Covid-19 hat wie nie zuvor die miteinander verknüpften ökologischen, epidemiologischen und wirtschaftlichen Verwundbarkeiten des Kapitalismus zutage treten lassen. Zu Beginn des dritten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts erleben wir die Entstehung des Katastrophen-Kapitalismus, da die strukturelle Krise des Systems planetarische Dimensionen annimmt. Den zweiten Teil des Artikels findet man hier. (Red.)
von John Bellamy Foster und Intan Suwandi; aus monthlyreview.org
Seit dem späten 20. Jahrhundert hat die kapitalistische Globalisierung zunehmend die Form miteinander verflochtener Arbeitswertketten angenommen, die von multinationalen Konzernen kontrolliert werden und verschiedene Produktionszonen, vor allem im globalen Süden, mit der Spitze des weltweiten Konsums, der Finanzen und der Akkumulation vor allem im globalen Norden verbinden. Diese Warenketten bilden die wichtigsten materiellen Kreisläufe des Kapitals weltweit, und machen den Kern des Spätimperialismus aus, wie er mit dem Aufstieg des generalisierten Monopol-Finanzkapitals beschrieben wird.[1] In diesem System werden exorbitante imperialistische Renten [Grundrente ist neben industriellem Profit und dem Zins die dritte Form, die Profit im Kapitalismus annehmen kann und aus dem Grundbesitz entspringt; Anm. d. Red.] aus der Kontrolle der globalen Produktion nicht nur durch die globalisierte Jagd nach tiefen Lohnstückkosten erzielt, durch die multinationale Konzerne mit ihrem Hauptsitz im Zentrum des Systems die Industriearbeit in der Peripherie übermässig ausbeuten, sondern auch zunehmend durch die globalisierte Jagd nach billigem Land, bei der die multinationalen Agrarkonzerne billiges Land (und billige Arbeitskräfte) im globalen Süden enteignen, um Ackerfrüchte zu produzieren, die hauptsächlich für den Verkauf im globalen Norden bestimmt sind.[2]
Bei der Auseinandersetzung mit diesen komplexen Kapitalkreisläufen in der heutigen globalen Wirtschaft beziehen sich die Chefs der multinationalen Konzerne sowohl auf Lieferketten als auch auf Wertschöpfungsketten, wobei Lieferketten die Bewegung des physischen Produkts darstellen und Wertschöpfungsketten auf die «Wertschöpfung» an jedem Produktionsknotenpunkt ausgerichtet sind, vom Rohstoff bis zum Endprodukt.[3] Diese doppelte Betonung von Liefer- und Wertschöpfungsketten ähnelt in gewisser Weise dem eher dialektischen Ansatz, der in Karl Marx‘ Analyse der Warenketten in Produktion und Austausch entwickelt wurde und sowohl Gebrauchs- als auch Tauschwerte umfasst. Im ersten Band vom Kapital hob Marx die doppelte Realität von natürlich-materiellen Gebrauchswerten (die «natürliche Form») und Tauschwerten (die «Wertform») hervor, die in jedem Glied «der allgemeinen Kette von Metamorphosen, die sich in der Warenwelt abspielen» [4], vorhanden sind. Marx‘ Ansatz wurde von Rudolf Hilferding in seiner Schrift «Das Finanzkapital» weitergeführt, wo er über die «Glieder in der Kette des Warentausches»[5] schrieb.
In den 1980er Jahren führten die Weltsystemtheoretiker Terence Hopkins und Immanuel Wallerstein das auf diesen Wurzeln beruhende Warenkettenkonzept wieder in die Marx’sche Theorie ein.[6] Was jedoch in späteren Marx’schen (und Weltsystem-)Analysen von Warenketten, die diese als ausschließlich ökonomisch-wertbildende Phänomene behandelten, allgemein verloren ging, war der materiell-ökologische Aspekt der Gebrauchswerte. Marx, der die natürlich-materiellen Grenzen, in denen sich der Kapitalkreislauf vollzog, nie aus den Augen verlor, hatte «die negative, d.h. zerstörerische Seite» des kapitalistischen Verwertungsprozesses im Hinblick auf die natürlichen Produktionsbedingungen und den Stoffwechsel von Mensch und Natur insgesamt betont.[7] Der «irreparable Bruch im interdependenten Prozess des gesellschaftlichen Stoffwechsels» (der metabolische Bruch), der die zerstörerische Beziehung des Kapitalismus zur Erde ausmachte, indem er «den Boden erschöpfte» und «die Düngung der englischen Felder mit Guano erzwang», zeigte sich ebenso in «periodischen Epidemien», die aus denselben organischen Widersprüchen des Systems resultierten.[8]
Ein solcher theoretischer Rahmen, der sich auf die dualen, widersprüchlichen Formen von Warenketten konzentriert, die sowohl Gebrauchs- als auch Tauschwerte beinhalten, bietet die Grundlage für das Verständnis der kombinierten ökologischen, epidemiologischen und ökonomischen Krisentendenzen des Spätimperialismus. Er lässt uns erkennen, wie der Kapitalkreislauf des Spätimperialismus über das Agrobusiness an die Ätiologie von Krankheiten [Lehre der Ursachen von Krankheiten; Anm. d. Red.] gebunden ist und wie dadurch die Covid-19-Pandemie hervorgerufen wurde. Dieselbe Perspektive, die sich auf die Warenketten konzentriert, lässt uns darüber hinaus verstehen, wie die Unterbrechung des Flusses der Gebrauchswerte in Form von materiellen Gütern und die daraus resultierende Unterbrechung des Wertflusses eine schwere und dauerhafte Wirtschaftskrise hervorgerufen haben: Eine bereits stagnierende Wirtschaft wird aus dem Gleis geworfen, wodurch der finanzielle Überbau des Systems einzustürzen droht. Über all dem liegt schliesslich die viel grössere planetarische Kluft, die durch den heutigen Katastrophen-Kapitalismus hervorgerufen wird und die sich im Klimawandel und in der Überschreitung verschiedener planetarischer Grenzen zeigt, wovon die gegenwärtige epidemiologische Krise nur eine weitere dramatische Manifestation ist.
