Pro Jahr werden in der Schweiz rund 800‘000 Personen bei Kontrollen im öffentlichen Verkehr ohne gültigen Fahrausweis erwischt. Die Zahl an sogenannten „Schwarzfahrten“ wird auf jährlich über 60 Millionen geschätzt. Nun wollen die schweizerischen Verkehrsbetriebe ein „nationales Schwarzfahrerregister“ einführen, damit Personen, die in verschiedenen Verkehrsnetzen ohne Billet kontrolliert wurden, einfacher als „Mehrfachtäter“ identifiziert und dementsprechend härter bestraft werden können. Das Parlament legte bereits 2014 mit den Stimmen der Sozialdemokratie die Grundlage für eine derartige Datenbank. „Schwarzfahrer“ sollen also systematischer verfolgt und bestraft werden, dabei ist es entscheidend zu sehen, wen diese Massnahme konkret trifft.
Schwarzfahren als Armutsdelikt
„Schwarzfahren“ hat nichts mit krimineller Energie oder jugendlicher Abenteuerlust zu tun, wie es oft in den Medien dargestellt wird. Das Fahren ohne gültigen Fahrausweis ist ein klassisches Armutsdelikt. Das belegen Zahlen aus Deutschland. Fast 60% der Menschen, die wegen „Schwarzfahren“ verurteilt werden, sind Hartz IV Bezüger*innen, 21% sind obdachlos und 13% entweder Alkohol- oder Drogenabhängig. Deutschland zeigt auch, wie weit die Verfolgung gegen „Schwarzfahren“ gehen kann. Einige Gefängnisse im Rot-Grün regierten Berlin etwa sind bis zu einem Drittel mit „Schwarzfahrern“ gefüllt; in ganz Deutschland sitzen derzeit etwa 5000 Menschen im Knast, nur weil sie sich die ÖV-Billets nicht leisten können, aber trotzdem mobil sein wollen. Ein besonders tragischer Fall ereignete sich im Januar in der JVA Plötzensee, wo eine Person, die wegen „Beförderungserschleichung“ verurteilt wurde, Selbstmord beging. Derartige Gefängnisstrafen und Einträge in Strafregister machen es für Menschen, die oft in finanziell sehr angespannten Situationen leben, noch schwieriger, eine Arbeit zu finden. Zudem werden sie in ihrem Recht auf Mobilität eingeschränkt und zunehmend isoliert.
Die Reichen lässt man machen, die Armen werden verfolgt
Auch in der scheinbar flächendeckend reichen Schweiz ist „Schwarzfahren“ eng mit Armut verbunden. Die SBB meldete 2016, dass über 300‘000 Personen ihre Bussgelder nicht zahlen konnten. Für die Betroffenen heisst das Beitreibung, im schlimmsten Fall ist auch eine Haftstrafe möglich. Einträglich sind die Bussen für die Verkehrsbetriebe aber nicht, der bürokratische Aufwand und die zunehmenden Kontrollen fressen weitaus mehr Geld weg, als durch die Bussen wieder eingenommen werden. So macht auch aus einer bürgerlichen Logik die Ausweitung und Koordination der Bussen nur als eine Massnahme zur weiteren Stigmatisierung von Armut und zu einem weiteren Schritt im staatlichen Kampf gegen Arme Sinn. Am Umgang mit „Schwarzfahrern“ lässt sich auch zeigen, inwiefern das manchmal etwas altbacken daherkommende Gerede von „Klassenjustiz“ nichts an seiner Aktualität verloren hat. Am Tag als die Information über das neue „Schwarzfahrregister“ in den Medien bekannt wurde, konnte man auch vom neuerlichen Korruptionsskandal bei der Novartis oder, wie es ironischer kaum sein könnte, bei den „Postautos“ lesen. Ob die Verantwortlichen, die Millionen an Geldern veruntreut haben, von Politik und Justiz wohl ähnlich skrupellos und koordiniert verfolgt werden wie Leute, denen das Geld für ein ÖV-Billet fehlt? Ich denke wir kennen die Antwort. Ein Grund mehr, um endlich mit diesem Klassensystem zu brechen und mobil zu machen für eine solidarische Zukunft.
