Die Manifeste für den kommenden Frauen*streik umfassen vielfältige Forderungen. Neben Themen wie Lohngleichheit, sexueller Gewalt und Care-Arbeit werden auch Verbindungen zu Kämpfen gegen Rassismus, die Klimakrise, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung und LGBTIQ+ hergestellt. Damit wird anerkannt, dass verschiedene Formen der Unterdrückung miteinander verwoben sind und sich gegenseitig stützen. Der folgende Text beschäftigt sich mit dem Zusammenwirken von Unterdrückungsmechanismen und plädiert dafür, verschiedene emanzipatorische Bewegungen in Praxis und Theorie zu verbinden. Wir veröffentlichen hier den ersten Teil des Artikels. Hier gehts zum 2. Teil.
von Mitgliedern der BFS und BFS Jugend Zürich
So, wie wir Feminist*innen (1) treffend feststellen, dass öffentliche Räume Männerräume sind, so müssen wir auch feststellen, dass öffentliche Räume in der Schweiz weiss (2) sind. Dies gilt auch für die meisten feministischen FLINT (3) -Räume. Es kommt vor, dass die Unterdrückungserfahrungen von Women of Colour (4) als nebensächlich abgetan werden, wenn in solchen Räumen auf die spezifische Situation von Women of Colour aufmerksam gemacht wird. Dieser Umstand erinnert stark an die Diskussion über den Haupt- und Nebenwiderspruch, bei der Anhänger*innen sehr orthodoxer Strömungen des Marxismus die Unterdrückung der Frauen und den Kampf dagegen lediglich als ein Nebenproblem des Kapitalismus darstellen – ein Problem, dass bei der Beseitigung des Kapitalismus ebenfalls verschwindet. Eine solche Interpretation des Klassenkampfes sowie die Hierarchisierung verschiedener Unterdrückungserfahrungen und Kämpfe gilt es hier zu widerlegen, denn diese Ansichtsweisen schaden progressiven Bewegungen.
Zur Kritik am weissen Feminismus
Als Auswuchs des erwähnten Hierarchisierungsdenkens forderten einige weisse Feminist*innen von Feminists of Colour, die Solidarität unter den Frauen – die Schwesternsolidarität – über die Solidarität mit den Men of Colour zu stellen. Als ob Women of Colour irgendwie mehr «Frau» als «of Colour» wären. Ausgehend von der Kritik an diesem Verständnis von Feminismus formulierten Feminists of Colour die Theorien des Black Feminism, woraus später die Theorie der Intersektionalität entwickelt wurde. Sie beschreibt, dass verschiedene Unterdrückungsformen zum einen ihre Eigenheiten haben, sich aber auch überschneiden und sich in ihrem Wirken gegenseitig unterstützen. Die Feminist of Colour stehen dafür ein, dass ihre Rolle an der Schnittstelle zwischen Rassismus und Sexismus spezifisch anerkannt wird, da sie sich wesentlich von der Situation weisser Frauen sowie von Men of Colour unterscheidet.
Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt des Black Feminism gegenüber dem weissen Feminismus ist die Ablehnung des Universalitätsanspruches. Damit ist gemeint, dass die Definition von «Sexismus» und «Geschlechterfragen» seitens weisser und bürgerlicher Frauen als für alle Frauen gültig dargestellt wird. Zu oft wird das Geschlecht von der Ethnizität und der Klasse abstrahiert und das Bedürfnis der «Frauen», der Häuslichkeit zu entkommen und «zur Arbeit zu gehen», priorisiert – als ob alle Frauen diesem Typ weisser Vorstadthausfrauen entsprächen. Dabei war und ist die Mehrheit der Women of Colour aufgrund ihrer finanziell prekären Situation bereits lange dazu gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um die eigene Existenz sichern zu können. Die Tatsache, dass mehr People of Colour von Armut betroffen sind und mehr weisse Menschen der Mittelklasse angehören, ist das Resultat von strukturellem Rassismus in der kapitalistischen Gesellschaft.
