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“Der Ökosozialismus ist ein Zivilisationsprojekt”

In diesem Interview kommt der Agronom und Aktivist Daniel Tanuro auf das Ausmass der Klimakrise zu sprechen und beschreibt die Herausforderungen, die eine ökosozialistische Linke zu meistern hat. Die Fragen stellte Alexandre Araujo Costa, ein brasilianischer Umweltaktivist. (Red.)

von Alexandre Araujo Costa und Daniel Tanuro, aus internationalviewpoint.org

Alexandre Araujo Costa: Lange Zeit haben die linken Organisationen den Umweltfragen nur wenig Beachtung geschenkt. Doch seit ihrem 15. Kongress scheint sich die Vierte Internationale immer stärker um die sogenannte „Umweltkrise“ zu kümmern. Was hat sich verändert?
 Daniel Tanuro: Tatsächlich sind die linken Organisationen in den 1960er Jahren nicht auf den Zug aufgesprungen, als die sogenannte „ökologische Krise“ an gesellschaftlicher Bedeutung gewann. Der wichtigste Grund für dieses Versäumen war, dass sich diese Organisationen in erster Linie auf die Kriege und antikolonialen Revolutionen in den unterdrückten Ländern (Kuba, Algerien, Vietnam etc.), auf die Massenbewegungen gegen die Bürokratie im Osten (Polen, Ungarn) sowie auf die Bündnisse zwischen der radikalen Jugend und den Arbeiter*innen des Westens (Mai 1968, Mai 1969 in Italien) konzentrierten.
Aber meines Erachtens ist dies nicht der einzige Grund. Wir müssen anerkennen, dass die ökologische Krise bei den linken Organisationen theoretisches Unwohlsein verursachte. Einige Autor* fühlten sich beispielsweise unwohl, die kapitalistische Technologie zu denunzieren oder die Idee der Grenzen des Wachstums hervorzuheben. Das marxsche Werk ist im Bezug auf diese Fragen sehr reichhaltig, aber es schien so, als ob seine Nachfolger*innen diese Beiträge (zu den Einhegungen, zum Bruch des sozialen Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur durch den Kapitalismus, zu den Folgen der Abholzung, der Landwirtschaft und der Raumplanung, um nur einige Beispiele zu nennen) vergessen hatten. Diese Amnesie hat sogar sehr offene und kreative marxistische Denker erfasst, wie beispielsweise unser Genosse Ernest Mandel.
Ich möchte diesbezüglich Klarheit schaffen: Meines Erachtens ist es übertrieben, von einer „marxschen Ökologie“ zu sprechen. Innerhalb des Werks von Marx und Engels gibt es Spannungen und Widersprüche, die zur Kenntnis genommen werden müssen. Aber die ökologische Dimension des marxistischen Erbes ist wirklich beeindruckend und seine Kritik der politischen Ökonomie gibt uns ausgezeichnete Werkzeuge, um diese weiterzuentwickeln. Wie können wir also die Tatsache erklären, dass der Grossteil der marxistischen Linken in den 1960er Jahren nicht auf den ökologischen Zug aufgesprungen sind? Der Stalinismus trägt hierfür natürlich eine grosse Verantwortung. Aber wir müssen anerkennen, dass diese Erklärung für die antistalinistischen Strömungen nicht sehr überzeugend ist… Wir müssen anderswo suchen. Meiner Meinung nach war die Linke von produktivistischen und szientistischen Konzeptionen stark geprägt. Dies begann mit der Sozialdemokratie am Ende des 19. Jahrhunderts und das Übel wurde innerhalb der kommunistischen Bewegung nicht wirklich beseitigt – vielleicht weil Russland, wo die Revolution stattfand, ein ökonomisch zurückgebliebenes Land war.