Kapitalkreisläufe und ökologisch-epidemiologische Krisen
Bemerkenswerterweise entstand während des letzten Jahrzehnts eine neue, ganzheitlichere Eine-Gesundheit-eine-Welt-Herangehensweise an die Ätiologie von Krankheiten, vor allem als Reaktion auf das Auftreten neuerer zoonotischer Krankheiten (oder Zoonosen) wie SARS, MERS und H1N1, die von nichtmenschlichen, wildlebenden oder domestizierten Tieren auf den Menschen übertragen wurden. Das «Eine-Gesundheit»-Modell integriert die epidemiologische Analyse auf ökologischer Basis und bringt Ökowissenschaftler*innen, Ärzt*innen, Tierärzt*innen und Analyst*innen des öffentlichen Gesundheitswesens in einem Ansatz mit globaler Reichweite zusammen. Das ursprüngliche ökologische Rahmenwerk, das die Eine-Gesundheits-Initiative motiviert hat und einen neuen, umfassenderen Ansatz zur Bekämpfung von Zoonosen darstellt, wurde jedoch kürzlich von so dominanten Organisationen wie der Weltbank, der Weltgesundheitsorganisation und den Centers for Disease Control and Prevention in den Vereinigten Staaten unter den Nagel gerisssen und teilweise negiert. Daher wurde der sektorenübergreifende «Eine-Gesundheit»-Ansatz rasch in einen Modus umgewandelt, bei dem so unterschiedliche Interessen wie öffentliche Gesundheit, Privatmedizin, Tiergesundheit, Agrarindustrie und Big Pharma zusammengebracht werden, um die Reaktion auf so genannte episodische Epidemien zu stärken und gleichzeitig den Aufstieg einer breit angelegten korporatistischen Strategie zu signalisieren, in der das Kapital, insbesondere die Agrarindustrie, das dominierende Element ist. Das Ergebnis ist, dass die Verbindungen zwischen epidemiologischen Krisen und der kapitalistischen Weltwirtschaft in einem angeblich ganzheitlichen Modell systematisch heruntergespielt werden.[9]
So entstand als Reaktion darauf ein neuer, revolutionärer Ansatz zur Ätiologie von Krankheiten, der als «Strukturelle-Eine-Gesundheit» bekannt ist und kritisch auf der «Einen-Gesundheit» aufbaut, aber eher in der breiten historisch-materialistischen Tradition verwurzelt ist. Für die Befürworter*innen der Strukturellen-Eine-Gesundheit besteht der Schlüssel darin, herauszufinden, wie Pandemien in der heutigen globalen Wirtschaft mit den Kapitalkreisläufen verbunden sind, die die Umweltbedingungen rasch verändern. Ein Team von Wissenschaftler*innen, darunter Rodrick Wallace, Luis Fernando Chaves, Luke R. Bergmann, Constância Ayres, Lenny Hogerwerf, Richard Kock und Robert G. Wallace, hat gemeinsam eine Reihe von Werken wie Clear-Cutting Disease Control verfasst: Capital-Led Deforestation, Public Health Austerity, and Vector-Borne Infection und, in jüngerer Zeit, Covid-19 and Circuits of Capital (von Rob Wallace, Alex Liebman, Luis Fernando Chaves und Rodrick Wallace) in der Ausgabe Mai 2020 der Monthly Review. «Strukturelle-Eine-Gesundheit» wird definiert als «ein neues Gebiet, [das] die Auswirkungen globaler Kapitalkreisläufe und anderer grundlegender Zusammenhänge, einschließlich tiefer Kulturgeschichte, auf die regionale Agrarökonomie und die damit verbundene Krankheitsdynamik bei verschiedenen Arten untersucht»[10].
Der revolutionäre historisch-materialistische Ansatz, den die Strukturelle-Eine Gesundheit repräsentiert, weicht vom Mainstream Eine-Gesundheit-Ansatz ab: (1) er konzentriert sich auf Warenketten als Triebkräfte von Pandemien; (2) er berücksichtigt den üblichen «absoluten Geographien»-Ansatz nicht, der sich auf bestimmte Orte konzentriert, an denen neue Viren auftauchen, ohne die globalen wirtschaftlichen Übertragungswege wahrzunehmen; (3) er betrachtet die Pandemien nicht als ein episodisches Problem oder zufällige «Schwarzer Schwan»-Ereignisse, sondern vielmehr als Ausdruck einer allgemeinen strukturellen Krise des Kapitals, wie sie István Mészáros in seinem Buch Beyond Capital erläutert hat; (4) er übernimmt den Ansatz der dialektischen Biologie, der mit den Harvard-Biologen Richard Levins und Richard Lewontin in The Dialectical Biologist assoziiert wird; und (5) er beharrt auf einer radikalen Rekonstruktion der Gesellschaft als Ganzes in einer Weise, die einen nachhaltigen «planetaren Metabolismus» fördern würde.[11] In seinen «Big Farms Make Big Flu» und anderen Schriften stützt sich Robert G. (Rob) Wallace auf Marx‘ Vorstellungen von Warenketten und der metabolischen Spaltung sowie auf die Kritik an Sparprogrammen und Privatisierung, die auf der Vorstellung des Lauderdale-Paradoxons beruht (wonach private Reichtümer durch die Zerstörung des öffentlichen Reichtums vermehrt werden). Denker*innen in dieser kritischen Tradition stützen sich daher auf einen dialektischen Ansatz zur ökologischen Zerstörung und zur Ätiologie von Krankheiten.[12]
Natürlich erschien die neue historisch-materialistische Epidemiologie nicht aus der Luft gegriffen, sondern baute auf einer langen Tradition sozialistischer Kämpfe und kritischer Analysen von Epidemien auf, einschließlich solcher historischen Beiträge wie (1) Friederich Engels‘ Die Lage der arbeitenden Klasse in England, der die Klassenbasis von Infektionskrankheiten erforschte; (2) Marx‘ eigene Diskussionen über Epidemien und allgemeine Gesundheitszustände in der britischen Hauptstadt; (3) der britische Zoologe (Schützling von Charles Darwin und Thomas Huxley und Freund von Marx) E. Ray Lankesters Behandlung der anthropogenen Krankheitsquellen und ihrer Grundlage in der kapitalistischen Landwirtschaft, den Märkten und dem Finanzwesen in seinem Kingdom of Man; und (4) Levins‘ «Ist der Kapitalismus eine Krankheit?»[13]