Dieser Universalitätsanspruch ist rassistisch, weil er die Lebensrealitäten von Women of Colour ignoriert und unterdrückt. Somit führt er unweigerlich zu rassistischen Forderungen. So fanden sich Feminists of Colour immer wieder in der unglücklichen Rolle, auf rassistische Tendenzen innerhalb feministischer Bewegungen aufmerksam machen zu müssen. Als Beispiel dafür zählen einige europäische «Feminist*innen», die aktiv den antimuslimischen Rassismus schüren, indem sie muslimische Frauen als Opfer ihrer Kultur darstellen und sie vom Kopftuch oder der Burka «befreien» wollen. Diese Forderung impliziert, dass muslimische Frauen nicht selbst denken oder handeln könnten, unweigerlich Opfer ihrer Umstände sind und nicht fähig sind, sich selbst zu emanzipieren – was ebendiese europäischen «Feminist*innen» von sich selbst behaupten, dass sie es erreicht hätten. Gleichzeitig werden Migranten aus muslimischen Ländern dämonisiert und als übergriffiger als christliche, weisse Männer dargestellt und somit sexualisierte Gewalt als ein eingewandertes Problem abgetan. Diese Rhetorik wurde gerade um die Kölner Silvesternacht laut, während beim weissen, bürgerlichen Oktoberfest kaum über sexualisierte Übergriffe berichtet wird (die sehr wohl stattfinden).
Um als Feminist*innen für eine wirklich befreite Gesellschaft kämpfen zu können, müssen wir uns dieser Problematik bewusst sein. Wir müssen Theorien wie Intersektionalität ernst nehmen und auf unsere Kämpfe anwenden. Wir müssen uns fragen, wie unsere Bewegungen zu gestalten sind, wo die blinden Flecken sind und welche Unterdrückungsformen wir damit allenfalls unterstützen.
Der intersektionale Ansatz ist aber nicht nur wichtig, um unsere Bewegungen möglichst breit und inklusiv zu gestalten, sondern auch, um den antikapitalistischen Kampf entschlossen zu führen. Denn der Kapitalismus ist mit (neo)kolonialen und sexistischen Machtstrukturen sowie der Zerstörung und Ausbeutung von Natur und Arbeit eng verbunden.
Kapitalismus und Rassismus gehören zusammen
Das kapitalistische System konnte nur dank der gewaltsamen kolonialen Plünderung, dem transnationalen Sklav*innenenhandel und der Enteignung indigener Völker entstehen und bis heute aufrechterhalten werden. Die Globalisierung des Kapitalismus und der internationale «freie Markt» beinhalten, dass Güter im globalen Süden (auch als Schwellen oder Entwicklungsländer bezeichnet) zu sehr geringen Kosten produziert werden, um sie dann im globalen Norden (auch als Industrieländer bezeichnet) mit hohen Profitmargen zu verkaufen. Gleichzeitig werden die im Norden überproduzierten Waren zu Spottpreisen in den Süden verschifft und verdrängen dort lokale Produzent*innen aus dem Markt. Die Konsequenz davon ist ein Geldstrom vom Süden in den Norden, von ohnehin arm zu bereits reich.
Der Kapitalismus hat aus systemnotwendigen Gründen immer Gruppen von rassifizierten (5) Menschen geschaffen, deren Persönlichkeiten abgewertet und Arbeit enteignet wurden. Menschen, denen einen geringeren Stellenwert zugesprochen wird, können somit auch geringer entlohnt werden, wenn sie überhaupt für ihre Arbeit entlohnt werden.
Das rassistische Wirtschaftssystem ist zwar global, aber es zeigt lokal unterschiedliche Gesichter. Ein Beispiel ist das neokoloniale Landgrabbing, also die räuberische Aneignung von Land durch Regierungen und Unternehmen im globalen Süden zur profitableren Herstellung von Nahrungsmitteln für den Weltmarkt oder um Gewinne aus Bodenspekulationen zu erzielen. Dafür werden indigene Bevölkerungen oft gewaltsam von ihrem Land vertrieben und somit ihrer Existenzgrundlage beraubt. Nebenbei entstehen katastrophale Schäden an der Natur. Ein zweites Beispiel liegt im Globalen Norden, wo die gewerkschaftlich organisierte Industriearbeit grössten teils durch die prekäre Dienstleistung-sarbeit ersetzt wurde. Dort fallen die Löhne besonders in den Branchen, in denen vorwiegend People of Colour beschäftigt sind.