Ich denke, dass später drei Faktoren zu einer Veränderung führten: Einerseits hat die nukleare Bedrohung zunehmend zum Bewusstsein geführt, dass Technologien nicht neutral sind. Zweitens haben die Kämpfe der Indigenen und armen Bauern die soziale Dimension von ökologischen Fragen aufgezeigt. Drittens haben einige Autor*innen damit begonnen, die Auseinandersetzung Marx‘ mit ökologischen Fragen neu zu bewerten. Die Linien verschoben sich dadurch, aber die Mehrheit der Linken begnügte sich mit einer rein propagandistischen Haltung, die aus der Aussage bestand, dass eine ökologische Alternative im Rahmen des Kapitalismus nicht möglich sei. Dies ist richtig, aber bedeutet nicht, dass wir auf konkrete ökologische Forderungen verzichten können – Reformen also, die mit sozialen Forderungen im Rahmen eines Übergangsprogrammes verknüpft werden müssen.
Eine wichtige Etappe in Richtung eines solchen Programmes war das ökosozialistische Manifest von Michael Löwy und Joel Kovel aus dem Jahr 2001. Das Verfassen dieses Manifests wurde durch die Verschlimmerung der ökologischen Krise begünstigt, wobei der Klimawandel die wichtigste Bedrohung ist. Parallel dazu beteiligten sich mehr und mehr Aktivist*innen unserer Organisationen in ökologischen Bewegungen, insbesondere der Klimabewegung und der Bewegung für Ernährungssouveränität. Seit dem letzten Kongress definiert sich die Vierte Internationale als ökosozialistische Organisation.
AAC: Wie schwerwiegend ist deiner Meinung nach der Klimawandel? Geht es einfach darum, die richtigen Technologien wie z.B. erneuerbare Energien zu verwenden? Kann das Klima durch eine Kombination von CO2-Abspeicherung, -Sequestrierung und Geoingeneering gerettet werden?
DT: Der Klimawandel ist sehr schwerwiegend. Tatsächlich ist er die wahrscheinlich gefährlichste soziale und ökologische Bedrohung, mit der wir es zu tun haben. Die Konsequenzen sind aus kurz-, mittel- und langfristiger Perspektive enorm. Ich werde nicht sehr ins Detail gehen, aber mensch sollte wissen, dass eine Erhöhung der Temperatur um 3°C wahrscheinlich eine Erhöhung des Meeresspiegels um 7 Meter herbeiführen wird. Der Anstieg wird 1000 Jahre oder mehr in Anspruch nehmen, aber die Entwicklung kann nicht aufgehalten werden, wenn sie einmal begonnen hat. Die Spezialist*innen denken, dass bis zum Ende des Jahrhunderts eine Erhöhung des Meeresspiegels um 60 bis 90cm erreicht wird. Dies könnte Hunderte von Millionen Menschen zur Flucht zwingen. Berücksichtigen wir die anderen Folgen des Klimawandels (extreme meteorologische Ereignisse, Abnahme der landwirtschaftlichen Produktivität etc.) ist die Schlussfolgerung beängstigend. Ab einer gewissen Grenze besteht keine Anpassungsmöglichkeit für eine Menschheit von 8-9 Milliarden Personen. Wo diese Grenze gesetzt wird, ist nicht (nur) eine wissenschaftliche, sondern (vor allem) eine politische Frage. In Paris haben die Regierungen während des Klimagipfels COP21 entschieden, die Erderwärmung auf „deutlich unter“ 2°C zu beschränken. Tatsächlich sollte eine Erhöhung um 2°C als katastrophal angesehen werden.
Natürlich ist die Klimaerwärmung nicht die einzige Bedrohung. Andere Bedrohungen sind das Massenaussterben, die Versauerung der Ozeane, die Auslaugung der Böden, die Verschmutzung der Meere durch Stickstoff und Phosphor, die chemische Verschmutzung, die Zerstörung der Ozonschicht, die Ausbeutung der Wasserreserven und die Konzentration von Aerosolen in der Atmosphäre. Aber die Klimaerwärmung spielt eine zentrale Rolle und ist direkt oder indirekt mit den meisten anderen Bedrohungen verbunden. Die Erwärmung beeinflusst die Biodiversität; die Versauerung der Ozeane wird durch die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre verursacht; die Menge an Stickstoff und Phosphor in den Meeren wird durch die Agroindustrie beeinflusst, die ihrerseits eine wichtige Rolle spielt bei der übermässigen Ausbeutung der Wasserreserven und der Bodennutzung, usw. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Probleme zusammenhängen, bedeutet, dass es ein Fehler wäre, die Antwort auf den Klimawandel von den anderen Herausforderungen zu trennen. Ausserdem haben alle diese ökologischen Herausforderungen dieselbe Ursache: die kapitalistische Akkumulation, das quantitative Wachstum, welches durch die Suche nach Profiten vorangetrieben wird.