Besonders wichtig in der neuen historisch-materialistischen Epidemiologie, die mit der Strukturellen-Einen-Gesundheit verbunden ist, ist die ausdrückliche Anerkennung der Rolle des globalen Agribusiness und die Integration dieser mit einer detaillierten Forschung zu jedem Aspekt der Ätiologie von Krankheiten, wobei der Schwerpunkt auf den neuen Zoonosen liegt. Solche Krankheiten, wie Rob Wallace in «Big Farms Make Big Flu» feststellte, waren die «unbeabsichtigten biotischen Auswirkungen der Bemühungen, die darauf abzielten, die Ontogenese [Entwicklung des Individuums von der Eizelle zum geschlechtsreifen Zustand; Anm. d. Red.] und Ökologie von Tieren auf multinationale Rentabilität zu lenken» und dabei neue tödliche Krankheitserreger hervorbringen.[14] Die global ausgerichtete industrialisierte Landwirtschaft, die aus Monokulturen genetisch ähnlicher Haustiere besteht (wodurch Immun-Feuerschneisen beseitigt werden), einschließlich massiver Schweinefutterplätze und riesiger Geflügelfarmen, gekoppelt mit einer raschen Abholzung und der chaotischen Vermischung von Wildvögeln und anderen Wildtieren mit der industriellen Tierproduktion – Feuchtmärkte nicht ausgeschlossen – haben die Bedingungen für die Verbreitung neuer tödlicher Krankheitserreger wie SARS, MERS, Ebola, H1N1, H5N1 und jetzt SARS-CoV-2 geschaffen. Mehr als eine halbe Million Menschen weltweit starben an H1N1 [«Schweinegrippe; Anm. d. Red.], während die Todesfälle durch SARS-CoV-2 diese Zahl wahrscheinlich weit übersteigen werden.[15]
«Agrarunternehmen», schreibt Rob Wallace, «verlagern ihre Firmen in den globalen Süden, um billige Arbeitskräfte und billiges Land zu nutzen», und «verbreiten ihre gesamte Produktionslinie über die ganze Welt».[16] Vögel, Schweine und Menschen interagieren alle, um neue Krankheiten zu produzieren. «Grippewellen», so Wallace, «entstehen jetzt durch ein globalisiertes Netzwerk von Firmen, die Futtermittel produzieren und Handel treiben, wo immer sich spezifische Stämme zuerst entwickeln. Mit Herden und Schwärmen, die von Region zu Region getrieben werden – wobei sich die räumliche Entfernung in Just-in-Time-Zweckmässigkeit verwandelt –, werden ständig mehrere Grippestämme in Orte eingeführt, die mit Populationen empfänglicher Tiere gefüllt sind.[17] Es hat sich gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass diese virulenten Zoonosen in grossen kommerziellen Geflügelbetrieben auftreten, viel höher ist. Mit Hilfe von Wertschöpfungskettenanalysen wurde die Ätiologie neuer Influenza-Stämme wie H5N1 entlang der Warenkette der Geflügelproduktion nachverfolgt.[18] In Südchina tritt die Grippe nachweislich im Kontext «einer ‚historischen Gegenwart‘ auf, in der mehrere virulente Rekombinanten aus einer Mischung von Agrarökologien entstehen, die zu verschiedenen Zeiten sowohl durch Pfadabhängigkeit als auch durch Zufall entstehen: in diesem Fall Antike (Reis), frühe Neuzeit (halbdomestizierte Enten) und Gegenwart (Intensivierung der Geflügelproduktion)». Diese Analyse wurde auch von radikalen Geograph*innen wie Bergmann erweitert, die sich mit «der Konvergenz von Biologie und Wirtschaft über eine einzige Warenkette hinaus bis hinauf in das Gefüge der globalen Wirtschaft» beschäftigen [19].
Die miteinander verbundenen globalen Warenketten der Agrarindustrie, die die Grundlage für das Auftreten neuartiger Zoonosen bilden, sorgen dafür, dass diese Krankheitserreger rasch von einem Ort zum anderen wandern und dabei die Ketten der menschlichen Verbindung und der Globalisierung ausnutzen, wobei sich die menschlichen Wirte innerhalb von Tagen, ja sogar Stunden von einem Teil der Erde zum anderen bewegen. Wallace und seine Kollegen schreiben in Covid-19 und die Kreisläufe des Kapitals: «Einige Krankheitserreger entstehen direkt aus den Zentren der Produktion…. Aber viele wie Covid-19 haben ihren Ursprung an den Grenzen der Kapitalproduktion. Tatsächlich entstehen mindestens 60 Prozent der neuartigen menschlichen Krankheitserreger durch das Übergreifen von Wildtieren auf lokale menschliche Gemeinschaften (bevor die erfolgreicheren sich auf den Rest der Welt ausbreiten).» Als sie die Bedingungen für die Übertragung dieser Krankheiten zusammenfassen, legen sie die zugrundeliegende operative Prämisse zugrunde, dass die Ursache von Covid-19 und anderer derartiger Krankheitserreger nicht nur im Ziel eines einzelnen Infektionserregers oder in seinem klinischen Verlauf zu finden ist, sondern auch im Bereich der ökosystemischen Beziehungen, die das Kapital und andere strukturelle Ursachen zu ihrem eigenen Vorteil verändert haben. Die grosse Vielfalt an Krankheitserregern, die verschiedene Taxa, Quellenwirte, Übertragungswege, klinische Verläufe und epidemiologische Ergebnisse repräsentieren, haben alle solche Merkmale, die uns bei jedem Ausbruch wild in den Suchmaschinen umhersuchen lassen und verschiedene Teile und Wege entlang der gleichen Art von Kreisläufen der Landnutzung und Kapitalakkumulation markieren.[20]
Die imperialistische Umstrukturierung der Produktion im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert – die wir als Globalisierung kennen – war in erster Linie das Ergebnis der globalisierten Suche nach billiger Arbeitskraft und der Überausbeutung (und Superausbeutung) der Arbeiterinnen und Arbeiter im globalen Süden (einschließlich der absichtlichen Kontaminierung der lokalen Umwelt) zum Nutzen vor allem der Zentren des Weltkapitals und der Weltfinanzen. Aber sie wurde zum Teil auch durch eine globalisierte Suche nach günstigem Land angetrieben, die gleichzeitig durch multinationale Agrarindustriekonzerne vorangetrieben wird. Laut Eric Holt-Giménez in A Foodie’s Guide to Capitalism ist «der Landpreis» in weiten Teilen des globalen Südens «im Verhältnis zu seiner Landpacht (was er wert ist für das, was er produzieren kann) so niedrig, dass die Erfassung der Differenz (Arbitrage) zwischen niedrigem Preis und hoher Landpacht den Investoren einen ansehnlichen Gewinn einbringen wird. Jeglicher Nutzen aus dem tatsächlichen Anbau von Nutzpflanzen ist zweitrangig… Gelegenheiten zur Landarbitrage ergeben sich dadurch, dass neues Land – mit einer attraktiven Landpacht – auf den globalen Landmarkt gebracht wird, wo die Pachten tatsächlich kapitalisiert werden können.[21] Vieles davon wurde durch die so genannte Viehzuchtrevolution genährt, die Vieh zu einer globalisierten Ware machte, die auf riesigen Futterflächen und genetischen Monokulturen basiert.[22]