von Victor Jara
Schwarzfahren als Armutsdelikt
„Schwarzfahren“ hat nichts mit krimineller Energie oder jugendlicher Abenteuerlust zu tun, wie es oft in den Medien dargestellt wird. Das Fahren ohne gültigen Fahrausweis ist ein klassisches Armutsdelikt. Das belegen Zahlen aus Deutschland. Fast 60% der Menschen, die wegen „Schwarzfahren“ verurteilt werden, sind Hartz IV Bezüger*innen, 21% sind obdachlos und 13% entweder Alkohol- oder Drogenabhängig. Deutschland zeigt auch, wie weit die Verfolgung gegen „Schwarzfahren“ gehen kann. Einige Gefängnisse im Rot-Grün regierten Berlin etwa sind bis zu einem Drittel mit „Schwarzfahrern“ gefüllt; in ganz Deutschland sitzen derzeit etwa 5000 Menschen im Knast, nur weil sie sich die ÖV-Billets nicht leisten können, aber trotzdem mobil sein wollen. Ein besonders tragischer Fall ereignete sich im Januar in der JVA Plötzensee, wo eine Person, die wegen „Beförderungserschleichung“ verurteilt wurde, Selbstmord beging. Derartige Gefängnisstrafen und Einträge in Strafregister machen es für Menschen, die oft in finanziell sehr angespannten Situationen leben, noch schwieriger, eine Arbeit zu finden. Zudem werden sie in ihrem Recht auf Mobilität eingeschränkt und zunehmend isoliert.
Die Reichen lässt man machen, die Armen werden verfolgt
Auch in der scheinbar flächendeckend reichen Schweiz ist „Schwarzfahren“ eng mit Armut verbunden. Die SBB meldete 2016, dass über 300‘000 Personen ihre Bussgelder nicht zahlen konnten. Für die Betroffenen heisst das Beitreibung, im schlimmsten Fall ist auch eine Haftstrafe möglich. Einträglich sind die Bussen für die Verkehrsbetriebe aber nicht, der bürokratische Aufwand und die zunehmenden Kontrollen fressen weitaus mehr Geld weg, als durch die Bussen wieder eingenommen werden. So macht auch aus einer bürgerlichen Logik die Ausweitung und Koordination der Bussen nur als eine Massnahme zur weiteren Stigmatisierung von Armut und zu einem weiteren Schritt im staatlichen Kampf gegen Arme Sinn. Am Umgang mit „Schwarzfahrern“ lässt sich auch zeigen, inwiefern das manchmal etwas altbacken daherkommende Gerede von „Klassenjustiz“ nichts an seiner Aktualität verloren hat. Am Tag als die Information über das neue „Schwarzfahrregister“ in den Medien bekannt wurde, konnte man auch vom neuerlichen Korruptionsskandal bei der Novartis oder, wie es ironischer kaum sein könnte, bei den „Postautos“ lesen. Ob die Verantwortlichen, die Millionen an Geldern veruntreut haben, von Politik und Justiz wohl ähnlich skrupellos und koordiniert verfolgt werden wie Leute, denen das Geld für ein ÖV-Billet fehlt? Ich denke wir kennen die Antwort. Ein Grund mehr, um endlich mit diesem Klassensystem zu brechen und mobil zu machen für eine solidarische Zukunft.
von Victor Jara
[Am Rande vermerkt] ist eine Serie von Kurzartikeln. Wir wollen damit tagesaktuelles Geschehen kommentieren, einordnen, auf Veränderungen aufmerksam machen. Eine konsequente linke, antikapitalistische Politik zeichnet sich unseres Erachtens nicht nur dadurch aus, die grossen Analysen abzuliefern. Vielmehr gehört es für uns dazu, auch kleinere, unscheinbare Entwicklungen, skandalöse Aussagen und Auffälliges einordnen zu können.
Die kurze Form, der eher flüchtige Charakter und die zeitliche Nähe, die allesamt diese Artikelserie ausmachen, führen dazu, dass die hier geäusserten Einschätzungen vorübergehend sein können und nicht zwangsläufig mit den Ansichten unserer Organisation übereinstimmen müssen. Die Autor*innen und die verwendeten Quellen sind deshalb jeweils gekennzeichnet. Textvorschläge sind jederzeit herzlich willkommen.
Die kurze Form, der eher flüchtige Charakter und die zeitliche Nähe, die allesamt diese Artikelserie ausmachen, führen dazu, dass die hier geäusserten Einschätzungen vorübergehend sein können und nicht zwangsläufig mit den Ansichten unserer Organisation übereinstimmen müssen. Die Autor*innen und die verwendeten Quellen sind deshalb jeweils gekennzeichnet. Textvorschläge sind jederzeit herzlich willkommen.