Der Klimawandel ist somit weitaus mehr als nur eine technologische Frage. Es stellt sich die grundsätzliche Frage einer globalen Alternative zum aktuellen Produktionssystem. Und diese Alternative ist aus objektiver Sicht äusserst dringend. So sehr,, dass aus technologischer Sicht die Strategie eines grünen Kapitalismus unhaltbar ist. Natürlich ist es ohne weiteres möglich, nur erneuerbare Energiequellen zu nutzen. Doch wie stellen wir Solarzellen, Windräder und andere Geräte her? Mit welcher Energie? Somit muss berücksichtigt werden, dass für den Übergang zu einer erneuerbaren Energieproduktion zusätzliche Energie benötigt wird und dass diese zusätzliche Energie, in Anbetracht der Tatsache, dass zu Beginn 80% davon aus fossilen Brennstoffen stammen wird, zusätzliches CO2 produziert. Wir brauchen somit einen Plan, um diese zusätzlichen Emissionen mit zusätzlichen Reduktionen an anderer Stelle zu kompensieren. Ohne einen solchen Plan ist es ohne weiteres möglich, dass die weltweiten Emissionen weiter zunehmen, während der Anteil der erneuerbaren Energien rasch ansteigt. Dies geschieht momentan und das bedeutet, dass wir das „CO2-Budget“ schon bald aufgebraucht haben werden. Dieses Budget ist die Menge an Kohlenstoff, die wir noch der Atmosphäre hinzufügen können, wenn wir bis zur Jahrhundertende mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einen bestimmten Temperaturanstieg nicht übertreffen möchten. Laut IPCC [Engl. für Intergovernmental Panel on Climate Change, auf Deutsch oft „Weltklimarat“, A.d.R.] beträgt das Kohlenstoffbudget 400 Gigatonnen (Gt) für den Zeitraum 2011-2100, wenn mit einer Wahrscheinlichkeit von 66% ein Temperaturanstieg von nicht mehr als max. 1,5°C erreicht werden soll. Die globalen Emissionen betragen momentan 40Gt pro Jahr und sie steigen weiter an. In anderen Worten: Das Kohlenstoffbudget wird 2021 aufgebraucht sein. Wir sind somit bereits „in die Mauer gerannt“. Das ist das konkrete Resultat der kapitalistischen Profitbesessenheit, die sich durch die Weigerung äussert, einen Übergang in Einklang mit den nötigen Emissionsreduktionen zu planen.
Aus dieser Situation entspringt die Debatte um die CO2-Abspeicherung und -Sequestrierung sowie das Geoingeneering. Im Rahmen des kapitalistischen Systems sind dies die einzigen möglichen „Lösungen“, um das Kohlenstoffbudget einzuhalten. Ich benutze „Lösung“ in Anführungszeichen, weil es sich um sehr gefährliche Lösungen handelt. Eine der am weitesten entwickelten Technologien ist die BECCS (Bio-energy with carbon capture and storage), durch welche mittels Biomasse CO2 gebunden und sequestriert wird. Das ist bisher eine sehr hypothetische Lösung, unter anderem, weil niemand weiss, ob es möglich ist, das CO2 im Boden zu behalten und für wie lange es dort bleiben würde. Gleichzeitig ist es eine sehr gefährliche Lösung, sowohl aus sozialer als auch aus ökologischer Sicht, weil die Produktion von Biomasse enorme Landmassen benötigt: ungefähr ein Fünftel oder ein Viertel der momentanen Landwirtschaftsfläche. Einerseits bedroht die Umwandlung der Nahrungsmittelproduktion in die Produktion von Biomasse die Nahrungsmittelproduktion. Andererseits würde der industrielle Anbau von Biomasse auf bisher unbenutzten Landflächen eine schreckliche Zerstörung der Biodiversität verursachen. Es ist, um es vorsichtig auszudrücken, sehr problematisch, wenn 95% der Klimaszenarien des IPCC solche Technologien vorsehen. Nebenbei bemerkt verdeutlicht dies, dass die Wissenschaft nicht neutral ist, insbesondere wenn es um die Ausarbeitung von sozio-ökonomischen Szenarien geht.
