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Schweiz: Für einen Frauen*streik am 14. Juni 2019! Kämpfen wir gemeinsam für eine Gesellschaft ohne Diskriminierung!

Knapp 30 Jahre nach dem ersten und bislang letzten Frauenstreik in der Schweiz 1991 ist ein zweiter umfassender Frauen*streik bitter nötig. Die von den Gewerkschaften organisierte Demonstration für Lohngleichheit am 22. September 2018 in Bern ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Warum wir mehr denn je auf feministische Forderungen pochen müssen, und warum der Kampf gegen die patriarchale Unterdrückung sich auch gegen die kapitalistischen Ausbeutungsstrukturen richten muss, soll im Folgenden dargelegt werden. (Red.)

von BFS/MPS

Lohngleichheit nur auf dem Papier

Schon 1981 wurde in der Schweiz ein Verfassungsartikel aufgenommen, der die «rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit»[1] garantieren sollte. Gestützt auf diesen Artikel wurde 1995 das Gleichstellungsgesetz erlassen und die Gleichbehandlung der Geschlechter erneut bekräftigt – auch in Bezug auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

Doch noch heute verdienen Frauen*[2]  laut Bundesamt für Statistik im Schnitt 18% weniger als Männer*.[3] Davon sind 10 Prozent «erklärt». Erklärt damit, dass Frauen* zum Beispiel eher in Niedriglohnsektoren arbeiten und weniger gut ausgebildet sind, weniger Boni erhalten oder schlechter entlohnte Tätigkeiten ausüben. Die restlichen 8% bleiben «unerklärt».

Es lohnt sich, genauer hinzuschauen, um die nach wie vor vorhandene Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu verstehen. Wieso arbeiten weniger Frauen* in Kaderstellen und mehr im Niedriglohnsektor? Warum arbeiten viele Frauen* nur Teilzeit und warum sind sie weniger gut ausgebildet?

Ursachen und Formen der Ungleichheit

Tatsächlich durchzieht die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern alle Lebensbereiche unserer Gesellschaft: Erwerbsleben, unbezahlte Pflege-, Erziehungs- und Hausarbeit, Familie, Freizeit. Da Frauen* bis heute einen Grossteil der Hausarbeit, der Kindererziehung sowie der Pflege anderer Familienangehöriger übernehmen, ist es nur logisch, dass sie häufiger Teilzeit arbeiten. Dies entspricht auch dem nach wie vor klassischen Familienmodell in der Schweiz, wonach in erster Linie der Mann fürs Geldverdienen zuständig ist. Die Verpflichtungen und Aufgaben, die mit einer Schwangerschaft und der Kindererziehung einhergehen, machen es für Frauen* wiederum schwieriger, eine aussichtsreiche Stelle zu erhalten und beruflich aufzusteigen. Die klassische Arbeitsteilung zuhause wirkt sich somit auch auf das Erwerbsleben aus. Frauen* werden gerade in Bewerbungsgesprächen – obwohl dies eigentlich verboten ist – immer wieder nach der Familienplanung gefragt. Es geht keine*n zukünftige*n Arbeitgeber*in etwas an, wie es um die eigene Familienplanung steht!

Auf dem Arbeitsmarkt werden Berufe in der Reinigungsbranche sowie dem Sozial- und Gesundheitswesen mehrheitlich von Frauen* ausgeübt. Dies, weil sie gesellschaftlich als «typisch weibliche» Tätigkeiten gelten. Es wird behauptet, Frauen* hätten natürlicherweise mehr Empathie und könnten dadurch bessere Pflegerinnen sein oder Frauen* wären von Natur aus reinlicher und würden gerne putzen. Aufgrund dieser «Naturalisierung» werden die Arbeiten als weniger wertvoll angesehen, weshalb sie schlecht entlohnt und mit unsicheren Arbeitsbedingungen verbunden sind. Doch es gibt keine «natürlichen Tätigkeiten». Frauen* können nicht besser putzen und sind auch nicht von Natur aus empathischer als Männer*. Sondern Kinder werden von Geburt an als «Mädchen» oder «Jungen» bezeichnet und dementsprechend erzogen. Dies zeigt sich in der Erziehung, in der Schule, in der beruflichen Ausbildung oder auch in der Freizeit.

