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Warum die Parole „Krieg dem Krieg“ deplatziert und falsch ist

An den hiesigen Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine ist von linker Seite immer wieder die Parole „Krieg dem Krieg“ zu hören. Diese Forderung ist nicht nur fehl am Platz, sondern offenbart auch eine völlig unrealistische Einschätzung der Lage und ein verkehrtes Verständnis von Antiimperialismus.

Erstens: Die Parole ist unsensibel gegenüber Kriegsopfern, Kriegsflüchtlingen und allgemein der ukrainischen Zivilbevölkerung, die sich alle garantiert nicht Krieg, sondern Frieden wünschen.

Zweitens: Ist mit der Parole gemeint, dass man gegen alle Kriege egal von welcher Seite ist? Falls ja, ist das eine Verharmlosung und Fehleinschätzung der realen Geschehnisse in der Ukraine. Zurzeit führen nicht „beide Seiten Krieg“, sondern Russland führt einen brutalen Angriffskrieg. Dahinter versteckt sich ein völlig falsches Verständnis von Antiimperialismus, das die heutige Welt wie zur Zeit des Kalten Krieges in zwei Blöcke einteilt – und im schlimmsten Fall sogar noch zur stalinistischen Schlussfolgerung führt, dass der Feind meines Feindes mein Freund ist, wie das zum Beispiel im Syrienkrieg bei vielen Linken der Fall war, die aus Ablehnung gegenüber der US-Intervention den Diktator und Schlächter Assad unterstützt haben.

Drittens: Oder ist mit der Parole gemeint, dass man gegen den russischen Angriffskrieg ist und diesem mit Krieg begegnen möchte? Ist man also dafür, dass die NATO angreift, denn das wäre die einzig realistische Macht, die dem Krieg tatsächlich mit Krieg begegnen könnte? Das kann keine linke Position sein, denn dies würde den Rest des europäischen Kontinents auch militärisch in den Konflikt reinziehen und die russischen Aggressionen unweigerlich eskalieren lassen. Dies wird aber auch garantiert nicht von den Parolenrufer:innen gefordert.

Viertens: Oder ruft man diese Parole einfach, weil man halt gegen Krieg ist und sich eine Welt des Friedens wünscht? Dann ist die Parole sinnentleert und ahistorisch. Diese Art von Losungen erinnern an die revolutionäre Antikriegspropaganda aus dem 1. Weltkrieg. Der russische Revolutionär Lenin sagte damals, man müsse den imperialistischen Krieg in einen revolutionären Krieg gegen die eigenen nationalen Bourgeoisien umdrehen. Der deutsche Kommunist Karl Liebknecht prägte die antiimperialistische Losung „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“. Diese Parolen sind heute allerdings komplett entkontextualisiert. Denn erstens steht die sozialistische Weltrevolution zurzeit nicht auf der Tagesordnung und zweitens bekriegen sich heute eben nicht wie 1914 mehrere imperialistische Mächte direkt. Russland führt einen einseitigen Angriffskrieg gegen einen Nachbarstaat.

Fünftens: Oder beruft man sich vor allem auf den zweiten Teil der Parole „Kampf dem Kapital bis der Friede siegt“? Auch das würde nicht den realen Problemen entsprechen. Natürlich geht es Putin um den Ausbau seines geopolitischen Einflusses und im Endeffekt auch darum, dem russischen Kapital die ökonomische Einflusssphäre zu erweitern. In wirtschaftlicher Hinsicht aber werden Russland und auch grosse Teile des russischen Kapitals kurz- und wohl auch mittelfristig nicht vom Krieg profitieren. Im Gegenteil, die Inflation steigt markant an und führt zur Verarmung der russischen Lohnabhängigen, einigen russischen Banken droht unter anderem wegen den Sanktionen bereits die Zahlungsunfähigkeit, die Betreibergesellschaft der Gaspipeline Nord Stream 2 mit Sitz in Zug hat bereits eine Woche nach Kriegsbeginn Konkurs anmelden müssen.

Der Linken ist gut geraten, in so unsicheren und beängstigenden Zeit ihre Parolen, Losungen und Forderungen sorgfältig zu wählen. Unter dem Druck des invasorischen Kriegszuges müssen diese zurzeit vom tatsächlichen Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung und deren Recht auf nationale Selbstbestimmung sowie der internationalen Solidarität her gedacht werden:

a) Sofortiger Rückzug der russischen Truppen vom ganzen Territorium der Ukraine
b) materielle und politische Unterstützung der ukrainischen Zivilbevölkerung sowie der demokratischen, feministischen, ökologischen und sozialistischen Kräften im Land
c) Öffnung der europäischen Grenzen für alle Geflüchteten
d) weltweite Denuklearisierung statt irrwitzige Aufrüstungspläne

von Philipp Gebhardt (BFS Zürich)

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