Menu Schließen

Gesundheit: Elektronisches Patientendossier, Schweizer Bundesräte und die Interessen von Unternehmen

Am 18. Februar 2019 veröffentlichte der Tagesanzeiger einen Artikel über eine Geheimsitzung im Herbst 2018, an der die damaligen Bundesrät*innen Leuthard und Schneider-Ammann sowie Vertreterinnen von Unternehmen, Hochschulen und Verbänden teilgenommen haben. Besprochen wurden dabei Möglichkeiten der Digitalisierung im Gesundheitsbereich. Speziell im Fokus standen die Elektronischen Patientendossiers (EPD).

von Cedric Stucki (BFS Zürich)

Elektronische Patientendossier und das Beraterteam

Der Tagesanzeiger zählt die Anwesenden der Sitzung auf: „Zwei Bundesräte, der Bundeskanzler, die Präsidenten der renommiertesten Hochschulen des Landes, Spitzenvertreter von Roche, Givaudan, SBB, Swisscom, UBS, Google und weiteren Grosskonzernen, Vertreter von Wirtschaftsverbänden, ein Amtsdirektor, ein Regierungsrat, ein Ständerat, mehrere Generalsekretäre“. Sie alle sind Teil des Beirats „Digitale Transformation“, ein Beratergremium des Bundesrats zur Digitalisierung des Gesundheitswesens. Die Interessen, die darin vertreten werden, ergeben sich aus den Teilnehmer*innen und die Auszüge aus dem Protokoll lesen sich dementsprechend grauenvoll. Nicht nur ist es durchzogen von Manager-Speak, auch die Visionen und Ideen, die dabei geäussert werden, sind ein neoliberaler Albtraum. Hauptthema sind die elektronischen Patientendossiers (EPD), die 2020 auf „zunächst freiwilliger Basis“ eingeführt werden sollen. In diesen Dossiers sollen alle gesundheitsrelevanten Daten der Patient*innen (also von uns allen) gesammelt werden.

Die Einführung der elektronischen Patientendossiers wird kontrovers diskutiert. Die Gegner*innen äussern primär Sicherheitsbedenken, so zum Beispiel, dass im Falle eines Hacks oder Leaks die Daten in die falschen Hände gerieten. Die Diskussionen, welche im Rahmen der Geheimsitzung geführt wurden, zeigen aber: Unsere Bedenken rund um die EPDs müssen noch viel weiter gehen.

Finanzielle Interessen an den privaten Gesundheitsdaten

Die privaten Gesundheitsdaten von Patient*innen sind für verschiedene Unternehmen von grossem Interesse. Mit Hilfe der Daten lässt sich die Einschätzung der Patient*innen in rentable und unrentable verfeinern. Das ist sowohl für die privaten Gesundheitsunternehmen von Interesse, aber auch für die öffentlichen Gesundheitsdienstleister. In Gesundheitsbereich steigen die Investitionen von Finanzanleger, diese sind dementsprechend an profitableren Gesundheitsdienstleistern interessiert. Zudem sind die Daten auch für die Forschung, Pharmaunternehmen und die Risikoanalyse von Versicherern von Interesse. Dass datenhungrige Unternehmen wie Google auch beisitzen wollen, erstaunt kaum. Zusätzlich gibt es auch einen Bedarf an technischen Lösungen für Digitalisierungsprozesse, welche für IT-Unternehmen lukrative Aufträge bedeuten können. So ist die Swisscom an verschiedenen Projekten zur Umsetzung der EPDs beteiligt.

Im Gesundheitsbereich lassen sich riesige Gewinne einfahren. Ein Beispiel: Die Privatklinikgruppe Hirslanden machte 2017 einen Gewinn von 208 Mio. CHF, mit einer Gewinnmarge von etwa 20%. Lange war die UBS Hauptaktionärin, mittlerweile ist Hirslanden im Besitz einer südafrikanischen Holdinggesellschaft.