Ebenso unterschiedlich zeigen sich die Ausprägungen des globalen Rassismus abhängig vom Geschlecht von Betroffenen. Heute sind Millionen von Women of Colour als Betreuer*innen und Hausangestellte beschäftigt. Oft ohne Aufenthaltsbewilligung und weit weg von ihren Familien werden sie – zu gleich ausgebeutet und enteignet – gezwungen, prekär und billig zu arbeiten, ohne Rechte und unter Missbrauch aller Art. Ihre Unterdrückung ermöglicht bessere Bedingungen für privilegiertere, meist weisse Frauen, die somit den Aufwand für Hausarbeit und Kindsbetreuung vermeiden und gut bezahlte Berufe ausüben können. Dadurch ergeben sich globale Be treuungsketten, welche die globalen Missverhältnisse weiter verstärken: Immigrierte Frauen betreuen die Kinder der Familien im Zielland und somit müssen Familienangehörige oder Angestellte im Herkunftsland die Kinder der Migrantin betreuen.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der globale Norden die Menschen und Natur des globalen Südens ausbeutet sowie innerhalb des Nordens People of Colour ausgebeutet werden. Dies ist Grundbestandteil des kapitalistischen Systems. Daraus schliessen wir, dass wir erst in einer gerechteren Welt leben können, wenn wir die Art, wie Geld, Güter und Arbeit auf der Welt verteilt werden, radikal verändert haben.
Hier gehts zum zweiten Teil des Artikels.
Fussnoten:
1 Das Gendersternchen * soll darauf hinweisen, dass es sich bei den Kategorien Frau/Mann um soziale Konstruktionen handelt. In Begriffen wie Arbeiter*innen, soll es darauf hinweisen, dass alle Geschlechter mitgemeint sind.
2 «Weiss-sein verstehen wir – genauso wie Schwarz-sein – nicht als wesenhafte Eigenschaften von Menschen, sondern als soziale Konstruktionen, die jedoch wirkmächtig sind und unsere Lebensrealitäten prägen. Weiss zu sein bedeutet, in Bezug auf Rassismus die privilegierte Position innezuhaben, d.h. als weiss werden Menschen bezeichnet, die in dieser Gesellschaft keine Rassismus-Erfahrungen machen, sondern durch Rassismus Privilegien erhalten». Aus dem Buch Geflüchtete und Kulturelle Bildung von Maren Ziese / Caroline Gritschke (Hg.)
3 FLINT- steht für Frauen, Lesben, Inter-, Non-Binary und Trans- Menschen
4 «Der People of Color-Begriff entstammt der Selbstbenennungspraxis rassistisch unterdrückter Menschen. Er wurde im Laufe der 1960er Jahre durch die Black Power-Bewegung in den USA als politischer Begriff geprägt, um die Gemeinsamkeiten zwischen Communitys mit unterschiedlichen kulturellen und historischen Hintergründen zu benennen. Dadurch sollte eine solidarische Perspektive quer zu den rassistischen Einteilungen in unterschiedliche Ethnien und «Rassen» eröffnet werden, die antirassistische Allianzen befördert. Als gemeinsame Plattform für grenzüberschreitende Bündnisse wendet sich dieser Begriff gleichermaßen an alle Mitglieder rassifizierter und unterdrückter Communitys. People of Color bezieht sich auf alle rassifizierten Menschen, die in unter-schiedlichen Anteilen über afrikanische, asiatische, lateinamerikanische, arabische, jüdische, indigene oder pazifische Herkünfte oder Hintergründe verfügen. Er verbindet diejenigen, die durch die Weiße Dominanzkultur marginalisiert sowie durch die Gewalt kolonialer Tradierungen und Präsenzen kollektiv abgewertet werden.» Kien Nghi Ha; http://www.migrazine.at/artikel/people-co- lor-als-solidarisches-b-ndnis
5 Rassifizierung bezeichnet den Vorgang, bei dem Personen wegen ihrer Herkunft, ihres Aussehens oder ihrer Lebensgewohnheiten einer vermeintlich homogenen sozialen Gruppe zugeordnet werden, vor allem im Zusammenhang mit Einwanderung (Migration).
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