SteuersünderInnen haben den deutschen Staat über Jahrzehnte hinweg um Geld betrogen. Das Handwerk konnte ihnen erst gelegt werden, nachdem drei Personen interne Dokumente einer Schweizer Bank an deutsche Gerichte weitergaben. Doch statt ihren deutschen Kollegen bei der Aufklärung des Steuerbetrugs beizustehen, wollen die Schweizer Behörden die drei Whistleblower ins Gefängnis bringen.
Wirtschaftsspionage und Verletzung des Bankgeheimnisses: Diese Taten wirft die Zürcher Staatsanwaltschaft drei Deutschen vor. Ihnen drohen im Falle einer Verurteilung Haftstrafen von mehr als drei Jahren, wie die „Zeit“ berichtet. Ihr Vergehen: Sie halfen, einen der grössten Steuerskandale in der deutschen Geschichte aufzuklären. Den sogenannten Cum-Ex-Skandal.
Doch von vorne: Über viele Jahre hinweg haben Banker und Juristen den deutschen Staat und somit die Allgemeinheit um Steuergeld betrogen. Und zwar um sehr viel Steuergeld. Die ganze Dimension des Betrugs war erst im vergangenen Jahr bekannt geworden. Von 5,3 Milliarden Euro ist dabei inzwischen offiziell die Rede. Und laut dem finanzpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion im deutschen Bundestag könnte das Volumen sogar noch höher, nämlich bei 10 Milliarden Euro liegen.
Wie gingen die SteuerbetrügerInnen genau vor? Im Rahmen sogenannter Cum-Ex-Deals schoben AnlegerInnen rund um den Stichtag für die Dividende Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Anspruch auf eine solche Ausschüttung innert kurzer Zeit zwischen mehreren Personen hin und her. Mit dieser Taktik verwirrten sie das deutsche Steueramt. Schliesslich war dem Fiskus nicht mehr klar, wem die Anteilsscheine überhaupt gehörten. Die Konsequenz: Bescheinigungen für eine Rückerstattung der Kapitalertragsteuer wurden mehrfach ausgestellt, obwohl die Steuer nur einmal gezahlt wurde.
Doch was hat das mit der Schweiz zu tun? Hintergrund der Anklage der Schweizer Staatsanwaltschaft gegen die drei Deutschen – ein Stuttgarter Anwalt sowie zwei ehemalige Angestellte der Schweizer Bank J. Safra Sarasin – ist eine Auseinandersetzung zwischen dem Finanzinstitut und dem deutschen Milliardär Erwin Müller. Dieser war von der Sarasin dazu überredet worden, in Cum-Ex-Geschäfte zu investieren – nicht wissend, dass diese rechtlich problematisch sind.
Es kam schliesslich zu einem Rechtsstreit zwischen Müller und der Bank, den der Milliardär gewinnen konnte – auch deshalb, weil die zwei genannten ehemaligen Sarasin-Angestellten ihn und seinen Anwalt mit internen Dokumenten der Bank über die Cum-Ex-Deals versorgten. Der Anwalt nahm die belastende Unterlagen entgegen, nutzte sie für den Rechtsstreit und übergab sie schliesslich den deutschen Behörden und Steuerfahndern. Dort wurden sie zum zentralen Baustein zur Aufdeckung der krummen Cum-Ex-Geschäfte, die nicht nur die Schweizer Bank, sondern auch viele deutsche Banken, Anwälte oder Berater betrieben hatten.
Doch wer nun denkt, dass es eine normale Reaktion wäre, sich darüber zu freuen, dass zwei Bankarbeiter sich als Whistleblower betätigt haben, um kriminelle Machenschaften zu beenden, der hat nicht mit der Schweizer Justiz gerechnet. Bereits 2015 gab das Schweizer Justizministerium der Staatsanwaltschaft Zürich den Auftrag, gegen die beiden Whistleblower sowie gegen den Anwalt von Milliardär Müller zu ermitteln. Ihnen drohen im Falle einer Verurteilung nun – wie erwähnt – drei Jahre Haft wegen Verletzung des Bankgeheimnisses.
Das geradezu groteske Fazit: Hierzulande ist der- oder diejenige der/die VerbrecherIn, die/der dazu beiträgt, Steuerbetrug zu vermeiden. Eine krassere Bevorzugung sowie ein Schutz reicher SteuersünderInnen sind eigentlich kaum vorstellbar. Im Schweizer Staat wird damit Recht nach normalem Verständnis zu Unrecht und umgekehrt Unrecht zu Recht.
von Georg Lobo
Die kurze Form, der eher flüchtige Charakter und die zeitliche Nähe, die allesamt diese Artikelserie ausmachen, führen dazu, dass die hier geäusserten Einschätzungen vorübergehend sein können und nicht zwangsläufig mit den Ansichten unserer Organisation übereinstimmen müssen. Die Autor*innen und die verwendeten Quellen sind deshalb jeweils gekennzeichnet. Textvorschläge sind jederzeit herzlich willkommen.