Es ist wichtig festzuhalten, dass, selbst wenn das Kohlenstoffbudget für 1,5°C sehr bald aufgebraucht ist und das Budget für 2°C ebenfalls in naher Zukunft ausgeschöpft sein wird, dies nicht bedeutet, dass wir die kapitalistischen Technologien als kleineres Übel hinnehmen müssen. Im Gegenteil: Die Situation ist derart schlimm geworden, dass die Reduktion von Emissionen nicht mehr ausreicht. Um das Klima zu retten, muss CO2 der Atmosphäre entzogen werden. Aber dieses Ziel kann auch ohne BECCS oder ähnlichen Technologien erreicht werden. Der Grund, weshalb der Kapitalismus solche Technologien bevorzugt, ist, dass sie der Profitakkumulation dienen können. Die Alternative ist die Entwicklung und Generalisierung einer agroökologischen Landwirtschaft sowie die vorsichtige Nutzung der Böden und Wälder, welche auch die indigenen Bevölkerungsgruppen und Gemeinschaften respektieren. Auf diese Weise wird es möglich sein, grosse Mengen an Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu absorbieren und diese im Boden zu lagern. Gleichzeitig wird die Biodiversität gefördert und es werden gesunde Nahrungsmittel für alle produziert. Aber diese Option bedeutet einen frontalen antikapitalistischen Kampf gegen das Agrobusiness und die Grossgrundbesitzer*innen. In anderen Worten: Die Lösung ist nicht im technologischen Bereich, sondern in der politischen Arena zu finden.
AAC: Kürzlich hat Oxfam eine Studie veröffentlicht, die gezeigt hat, dass 8 Personen denselben Reichtum besitzen wie die Hälfte der Menschheit. Es wurde (noch einmal) ein globaler Temperaturrekord aufgestellt und unsere Atmosphäre hat nun einen CO2-Konzentration von 400ppm [„parts per million“, Masseinheit zur Messung des Kohlenstoffdioxidanteils in der Luft] überstiegen. Hängen die Klimaerwärmung und die Ungleichheit zusammen?
 DT: Selbstverständlich hängen sie zusammen. Es ist bekannt, dass die Armen die grössten Opfer von Katastrophen im Allgemeinen und von der Klimakatastrophe im Spezifischen sind. Es liegt auf der Hand, dass dasselbe auch auf die von den Menschen verursachten (genauer gesagt: von den menschlichen Aktivitäten in einem kapitalistischen System verursachten) Klimakatastrophen zutrifft. Dies ist bereits heute der Fall und wir haben es in verschiedenen Regionen der Welt gesehen: auf den Philippinen im Jahr 2014 mit dem Sturm Haiyan, 2005 in den USA mit dem Hurrikane Katrina, 2010 in Pakistan mit den grossen Überschwemmungen, 2003 in Europa mit der Hitzewelle, in Benin und anderen afrikanischen Ländern mit den Dürreperioden und der Erhöhung der Meeresspiegel usw.
