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Was die Arbeit von Frauen mit fossilen Brennstoffen zu tun hat

Endliche Ressourcen und unbezahlte Frauenarbeit sind auf mehrere Arten verbunden. Erstens stellen die kostenlose Nutzung beider Grundpfeiler des kapitalistischen Wirtschaftens dar. Zweitens wird die kostenlose oder billige Nutzung der Frauenarbeit und der endlichen Ressourcen auf gleiche Weise gerechtfertigt. Und drittes sind Frauen überproportional von den Folgen des Verbrauchs endlicher Ressourcen betroffen. Wir müssen also die Kämpfe gegen den Raubbau an der Natur sowie gegen die Ausbeutung von Frauen zusammendenken, wenn wir den Kapitalismus überwinden wollen. Und umgekehrt müssen wir den Kapitalismus überwinden, wenn wir eine ökologische und feministische Zukunft aufbauen wollen.

von Sarah Friedli und Elia Baldini (BFS Jugend Zürich); aus antikap

Der Juli 2019 war der wärmste Monat seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen. In Sibirien wüteten Waldbrände, die mehr CO2 freisetzten als ein hochindustrialisiertes Land wie Belgien in einem Jahr. In Kanada stellten Forscher*innen mit Schrecken fest, dass der Permafrostboden so grossflächig auftaut, wie es eigentlich erst für das Ende des 21. Jahrhunderts vorausgesagt war. Als Folge davon werden riesige Mengen Methan freigesetzt, einem Treibhausgas mit 5000-Mal stärkerer Wirkung als CO2. In Grönland wiederum war die Eisdecke zu Beginn des Sommers soweit zurückgegangen wie es zu diesem Zeitpunkt im Jahr noch nie geschehen ist. Mit der Konsequenz, dass sich die vom Eis befreiten Ozeanflächen noch schneller erwärmen. Die extreme Hitze beschränkte sich jedoch nicht nur auf die dünn besiedelten Gebiete am Polarkreis. Viele Ballungsräume in Europa und Asien verzeichneten neue Hitzerekorde. In Norddeutschland und Paris kletterten die Temperaturen auf über 42-Grad Celsius, in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi sogar auf fast 50 Grad. Die Hitzewelle in Indien, Pakistan und Bangladesch mit wochenlangen Temperaturen über 45 Grad ist besonders beunruhigend, weil damit die ganzjährige Bewohnbarkeit eines Gebietes infrage gestellt wird, welches etwa doppelt so viel Einwohner*innen zählt wie die USA.

Der seit ungefähr 150 Jahren zu beobachtende – und in den letzten Jahrzenten beschleunigt voranschreitende – Anstieg der Durchschnittstemperaturen ist das Ergebnis eines vollkommen aus den Fugen geratenen Kohlenstoffkreislaufs auf unserem Planeten. Energiequellen wie Erdöl oder Steinkohle, welche sich über einen Zeitraum von zig Millionen Jahren hinweg gebildet haben, wurden innerhalb von wenigen Jahrzehnten in gigantischem Ausmass aus der Erde geholt und verbrannt.

Das Wissen, wie aus den im Boden reichlich vorhandenen Kohlenstoffreserven im grossen Stil und relativ kosteneffizient Energie gewonnen werden kann, war ein unentbehrlicher Faktor für die Industrialisierung.[1] Den Durchbruch der industriellen Massenproduktion hätte es schlicht nicht gegeben, wenn nicht ein günstiger und zuhauf verfügbarer Brennstoff wie die Kohle für einen rentablen Antrieb der schweren Dampfmaschinen und Turbinen gesorgt hätte. Dasselbe gilt für die technischen Entwicklungssprünge der darauffolgenden Industrialisierungsetappen. Dieses Wissen stellt einen wichtigen Teil der Entstehungsgeschichte des Kapitalismus dar und ist somit auch einer der Grundpfeiler der kapitalistischen Produktionsweise. Industrialisierung wäre also nicht denkbar, wenn die Ressourcen nicht günstig oder zum Teil sogar kostenlos verfügbar gewesen wären.

Zu sehen ist der Anstieg des CO2 (blau) und des jährlichen Treibhausgas-Index (rot). Es ist klar erkennbar, dass mit der Etablierung des kapitalistischen Wirtschaftssystems die Emissionen rasant zunahmen.
[NOAA: The NOAA annual greenhouse gas index (AGGI), Frühling 2019
https://www.esrl.noaa.gov/gmd/aggi/aggi.html (16.10.19)]

Das «natürliche» Gut

Damit in einer Welt, welche sich nach Preis, Kosten und Profit richtet, ein Gut (wie bspw. die Kohlenstoffreserven) verbraucht werden kann, ohne dass dafür bezahlt werden muss, braucht es eine – in der Gesellschaft tief verankerte – Vorstellung, dass dieses Gut ein Geschenk – der Natur, Gottes, oder von was auch immer – ist und die Verbraucher*innen nicht dafür bezahlen müssten. Endliche Ressourcen werden dann als «natürliche» Ressourcen bezeichnet. Sehr ähnlich passiert das auch mit der Arbeitskraft von Frauen[2]. Ebenso wie das Aufbrauchen endlicher Ressourcen, zählt die Ausbeutung des weiblichen Körpers und der weiblichen Arbeitskraft zu einem Grundpfeiler der kapitalistischen Wirtschaftsweise.



Ohne die Arbeit, welche Frauen zugeteilt, abgewertet und daher meist auch schlecht oder überhaupt nicht entlohnt wird, müssten die Unternehmen – müsste das Kapital – für die gesamte Reproduktion der Arbeitskraft ihrer Arbeiter*innen aufkommen. Wenn also nicht mehr tagtäglich gratis gewaschen, gekocht, versorgt und gepflegt, erzogen und gesorgt würde, hätte die Wirtschaft ein grosses Problem: In der Schweiz beispielsweise entspricht die Arbeit, welche für das Zubereiten von Mahlzeiten aufgewendet wird rund 45 Milliarden Franken. Das entspricht etwa 90 Prozent der Bruttowertschöpfung des gesamten Gross- und Detailhandels. Es handelt sich dabei aber erst um einen Viertel der gesamten unbezahlten Arbeit.[3] Müsste diese Arbeit bezahlt werden, wären das unvorstellbare Kosten.

Für das Existieren des Kapitalismus ist es also zentral, dass diese Reproduktionsarbeit gratis geleistet wird. Und dabei macht sich das kapitalistische System die patriarchalen Machtverhältnisse zu Nutze, indem das Ausbeuten von Frauen in unserer Gesellschaft als «normal» oder «natürlich» erscheint. Es scheint einerseits normal, dass Frauen doppelte Arbeitstage, Gewalt und Abwertung tagtäglich zu erdulden haben. Andererseits scheint es ebenso normal, dass tagtäglich tonnenweise endliche Ressourcen aus dem Boden geholt und verbrannt werden, ohne dass die Besitzer*innen der Schaufelradbagger und Erdölbohrtürme den Preis dafür bezahlen müssten.

Wer bezahlt den Preis?

Denn entgegen der Annahme, die Ressourcen und die Arbeitskraft der Frauen sei ein Geschenk Gottes oder der Natur, gibt es natürlich Kosten für die Nutzung dieser Güter. Damit ist nicht etwa der Geldpreis gemeint. Gemeint sind die Begriffe Kosten und Preis im übertragenen Sinne: Die Kosten sind Zerstörung der Lebensgrundlage von Millionen von Menschen, Leid, Armut und Flucht. Wenn wir über solche Ausmasse der Klimazerstörung sprechen, macht es auch keinen Sinn, mit marktwirtschaftlichen Massnahmen dagegen ankämpfen zu wollen, wie sich das bürgerliche Ökonom*innen in Form einer Ökosteuer vorstellen. Das «Recht auf Umweltzerstörung» soll nicht auf dem Markt eingekauft werden können, sondern wir müssen dieses «Recht» abschaffen.[4]

Wir sprechen also von Hunger, Flucht, Armut und Tod, wenn wir vom Preis der Ausbeutung der natürlich vorkommenden Ressourcen sprechen. Und diesen Preis bezahlen eben nicht diejenigen, die von den Ressourcen profitieren, sondern die gesamte Menschheit. Am meisten trifft es jene Menschen, welche am wenigsten für diese Misere können: Arme, Menschen aus dem globalen Süden, Frauen.

So kamen beim Tsunami in Südostasien 2004 vier Mal so viele Frauen ums Leben wie Männer.[5] Das Forschungs-Informations-Zentrum (FIS) schreibt von 50% Ernteausfällen bis 2020 in «einigen Ländern» Afrikas.[6] Und auch das IPPC schreibt: «Es werden kurzfristig und darüber hinaus erhebliche Auswirkungen auf den ländlichen Raum erwartet […]. Es wird erwartet, dass sich diese Auswirkungen überproportional auf das Wohlergehen der Armen in ländlichen Gebieten auswirken werden, wie z.B. von Frauen geführte Haushalte und solche mit begrenztem Zugang zu Land, modernen landwirtschaftlichen Betriebsmitteln, Infrastruktur und Bildung.»[7]

Frauen sind also auf zwei Weisen mit der ökologischen Frage verbunden:

1. Ebenso wie die Ausbeutung der endlichen Ressourcen stellt die Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft ein Grundpfeiler für das heutige Gesellschafts- und Wirtschaftssystem dar. Um diese zwei Arten der Ausbeutung ohne Kosten weiter verfolgen zu können, wird immer wieder die Vorstellung reproduziert, es handle sich bei den Ressourcen und der weiblichen Arbeitskraft um «natürliche» Güter, die uneingeschränkt nutzbar seien.

2. Beide Ausbeutungsverhältnisse haben ihren Preis und dieser wird in beiden Fällen hauptsächlich von Frauen getragen. Der Preis für die unbezahlte Ausbeutung der Arbeitskraft ist psychische und physische Belastung sowie die grassierende Gewalt gegen Frauen als Instrument zur Aufrechterhaltung der patriarchalen Machtverhältnisse. Der Preis für die uneingeschränkte Nutzung fossiler Brennstoffe ist die Klimakrise und die damit einhergehende Zerstörung von Lebensräumen sowie die Vernichtung von Grundlagen für ein lebenswertes Leben. Frauen haben in unserer patriarchalen Gesellschaft meist einen geringeren sozialen Status sowie weniger politische und wirtschaftliche Macht als Männer. Die Mehrheit der Menschen in Armut sind dementsprechend Frauen. Oft bleibt ihnen der Zugang zu Ressourcen verwehrt, sie haben weniger rechtlich gesicherte Besitzansprüche, arbeiten häufiger in der Landwirtschaft und im Haushalt und kümmern sich um die Familie. Die Folgen des Klimawandels, wie etwa vermehrte Dürren und Seuchen, haben daher schlimmere Konsequenzen für Frauen.[8]

Widerstand

Frauen werden also strukturell abgewertet, weil unser Wirtschaften darauf angewiesen ist, die Reproduktionsarbeit und ihre Körper möglichst günstig zur Verfügung zu haben. Und durch diese strukturelle Abwertung von Frauen in unserer Gesellschaft sind sie es, die die Hauptlast der Klimakatastrophe tragen. Es sind Frauen, die weitere Strecken zurücklegen müssen, wenn die nahe Wasserquelle versiegt. Es sind Frauen, die bei Umweltkatastrophen ertrinken, weil sie bei der Hausarbeit zuhause nicht früh genug gewarnt werden konnten, oder weil sie nie schwimmen gelernt haben. Es sind Frauen, die sich um die Kinder kümmern müssen, wenn es durchgehend 45 Grad Celsius und wärmer ist. Und deshalb stehen Frauen auch an der Speerspitze im Kampf gegen diese globale Misere: In Protesten gegen den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro,[9] dessen Politik zu den schlimmsten Bränden seit Jahren im Amazonas geführt haben und somit hektarweise Lebensraum von Menschen und Tieren zerstört wurden.[10] Im Kampf gegen die Dakota-Access-Påipeline in den Vereinigten Staaten, bei deren Bau die Landrechte der indigenen Bevölkerung im Standing Rock Reservation ignoriert und die Trinkwasserreserven gefährdet werden. Im Kampf gegen das Bergbauunternehmen Newmont in Peru, welches Familien von ihrem Land vertreiben wollte, um nach Gold zu graben.[11] In den Kämpfen auf der ganzen Welt gegen die Privatisierung von Wasser, Saatgut und Land. Diese Bewegungen zeigen, dass die ökologische Frage nicht von der Frage der Reproduktion der Menschheit und der Verteilung dieser Arbeit getrennt werden kann.

Wenn wir also verhindern wollen, dass wir direkt auf eine Katastrophe und damit auf die reale Bedrohung von unvorstellbarem Leid und Zerstörung zusteuern, müssen wir aufhören, die weibliche Arbeitskraft und endliche Ressourcen als ein Geschenk der Natur zu betrachten. Wenn dies zur Konsequenz hat, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem nicht weiter funktionieren kann, dann können wir uns darüber freuen. Denn das würde heissen, dass wir endlich damit beginnen können, die Aufgaben, Pflichten, Rechte und Verantwortungen unserer globalen Gesellschaft, gleichberechtigt aufzuteilen und ein gutes Leben für alle aufzubauen.


Fussnoten:

[1] Landes, David S.: Der entfesselte Prometheus. Köln, 1973.

[2] Damit ist die Zugehörigkeit zur sozialen Kategorie «Frau» und nicht das biologische Geschlecht gemeint.

[3] Madörin, Mascha: Care Ökonomie. Eine Herausforderung für die Wirtschaftswissenschaften, 2010.

[4] Wieso Ökosteuern nichts taugen kann unter Anderem hier nachgelesen werden: https://sozialismus.ch/artikel/2019/oekologie-gegen-oekosteuern/

[5] The tsunami’s impact on women, Oxfam Briefing Note, März 2005.

[6] https://www.forschungsinformationssystem.de/servlet/is/345787/ (15.08.19)

[7] IPPC: Climate Change 2014, Impacts, Adaption, and Vulnerability, USA 2014, S.19. [https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2018/02/WGIIAR5-PartA_FINAL.pdf (15.08.19)]

[8] https://dgvn.de/meldung/klimagerechtigkeit-und-geschlecht-warum-frauen-besonders-anfaellig-fuer-klimawandel-naturkatastroph/ (15.08.19)

[9] https://www.youtube.com/watch?v=S0Tnv656BDk (23.8.19)

[10] Philipp Lichterbeck: Wir werden den Amazonas ausbeuten. Er gehört uns, in: Republik, 22.08.19, https://www.republik.ch/2019/08/22/wir-werden-den-amazonas-ausbeuten-er-gehoert-uns (22.8.19)

[11] Vilma Guzmán: Klage von Kleinbäuerin aus Peru gegen Bergbaukonzern in USA zugelassen, amerika21, 27.03.2019. [https://amerika21.de/2019/03/224047/usa-peru-klage-bergbau-newmont-mining (16.10.19)]

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1 Kommentar

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