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Schweiz: Abtreibungsgegner*innen machen mobil

Am 19. September findet zum 6. Mal ein sogenannter “Marsch fürs Läbe” in Zürich statt, an dem christlich-fundamentalistische Kreise gegen das Recht auf Abtreibung demonstrieren. Dagegen gibt es auch dieses Jahr eine Protestkundgebung.


von BFS Jugend Zürich
Der Verein „Marsch fürs Läbe“ wurde im Jahr 2011 mit dem Ziel gegründet, Veranstaltungen „zum Schutz des Lebens“ durchzuführen. Dazu gehört auch die schon seit 2010 jährlich stattfindende Kundgebung „Marsch fürs Läbe“. Präsident des Vereins ist Daniel Regli, der zurzeit auch für die SVP im Gemeinderat der Stadt Zürich sitzt.
Der christlich-fundamentalistische Verein hat es sich zum Anliegen gemacht, das „ungeborene Leben“ zu schützen. Die Vereinsmitglieder sind gegen die gesetzlich erlaubte Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche und wollen die sogenannte Fristenregelung abschaffen. Diese wurde im Jahr 2002 auf schweizweiter Ebene von 72% der Abstimmenden angenommen. Auch wenn die Fristenregelung unter den aktuellen gesellschaftlichen Voraussetzungen noch lange nicht das bedeutet, was wir unter einem selbstbestimmten Leben verstehen, so ist die Möglichkeit eines legalen Schwangerschaftsabbruchs doch als wichtiger Fortschritt und als zentrales Frauenrecht zu sehen.

Konservatismus und Frauenfeindlichkeit

Die Argumente der selbsternannten „Lebensschützer“ beziehen sich ausschliesslich auf das Wohl des Kindes, welches sie sichern wollen. Sie verschieben den Fokus weg von der Frau, die abtreibt, und geben vor, „den Schwächsten der Gesellschaft“ eine Stimme zu geben. So können sie ihre Meinung als die Meinung der „Unterdrückten und Nicht-Gehörten“ darstellen und transportieren. Bezeichnend dabei ist, dass seit seinem Bestehen die überwiegende Mehrheit der Redner*innen am „Marsch fürs Läbe“ männlich war und ist. Durch die Berufung auf die Bibel, nach deren Anweisungen sie angeblich handeln, wird ihre Position als die einzig wahre dargestellt.
Die Werte, welche der „Marsch fürs Läbe“ vermittelt, sind einengend und rückständig. Die christliche Familie, die der Verein auf seiner Webseite als „wahren Reichtum“ bezeichnet, wird als Idealbild konstruiert. Der Vereinsmeinung nach gehören zu einer Familie sowohl die Ehe, wie auch eine kirchliche Hochzeit. In Anbetracht dessen, dass Homosexuelle und Andersgläubige in der Kirche nicht heiraten dürfen und viele Menschen unverheiratet in Beziehungen zusammenleben, wird klar, wie realitätsfern und – gerade in Bezug auf andere Lebensentwürfe – wie ausgrenzend dieses Idealbild ist. Diese fundamentalistischen Vorstellungen der Familie sind Teil des frauen- und männerfeindlichen, stereotypen Gesamtbildes des Vereins und verdeutlichen dessen reaktionäre Haltung.

Religionskritik

Religiöse und fundamentalistische Ansichten gewinnen insbesondere in Krisenzeiten, wo bestehende gesellschaftliche Institutionen von den herrschenden Klassen torpediert und abgebaut werden, wieder an Boden. Religion ist allerdings bei weitem nicht gleichbedeutend mit reaktionären Ideologien. Schon Karl Marx, der „Religion als Opium des Volkes“ bezeichnete, attestierte dieser durchaus auch positive Eigenschaften. Wenn gewisse Leute in religiösem Glauben einen Zufluchtsort finden, den ihnen die kapitalistische Gesellschaft nicht ermöglichen kann, ist daran weiter nichts auszusetzen. Einer emanzipatorischen Bewegung kann es nicht daran gelegen sein, den individuellen Glauben von gewissen Leuten zu verteufeln. Doch gerade in Zeiten der Hetze gegen Muslim*innen und ihrer Gleichsetzung mit islamistischen Fundametalist*innen, ist es wichtig aufzuzeigen, dass in der christlichen Religion im selben Masse Fundamentalismus vorkommt. Ausserdem ist es völlig paradox, dass selbsternannte „Islamkritiker“ meist aus christlich-fundamentalistischen Kreisen stammen.
Unsere Aufgabe ist es, ausgehend von einer Anerkennung der momentanen gesellschaftlichen Bedeutung von Religion, die erzkonservativen und reaktionären Tendenzen, welche sich unter deren Mantel verstecken, zu bekämpfen. Diesen Kampf gegen die freiheitsraubenden und diskriminierenden Auswirkungen reaktionärer Ideologien gilt es mit dem Kampf für eine umfassende Befreiung von den Einschränkungen der kapitalistischen Gesellschaft zu verbinden.