Ausserdem erhöht die kapitalistische Antwort auf den Klimawandel die soziale Ungleichheit. Tatsächlich greift diese Politik auf Marktmechanismen zurück, namentlich die Kommodifizierung und Aneignung von natürlichen Ressourcen. Sie stützt sich vornehmlich auf das Konzept der Internalisierung von Externalitäten, was bedeutetet, dass die Kosten der Umweltschäden gemessen werden sollten, damit sie in den Preis der Güter und Dienstleistungen miteinbezogen werden können. Logischerweise betrifft dieser Preisanstieg die Konsument*innen. Jene, die das Geld besitzen, können in sauberere Technologien investieren (elektrische Autos beispielsweise), während die anderen, welche das Geld nicht haben, sich gezwungen sehen, mehr für die gleiche Leistung zu bezahlen (in diesem Fall für die Mobilität). Weiter spielt der Versicherungssektor bei der Verschärfung der Ungleichheiten eine spezifische Rolle: Er weigert sich, die Risiken in von armen Personen bewohnten Regionen zu versichern oder erhöht die Prämien. Im Allgemeinen spielt der Finanzsektor eine wichtige Rolle, weil er in den spekulativen Markt der Emissionszertifikate investiert. Beispielsweise wird in Wälder investiert, weil diese Kohlenstoff absorbieren. Dadurch werden die Wälder zu Handelswaren, zu Finanzprodukten. Als Folge werden die indigenen Bevölkerungsgruppen von ihren Lebensgrundlagen vertrieben, alles natürlich im Namen des Naturschutzes, aber ungeachtet der Tatsache, dass diese Menschen die Natur während Jahrhunderten gestalteten und schützten. Ein ähnlicher Prozess der Enteignung und Proletarisierung findet im Landwirtschaftssektor statt, beispielsweise aufgrund der Produktion von Biobrennstoffen und Biodiesel. Auch hier dient der Klimaschutz als Rechtfertigung einer brutalen Politik, welche die Ungleichheiten verschärft und die Menschen und die Umwelt dem Diktat der Unternehmen unterstellt.
Es ist zu befürchten, dass diese Mechanismen der Kommodifizierung und Aneignung der Ressourcen in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden.
AAC: Kannst du ein wenig über die Beziehung zwischen der ökologischen Krise und der Migration und den diesbezüglichen Zukunftsszenarien sprechen?
 DT: Das ist eine der schrecklichsten Folgen des Klimawandels. Die am meisten Bedrohten sind jene, die sich gezwungen sehen, ihren Lebensort zu verlassen. Dieser Prozess findet bereits in verschiedenen Regionen statt, z.B. in Westafrika, wo noch die Folgen der Kriege, der Diktaturen, des Terrorismus und der Enteignung von Böden durch die Grosskonzerne hinzukommen. Dieser Prozess findet auch in Bangladesh, in Vietnam und einigen kleinen Inseln statt. Was machen diese Leute? Sie gehen in die Peripherien der Städte. Die sozialen Strukturen werden auf den Kopf gestellt, besonders die Geschlechterverhältnisse, was einen Verlust der ökonomischen Stellung der Frauen bedeutet. Andere, insbesondere Männer, versuchen, in die reichen Länder zu fliehen. Wenn sie überleben, versuchen sie, Geld an ihre Familien zu schicken. Das ist eine riesige Katastrophe.
AAC: Wie bewertest du den Sieg Trumps?
 DT: Die Zahl, die ich für ein Kohlenstoffbudget für 1,5°C nannte, bedeutet, dass Trump zu einem Zeitpunkt die Macht ergreift, in dem wir uns auf Messers Schneide befinden, auf der Schwelle einer sehr grossen klimatischen Veränderung. Während seiner Kampagne hat Trump verlauten lassen, dass der Klimawandel ein Scherz der „Chinesen“ sei. Er hat auch versprochen, das Klimaabkommen von Paris zu künden. Sein Team ist gespickt von Klimaleugnern und der von ihm ausgewählte Vorsteher der Umweltbehörde EPA möchte diese von innen zerstören – nachdem er während Jahrzehnten als Staatsanwalt von Oklahoma versuchte, sie von aussen zu zerschlagen.
All dies ist sehr beunruhigend. Wir unterstützen den Klimavertrag von Paris nicht und wir unterstützen auch nicht die „nationalen Reduktionsziele“ der USA [im Rahmen des Klimaabkommens von Paris wurde vereinbart, dass jeder unterzeichnende Staat seine Reduktionsziele selbst festlegt. A.d.R.]: Beide sind aus ökologischer Sicht völlig ungenügend und aus sozialer Sicht höchst ungerecht. Wir wissen zum Beispiel, dass eine enorme Diskrepanz besteht zwischen den Zielen des Pariser Klimaabkommens einerseits (1,5-2°c) und der von den Staaten festgelegten Reduktionszielen andererseits (diese deuten auf eine Erwärmung von 2,7-3,7°C). Diese Diskrepanz führte 2015 zu einem Plus von 5,2Gt. Um die Folge einer allfälligen Entscheidung der USA, aus dem Klimaabkommen auszutreten, zu evaluieren, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass das Reduktionsziel der USA bis 2025 (im Vergleich zu 2005) 2Gt beträgt und dass diese 2Gt ungefähr 20% der Summe aller Reduktionsziele der 191 Staaten ausmacht. Das Programm von Trump, falls es in die Tat umgesetzt wird, würde nochmals 2Gt dem Plus von 5,2Gt hinzufügen. In anderen Worten: Mit den USA wird es sehr, sehr schwierig, das Zweigradziel einzuhalten. Aber ohne USA ist es unmöglich.