Diese Bedingungen wurden von den verschiedenen Entwicklungsbanken im Rahmen einer euphemistisch als «territoriale Umstrukturierung» bezeichneten Massnahme gefördert, bei der Subsistenzlandwirt*innen und Kleinproduzent*innen auf Druck multinationaler Konzerne, in erster Linie Agrarunternehmen, vom Land vertrieben werden und die zu einer raschen Abholzung und Zerstörung des Ökosystems führt. Diese Prozesse sind als Landraub des 21. Jahrhunderts bekannt und wurden durch hohe Preise für Grundnahrungsmittel im Jahr 2008 und erneut im Jahr 2011 beschleunigt, sowie durch private Vermögensfonds, die angesichts der Unsicherheit nach der grossen Finanzkrise von 2007-09 nach Sachwerten suchten. Das Ergebnis ist die grösste Massenmigration in der Geschichte der Menschheit, bei der Menschen in einem globalen Prozess der Bauernvernichtung vom Land vertrieben werden, die die Agrarökologie ganzer Regionen verändert, traditionelle Landwirtschaft durch Monokulturen ersetzt und die Bevölkerung in städtische Slums abgedrängt wird.[23]
Rob Wallace und seine Kollegen verweisen darauf, dass der Historiker und kritische Stadttheoretiker Mike Davis und andere «herausgefunden haben, wie diese sich neu verstädternden Landschaften sowohl als lokale Märkte als auch als regionale Drehscheiben für die globalen Agrarrohstoffe fungieren, die sie durchqueren… Infolgedessen ist die Dynamik von Waldkrankheiten, den Urquellen der Krankheitserreger, nicht mehr allein auf das Hinterland beschränkt. Die mit ihnen verbundenen Epidemiologien haben sich selbst zu Beziehungen entwickelt, die über Zeit und Raum hinweg spürbar sind. Eine SARS-Erkrankung kann in der Grossstadt, die nur wenige Tage von ihrer Fledermaushöhle entfernt liegt, plötzlich auf den Menschen übergreifen.»[24]
Unterbrechung der Rohstoffkette und der globale Aufpeitsch-Effekt
Die neuen Krankheitserreger, die unbeabsichtigt durch das Agribusiness erzeugt werden, sind selbst keine natürlich-materiellen Gebrauchswerte, sondern vielmehr toxische Rückstände des kapitalistischen Produktionssystems, die auf die Warenketten des Agribusiness als Teil eines globalisierten Lebensmittelregimes zurückzuführen sind.[25] Doch in einer Art metaphorischer «Rache» der Natur, wie sie erstmals von Engels und Lankester dargestellt wurde, haben die Welleneffekte kombinierter ökologischer und epidemiologischer Katastrophen, die durch die heutigen globalen Warenketten und die Aktionen des Agrobusiness ausgelöst wurden und zur Covid-19-Pandemie geführt haben, das gesamte System der globalen Produktion gestört.[26] Die Auswirkungen der Lockdowns und des social distancing, die die Produktion in Schlüsselsektoren der Welt zum Erliegen brachten, haben Liefer-/Wertketten international erschüttert. Dies hat zu einem gigantischen «Aufpeitsch-Effekt» geführt, der sowohl von der Angebots- als auch von der Nachfrageseite der globalen Rohstoffketten ausgeht.[27] Darüber hinaus ist die Covid-19-Pandemie im Kontext eines globalen Regimes des neoliberalen Monopol-Finanzkapitals aufgetreten, das weltweite Sparmassnahmen, auch im Bereich der öffentlichen Gesundheit, durchgesetzt hat. Die allgemeine Einführung der Just-in-time-Produktion und des zeitbasierten Wettbewerbs bei der Regulierung globaler Warenketten hat dazu geführt, dass Unternehmen und Einrichtungen wie Krankenhäuser nur noch über geringe Lagerbestände verfügen, ein Problem, das durch die dringende Vorratshaltung einiger Güter durch die Bevölkerung noch verschärft wird.[28] Das Ergebnis ist eine aussergewöhnliche Verwerfung der gesamten Weltwirtschaft.
Die heutigen globalen Warenketten – oder das, was wir als Arbeitswertketten bezeichnen – sind in erster Linie organisiert, um die niedrigeren Lohnstückkosten (unter Berücksichtigung sowohl der Lohnkosten als auch der Produktivität) in den ärmeren Ländern des globalen Südens auszunutzen, in denen die industrielle Weltproduktion heute überwiegend angesiedelt ist. Die Lohnstückkosten in Indien lagen 2014 bei 37 Prozent des US-Niveaus, während die Lohnstückkosten in China und Mexiko 46 bzw. 43 Prozent des US-Niveaus betrugen. In Indonesien waren die Lohnstückkosten höher und lagen bei 62 Prozent des US-Niveaus.[29] Ein Grossteil davon ist auf die extrem niedrigen Löhne in den Ländern des Südens zurückzuführen, die nur einen kleinen Bruchteil des Lohnniveaus der Länder des Nordens ausmachen. Die nach den Vorgaben der multinationalen Konzerne durchgeführte Fremdfertigung und die in die neuen Exportplattformen im globalen Süden eingeführte fortschrittliche Technologie führen unterdessen zu einer Produktivität, die in vielen Bereichen mit der des globalen Nordens vergleichbar ist. Das Ergebnis ist ein integriertes globales Ausbeutungssystem, in dem die Lohnunterschiede zwischen den Ländern des globalen Nordens und des globalen Südens grösser sind als der Unterschied in der Produktivität, was zu sehr niedrigen Lohnstückkosten in den Ländern des Südens führt und enorme Bruttogewinnspannen (oder wirtschaftliche Überschüsse) auf den Exportpreis von Waren aus den ärmeren Ländern erzeugt.
