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Normalisierung der Rechten in der NZZ

Die NZZ publizierte in den vergangenen Wochen und Monaten vermehrt noch rechtere Artikel und fiel mit rassistischen, antifeministischen und diffamierenden Positionen auf, die abstruse Argumente von Rechten und Neonazis untermauern und legitimieren. Höchste Zeit, die als qualitativ höchststehend bewertete1 deutschsprachige Tageszeitung der Schweiz einer Analyse zu unterziehen.

von Emil Spotter (BFS Zürich)

Die “liberale” NZZ

Es ist wohlbekannt, dass die NZZ ein bürgerliches Blatt ist. Die Statuten2 der NZZ Mediengruppe sehen explizit vor, dass nur Mitglieder der FDP oder parteilose Menschen mit einer «freisinnig-demokratischen Grundhaltung» ihre Aktien kaufen und damit Einfluss auf die Ausrichtung der Zeitung nehmen können. Durch einen Mix aus einer klar wirtschaftsliberalen Grundhaltung, einem konservativen Feuilleton, einem breit gefächerten Auslandsressort und einem vergleichsweise guten Schreibstil ist die NZZ das Qualitätsmedium der Wahl des schweizerischen Bürgertums.

Doch als wären die Legitimierung der kapitalistischen Ordnung, die achselzuckende Haltung gegenüber der Zerstörung unserer Umwelt, der möchtegernkritische Antifeminismus und das prätentiöse Festhalten an gewissen alten Rechtschreibregeln nicht genug, positioniert sich die NZZ in letzter Zeit immer offener im noch rechteren Lager. Sie geht zunehmend über das gewohnte Appellieren an die individuelle Verantwortung, die gängige Verteufelung von sozialstaatlicher Politik und die übliche Geisselung von marginalisierten Personengruppen hinaus.

Am Sonntag gab die NZZ vor, sich um die Ängste und Sorgen der Arbeiter*innen mit weisser Hautfarbe in den USA zu kümmern. Sie behauptete, dass die «Weissen zur Minderheit werden» und erläuterte, «was die Politik tun soll».3 Mit einer fadenscheinigen Abgrenzung zu verschwörungstheoretischen Neonazis wird festgehalten, dass nicht die ökonomisch prekären Verhältnisse, sondern die «starke farbige Einwanderung» bei der weissen Bevölkerung «zunehmend Niedergangsängste wecke». Die Lösung für dieses angebliche Migrationsproblem sei nun, durch eine «gedrosselte Zuwanderung» die «Definition von Weiss zu erweitern» und eine nationale Identität einer «vielfach schattierten weissen Mehrheitspopulation» zu etablieren.

Mit dem Zitieren von Meinungsumfragen und dem Verweis auf das Buch eines Politikwissenschaftlers versucht Felix Müller, ehemaliger  Chefredaktor der NZZ am Sonntag und Autor des Artikels, dieser neu aufbereiteten Rassentheorie einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Und wie um zu beweisen, dass diese rassistische These auch philosophisch Sinn mache, zitiert er den italienischen Marxisten Antonio Gramsci und interpretiert ihn falsch.4 Herr Felix Müller: Hände weg von Gramsci und seinen Schriften! Gramsci kämpfte gegen Rassismus, den Sie mit ihrem Artikel salonfähig machen, und gegen Faschismus im Allgemeinen; er zahlte dafür mit Gefängnis, Folter und einem frühzeitigen Tod. Die Botschaft der NZZ ist klar: sie behauptet, es gebe «weisse» und «schwarze» Identitäten und Werte, wobei die «weisse» klar die überlegene und erstrebenswerte sei.

Die Gefahr des Rechtspopulismus

Die Motivation der NZZ hinter diesem Artikel ist interessant. Es ist nicht etwa so, dass die NZZ hier eine klassisch rassistische Abwehr gegen migrantische Menschen an den Tag legt und diese als lebensunwürdig bezeichnet. Die Überlegungen des Artikels und das Plädoyer für eine «vielfach schattierte weisse Mehrheitspopulation» entstehen aus der Angst vor dem erstarkendem Rechtspopulismus und vor «grösseren politischen Spannungen», die das auf kapitalistischer Freiheit gründende System und damit den Reichtum des Bürgertums bedrohen können. Taktische Erwägungen zur eigenen Machtsicherung und Rassismus gehen bei der NZZ also Hand in Hand.

Statt verschiedene Nationalitäten und Hautfarben als naturgegebene Identitätsstifter zu sehen, muss für das Verständnis des Rechtspopulismus der Fokus auf strukturelle Probleme gerichtet werden. Also auf jene Verhältnisse, welche es der lohnabhängigen Mehrheit der Bevölkerung verunmöglichen, eine adäquate Gesundheitsversorgung, gute Arbeitsbedingungen, Zugang zu allen Bildungsinstitutionen, kollektive Mitbestimmung am Arbeitsplatz, Selbstbestimmung und Emanzipation zu erlangen. Erst aus einer solchen materiellen Analyse der Gesellschaft kann ein fundiertes Verständnis für die Wahlerfolge des Rechtspopulismus gefunden werden, welches die NZZ anstrebt.