Ich denke, dass nun die Mehrheit der herrschenden Klassen der Welt davon überzeugt sind, dass die Klimaerwärmung eine Realität ist und dass sie eine enorme Bedrohung für ihre Herrschaft bedeutet. Weiter wissen sie, dass diese drohende Realität „vom Menschen“ verursacht ist. Dies hat sich mit der Wahl von Trump nicht geändert, wie die Reaktionen aus China, Indien oder der EU zeigten. Sogar Saudi-Arabien hat seine Reduktionsziele bestätigt.
Aber die Folge eines Ausstiegs der USA wäre, dass die anderen Länder noch weniger bereit sind, diese Lücke zu füllen. Aus dieser Sicht spricht die sehr konservative Haltung der EU Bände. Wir sollten überall fordern, dass die Regierungen die Reduktionsziele erhöhen: einerseits um die Diskrepanz zwischen den bestehen Zielen und dem Zweigradziel aufzuheben, andererseits um einen Ausstieg der USA zu kompensieren. Aber diese doppelte Herausforderung kann nicht im Rahmen der aktuellen kapitalistischen Politik in Angriff genommen werden. Es braucht einen Bruch mit der Marktlogik, wie beispielsweise die Förderung von kostenlosen öffentlichen Verkehrsmitteln, öffentliche Initiativen zur Gebäudeisolierung, eine Unterstützung der Bäuerinnen und Bauern gegen die Agroindustrie, eine Unterstützung der indigenen Bevölkerungsgruppen gegen die Minenunternehmen und die Forstwirtschaft, etc.
Es ist wahr, dass Trump nicht leichtfüssig seine Ziele umsetzen wird, einerseits weil ein Teil seiner Klimapolitik von den Bundesstaaten, Städten und Unternehmen abhängig ist, andererseits weil das CO2 im Clean Air Act, ein Schlüsselgesetz in den USA, als Schadstoff definiert wird. Aber das Problem steht in einem grösseren Zusammenhang. Das Problem ist nicht Trumps Klimapolitik, sondern Trumps Politik im Allgemeinen. Trumps Projekt ist die Wiederherstellung der US-amerikanischen Hegemonie. Auch Obama hat dieses Ziel verfolgt, aber Trumps Methoden sind anders. Obama wollte es durch eine multilaterale neoliberale Führung erreichen, Trump hingegen durch eine brutale nationalistische, rassistische, sexistische, islamfeindliche und antisemitische Politik. Er ist besonders vom kapitalistischen China beunruhigt, eine aufstrebende Macht, welche die US-amerikanische Hegemonie künftig herausfordern könnte. Dieses Projekt beinhaltet eine ernstzunehmende Kriegsgefahr, um nicht zu sagen die Gefahr eines Dritten Weltkriegs. Es gibt Analogien mit dem Niedergang des britischen Empires und dem Aufstreben Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg, ebenso mit dem Aufstieg Hitlers im Kontext einer tiefgreifenden ökonomischen, sozialen und politischen Krise vor dem Zweiten Weltkrieg (ich meine damit nicht, dass Trump ein Faschist ist, darum geht es mir hier nicht). In einer solchen Situation könnte die Klimakrise als zweitrangig herabgestuft werden, selbst wenn intelligente Vertreter*innen der herrschenden Klasse sich durchaus bewusst sind, dass dem nicht so ist.