Die enormen wirtschaftlichen Überschüsse, die im globalen Süden erwirtschaftet werden, werden in der Bruttoinlandsproduktbuchhaltung als Wertschöpfung im Norden verbucht. Sie werden jedoch besser als Wert verstanden, der vom Süden erwirtschaftet wird. Dieses ganze neue System der internationalen Ausbeutung, das mit der Globalisierung der Produktion einhergeht, bildet die Tiefenstruktur des Spätimperialismus im 21. Jahrhundert. Es ist ein System der weltweiten Ausbeutung/Enteignung, das sich um die globale Arbeitsarbitrage herum gebildet hat und zu einem enormen Abfluss der von den Armen erzeugten Werte in die reichen Länder führt.
All dies wurde durch Revolutionen im Transport- und Kommunikationswesen erleichtert. Die Versandkosten stiegen mit der Verbreitung von standardisierten Schiffscontainern. Kommunikationstechnologien wie Glasfaserkabel, Mobiltelefone, das Internet, Breitband, Cloud Computing und Videokonferenzen veränderten die globale Konnektivität. Flugreisen verbilligten schnelle Reisen, die zwischen 2010 und 2019 jährlich um durchschnittlich 6,5 Prozent anstiegen.[30] Etwa ein Drittel der US-Exporte sind Halbfabrikate für Endprodukte, die anderswo hergestellt werden, wie Baumwolle, Stahl, Motoren und Halbleiter.[31] Aus diesen sich rasch verändernden Bedingungen, die eine zunehmend integrierte, hierarchische internationale Akkumulationsstruktur hervorbrachten, entstand die heutige globale Warenkettenstruktur. Das Ergebnis war die Verbindung aller Teile der Welt innerhalb eines Weltsystems der Unterdrückung, eine Verbindung, die nun unter den Auswirkungen des Handelskrieges der USA gegen China und den globalen wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie Anzeichen einer Destabilisierung zeigt.
Die Covid-19-Pandemie ist mit ihren Lockdowns und des Social Distancing «die erste globale Versorgungskettenkrise «[32], die zu wirtschaftlichen Wertverlusten, enormer Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, Firmenzusammenbrüchen, verstärkter Ausbeutung sowie weit verbreitetem Hunger und Mangel geführt hat. Der Schlüssel zum Verständnis sowohl der Komplexität als auch des Chaos der gegenwärtigen Krise ist die Tatsache, dass kein CEO eines multinationalen Unternehmens irgendwo eine vollständige Karte der Warenkette des Unternehmens hat.[33] Normalerweise kennen die Finanzzentren und die Beschaffungsbeauftragten in Unternehmen ihre Lieferanten der ersten Stufe, aber nicht ihre Lieferanten der zweiten Stufe (d.h. die Lieferanten ihrer Lieferanten), geschweige denn die Lieferanten der dritten oder sogar vierten Stufe. Wie Elisabeth Braw in Foreign Policy schreibt: «Michael Essig, Professor für Beschaffungsmanagement an der Universität der Bundeswehr München, berechnete, dass ein multinationales Unternehmen wie Volkswagen 5.000 Lieferanten (die so genannten Ebene-1-Lieferanten) hat, von denen jeder durchschnittlich 250 Ebene-2-Lieferanten hat. Das bedeutet, dass das Unternehmen tatsächlich 1,25 Millionen Lieferanten hat, von denen es die große Mehrheit nicht kennt». Ausserdem sind die Drittlieferanten gar nicht mitgezählt. Als das neuartige Corona-Virus im chinesischen Wuhan ausbrach, stellte sich heraus, dass 51.000 Unternehmen weltweit mindestens einen Direktlieferanten in Wuhan hatten, während fünf Millionen Unternehmen dort mindestens einen Ebene-2-Lieferanten hatten. Am 27. Februar 2020, als sich die Unterbrechung der Lieferkette noch weitgehend auf China konzentrierte, erklärte das Weltwirtschaftsforum unter Berufung auf einen Bericht von Dun & Bradstreet, dass mehr als 90 Prozent der multinationalen Fortune-1000-Unternehmen einen Ebene-1- oder Ebene-2-Lieferanten hatten, der von dem Virus betroffen war.[34]
Die Auswirkungen von SARS-CoV-2 haben es für die Unternehmen dringend erforderlich gemacht, zu versuchen, ihre gesamten Warenketten abzubilden. Doch dies ist enorm komplex. Als sich die Nuklearkatastrophe von Fukushima ereignete, wurde entdeckt, dass in der Gegend von Fukushima 60 Prozent der weltweit kritischen Autoteile, ein grosser Teil der weltweiten Lithium-Batterie-Chemikalien und 22 Prozent der weltweiten Dreihundert-Millimeter-Silizium-Wafer produziert wurden, die alle für die industrielle Produktion von entscheidender Bedeutung sind. Damals versuchten einige Monopolfinanzkonzerne, ihre Lieferketten abzubilden. Der Harvard Business Review zufolge «sagten uns Führungskräfte eines japanischen Halbleiterherstellers, dass ein Team von 100 Personen mehr als ein Jahr gebraucht habe, um nach dem Erdbeben und dem Tsunami [und der Atomkatastrophe von Fukushima] im Jahr 2011 die Liefernetzwerke des Unternehmens bis tief in die Unterebenen zu kartographieren».[35]
Angesichts von Warenketten, in denen viele Glieder der Kette unsichtbar sind und die Ketten an zahlreichen Stellen brechen, sehen sich die Unternehmen mit Unterbrechungen und Unsicherheiten in dem konfrontiert, was Marx die «Kette der Metamorphosen» in der Produktion, der Verteilung und dem Konsum materieller Produkte nannte, verbunden mit erratischen Veränderungen der gesamten Angebotsnachfrage. Das Ausmass der Coronavirus-Pandemie und ihre Folgen für die weltweite Akkumulation sind beispiellos, wobei die Kosten für die Weltwirtschaft immer noch steigen. Ende März 2020 befanden sich rund drei Milliarden Menschen auf dem Planeten in einem Zustand des Lockdowns oder des social distancing.[36] Die meisten Unternehmen haben keinen Notfallplan, um mit den mehrfachen Unterbrechungen in ihren Lieferketten umzugehen.[37] Das Ausmaß des Problems hat sich in den ersten Monaten des Jahres 2020 in Zehntausenden von Erklärungen über höhere Gewalt manifestiert, die zunächst in China begannen und sich dann auf andere Länder ausweiteten, wo verschiedene Lieferanten angeben, dass sie aufgrund aussergewöhnlicher äusserer Ereignisse nicht in der Lage sind, Verträge zu erfüllen. Damit einher gehen zahlreiche «Blankoschiffe», die für planmässige Fahrten von Frachtschiffen stehen, die annulliert werden, wobei die Waren entweder aufgrund eines Ausfalls von Angebot oder Nachfrage aufgehalten werden.[38] Anfang April 2020 gab die U.S. National Retail Federation an, dass im März 2020 ein Fünfjahrestief bei der Verschiffung von Zwanzig-Fuss-Äquivalenten (von Containern) an Schiffsfracht verzeichnet wurde, wobei davon ausgegangen wird, dass die Sendungen von diesem Zeitpunkt an viel schneller einbrechen werden.[39] Passagierflüge von Fluggesellschaften auf der ganzen Welt sind um etwa 90 Prozent zurückgegangen, was die grossen US-Fluggesellschaften dazu veranlasst hat, «die Bäuche und Passagierkabinen ihrer Flugzeuge für Frachtflüge zu nutzen, wobei sie häufig die Sitze entfernen und die leeren Halterungen zur Sicherung der Fracht nutzen»[40].