Diese Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wirkt sich negativ auf die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen* aus. So ist die Arbeitslosenquote von Frauen* höher als diejenige der Männer* und auch die Mehrheit der Sozialhilfebezüger*innen sind Frauen* – unter ihnen viele alleinerziehende Mütter. Frauen* erhalten im Schnitt ein Drittel weniger Rente als Männer*. Die Mehrheit der Menschen, deren Renten alleine aus der AHV bestehen und die auf Ergänzungsleistungen angewiesen sind, sind ebenfalls weiblich. Somit sind Frauen* aufgrund der strukturellen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt sehr viel stärker dem Problem der Armut ausgesetzt als Männer*.

Neoliberalismus verstärkt die Geschlechterungleichheit

Die neoliberale Spar- und Kürzungspolitik der letzten Jahrzehnte verstärkt die Geschlechterungleichheit und erhöht den Druck auf Frauen*. Durch Sparprogramme und sogenannte Restrukturierungen werden viele zuvor von der Öffentlichkeit geleistete Aufgaben wieder zurück an Frauen* delegiert. Egal ob Spielgruppen geschlossen oder Patient*innen früher aus dem Krankenhaus entlassen werden, in den meisten Fällen springen Frauen* dafür ein.

Mit dem neoliberalen Dogma von Selbstoptimierung und «du kannst alles schaffen, wenn du wirklich willst» stehen Frauen* heutzutage immer mehr unter dem Druck, Familie und einen möglichst guten Job unter einen Hut zu bringen, also faktisch 200% zu arbeiten. Infolge dessen wird in Haushalten, in denen Frauen* zu 100% erwerbstätig sind und sich folglich weniger um die Hausarbeit und Kinderbetreuung kümmern können, die anstehende Arbeit häufig nicht von Männern* erledigt, sondern an – meist migrantische – Haushaltsgehilf*innen delegiert. Dass deren Löhne und Arbeitsbedingungen oft schlecht sind, ist Teil dieser Realität.

Patriarchat und Gewalt gegen Frauen*

Die strukturellen Diskriminierungen von Frauen* in der Arbeitswelt und der Familie sind nur ein Teil der Unterdrückungsmechanismen, mit denen Frauen* auf «ihren Platz» verwiesen werden. Eine wichtige Rolle in der Aufrechterhaltung patriarchaler Verhältnisse spielt die sexualisierte Gewalt gegen Frauen* und LGBTQI+ Menschen.[4] Laut einer Studie des Eidgenössischen Departements des Innern werden in der Schweiz pro Jahr durchschnittlich 22 Frauen* und 4 Männer* vom/von der aktuellen oder ehemaligen Partner/-in getötet. 39% aller Frauen* werden mindestens einmal in ihrem Erwachsenenleben Betroffene körperlicher oder sexualisierter Gewalt. 5,6% der Frauen* wurden mindestens einmal in ihrem Leben vergewaltigt.[5]

Diese Zahlen belegen eindeutig, dass wir nach wie vor in einer von Vergewaltigungskultur (Rape Culture) geprägten Gesellschaft leben, in der Übergriffe und Gewalt insbesondere gegen Frauen* alltäglich sind. Auch hier ist es wichtig, nach den dahinterliegenden Mechanismen zu fragen. So wird Gewalt gegen Frauen* und LGBTQI+ Menschen häufig dann eingesetzt, wenn diese die herrschenden gesellschaftlichen Normen und Rollenbilder oder die geschlechtliche Arbeitsteilung in Frage stellen: Wenn Frauen* widersprechen oder sich widersetzen, wenn sie sich nicht nach der Vorstellung des Mannes kleiden, wenn sie versuchen, unabhängig zu sein.

