Zum einen steigt das Risiko unerwünschter Arzeneimittelwirkungen ab der Schwelle von 5 gleichzeitig verabreichten Medikamenten. Zum anderen führen die Schlafmittel häufig zur Verschlechterung des Gedächtnisses und zu erhöhter Sturzgefahr, was bei älteren Menschen frappante Folgen haben kann. Ausserdem entsteht bei Schlafmitteln häufig eine Abhängigkeit. Der kostenintensivste im Pflegeheim eingesetzte Wirkstoff ist Quetiapin, welcher für die Behandlung von Schizophrenie und bipolaren Störungen vorgesehen ist. In den Pflegeheimen werde dieses Neuroleptikum jedoch vorwiegend Patienten abgegeben, die unter Schlafstörungen, psychomotorischer Unruhe oder Verwirrtheitszuständen leiden.
Hier kommen zwei Probleme zum Vorschein, welche in der geldgetriebenen Gesellschaft, wie wir sie erleben, nicht unüblich sind. Erstens: Natürlich wollen Pharmakonzerne wie Novartis oder Bayer, dass ihre Medikamente verkauft werden, das bringt ihnen schliesslich einen grossen Umsatz. Also werden fleissig Verträge mit Ärztegruppen oder eben Heimen abgeschlossen, ganz egal, ob diese Medikamente die für die Patient*in gewünschte Wirkung zeigt. Dass ein Medikament richtig wirkt ist dem Pflegepersonal zwar wichtig, dieses befindet sich aber in einem Dilemma: Die Belastung der Pfleger*Innen ist riesig und oft sehen sie keine andere Möglichkeit, Patient*innen auf andere Weise als mit Beruhigungsmitteln zu betreuen.
Der enorme Druck auf das Pflegepersonal nimmt aber trotz dieser Erkenntnisse nicht ab – im Gegenteil. Durch Sparprogramme, Privatisierungen und Ökonomisierung der Pflegebranche sind Patient*innen zunehmend Geldanlagen. Es geht darum möglichst viele Menschen in möglichst wenig Zeit und mit möglichst wenig Personal zu betreuen, das ist nicht nur in Pflegeheimen, sondern auch in Spitälern und Kinderkrippen der Fall. Durch diese Entwicklungen kommen dann so abstruse Neuerungen durch, wie die neu eingeführten Fallpauschalen für öffentliche Spitäler, wo für einen Beinbruch nur noch ein halber Tag Spitalaufenthalt gerechnet wird, egal wie kompliziert der Bruch. Diese Ökonomisierung im Interesse der Pharmakonzerne und privaten Investoren, die sich die noch-öffentlichen Heime, Spitäler und Krippen immer schneller unter den Nagel reissen, bringt für die Patien*innen und Nutzer*innen dieser Dienste nur Nachteile, welche bis zur Gesundheitsgefährdung gehen.
Der Beitrag im Tagesanzeiger macht erneut darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, sich gegen die fortschreitenden Sparübungen, Privatisierungen und Ökonomisierungen in allen Lebensbereichen zu wehren, wenn wir nicht wollen, das betreuungsbedürftige Mitmenschen als Kapitalanlage gesehen und behandelt werden.
von Sarah Friedli
[Am Rande vermerkt] ist eine Serie von Kurzartikeln. Wir wollen damit tagesaktuelles Geschehen kommentieren, einordnen, auf Veränderungen aufmerksam machen. Eine konsequente linke, antikapitalistische Politik zeichnet sich unseres Erachtens nicht nur dadurch aus, die grossen Analysen abzuliefern. Vielmehr gehört es für uns dazu, auch kleinere, unscheinbare Entwicklungen, skandalöse Aussagen und Auffälliges einordnen zu können.
Die kurze Form, der eher flüchtige Charakter und die zeitliche Nähe, die allesamt diese Artikelserie ausmachen, führen dazu, dass die hier geäusserten Einschätzungen vorübergehend sein können und nicht zwangsläufig mit den Ansichten unserer Organisation übereinstimmen müssen. Die Autor*innen und die verwendeten Quellen sind deshalb jeweils gekennzeichnet. Textvorschläge sind jederzeit herzlich willkommen.