Den Schätzungen der Welthandelsorganisation von Anfang April 2020 zufolge würden die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 zu einem Rückgang des jährlichen Welthandels um 13 Prozent im optimistischeren Szenario und um 32 Prozent im pessimistischeren Szenario führen. Im letzteren Fall würde der Zusammenbruch des Welthandels in einem Jahr dem Einbruch der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren über einen Zeitraum von drei Jahren entsprechen.[41]
Die schlimmen Auswirkungen der Unterbrechung der globalen Lieferketten während der Pandemie waren besonders deutlich im Hinblick auf die medizinische Ausrüstung. Premier, eine der wichtigsten allgemeinen Einkaufsorganisationen für Krankenhäuser in den Vereinigten Staaten, gab an, dass sie normalerweise bis zu vierundzwanzig Millionen N95-Atemschutzmasken pro Jahr für ihre Mitglieder und Organisationen des Gesundheitswesens kauft, während ihre Mitglieder allein im Januar und Februar 2020 sechsundfünfzig Millionen Atemschutzmasken verwendeten. Ende März bestellte Premier 110 bis 150 Millionen Atemschutzmasken, während seine Mitgliedsorganisationen wie Krankenhäuser und Pflegeheime bei der Befragung angaben, dass sie kaum mehr als einen Wochenvorrat haben. Die Nachfrage nach medizinischen Masken schnellte in die Höhe, während das weltweite Angebot einfror.[42] Auch die Covid-19-Testsätze waren weltweit chronisch knapp, bis China Ende März 2020 die Produktion wieder in Gang brachte.[43]
Viele andere Waren sind jetzt ebenfalls knapp, während im allgemeinen Chaos die Lager mit Waren überfüllt sind, wie z.B. Modebekleidung, für die die Nachfrage stark zurückgegangen ist. In der Welt der Just-in-Time-Produktion und des zeitbasierten Wettbewerbs werden die Lagerbestände im Allgemeinen auf ein Minimum reduziert, um die Kosten zu senken. Da es keine Reservebestände gibt, werden die Automobil- und viele Einzelhandelslieferketten in den Vereinigten Staaten bis Anfang Mai wahrscheinlich einen chronischen Versorgungsengpass erleben. Wie Peter Hasenkamp, der die Lieferkettenstrategie von Tesla leitete und jetzt für den Einkauf von Lucid Motors, einem Elektroauto-Startup, verantwortlich ist, erklärte: «Man braucht 2.500 Teile, um ein Auto zu bauen, davon aber darf keines fehlen». Covid-19-Testsätze waren in den Vereinigten Staaten knapp, was zum Teil auf einen Mangel an Tupfern zurückzuführen war.[44] Mitte April 2020 waren 81 Prozent der weltweit produzierenden Unternehmen mit Lieferengpässen konfrontiert, was sich in einer 44-prozentigen Zunahme der Erklärungen über höhere Gewalt bis März seit Anfang des Jahres vor dem Auftauchen des neuartigen Corona-Virus und in einer 38-prozentigen Zunahme der Produktionsstilllegungen zeigte. Das Ergebnis sind nicht nur materielle Engpässe, sondern auch eine Krise des flüssigen Geldes und damit ein enormer «Anstieg der finanziellen Risiken»[45].
