tierproduktion zu entwickeln. Die weit verbreitete Kritik an dieser Form der Tierhaltung kann dazu genutzt werden, um ein breites antikapitalistisches Bündnis zu bilden, das Gewerkschaften, Bäuer:innen, Umweltorganisationen sowie antirassistische Gruppen und Initiativen der Nachbarschaftshilfe einbezieht. Wenn wir uns jetzt für einen Rückbau der Tierindustrie einsetzen, kann es uns gelingen, einige Schritte auf dem Weg eines ökosozialen Umbaus voranzukommen. Nur mit Erfahrungen, die wir in konkreten Kämpfen machen, wird es möglich sein, jene Bündnisse aufzubauen, die es für die kommenden turbulenten Jahrzehnte dringend braucht.

Übersetzung, sprachliche Überarbeitung und Ergänzungen von E. L. Blum (BFS Zürich)

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1 Kommentar

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