Das Kapital profitiert!

Es wäre falsch, die Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen* als unerwünschtes Überbleibsel aus feudalen Zeiten zu betrachten oder alleine der politisch-konservativen Rechten zuzuschieben. Denn dass Frauen* weniger verdienen sowie häufig einer Doppelbelastung von Erwerbs- und unbezahlter Arbeit zuhause ausgesetzt sind, ist für die Unternehmen in der Schweiz äusserst lukrativ. Die doppelte Ausbeutung ermöglicht den Unternehmen unter anderem auf Arbeitskräfte zurückzugreifen, die zuhause unentgeltlich verpflegt, bekocht und versorgt werden, ohne, dass die Unternehmen etwas dafür tun müssten. Die kapitalistische Gesellschaft ist seit ihrer Entstehung zutiefst mit patriarchalen Verhältnissen verwoben. Oberflächlich mögen sich Teile der herrschenden Klasse für Frauen*rechte und gegen Diskriminierung aussprechen, doch die Unternehmen und Besitzenden profitieren alle davon, prekäre Arbeitskräfte zu haben, die sich immer auch ihren familiären und häuslichen Aufgaben verpflichtet fühlen.

Unsere Forderungen

Die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse und die Diskriminierung von Frauen* lassen sich nur dann bekämpfen, wenn wir aktiv werden, uns organisieren und gemeinsam gegen die patriarchalen Verhältnisse kämpfen. Deshalb stehen wir ein:

1. Für eine Kollektivierung der Pflege und Erziehungsarbeit!

Anstatt die in der Regel unbezahlte Care-Arbeit den Frauen* zu überlassen oder unter schlechten Bedingungen an migrantische Arbeitskräfte zu delegieren, fordern wir öffentliche Einrichtungen und Initiativen, durch welche Care-Arbeit gesellschaftlich anerkannt und kollektiv organisiert wird: flächendeckende Kinderkrippen, unentgeltliche Tagesstrukturen, öffentliche Mittagstische, Wäschereien etc.

2. Für eine gleichberechtigte Gesellschaft, in der alle die gleichen Lebensperspektiven haben!

Wir fordern eine sofortige Aufwertung schlecht bezahlter und oft von Frauen* geleisteter Arbeitsbereiche und ein Ende der Lohndiskriminierung! Darüber hinaus fordern wir eine drastische Arbeitszeitverkürzung und einen Mindestlohn, der es uns allen ermöglicht, unser Leben selbstbestimmt zu gestalten und gegen Ungleichheit und Diskriminierung anzukämpfen.

3. Für das uneingeschränkte Recht der Frauen*, über den eigenen Körper zu bestimmen!

In unserer patriarchalen Gesellschaft fühlen sich Männer* tendenziell legitimiert, Frauen* zu dominieren und zu kontrollieren. Dies äussert sich in sexistischem Verhalten, sexualisierter Gewalt bis hin zu Vergewaltigung und weiteren Formen körperlicher und psychischer Gewalt gegen Frauen*. Wir fordern ein Umdenken hin zu einer Gesellschaft, in der Gewalt und Diskriminierung keinerlei Akzeptanz finden. Wir verurteilen die Straflosigkeit von Tätern und ermutigen Frauen*, sich gemeinsam zu organisieren, um Selbstvertrauen zu gewinnen und sich zu verteidigen. Wir stehen ein für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und fordern seine Finanzierung durch die Krankenversicherung sowie kostenlose Verhütungsmittel für alle.

4. Für eine freie Wahl der eigenen Identität und der sexuellen Orientierung!

Die geschlechtliche Arbeitsteilung und die Rollenbilder erzeugen eine Norm der Heterosexualität, die von fundamentalistisch-religiösen Kreisen fanatisch verteidigt wird. Wir verurteilen die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder ihrer sexuellen Identität, sei es am Arbeitsplatz, in der Familie, im Gesetz oder auf der Strasse und fordern eine Gesellschaft, in der alle über ihre eigene Identität und ihre sexuelle Orientierung frei bestimmen dürfen.