Die positive Seite ist, dass die Polarisierung in den USA nicht nur den Rechten, sondern auch den Linken dient. Der Frauenmarsch, die Massenmobilisierungen gegen den „Muslim ban“ und der Klimamarsch vom 29. April zeigen, dass es möglich ist, Trump zu besiegen. Es steht enorm viel auf dem Spiel, nicht nur für die Leute in den USA, sondern für alle auf der ganzen Welt. In der aktuellen Situation ist der beste Weg zur Bekämpfung des Klimawandels, Trump zu besiegen. In allen Ländern sollten wir versuchen, an die Kämpfe in den USA anzuknüpfen. Die Frauenbewegung aus den USA hat einen internationalen Aufruf verfasst, sich dem Kampf vom 8. März anzuschliessen. Das ist ein Beispiel, das es weiter zu verfolgen gilt. Im selben Sinne müssen wir überall versuchen, Klimademonstrationen am 29. April zu organisieren. Natürlich nicht, um das Pariser Abkommen zu unterstützen, sondern um radikale ökosozialistische Forderungen zu präsentieren.
AAC: Da wir in einer Welt leben, die derart stark von menschlichen Aktivitäten modifiziert ist, sprechen vielen Wissenschaftler*innen davon, dass wir ein neues geologisches Zeitalter erreicht haben: das Anthropozän. [Der Begriff wurde erstmals 2001 vom niederländischen Meteorologen Paul Crutzen vorgeschlagen. Er verweist auf die Tatsache, dass die geologischen Prozesse mittlerweile derart stark von menschlichen Aktivitäten modifiziert werden, dass eine neue geologische Epoche angebrochen ist. Die wissenschaftliche Gemeinschaft der Geologinnen scheint sich darüber einig zu werden, dass das Jahr 1945 als Zeitpunkt festgelegt werden kann, in dem das Anthropozän das Holozän, welches vor ca. 10’000 Jahren begann, ablöste. Selbst wenn diese Tatsachen nicht geleugnet werden können, kritisieren einige den Begriff, weil er „den Mensch“ und nicht den Kapitalismus als Ursache für diese neue geologische Epoche definiert. A.d.R.] Welche Implikationen hat dies deiner Meinung nach für eine linke revolutionäre Strategie?
 DT: Das ist tatsächlich eine interessante Debatte. Die Wissenschaftler*innen sind der Meinung, dass das Anthropozän nach dem ersten Weltkrieg begonnen hat. Der Grund ist, dass erst von diesem Zeitpunkt an die menschlichen Aktivitäten geologische Veränderungen verursacht haben, wie beispielsweise die Erhöhung des Meeresspiegels, die nuklearen Abfälle, die Akkumulation von chemischen Molekülen, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht existiert haben und nahezu nicht abbaubar sind… Aus einer geologischen Perspektive kann dem nicht widersprochen werden: Der Zeitpunkt [1945] beruht auf objektiven Fakten. Aber dahinter stecken zwei soziale und politische Debatten: über die Mechanismen dieser objektiven Veränderung und über die strategischen Implikationen.
Die Debatte über die Mechanismen ist eine über die Gründe, weshalb die Menschheit die Umwelt zerstört. Natürlich ist der Kapitalismus die Hauptursache für diese Zerstörung: die Wachstumslogik, die Produktion von abstraktem Wert und die Maximierung des Profits, die unvereinbar ist mit der ökologischen Nachhaltigkeit. Das exponentielle Wachstum der Kurven, die verschiedene Aspekte der ökologischen Krise abbilden (Treibhausgasemissionen, Zerstörung der Ozonschicht, chemische Verschmutzung, Artensterben etc.) zeigen einen Wendepunkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Verbindung mit der langen Periode der kapitalistischen Expansion ist vollkommen offensichtlich. Die kapitalistische Ursache zu negieren und zu behaupten, dass nicht der Kapitalismus, sondern die Existenz des Homo Sapiens oder gar der Gattung des Homo für das Anthropozän verantwortlich ist, ist lächerlich.