Doch die Abscheu der NZZ zeigt sich nicht nur gegenüber migrierenden Menschen, sondern auch gegenüber prekarisierten Personen wie Alleinerziehenden. In ihrer Kolumne5 schreibt Claudia Wirz, langjährige Redaktorin der NZZ, von der «Legende der hilfsbedürftigen Alleinerziehenden», welche die Kosten ihrer eigenen «bewussten und persönlichen Entscheide» der Gesellschaft aufbürden würden. Damit diese ideologische Argumentation funktioniert, blendet Wirz die zahlreichen strukturellen Benachteiligungen von Frauen* wie Sexismus, den Alltag sexueller Belästigungen, fehlende Anerkennung und Entlöhung von Care-Arbeit,  mangelnde Kita-Strukturen und weitere vollkommen aus. Stattdessen verlangt sie «Eigenverantwortung» und fordert, dass «emanzipierte Frauen ihre Probleme besser selber anpacken» sollten. Ihren Zynismus und ihre Verachtung für die Situation von alleinerziehenden Müttern fasst Wirz in der Metapher «Mit dem Sozialstaat verhält es sich wie mit dem Tabak: Zu viel davon macht abhängig» zusammen. Man merkt, der Frauen*streik zeigt erste Wirkungen, noch bevor er stattgefunden hat – das Kapital fürchtet sich vor kämpferischen Frauen*, die ihre Rechte einfordern, und versucht sie mit antifeministischer Rhetorik zu marginalisieren.

Diffamierung der Klimastreiks

Des Weiteren zeigt sich die Ablehnung der NZZ gegenüber emanzipiertem und selbstbestimmtem Handeln in der Berichterstattung über die Klimastreiks. Statt auf die Dringlichkeit der von ihnen aufgezeigten Probleme einzugehen, werden die Klimastreiks als «quasireligiöse moderne Klimakreuzzüge»6 und als eine «Mobilisierung von Milchgesichtern» bezeichnet7, die angeblich unter einem «eklatantem Informationsmangel» leiden.8 Kein Wunder greift die NZZ angesichts des offensichtlichen Versagens liberaler Politik in Umweltthemen auf die infantilisierende Diffamierung derjenigen zurück, welche auf diese Unfähigkeit aufmerksam machen.

Die Redaktion der NZZ, welche sich 2014 noch gegen die Ernennung des rechtskonservativen Markus Somm als Chefredakteur wehrte9, ist mittlerweile zu genau dem verkommen, was der Chefredakteur der Weltwoche Roger Köppel damals einen «Freisinn blocherscher Prägung» nannte.10 Es ist offensichtlich, dass die NZZ nun nicht mehr nur klar pro-kapitalistisch, sondern auch eine stark rassistische und antifeministische Rhetorik betreibt und der Rechten und Rechtsextremen Aufwind und Legitimation bietet.


Fussnoten:

[1]    Untersuchung der Medienqualität Schweiz: Medienrating 2018 (www.medienqualitaet-schweiz.ch/files/3115/3578/3114/MQR-18_Hauptbefunde.pdf)

[2]    §3c der  Statuten der Aktiengesellschaft für die  Neue Zürcher Zeitung: (https://assets01.sdd1.ch/assets/lbwp-cdn/nzz-mediengruppe-v2/files/1508845325/statuten_nzz_2016.pdf)

[3]    NZZaS vom 1.6.2019, Felix E. Müller: Die Weissen werden zur Minderheit. Was soll die Politik tun? (https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/weisse-werden-zur-minderheit-was-die-politik-tun-soll-ld.1486173)

[4]    Felix Müller zitiert Gramsci wie folgt: «Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren. Es ist die Zeit der Monster.» Das Monster, das Gramsci hier meint, ist nicht wie Müller suggeriert der Populismus, der die Abstiegsängste von weissen Arbeiter*innen unter Bedingungen des Neoliberalismus bedient. Gramsci beschrieb damit den Faschismus, der nach dem Ersten Weltkrieg erstarkte.

[5]    NZZ vom 1.6.2019, Claudia Wirz: Die Legende von der hilfsbedürftigen Alleinerziehenden (https://www.nzz.ch/meinung/kolumnen/der-politische-charme-der-alleinerziehenden-ld.1486096)

[6]    NZZ vom 29.3.2019, Eric Gujer: Statt eine kohärente Energiepolitik zu formulieren, applaudiert man Jugendlichen mit unerfüllbaren Forderungen: Das ist Populismus (https://www.nzz.ch/meinung/verbaler-radikalismus-loest-die-probleme-des-klimaschutzes-nicht-ld.1470774)

[7]    NZZ vom 26.4.2019, Pascal Bruckner: Eine Kritik der Klimaproteste oder was passiert, wenn Unreife zum politischen Programm wird (https://www.nzz.ch/feuilleton/klimaproteste-alt-und-jung-in-unreife-vereint-ld.1476994)

[8]    NZZaS vom 16.3.2019, Hans Rentsch: Liebe Klimajugend, gut informiert macht die Demo mehr Spass (https://nzzas.nzz.ch/meinungen/klimastreik-naive-ideen-machen-informationsmangel-nicht-wett-ld.1467754?reduced=true)

[9]    NZZ vom 16.12.2014: Redaktion appelliert an Verwaltungsrat (https://www.nzz.ch/schweiz/somm-bleibt-bei-der-baz-1.18444966)

[10]    https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2014-50/artikel/editorial-nzz-die-weltwoche-ausgabe-502014.html)

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