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Corona-Krise: Wenn das Zuhause gefährlicher ist als ein Bus voller hustender Menschen

Heute hat der Bundesrat Ansammlungen von mehr als fünf Personen verboten. Wenn ich mich nicht daranhalte, werde ich mit einer Busse von 100 Franken bestraft. Ich werde in die Pflicht genommen, zum Schutz anderer zu Hause zu bleiben. Das verstehe und unterstütze ich grundsätzlich. Doch es wird in aller Selbstverständlichkeit davon ausgegangen, dass die eigenen vier Wände sicherer sind als die Öffentlichkeit, wo die Gefahr der Lungenentzündung an den Bussstangen klebt. Dass dies nicht für alle der Fall ist, wird ignoriert.

von Marco Fischer (BFS Jugend Zürich)

Trigger-Warnung: Häusliche Gewalt, Transphobie, Rassismus, Psychische Krankheiten

Doch ich frage mich, soll ich noch nach Hause, wenn ich im Spital arbeite, und mein Vater zu Hause Diabetes hat? Wie sollen sich Geflüchtete mit Asthma in den Bundesasylzentren schützen, wenn sie das Schlafzimmer mit zehn anderen teilen müssen? 

Wo soll denn eine Rentnerin hin, wenn ihr dementer Gatte nicht daran denken kann, in seine Armbeuge zu husten und somit die Heimquarantäneregeln zu befolgen?

Was soll denn eine Alleinerziehende tun, wenn jetzt die Schulen geschlossen sind, sie aber weiterhin arbeiten gehen muss, um die immer weiter steigenden Mietpreise zu bezahlen. Wo sollen denn die Obdachlosen hin, nachdem die Ausgangssperre verhängt wurde?

Ist es zu Hause sicher für eine jugendliche Transfrau, die ihre Identität vor den Eltern verheimlichen muss? Geht es Menschen mit Depressionen zu Hause besser, wo Einsamkeit und Isolation die Suizidgedanken immer lauter werden lassen? Und wo soll eine Frau hin, wenn ihr Mann sie immer häufiger schlägt, nachdem er den Job verloren hat?

Es macht mir Angst, wenn ich in der Zeitung lese, dass die Fälle von häuslicher Gewalt in China seit der Ausgangssperre drastisch zugenommen haben. Es macht mir Angst, wenn ich gleichzeitig weiss, dass die Frauen- und Kinderhäuser schon vor der Corona-Krise chronisch überlastet waren. Ich bin wütend, dass der Bund trotz wiederholten Anfragen keine Gelder gesprochen hat, um solche Institutionen zu unterstützen. Und ich werde wütend, wenn notfallmässig Milliarden verteilt werden, sodass die Wirtschaft weiterlaufen kann, es aber für so viele keine sicheren Orte gibt.

Und dabei ist es in der Schweiz nicht eine Frage des Platzes, sondern wieder einmal eine Frage der Verteilung von Geld und (Wohn-)Eigentum. Es gäbe genügend überteuerte Luxuswohnungen, die leer stehen und auch noch zentral gelegen sind. Es wird wohl bald genügend Hotelzimmer oder Ferienwohnungen geben, die nicht bewohnt werden, aber bestimmt vom Sicherheitsdienst bewacht bleiben. 

(Lebens-)wichtig wäre jetzt, dass dieser Wohnraum schnell und gratis verteilt wird. Nötig wäre jetzt, dass nicht nur Spitäler, sondern auch dezentrale Pflege wie die Spitex massiv aufgestockt werden. Denn ich möchte nicht mehr das schlechte Gewissen in den Gesichtern der Risikogruppen-Personen sehen, weil sie die solidarische Nachbar*innen-Hilfe annehmen müssen, ohne dafür bezahlen zu können. Sondern ich will, dass diese Massnahmen jetzt von denjenigen bezahlt werden, die seit Jahrzehnten den Service-Public kaputtgespart haben. Ich will, dass diejenigen zur Kasse gebeten werden, welche schon von Anfang an in Kauf nahmen, dass ihre Investitionen katastrophale Folgen für Mensch und Natur beinhalten. Ja, nun sollen die wenigen Reichen in ihre Taschen greifen müssen, welche wir Viele durch unsere schlecht oder gar nicht bezahlte Arbeit gefüllt haben.


Titelbild: Die NI UNA MENOS-Bewegung kämpft gegen Morde an Frauen und Queers, welche in den meisten Fällen in den Eigenen vier Wänden stattfinden.

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1 Kommentar

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