Zwang zur Teilnahme

Ein Diskussionspunkt der Sitzung muss auch die Frage gewesen sein: Was sollen die Patient*innen für die Hingabe ihrer privaten Daten bekommen? Einige nehmen hier die Ärzt*innen in die Pflicht und wollen diese durch finanzielle Anreize oder einen Zwang dazu bringen die Daten zu sammeln. In solchen Momenten wird sogar der liberale Zürcher Regierungsrat und Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz Thomas Heiniger zu einem Fan des staatlichen Zwanges. Er findet die „Freiwilligkeit [der Ärzt*innen, Anm. d. Red.] müsse relativiert werden“ und meint, dass nur Ärzt*innen, welche EPDs anlegen wollen, zugelassen werden sollen. Dies kommt de facto einem Zwang gleich.

Dass viele Ärzt*innen nicht wahnsinnig motiviert sind EPDs anzulegen, liegt teilweise sicher an Bedenken gegenüber dem Schutz der Privatsphäre ihrer Patient*innen. Der Datenhunger kreiert aber auch einen zunehmenden administrativen Aufwand, vor allem bei der angeplanten Lösung mit verschiedenen Anbietern und Programmen für die EPDs. Es wird ungefähr 10 verschiedene Anbieter für die EPDs geben. Der administrative Aufwand im Gesundheitsbereich ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten ohnehin stark angestiegen. Durch die Unterwerfung der Behandlung in einzelne definierte und berechenbare Abschnitte unter ökonomischen Zwängen ist die Registrierungspflicht von Behandlungen, Abläufen und Daten durch das Ärzte- und Pflegepersonal extrem angestiegen. Die Qualität der Pflege, wie auch die Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen im Gesundheitsbereich, geraten in den Hintergrund.

Die Diskussionen in der Geheimsitzung müssen gerade diesen Punkt so stark vernachlässigt haben, dass der sonst nicht für seine soziale Ader bekannte FDP-Ständerat und IT-Unternehmer Ruedi Noser einwerfen musste: „[Es] muss die Frage sein, wie wir mehr Leben retten können. […]“ Eine Frage, die keine im Protokoll ersichtliche Resonanz erhielt, aber eigentlich bei Diskussionen um den Gesundheitsbereich zentral sein müsste.

Finanzielle Anreize und Patient*innen als Unternehmen

Ärzt*innen und Patient*innen sollen durch „finanzielle Anreize“ zur Preisgabe ihrer Daten gebracht werden. Eine Idee, geäussert vom Generalsekretär von Bersets Innenministerium, wären Verbilligungen der sehr hohen Krankenkassenprämien. Dies wäre jedoch eine Bestrafung derer, die ihre Privatsphäre schützen möchten und nicht wollen, dass private Unternehmen mit ihren Daten ihre Profite vergrössern können. Das unsoziale Schweizer Gesundheitssystem belastet durch die hohen Krankenkassenprämien alle und bestraft durch hohe Selbstbehalte diejenigen, die auf Gesundheitsleistungen angewiesen sind. Wenn finanzielle Anreize für Personen bereitgestellt werden, die ihre Daten dafür freigeben, kommt das aufgrund der ökonomischen Verhältnisse für den überwiegenden Teil der Krankenversicherten einem Zwang gleich. Es wäre für sie finanziell fast schon unverantwortlich, ihre Daten nicht zu verkaufen.

Die hohen Krankenkassenprämien werden durch die Krankenversicherungen bereits heute genutzt, um Anreize für den Verkauf von privaten Daten zu schaffen. So bieten zahlreiche Versicherer Möglichkeiten an, durch das Bereitstellen von Daten (Bspw. Fotos von sportlichen Aktivitäten oder gesunder Ernährung, oder dem Tragen eines Aktivitäten-Trackers) die eigenen Prämien zu reduzieren. Diese Projekte zeigen den Weg, den die Gesundheitsunternehmen gehen wollen: Völlig gläserne Patient*innen, bei denen sie durch den Besitz aller Daten einen vollkommenen Überblick über die Wirtschaftlichkeit der Patient*innen haben und so ihre Angebote individuell darauf anpassen können. Sei dies durch Kündigung ihrer Leistungen oder Erhöhung der Prämien bei Menschen, die sich nicht an Vorgaben halten.

