So wie ca. 220’000 Personen in der Schweiz arbeite ich im Gesundheitswesen. Unsere Arbeitsbedingungen sind prekär. Wir müssen unter konstanter Infektionsgefahr unzählige Überstunden leisten, wir sollen Menschen in äusserst schwierigen Lebenssituationen begleiten, wir sollen den Einsamen beim Sterben beistehen, dazu noch unter ständigem Kosten- und Ressourcendruck entscheiden, wer welche Behandlung (noch) bekommt, und schliesslich, wenn die bezahlte Arbeit in Spitex/Spital/Praxis/Heim(etc.) fertig ist, sollen wir uns noch unbezahlt um die Gesundheitsanliegen unserer Bekannten kümmern.
Durch die aktuelle Corona-Krise haben diese Ansprüche an uns sicherlich noch zugenommen, aber sie haben schon lange zu unserem Alltag gehört.
Denn auch zuvor arbeiteten viele von uns am im Gesundheitsbereich am Limit des Zumutbaren, für uns und die Patient*innen. Was sich jedoch jetzt schlagartig geändert hat, ist die gesellschaftliche Anerkennung, die wir für unsere Arbeit bekommen. Plötzlich werden wir nicht mehr nur als Kostenfaktor in einem angeblich zu teuren Gesundheitssystem angesehen. Nein, plötzlich sind wir Held*innen, die beklatscht werden.
Natürlich sind wir dankbar für die Anerkennung und Solidarität, doch ehrlich gesagt, kommt sie etwas spät und hinterlässt das komische Gefühl, dass uns die Solidarität nur im Ausnahmezustand zusteht.
Ja, ich störe mich am Begriff der Held*in. Wenn wir als öffentlich Held*innen bezeichnet werden, schwingt die Aufforderung mit, dass wir jetzt Held*innen sein müssen, sprich dass wir jetzt Übermenschliches leisten müssen und dies noch mit erhobenem Haupt und wehendem Umhang (oder Pflegekittel). Wer diesem offensichtlich übertriebenen Anspruch nicht genügt, im Anblick der Krise Angst hat, nicht noch mehr arbeiten will oder kann, oder lieber zu Hause bleiben will, um die einem Nahestehenden zu schützen, gilt automatisch als schwach oder gar unsolidarisch, auch wenn dies nicht offen ausgesprochen wird. Die Folgen des enormen psychischen Druckes, der gerade auf uns Gesundheitspersonal liegt, zeigt sich in Italien, wo die Suizidrate beim Pflegepersonal besorgniserregend zunimmt.
Zum anderen beschreibt der Begriff Held*in Menschen, die sich selbst und damit ihre Zeit sowie körperliche und psychische Integrität, für das Gemeinwohl opfern. Als Dank bekommen sie Ruhm und Ehre, oder wie jetzt: Applaus aus den Fenstern.
Um es klarzustellen: Wir wollen keine Held*innen sein! Denn Ruhm schützt uns nicht vor einer Ansteckung mit dem Virus, wir können die Miete nicht mit Ehre bezahlen und das Klatschen führt leider nicht direkt dazu, dass wir genügend Personal und Material haben, um unsere Patient*innen so zu betreuen, wie wir es als nötig empfinden.
Dass jetzt von uns Übermenschliches verlangt wird, macht der Bund durch eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen klar: 6 Monate unser Arbeitsschutzgesetz ausser Kraft setzen? Kein Problem! Das heisst zum Beispiel konkret, dass gesetzlich vorgeschriebene Ruhe- und Arbeitszeiten ausser Kraft gesetzt werden, dass wir trotz Vorerkrankungen gezwungen werden, weiter zu arbeiten, oder dass tägliche Arbeitsschichten von 12 Stunden die Norm werden könnten.
Von uns wird Unmögliches verlangt, wir verlangen von euch durchaus Mögliches: Dass sich eure Solidarität jetzt auch praktisch zeigt und vor allem, dass sie die aktuelle Krise übersteht.
Das heisst kurzfristig, dass ihr wenn möglich zuhause bleibt und helft, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen. Das heisst auch, dass ihr uns die unbezahlte Sorgearbeit, die wir sonst leisten, möglichst versucht abzunehmen. Das heisst aber auch, dass ihr uns in unseren Forderungen unterstützt: zum Beispiel, dass endlich alle nicht lebensnotwendigen Wirtschaftssektoren pausiert werden (zum Beispiel Bauarbeiten etc.) und dafür Schutzmaterial für die ganze Bevölkerung schnellstmöglich bereitgestellt wird (sei es durch den Zugriff auf Reserven von Privatkliniken oder durch die Umnutzung von Produktionspotenzialen).
Das heisst schlussendlich, dass ihr uns in unseren Arbeitskämpfen unterstützen müsst. Die aktuelle Wirtschaftskrise wird bestimmt wieder dazu führen, dass neue Sparmassnahmen auf Kosten unserer Arbeitsbedingungen sowie unser aller Gesundheit durchgedrückt werden sollen. Genau da brauchen wir eure Solidarität um diese abzuwenden und das Gesundheitssystem nicht weiter ab-, sondern auszubauen. Bekämpfen wir jegliche Privatisierung des Gesundheitssystems, welche Gesundheit nur für Reiche bietet. Kämpfen wir für eine Vergesellschaftung des Gesundheitswesens und machen es dadurch zugänglich und qualitativ hochstellend für uns alle. Verwirklichen wir ein für allemal die Forderung: Gesundheit ist keine Ware.
Und das heisst ebenso, sich dafür einzusetzen unser Wirtschaftssystem in ein solches zu transformieren, in welchem die Bedürfnisse, die Sicherheit und das Wohlergehen der Menschen an oberster Stelle stehen, nicht der Profit!
von Marco Fischer