Abtreibungen und soziale Sicherheit

Die Verbindung von Abtreibung und sozialer Sicherheit ist entscheidend. Schwangerschaftsabbruch, aber auch pränatale Diagnostik und die immer wieder kontrovers diskutierte Sterbehilfe sind keine individuellen, moralischen Felder. Die Entscheidung, ob während der Schwangerschaft Tests durchgeführt werden sollen, um allfällige Behinderungen des Kindes frühzeitig zu erkennen, ist nur vordergründig eine persönliche. Viel zu oft werden soziale, aber auch ökonomische Rahmenbedingungen in der Debatte um Leben und Sterben vernachlässigt. Das Recht auf Abtreibung ist in den letzten Jahrzehnten erkämpft worden und stellt gerade für eine – noch lange nicht erreichte – Gleichstellung der Geschlechter ein zentrales Element dar. Ebenso wichtig ist aber, dass die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, nicht vom Einkommen der Eltern abhängen darf. Krippenplätze, Kinderbetreuung und finanzielle Erleichterungen sind deshalb genauso wichtige Forderungen, wenn wir ein selbstbestimmtes Leben und eine freie Entscheidung über das Kinderkriegen fordern. Die christlichen Fundamentalist*innen vom „Marsch fürs Läbe“ gehen auf diese sozio-ökonomischen Hintergründe kaum ein. Für sie zählt allein Gottes Wort, und das nimmt nun einmal keine Rücksicht auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Dafür haben sie die christliche Familie auserwählt, die den ökonomischen Rahmen bilden soll, in dem Kinder zur Welt kommen. Der Mann arbeitet, die Frau besorgt den Rest.
Und gerade in Krisenzeiten, wo auch in der Schweiz viele bestehende Institutionen, die den Menschen zumindest bis zu einem gewissen Grad eine soziale Sicherheit versprachen, von den herrschenden Klassen zerstört werden; in einer Zeit, in der Krippenplätze knapp sind und ein Kind eine erhebliche ökonomische Belastung bedeutet, erfreut sich die Institution „Familie“ einer wachsenden Beliebtheit.
Kinder zu bekommen oder nicht ist eine extrem persönliche Entscheidung. Eine Entscheidung, die jeder Mensch, besonders aber jede Frau, frei und ohne gesellschaftliche, ökonomische oder moralische Zwänge fällen können sollte. Davon sind wir heute weit entfernt. Noch immer hängt die Entscheidung, für oder gegen ein Kind, von zu vielen äusseren Faktoren ab.
Unser Ziel muss es deshalb sein, jeder Frau die Möglichkeit zu geben, frei über einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. Diese Wahlfreiheit beginnt bei der Gleichstellung und Entscheidungsfreiheit der Frau in der Liebesbeziehung und endet beim Beruf, der mit einem Kind vereinbar ist. Denn all diese Faktoren stellen Beeinflussungen dar und müssen berücksichtigt werden. Es reicht nicht, die Abtreibung rechtlich zu erlauben. Sie muss eine wirkliche Option sein. Demnach sollte keine Frau gezwungen sein, aufgrund von sozioökonomischem Druck ein Kind abzutreiben. Genauso wenig aber sollte eine Frau dazu gezwungen werden, eines zu bekommen.

Das Recht auf Abtreibung im internationalen Kontext

Die Fundamentalist*innen, welche heute für ein Abtreibungsverbot demonstrieren, sind in der Schweiz zwar nicht mehr als eine politisch unbedeutende Randgruppe. Das ist aber in einer ganzen Reihe europäischer Staaten anders. In Italien ist es zwar legal abzutreiben. Es gibt jedoch für medizinisches Personal per Gesetz die Möglichkeit, sich aufgrund religiöser Vorbehalte zu weigern, eine Abtreibung durchzuführen. In Spanien sind Schwangerschaftsabbrüche momentan ab dem 16. Altersjahr in den ersten 14 Schwangerschaftswochen zugelassen. Dieses von Feminist*innen erkämpfte Recht wird aktuell von der rechtskonservativen Regierungspartei Partido Popular angegriffen. Bereits 2013 versuchte die Partei Abtreibungen komplett zu verbieten, was auf erbitterten Widerstand stiess. Momentan befindet sich ein Gesetz in der Vernehmlassung, welches Schwangerschaftsabbrüche nur noch nach Vergewaltigungen oder bei „schwerer medizinischer Gefahr“ zulassen würde In Irland ist die Situation bereits jetzt äusserst prekär. Dort drohen einer Frau, die abtreibt, 14 Jahre Haft. Sorgen wir dafür, dass die christlichen Fundamentalist*innen nicht über unser Leben bestimmen können! Weder hier noch sonst wo!

Soziale Gleichheit statt reaktionäre Hetze!

Gegen reaktionäre Hetze und fundamentalistische Zwänge!

Freie Entscheidungsmöglichkeiten für alle!

Für das Recht auf Abtreibung! Weltweit!

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1 Kommentar

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