Auf den Punkt gebracht hat es eigentlich der Verwaltungsratspräsident von Givaudan, dem weltweit grössten Hersteller von Aroma- und Duftstoffen mit einem Umsatz von 4.7 Mia. CHF (2016), welcher 2000 aus einer Abspaltung des Pharmariesen Roche hervorgegangen ist. Er „gibt zu bedenken, dass Privatsphäre ein Luxus der Gesunden sei. Man müsste aber auch die Gesunden dazu bewegen, ihre Daten herzugeben.“ [aus dem Sitzungsprotokoll]

Die Politik und die Interessen der „Wirtschaft“

Die Existenz eines solchen Beratergremiums des Bundesrates, in welchem primär die Interessen von privaten Unternehmen vertreten werden, zeigt, wessen Interessen der Grossteil der Schweizer Politiker*innen wirklich vertreten. Zugehört wird den Reichen und Mächtigen und die Politik des Bundes wird nach deren Wünschen ausgerichtet. Dass viele Politiker*innen Angriffe auf die Privatsphäre gerne unterstützen, zeigte 2018 die Einführung einer rechtlichen Grundlage für Privatdetektive von Versicherungen zur Überwachung der Versicherten. Das Gesetz wurde zunächst in Rekordzeit durchs Parlament gebracht und das Referendum scheiterte, auch weil es von keiner grösseren Partei wirklich unterstützt wurde.

Oder wie es Alt-Bundesrat Johann Schneider-Ammann in einem von der CS gesponserten Interview in der NZZ zur Rolle der Politik sagt: „Man muss den Spielraum für die Unternehmer maximal halten. Nur so können sie in die Zukunft investieren, nur so können sie frei entscheiden.“ (Die NZZ bedankt solches Sponsoring unter anderem mit einem Interview mit dem Credit Suisse-CEO, das eher wie eine freundschaftliche Plauderei wirkt.) Freiheit für die Unternehmen, aber gesetzliche oder finanzielle Zwänge für uns alle.

Technischer Fortschritt und ungenütztes Potential

Die Einführung von EPDs hätte die Möglichkeit verschiedene Verbesserungen zu erzielen. So könnten schnell verfügbare Informationen über Patient*innen beispielsweise in Notfallsituationen von Vorteil sein. Zudem könnte nach einer Anlaufphase der administrative Aufwand sowohl für die Arbeiter*innen im Gesundheitsbereich, aber auch für die Patient*innen drastisch reduziert werden. So wird das Bewahren und Transportieren von eigenen Gesundheitsdaten (bspw. Röntgenbilder) vereinfacht. Mit dieser und anderen technischen Möglichkeiten könnte Arbeitsaufwand im Gesundheitsbereich eingespart werden.

Der Gesundheitsbereich befindet sich jedoch in einer politischen und sozialen Sackgasse. Die Gewinne werden privatisiert und die Kosten werden auf die Krankenkassenprämienzahler*innen abgewälzt. Zahlreiche weitere Angriffe auf unsere Gesundheit sind geplant. In diesem Kontext dienen neue technologische Möglichkeiten primär denen, die auch die Macht und den Einfluss besitzen, sie für ihre Interessen zu nutzen. In diesem Fall zeigt sich, dass dies jene sind, die auch an den neoliberalen Gegenreformen im Gesundheitswesen beteiligt sind und von diesen profitieren.

Im Positionspapier der BFS-MPS werden als Alternatve zum aktuellen System folgende Lösungsansätze vorgestellt:

  1. Eine einkommensgebundene, soziale Finanzierung der Krankenversicherung zur Garantie eines Zugangs Aller zur besten verfügbaren Behandlung.
  2. Gute Qualität im Gesundheitswesen bedingt gute Arbeitsbedingungen, gute Arbeitsbedingungen bedingen die Möglichkeit, Behandlung und Pflege von guter Qualität anzubieten. 
  3. Die Gesundheit ist keine Ware, Abschaffung der DRG-basierten Spitalfinanzierung [Fallpauschalen] und Schaffung von öffentlichen Gesundheitsleistungen. 

Sie bieten Ansätze diesen Angriffen entgegenzutreten und alternative Möglichkeiten der Organisierung unserer Gesundheit zu ermöglichen.

Verwandte Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert