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Am Rande vermerkt: Über Krawalle und schlechte historische Vergleiche

Die Ankündigung, dass der US-Präsident Donald Trump am diesjährigen World Economic Forum (WEF) in Davos teilnehmen wird, gab den totgeglaubten Anti-WEF-Protesten wieder diejenige mediale Öffentlichkeit, die sie verdienen. An der Gegenveranstaltung «Das Andere Davos» in Zürich nahmen am 12./13. Januar 2018 insgesamt 850 Personen teil. Die gleichentags stattfindende Anti-WEF-Demonstration in Bern versammelte 1000 Teilnehmer*innen. Die angekündigte Demonstration «Trump not welcome» vom 23. Januar 2018 wird nun sogar als «die grösste Anti-WEF-Demo seit Jahren» verhandelt.
Sichtlich verwundert machte sich die gesamte bürgerliche Presse daran, die Geister der Krawalle am Zürcher Hauptbahnhof 2001 in Erinnerung zu rufen, um die Proteste zu delegitimieren. Damals verweigerte die Polizei in Landquart den Anti-WEF-Demonstrant*innen die Anreise nach Davos und schickte sie nach stundenlanger – und rechtswidriger – Kontrolle und Fichierung bei Eiseskälte wieder nach Zürich zurück. Als die Demonstrant*innen am Zürcher HB ankamen und es aufgrund der Abwesenheit der Zürcher Polizei möglich war, die Demonstration rund um den HB und die Bahnhofsstrasse nachzuholen, kam es – nicht wirklich überraschend – auch zu Sachbeschädigungen und Konfrontationen mit der anrückenden Polizei.
Nun wird diese eine Demonstration stellvertretend für die gesamte Anti-Globalisierungsbewegung herangezogen. Eine ganze, sehr vielfältige soziale Bewegung, die über Jahre andauerte und bis heute weiterlebt, wird so auf ein einziges Ereignis reduziert.
Diese falsche, politisch bewusst getätigte historische Reduzierung ist ebenso schlecht, wie die Weigerung der Journalist*innen, die damalige Polizei-Schikane in Landquart zu nennen, welche zum Grossteil für die Wut der Demonstrant*innen und die Krawalle verantwortlich war. Noch viel schlechter ist allerdings der historische Vergleich an sich. Seit 2001 sind nun 17 Jahre vergangen. 17 Jahre! Seither hat sich – abgesehen von der Eigenartigkeit des jeweiligen US-Präsidenten – eine ganze Menge verändert. Damals, zur Blütezeit der Anti-Globalisierungsbewegung und ein halbes Jahr vor den massiven Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua, waren die politische Stimmung in Bezug auf das WEF und andere Gipfeltreffen aufgeladen und die heutigen Journalist*innen möglicherweise noch Demonstrant*innen.
Stellen wir uns vor, eine Gruppe von Studierenden hätte 1985 eine Demonstration in Zürich angekündigt (die Chance ist gross, dass dies sogar passiert ist). Ausser ein paar unbelehrbaren Reaktionären wäre es wohl nicht einmal der Polizei oder den bürgerlichen Medien in den Sinn gekommen, öffentlich das Gespenst der Zürcher «Globuskrawalle» von 1968 in Erinnerung zu rufen, um so die Demonstration zu verunglimpfen?! Niemand hätte solch absurde Vergleiche ernst genommen.
Obwohl sich seit 2001 viel verändert hat, blieb auch einiges gleich. Insbesondere die sozioökonomische Struktur des Kapitalismus und die Probleme, die sie verursacht, hat sich in ihren Grundzügen nicht verändert. Deshalb bleiben auch die Anti-WEF-Proteste legitim, ja sie sind sogar notweniger denn je.
von Philipp Schmid (BFS Zürich)
[Am Rande vermerkt] ist eine Serie von Kurzartikeln. Wir wollen damit tagesaktuelles Geschehen kommentieren, einordnen, auf Veränderungen aufmerksam machen. Eine konsequente linke, antikapitalistische Politik zeichnet sich unseres Erachtens nicht nur dadurch aus, die grossen Analysen abzuliefern. Vielmehr gehört es für uns dazu, auch kleinere, unscheinbare Entwicklungen, skandalöse Aussagen und Auffälliges einordnen zu können.
Die kurze Form, der eher flüchtige Charakter und die zeitliche Nähe, die allesamt diese Artikelserie ausmachen, führen dazu, dass die hier geäusserten Einschätzungen vorübergehend sein können und nicht zwangsläufig mit den Ansichten unserer Organisation übereinstimmen müssen. Die Autor*innen und die verwendeten Quellen sind deshalb jeweils gekennzeichnet. Textvorschläge sind jederzeit herzlich willkommen.

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