5. Für einen intersektionalen und klassenkämpferischen Feminismus!

Wir verurteilen jegliche Formen (pseudo-)feministischer Ansätze, die im Namen von Frauen*rechten eine fremdenfeindliche und/oder islamophobe Politik vertreten und sexistisches Verhalten nur dann anprangern, wenn von «gewaltbereiten Ausländern» die Rede ist. Ein grosser Teil der Beschäftigten in der Schweiz sind Immigrant*innen. Frauen* mit Migrationshintergrund sind genauso – wenn nicht noch mehr – von Gewalt, Diskriminierung und Ausbeutung betroffen. Wir lehnen es ab, dass Lohnabhängige aufgrund ihrer Herkunft oder Nationalität diskriminiert oder gegeneinander ausgespielt werden. Wir lassen uns nicht spalten! Nur wenn wir uns sowohl gegen die Geschlechterdiskriminierung, als auch gegen jede Form des Rassismus und der sozialen Ungleichheit zur Wehr setzen und feministische Anliegen mit anderen Kämpfen verbinden, können wir die derzeitigen patriarchalen und kapitalistischen Verhältnisse überwinden!

Für einen Frauen*streik am 14. Juni 2019!

In den letzten zwei Jahren sind feministische Forderungen auf der ganzen Welt lauter geworden. «Ni una Menos/Ni una di Meno» («Nicht eine weniger») in Argentinien, Brasilien und Italien, die «Women’s Marches» in den USA oder der Black Protest in Polen sind nur einige Beispiele davon. Im Spanischen Staat haben am 8. März 2018 landesweit Frauen* gestreikt und gezeigt, was es heisst, wenn Frauen* sich dafür entscheiden, die bezahlte und unbezahlte Arbeit nicht mehr zu erledigen. Am selben Abend sind sechs Millionen Frauen* und solidarische Männer* auf die Strassen gegangen.

Knapp 30 Jahre nach dem ersten und bislang letzten Frauenstreik in der Schweiz 1991 ist ein zweiter umfassender Frauen*streik bitter nötig. Der Frauen*kongress des SGB (Schweizerischer Gewerkschaftsbund) hat im Januar 2018 entschieden, für den 14. Juni 2019 zum Frauen*streik aufzurufen. Ob der SGB dem Antrag zustimmt, darüber wird im November dieses Jahres am Kongress des SGB abgestimmt.

Wir unterstützen den Aufruf zum Streik und fordern die Gewerkschaften auf, den Frauen*streik 2019 auszurufen!

Dieser Text wurde an der Demonstration für Lohngleichheit in Bern am 22. September 2018 als dreisprachiger Flyer verteilt.


[1]     (Artikel 8 Abs. 3 neue BV) https://www.ekf.admin.ch/ekf/de/home/themen/frauen-und-gleichstellung-allgemein.html

[2] Das * hat zum Ziel, die Zweiteiligkeit zwischen „Mann“ und „Frau“ aufzulösen und zeigt, dass geschlechtliche Identität und sexuelles Begehren konstruiert sind und somit gesellschaftlichem Wandel unterliegen, also nicht statisch und ahistorisch sind.

[3]     https://www.ebg.admin.ch/ebg/de/home/themen/arbeit/lohngleichheit/grundlagen/zahlen-und-fakten.html

[4]     LGBTQI+ steht für Lesbian, Gay, Bi-, Trans-, Queer-, Intersexuell und das plus deutet auf die nicht genannten Geschlechter- und Sexualitätsformen hin, die alle ebenfalls ausserhalb des binären Geschlechterkonzepts von Frau und Mann existieren.

[5]     https://www.ebg.admin.ch/ebg/de/home/themen/haeusliche-gewalt/statistik.html

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