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Am Rande vermerkt: Die Hirn-Chirurgen der Regierung

„Der Sicherheitsverbund Schweiz hat einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Extremismus ausgearbeitet“, hiess es gestern in den Medien (natürlich liegt der Fokus auf islamistischem Terror). Neben der Ausweitung von polizeilichen und geheimdienstlichen Mitteln sollen aber auch die Ursachen des Extremismus bekämpft werden.
Ursachen für religiösen Fundamentalismus und Terrorismus frag ich mich da, naja da fallen mir spontan einige ein: vielleicht liegt’s daran, dass die Schweiz Unmengen an Kriegsmaterial an Kriegsparteien liefert wie Saudi-Arabien? Dass Profite wichtiger sind als Menschenleben? Dass die imperialistische Politik des Westens viele Länder in Armut und Chaos zurücklässt? Daran, dass die kapitalistische Wirtschaft zwangsmässig Verlierer*innen und extreme Armut verursacht? Dass ein Kinderalltag mit Eltern ohne Geld vielleicht wütend und verzweifelt machen kann? Dass man einer unmenschlichen Situation versucht zu entfliehen, indem man irgendwelchen Paradiesversprechen nachrennt.
Gründe gibt’s offensichtlich viele und alle haben etwas gemein: sie gehen auf die kapitalistische Produktionsweise zurück und haben ihre Basis im System. Ob die Regierung der Schweiz dies ähnlich sieht? Natürlich nicht, der Vogel beschmutzt nicht sein eigenes Nest. Waffenexport und Krieg? Hey, es geht um Terror in der Schweiz und nicht anderswo. Kapitalistischer Alltag, der viele Verlierer schafft? Nein, bestes System, das es gibt.
Doch die Köpfe hinter dem Aktionsplan haben dennoch eine Ursache gefunden: Ausgrenzung und Gewalt. Da stimme ich ausnahmsweise mit ihnen überein. Orientierungslose, ausgegrenzte Menschen neigen manchmal dazu, sich eine Ersatz-Gemeinschaft zu finden, auch wenn diese noch so irr sein mag. Frustrierte Menschen neigen manchmal auch zu Gewalt. Für die Regierung ist deshalb klar, um Diskriminierung zu beenden, müssen Kinder lernen Nein zu sagen zu Ausgrenzung und Gewalt. Warum und wie Ausgrenzung entsteht, ist egal, Hauptsache man sagt nein.
Die Ursache liegt also im Endeffekt beim einzelnen Individuum und seiner Willensstärke. Wie ein Hirn-Chirurg findet die Regierung das Übel im Kopf der Menschen und nicht in der Gesellschaft. Schon wieder entziehen sie sich der Gretchenfrage, nämlich ob es sein kann, dass die kapitalistische Gesellschaft selbst Ausgrenzung hervorbringt und ob es vielleicht nicht andere, bessere Optionen gäbe, eine Gesellschaft zu organisieren. Warum können wir nicht alle friedlich zusammenleben? Warum gibt es Ausgrenzung und Gewalt? Warum so viele Verlierer*innen und so wenige Gewinner? Warum sind so viele Menschen mit dem Status quo unzufrieden? Solche Fragen müsste man stellen, aber damit läuft man Gefahr über die Erkenntnis zu stolpern: Kapitalismus ist ein Mist.
Der Kapitalismus erzeugt jeden Tag Armut, Unzufriedenheit, Ausgrenzung und eine Unmenge an Gewalt, ob in Form von Terroranschlägen oder Kriegen. Wenn wir die Ursachen also ernsthaft angehen wollen, kommen wir nicht darum herum, den Kapitalismus abzuschaffen. Das wird uns weder ein Aktionsplan noch die bürgerliche Regierung abnehmen. Wieder einmal heisst es: selber machen.
PS: Mich würde mal die Gewalt-Definition von Menschen interessieren, die ein Nein-Sagen zu Gewalt fordern und gleichzeitig für Waffenexporte sind. Vielleicht, weil die Waffen im Ausland zu Gewalt führen, wo’s nicht unsere eignen Sag-Nein-Zu-Gewalt-Kinder trifft? Oder vielleicht kommt’s auf eine redliche Haltung an, à la: Wenn das Kind Gewalt bejaht ist das schlimm, wenn ich Waffen verkaufe nicht, weil ich im Kopf Nein zu Gewalt gesagt habe, als ich sie verkauft habe? Vielleicht, so scheint es mir, haben sie sich auch einfach ihr Gehirn amputiert.
von Henri Ott
[Am Rande vermerkt] ist eine Serie von Kurzartikeln. Wir wollen damit tagesaktuelles Geschehen kommentieren, einordnen, auf Veränderungen aufmerksam machen. Eine konsequente linke, antikapitalistische Politik zeichnet sich unseres Erachtens nicht nur dadurch aus, die grossen Analysen abzuliefern. Vielmehr gehört es für uns dazu, auch kleinere, unscheinbare Entwicklungen, skandalöse Aussagen und Auffälliges einordnen zu können.
Die kurze Form, der eher flüchtige Charakter und die zeitliche Nähe, die allesamt diese Artikelserie ausmachen, führen dazu, dass die hier geäusserten Einschätzungen vorübergehend sein können und nicht zwangsläufig mit den Ansichten unserer Organisation übereinstimmen müssen. Die Autor*innen und die verwendeten Quellen sind deshalb jeweils gekennzeichnet. Textvorschläge sind jederzeit herzlich willkommen.

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