Für die multinationalen Konzerne von heute, die sich weniger um die verkauften Gebrauchswerte kümmern als um den generierten Tauschwert, bedeuten die realen wirtschaftlichen Auswirkungen der Unterbrechung der Lieferketten Unterbrüche der Wertschöpfungsketten, d.h. der Tauschwertströme. Auch wenn die vollen Wertauswirkungen der globalen angebotsseitigen Unterbrechung [Produktionsunterbrechungen; Anm. d. Red.] erst in einiger Zeit bekannt sein werden, so sind die durch die Unternehmen erlittenen Verluste ein Hinweis auf die Krise, die diese im Akkumulationsprozess hervorruft. Hunderte von Unternehmen, darunter Firmen wie Boeing, Nike, Hershey, Sun Microsystems und Cisco, haben in den letzten Jahrzehnten kritische Unterbrechungen der Warenkette erlebt. Studien, die sich auf etwa achthundert Fälle stützen, haben gezeigt, dass eine solche Unterbrechung der Lieferketten für durchschnittliche Firmen folgende Auswirkungen hat: «107 Prozent Rückgang des Betriebsergebnisses, 114 Prozent Rückgang der Umsatzrendite, 93 Prozent Rückgang der Kapitalrendite, 7 Prozent geringeres Umsatzwachstum, 11 Prozent weniger Kostenwachstum und 14 Prozent geringeres Wachstum des Lagerbestandes», wobei die negativen Auswirkungen normalerweise zwei Jahre anhalten. Dieselbe Untersuchung zeigt, dass «Unternehmen, die unter Lieferkettenunterbrechungen leiden, über einen Zeitraum von drei Jahren, der ein Jahr vor und zwei Jahre nach dem Datum der Ankündigung der Unterbrechung beginnt und zwei Jahre nach dem Datum der Ankündigung der Unterbrechung endet, zwischen 33 und 40 Prozent geringere Lagererträge im Vergleich zu ihren Branchen-Benchmarks verzeichnen». Auch die Volatilität des Aktienkurses im Jahr nach der Unterbrechung ist 13,50 Prozent höher im Vergleich zur Volatilität im Jahr vor der Unterbrechung.»[46]
Obwohl niemandem die Folgen der gegenwärtigen Krise klar sind, hat das Kapital, selbst im Falle eines einzelnen Unternehmens, allen Grund, die Folgen für die Verwertung und Akkumulation zu fürchten. Überall sinkt die Produktion und die Arbeitslosigkeit bzw. die Unterbeschäftigung steigt in die Höhe, da die Firmen Arbeiter*innen entlassen, die zudem in den USA einfach sich selbst überlassen sind. Die Unternehmen befinden sich jetzt in einem Wettlauf, um ihre Warenketten unter Kontrolle zu bringen und einen gewissen Anschein von Stabilität in einer scheinbar allumfassenden Krise zu gewährleisten. Darüber hinaus droht die Unterbrechung der gesamten Kette von Stoffwechselprozessen, die in die globale Jagd nach billiger Arbeitskraft involviert sind, einen finanziellen Zusammenbruch in einer Weltwirtschaft herbeizuführen, die immer noch durch Stagnation, Verschuldung und Finanzialisierung [Aufblähung/Stärkung des Finanzmarktes und seiner Akteur*innen sowie eine damit verbundene Durchdringung aller Wirtschaftsbereiche mit Finanzmarktmechanismen; Anm. d. Red.] gekennzeichnet ist.
Nicht die geringste der aufgedeckten Schwachstellen ist die so genannte Supply-Chain-Finanzierung, die es Unternehmen ermöglicht, mit Hilfe von Bankfinanzierungen Zahlungen an Lieferanten aufzuschieben. Dem Wall Street Journal zufolge haben einige Unternehmen Supply-Chain-Finanzierungsverpflichtungen, die ihre gemeldete Nettoverschuldung in den Schatten stellen. Diese Schulden gegenüber Lieferanten werden von anderen Finanzunternehmen in Form von kurzfristigen Schuldverschreibungen verkauft. Die Credit Suisse besitzt Anleihen, die von großen US-Unternehmen wie Kellogg und General Mills geschuldet werden. Durch eine allgemeine Unterbrechung der Rohstoffketten wird diese komplizierte Finanzkette, die selbst Gegenstand von Spekulationen ist, selbst in eine Krise versetzt, was zusätzliche Schwachstellen in einem bereits fragilen Finanzsystem schafft.[47]
Der 2. Teil des Artikels findet man hier. Der Artikel erschien auf Englisch am 1. Juni 2020. Übersetzung durch Redaktion.
Fussnoten
- See John Bellamy Foster, “Late Imperialism,” Monthly Review 71, no. 3 (July–August 2019): 1–19; Samir Amin, Modern Imperialism, Monopoly Finance Capital, and Marx’s Law of Value(New York: Monthly Review Press, 2018).
- On the global labor arbitrage and commodity chains, see Intan Suwandi, Value Chains(New York: Monthly Review Press, 2019), 32–33, 53–54. Our statistical analysis of unit labor costs was done collaboratively with R. Jamil Jonna, also published as “Global Commodity Chains and the New Imperialism,” Monthly Review 70, no. 10 (March 2019): 1–24. On the global land arbitrage, see Eric Holt-Giménez, A Foodie’s Guide to Capitalism (New York: Monthly Review Press, 2017), 102–4.
- Evan Tarver, “Value Chain vs. Supply Chain,” Investopedia, March 24, 2020.
- Karl Marx, “The Value Form,” Capital and Class 2, no. 1 (1978): 134; Karl Marx and Frederick Engels, Collected Works, vol. 36 (New York: International Publishers, 1996), 63. See also Karl Marx, Capital, vol. 1 (London: Penguin, 1976), 156, 215; Marx, Capital, vol. 2 (London: Penguin, 1978), 136–37.
- Rudolf Hilferding, Finance Capital (London: Routledge, 1981), 60.
- Terence Hopkins and Immanuel Wallerstein, “Commodity Chains in the World Economy Prior to 1800,” Review 10, no. 1 (1986): 157–70.
- Marx, Capital, vol. 1, 638.
- Karl Marx, Capital, vol. 3 (London: Penguin, 1981), 949–50; Marx, Capital, vol. 1, 348–49.
- Robert G. Wallace, Luke Bergmann, Richard Kock, Marius Gilbert, Lenny Hogerwerf, Rodrick Wallace, and Mollie Holmberg, “The Dawn of Structural One Health: A New Science Tracking Disease Emergence Along Circuits of Capital,” Social Science and Medicine 129 (2015): 68–77; Rob [Robert G.] Wallace, “We Need a Structural One Health,” Farming Pathogens, August 3, 2012; J. Zinsstag, “Convergence of EcoHealth and One Health,” Ecohealth 9, no. 4 (2012): 371–73; Victor Galaz, Melissa Leach, Ian Scoones, and Christian Stein, “The Political Economy of One Health,” STEPS Centre, Political Economy of Knowledge and Policy Working Paper Series (2015).
- Rodrick Wallace, Luis Fernando Chavez, Luke R. Bergmann, Constância Ayres, Lenny Hogerwerf, Richard Kock, and Robert G. Wallace, Clear-Cutting Disease Control: Capital-Led Deforestation, Public Health Austerity, and Vector-Borne Infection (Cham, Switzerland: Springer, 2018), 2.
- Wallace et al., “The Dawn of Structural One Health,” 70–72; Wallace, “We Need a Structural One Health”; Rob Wallace, Alex Liebman, Luis Fernando Chaves, and Rodrick Wallace, “COVID-19 and Circuits of Capital,” Monthly Review 72, no.1 (May 2020): 12; István Mészáros, Beyond Capital(New York: Monthly Review Press, 1995); Richard Levins and Richard Lewontin, The Dialectical Biologist (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1985).