Aber dies ist nicht die ganze Geschichte. Denn Umweltzerstörungen gab es auch vor dem Kapitalismus und sie wurden auf massive Weise durch nicht-kapitalistische Gesellschaften im 20. Jahrhundert verübt [Tanuro bezieht sich hier auf die Länder des Ostblocks. A.d.R.]. Es gibt gewisse Ähnlichkeiten mit der Frauenunterdrückung: diese Unterdrückung existierte vor dem Kapitalismus und bestand auch im sogenannten „real existierenden Sozialismus“ weiter. Die Schlussfolgerung ist in beiden Fällen dieselbe: Die Aufhebung des Kapitalismus ist eine notwendige Bedingung für die Befreiung der Frauen und für eine nicht ausbeuterische Beziehung zum Rest der Natur. Aber sie ist keine hinreichende Bedingung. Für die Frauenbefreiungskämpfe ist die Schlussfolgerung eine doppelte: Die Frauen benötigen eine autonome Bewegung und die Revolutionär*innen müssen eine sozialistische Perspektive in diese Bewegung hineintragen. Hier stossen wir auf die Grenzen des Vergleichs, denn selbstverständlich kann keine autonome Bewegung der Natur in den sozialen Debatten intervenieren.
Was muss daraus geschlossen werden? Dass sich einige Menschen im Namen der Natur in die sozialen Debatten einmischen müssen. Das ist es, was die Ökosozialist*innen aus einer antikapitalistischen Perspektive machen möchten. Somit ist der Ökosozialismus weit mehr als nur eine Strategie, um soziale und ökologische Fragen zu verbinden: es ist eine Zivilisationsprojekt, das die Entwicklung eines neuen ökologischen Bewusstseins anstrebt, eine neue Kultur in Bezug auf die Natur, eine neue Kosmogonie [Erklärungsmodelle von der Entstehung und Entwicklung der Welt, diese können auf mythischen oder auf rationellen wissenschaftlichen Ansätzen beruhen. A.d.R.].
Niemand kann den Inhalt eines solchen neuen Bewusstseins im Voraus bestimmen, aber ich denke, dass es den Respekt, die Sorge und die Sorgfalt als Richtlinien haben sollte. Wir wissen, dass die Menschheit ein enormes Herrschaftspotential hat. Das ist das Resultat unserer Intelligenz. Aber das Wort „Herrschaft“ kann auf zwei Arten verstanden werden: als Akt der Brutalität und der Aneignung zum einen, oder als Fähigkeit, schwierige Fragen zu verstehen und zu lösen. Wir müssen schnellstmöglich damit aufhören, die Natur im ersten Sinn zu beherrschen und damit beginnen, die Natur so zu beherrschen, wie eine Schülerin auch ein Wissen beherrscht. Wir haben viel Zerstörung verursacht, aber es gibt keinen Grund zu glauben, dass unsere Intelligenz nicht auch dafür benutzt werden könnte, zur Natur Sorge zu tragen und das wiederherzustellen, was wir zerstört haben. Im Gegensatz zu dem, was Jared Diamond sagt [In seinem Werk „Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“ geht Diamond davon aus, das sich vergangene Gesellschaften – z.B. auf den Osterinseln – aufgrund von Umweltzerstörung selbst zerstört haben. Diese Thesen wurden zum Teil empirisch widerlegt. Auch seine neomalthusianischen Ansichten wurden kritisiert. A.d.R.] haben andere Gesellschaften der Vergangenheit dank eines grossen Wissens über die Natur auf sehr kluge Weise ihrer Umwelt Sorge getragen.
Kurz, was wir benötigen ist nicht nur eine soziale Revolution, sondern auch eine kulturelle. Diese muss unmittelbar mit konkreten Verhaltensänderungen beginnen, was aber nicht nur eine Frage der rein individuellen Haltung ist. Die Veränderungen müssen gesellschaftlich gefördert werden und müssen durch konkrete Kämpfe vorangetrieben werden. Die Gesellschaften von Indigenen sind eine Quelle der Inspiration. Ich denke, dass die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen aus offensichtlichen Gründen in diesen Prozessen eine entscheidende Rolle spielen. Und auch die Frauen. Nicht weil sie „von Natur aus“ sorgsamer mit der Natur umgehen, sondern aufgrund ihrer spezifischen Unterdrückung. Erstens gewährleisten sie ein sehr wichtiger Anteil der landwirtschaftlichen Produktion und sind somit direkt von der Zerstörung der Natur betroffen. Zweitens sind sie aufgrund der patriarchalen Unterdrückung meistens für die Care-Arbeit innerhalb der Familie zuständig, was ihnen einen besonderen Blick auf die drei oben genannten Faktoren gewährt: der Respekt, die Sorge und die Sorgfalt.

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