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Am Rande vermerkt: Der Landesstreik im Dokfilm. Eine Kritik

Am 8. Februar 2018 strahlte das Schweizer Fernsehen den Dokumentarfilm „Generalstreik 1918 – die Schweiz am Rande eines Bürgerkrieges“ aus. Der Film ist in vielen Punkten sehr informativ und gibt eine gute Einführung in die wohl grösste Erschütterung des Schweizer Staates im 20. Jahrhundert. Er zeigt deutlich, wie der Hunger und die Armut der Kriegsjahre die ArbeiterInnenschaft zur Aktion drängte. Trotzdem sind verschiedene Aspekte zu kritisieren. Für alle, die ihn schon gesehen haben, oder das noch tun werden.
– Der Titel «Generalstreik 1918 – die Schweiz am Rande eines Bürgerkriegs» ist höchst fragwürdig. Die Schweiz stand nicht vor einem Bürgerkrieg, dies im Titel zu suggerieren ist höchstens reisserisch, hat aber nicht viel mit der historischen Realität zu tun. Dass ein Bürgerkrieg noch weit entfernt war, wird dann zum Glück bereits in den ersten 20 Minuten des Films ausgeführt.
– Die ganze Geschichte wird rund um die Figur des SP-Parlamentariers und Arbeiterführers Robert Grimm erzählt. Die Tausenden von Arbeiter*innen, die sich der Streikbewegung anschlossen, werden durch die Dokumentation systematisch aussen vor gelassen. So wird zum einen ein klassisches Narrativ bedient, das Massenerhebungen wie der Generalstreik zum Werk einzelner Persönlichkeiten machen. Und auch wenn Robert Grimm sicherlich eine zentrale Rolle in den Auseinandersetzungen einnahm, so war er längst nicht die einzige Figur. Zum anderen werden die Arbeiter*innen als homogene Masse dargestellt, wodurch unterschiedliche strategische Ausrichtungen und verschiedene politische Sensibilitäten innerhalb der Arbeiter*innenschaft ausgeblendet werden.
– Richtig problematisch ist die komplette Abwesenheit der Frauen. Und wenn sie vorkommen, so meist als devote Hausfrauen, die ihren Ehemännern die Mahlzeit servieren. Dies entspricht selbstverständlich keineswegs der historischen Realität, denn Frauen spielten bei der Streikbewegung eine zentrale Rolle.
– Im Verlaufe der Doku kommt immer wieder die Russische Revolution zur Sprache. Und dabei wird dann richtig viel Blödsinn erzählt. Lenin und die Bolschewiki werden als reine Gewalttäter dargestellt, der progressive Charakter der Russischen Revolution wird komplett ignoriert. Dazu werden Bilder von Erschiessungen aus Russland gezeigt, wobei nicht mehr klar ist, wer da eigentlich wen erschiesst. Hier wird filmisch und erzählerisch mit Mitteln gearbeitet, die direkt aus dem Kalten Krieg zu stammen scheinen.
– Der Film zeigt deutlich die reaktionäre Rolle des Schweizer Militärs. Doch fokussiert er sich zu stark auf die Figur des Oberstdivisionärs Sonderegger, der während des Landesstreiks Platzkommandant in Zürich war. Andere Figuren, allen voran General Wille, der ebenfalls ein deutschfreundlicher Hetzer war, werden aussen vor gelassen. Zudem wird ganz verschwiegen, wie sich auch breite Spektren des Bürgertums in der Folge des Landesstreiks in ihren antikommunistischen Positionen bestätigt sahen. Ihrer reaktionären Haltung gaben sie in den 1920er Jahren zunehmend mit einer rassistischen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Politik Ausdruck. Doch der Film suggeriert fast das Gegenteil, wenn ausschliesslich erwähnt wird, wie die Arbeitgeber nach dem Streik zur Erkenntnis gelangten, dass es Verhandlungen mit den Gewerkschaften brauche. Als ob der Landesstreik alle Bürgerlichen endlich zur Vernunft gebracht hätte und sie von den Vorteilen des Sozialstaates überzeugt hätte…
– Der Film endet mit einem Ausblick auf die nach dem Landesstreik folgenden Entwicklungen. Hierbei wird insbesondere die Integration der SP in sozialpartnerschaftliche Verhandlungen bis hin zur Unterstützung der Schweizer Armee in den 1930er Jahren hervorgehoben. Dies ist tatsächlich ein entscheidender Punkt in der weiteren Entwicklung der Schweizer Arbeiter*innenbewegung. Doch gehen andere Strömungen der Arbeiter*innenbewegung, die sich einer solchen Entwicklung widersetzten, vergessen. Die Gründung der Kommunistischen Partei im Jahr 1921 mit dem ehemaligen Streikführer Fritz Platten wird beispielsweise nicht erwähnt. So wird eine Erzählung bemüht, welche das „sozialpartnerschaftliche“ Modell der Schweiz als notwendiger Ausgang der Geschichte darstellt. Der Landesstreik hingegen wirkt dann wie eine kuriose Ausnahme in einer ansonsten friedlichen Geschichte der Beziehung zwischen Arbeiter*innenschaft, Staat und Bürgertum.
– Einfach schwach sind dann natürlich die patriotischen Sätze am Schluss, als uns der alte Zopf verkauft wird, dass Bürgertum und die SP zusammen gegen den Faschismus gekämpft hätten, und deshalb die Schweiz vor Faschismus und Weltkrieg verschont geblieben sei.
– Das an einigen Stellen des Films vorherrschende Bild des Generalstreiks als „Ausnahme“ in einer ansonsten friedlichen Geschichte rührt auch daher, dass die Vorgeschichte des Streiks ungenügend erwähnt wird. Die Streikbewegungen in der Zeit vor dem Krieg und vor allem die zunehmenden hart geführten Klassenkämpfe während des Krieges sind Teil dieses grösseren Kontextes. Auch Marktaufstände und Hungermärsche, die in erster Linie von Frauen durchgeführt wurden, hätten in diesem Zusammenhang mindestens eine Erwähnung verdient gehabt. Aus dieser grösseren Perspektive wäre dann auch deutlich geworden, dass das Truppenaufgebot während des Landesstreiks kein absolutes Novum war und bereits zuvor die Armee zur Zerschlagung von lokalen Streikbewegungen aufgeboten wurde.
von Philipp Schmid und Matthias Kern (BFS Zürich)
[Am Rande vermerkt] ist eine Serie von Kurzartikeln. Wir wollen damit tagesaktuelles Geschehen kommentieren, einordnen, auf Veränderungen aufmerksam machen. Eine konsequente linke, antikapitalistische Politik zeichnet sich unseres Erachtens nicht nur dadurch aus, die grossen Analysen abzuliefern. Vielmehr gehört es für uns dazu, auch kleinere, unscheinbare Entwicklungen, skandalöse Aussagen und Auffälliges einordnen zu können.
Die kurze Form, der eher flüchtige Charakter und die zeitliche Nähe, die allesamt diese Artikelserie ausmachen, führen dazu, dass die hier geäusserten Einschätzungen vorübergehend sein können und nicht zwangsläufig mit den Ansichten unserer Organisation übereinstimmen müssen. Die Autor*innen und die verwendeten Quellen sind deshalb jeweils gekennzeichnet. Textvorschläge sind jederzeit herzlich willkommen.

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