- Rob Wallace, Big Farms Make Big Flu(New York: Monthly Review Press, 2016), 60–61, 118, 120–21, 217–19, 236, 332; Rob Wallace, “Notes on a Novel Coronavirus,” MR Online, January 29, 2020. On the Lauderdale Paradox, see John Bellamy Foster, Brett Clark, and Richard York, The Ecological Rift(New York: Monthly Review Press, 2010), 53–72.
- See John Bellamy Foster, The Return of Nature(New York: Monthly Review Press, 2020), 61-64, 172-204; Frederick Engels, The Condition of the Working Class in England (Chicago: Academy Chicago, 1984); E. Ray Lankester, The Kingdom of Man (New York: Henry Holt, 1911), 31–33, 159–91; Richard Levins, “Is Capitalism a Disease?,” Monthly Review 52, no. 4 (September 2000): 8–33. See also Howard Waitzkin, The Second Sickness (New York: Free Press, 1983).
- Wallace, Big Farms Make Big Flu, 53.
- Wallace, Big Farms Make Big Flu, 49.
- Wallace, Big Farms Make Big Flu, 33–34.
- Wallace, Big Farms Make Big Flu, 81.
- Mathilde Paul, Virginie Baritaux, Sirichai Wongnarkpet, Chaitep Poolkhet, Weerapong Thanapongtharm, François Roger, Pascal Bonnet, and Christian Ducrot, “Practices Associated with Highly Pathogenic Avian Influenza Spread in Traditional Poultry Marketing Chains,” Acta Tropica 126 (2013): 43–53.
- Wallace, Big Farms Make Big Flu, 306; Wallace et al., “The Dawn of Structural One Health,” 69, 71, 73.
- Wallace et al., “COVID-19 and Circuits of Capital,” 11.
- Holt-Giménez, A Foodie’s Guide to Capitalism, 102–5.
- Philip McMichael, “Feeding the World,” in Socialist Register 2007: Coming to Terms with Nature, ed. Leo Panitch and Colin Leys (New York: Monthly Review Press, 2007), 180.
- Farshad Araghi, “The Great Global Enclosure of Our Times,” in Hungry for Profit, ed. Fred Magdoff, John Bellamy Foster, and Fredrick H. Buttel (New York: Monthly Review Press, 2000), 145–60.
- Wallace et. al., “COVID-19 and Circuits of Capital,” 6; Mike Davis, Planet of Slums (London: Verso, 2016); Mike Davis interviewed by Mada Masr, “Mike Davis on Pandemics, Super-Capitalism, and the Struggles of Tomorrow,” Mada Masr, March 30, 2020.
- Wallace, Big Farms Make Big Flu, 61. On the significance of the concepts of the residual and residues for dialectics, see J. D. Bernal, “Dialectical Materialism,” in Aspects of Dialectical Materialism, ed. Hyman Levy et. al (London: Watts and Co., 1934), 103–4; Henri Lefebvre, Metaphilosophy (London: Verso, 2016), 299–300.
- Karl Marx and Frederick Engels, Collected Works, vol. 25 (New York: International Publishers, 1975), 460–61; Lankester, The Kingdom of Man, 159.
- Matt Leonard, “What Procurement Managers Should Expect from a Bullwhip on Crack,” Supply Chain Dive, March 26, 2020.
- On time-based competition and just-in-time production, see “What Is Time-Based Competition,” Boston Consulting Group.
- Suwandi, Value Chains, 59–61; John Smith, Imperialism in the Twenty-First Century(New York: Monthly Review Press, 2016).
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- Shannon K. O’Neil, “How to Pandemic Proof Globalization,” Foreign Affairs, April 1, 2020.
- Stefano Feltri, “Why Coronavirus Triggered the First Global Supply Chain Crisis,” Pro-Market, March 5, 2020.
- Elisabeth Braw, “Blindsided on the Supply Side,” Foreign Policy, March 4, 2020.
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- Braw, “Blindsided on the Supply Side”; Thomas Y. Choi, Dale Rogers, and Bindiya Vakil, “Coronavirus is a Wake-Up Call for Supply Chain Management,” Harvard Business Review, March 27, 2020.
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- Choi et. al., “Coronavirus is a Wake-Up Call for Supply Chain Management”; Willy Shih, “COVID-19 and Global Supply Chains: Watch Out for Bullwhip Effects,” Forbes, February 21, 2020.
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- Emma Cosgrove, “FAA Offers Safety Guidance for Passenger Planes Ferrying Cargo,” Supply Chain Dive, April 17, 2020.
- “Trade Set to Plunge as COVID-19 Pandemic Upends Global Economy,” World Trade Organization, April 8, 2020; S. L. Fuller, “WTO: 2020 Trade Levels Could Rival the Great Depression,” Supply Chain Dive, April 9, 2020.
- Deborah Abrams Kaplan, “Why Supply Chain Data is King in the Coronavirus Pandemic,” Supply Chain Dive, April 7, 2020; O’Leary, “The Modern Supply Chain Is Snapping”; Chad P. Bown, “COVID-19: Trump’s Curbs on Exports of Medical Gear Put Americans and Others at Risk,” Peterson Institute for International Economics, April 9, 2020; Shefali Kapadia, “From Section 301 to COVID-19,” Supply Chain Dive, March 31, 2020.
- Finbarr Bermingham, Sidney Leng, and Echo Xie, “China Ramps Up COVID-19 Test Kit Exports Amid Global Shortage, as Domestic Demand Dries Up,” South China Morning Post, March 30, 2020.
- Kapadia, “From Section 301 to COVID-19”; “Companies’ Supply Chains Vulnerable to Coronavirus Shocks,” Financial Times, March 8, 2020; Bermingham, Leng, and Xie, “China Ramps Up COVID-19 Test Kit Exports.”
- “COVID-19: Where Is Your Supply Chain Disruption?,” Future of Sourcing, April 3, 2020.
- Thomas A. Foster, “Risky Business: The True Cost of Supply-Side Disruptions,” Supply Chain Brain, May 1, 2005; Kevin Hendricks and Vinod R. Singhal, “The Effect of Supply Chain Disruptions on Long-Term Shareholder Profitability, and Share Price Volatility,” June 2005, available at http://supplychainmagazine.fr.
- “Supply-Chain Finance is New Risk in Crisis,” Wall Street Journal, April 4, 2020; “CNE/CIS Trade Finance Survey 2017,” BNE Intellinews, April 3, 2017.
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