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Frauenstreik 1991: «Dieser Frauenstreik hat extrem viel bewirkt.»

Der Kampf für die Rechte der Frauen in der Schweiz hat eine lange und zähe Geschichte. Das Wahlrecht für Frauen auf nationaler Ebene wurde erst 1971 (letztes europäisches Land!) eingeführt; die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruches im Jahr 2002; und das Recht auf Mutterschutz nach der Geburt tatsächlich erst im Jahr 2005. Im Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter wurde am 14. Juni 1981 ein Verfassungsartikel zur Gleichstellung von Männern und Frauen angenommen. Jedoch mussten Frauen 1990 feststellen, dass der 1981 eingeführte Gleichstellungsartikel nicht zu einer Aufhebung der Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen führte. Um dagegen etwas zu unternehmen, lancierten sie einen schweizweiten Frauenstreik. Ursula Urech war damals Gewerkschaftssekretärin und aktiv an der Organisation des Streiks im Raum Zürich beteiligt. Hinsichtlich des geplanten Frauen*streiks 2019 stellten wir ihr einige Fragen, um den historischen Vorläufer des aktuellen Frauen*streiks besser kennenzulernen.

Interview mit Ursula Urech. Die Fragen stellte Philipp Gebhardt (BFS Zürich).

Philipp Gebhart: Am 14. Juni 1991 beteiligten sich eine halbe Million Frauen am ersten Frauenstreik der Schweiz. Für ein Land, das Streiks eher aus den Geschichtsbüchern als aus der politischen Praxis kennt, sind das erstaunliche Zahlen. Was hat dich abgesehen von der riesigen Teilnehmerinnenzahl am meisten beeindruckt?

Ursula Urech: Am meisten beeindruckt hat mich die breite Solidarität und die riesengrosse Beteiligung von so vielen Frauen in der ganzen Schweiz. Dieser Frauenstreik hat in der Gesellschaft und in den Gewerkschaften extrem viel bewirkt.

Der Höhepunkt des Frauenstreiks war für die VPOD-Sekretärinnen und mich der Moment, als tausende von Frauen – lila oder bunt gekleidet – im Sternmarsch aus allen Richtungen (aufgeteilt nach Stadtkreisen) kommend auf den Helvetiaplatz strömten, wo gar nicht alle Frauen Platz fanden. Wir haben ja nicht gewusst, wie viele kommen würden. Wir sind uns um den Hals gefallen und allen kamen die Tränen.

Der Frauenstreik 1991 wurde unter anderem von Uhrenarbeiterinnen aus dem Jura lanciert. Kam es auch in anderen Sektoren zu tatsächlichen Arbeitsniederlegungen?

Die Zahl der Streikenden war in Zürich nicht sehr gross. Allerdings führte der Streik zu Veränderungen in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern in den verschiedenen Bewegungen und Parteien.

Wie sah es im Gesundheitssektor aus? Inwiefern konnte der Frauenstreik dort etwas bewirken?

Die grössten Auswirkungen hatte der Frauenstreik im Kanton Zürich und in der übrigen Schweiz in den Jahren danach beim Gesundheitspersonal. Im Kanton Zürich war es immer wieder zu Lohndiskriminierungen gekommen. Neue Lohnsysteme entpuppten sich als Sparsysteme. Damit wurde die Lohngleichheit verhindert oder Errungenschaften rückgängig gemacht.
In den 1990er Jahren – also nach dem Frauenstreik und 20 Jahre nach Annahme der Volksinitiative für die Gleichstellung von Frau und Mann – hat im Gesundheitsbereich ein markanter Personalabbau stattgefunden. 1991 wurde im Kanton Zürich zum Beispiel entschieden, die Löhne um zwei Lohnklassen zurückzustufen.

Der VPOD und die SBK (der Berufsverband des Personals im Gesundheitswesen) hatten diesen Entscheid mitgetragen. Sie verletzten damit den Verfassungsartikel „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit”. Die Besitzstände der männlichen Angestellten hingegen blieben gewahrt. Im Dezember 1999 kam es deshalb in Zürich zu einer Grossdemonstration mit 7000 Teilnehmenden aus dem Gesundheitsbereich.

Vom 2. bis 4. Mai 2000 haben im Kanton Zürich drei Aktionstage unter dem Slogan „Ohne uns läuft nichts“ stattgefunden. Das Gesundheitspersonal zwang die Spitalleitungen von 23 städtischen und kantonalen Spitälern dazu, an drei Tagen auf Sonntagsdienst zu reduzieren. Es wurde ein Sicherheitskonzept ausgearbeitet, um die Versorgung der Patient*innen zu gewährleisten. Viele v.a. junge Frauen kämpften zum ersten Mal für ihre Rechte. Im ganzen Kanton haben über 7000 Pflegefachfrauen und -männer teilgenommen. Vor dem Kantonspital in Zürich wurde die Strasse blockiert.

2001 hat diese Bewegung eine Lohngleichheitsklage gegen den Kanton Zürich eingereicht. Die Klägerinnen erhielten vor dem Verwaltungsgericht Recht. Es gab Lohnstufenerhöhungen und Lohnnachzahlungen. Viele Pflegefachfrauen haben davon profitiert (Kosten für den Kanton Zürich: 280 Mio. Franken). Anschliessend haben Frauen auch in anderen Kantonen Lohngleichheitsklagen eingereicht. 2002 hat das Pflegepersonal Klagen gegen die Stadt Zürich eingereicht. Fünf Jahre später erhielten auch diese Klägerinnen vor Bundesgericht Recht. Es mussten Lohnnachzahlungen im Betrag von 50_Mio. Franken geleistet werden. 2009 wurden mit Klagen gegen die Stadt Zürich weitere Siege eingefahren.

Neben deiner aktiven Rolle als Gewerkschaftssekretärin bei der Gewerkschaft Verkauf Handel Transport Lebensmittel (VHTL) hast du auch das Organisationskomitee des Streiks in Zürich mitbegründet. Wie lief die Koordination zwischen den verschiedenen Gewerkschaften und Parteien, politischen Organisationen, Frauenvereinen und Einzelpersonen?

Ich selbst war und bin Mitglied des VPOD, d.h._der Gewerkschaft des öffentlichen Personals. Beim VHTL war ich als Sekretärin angestellt. Die nationale Frauensekretärin des VPOD, die Sekretärin der Lehrerinnen- und Lehrer-Sektion des VPOD Zürich und ich, wir haben alle Frauen der linken Szene, d.h._der Parteien, Gewerkschaften, Frauengruppen etc., aber auch bürgerliche Frauengruppen eingeladen, mit dem Ziel, ein Zürcher Streikkomitee zu gründen, was uns auch sehr gut gelungen ist. Dieses Streikkomitee hat alles besprochen, koordiniert, organisiert und mobilisiert.

Als Sekretärin des VHTL warst du unter anderem zuständig für das Verkaufspersonal. Welche Formen nahm der Streik in diesen feminisierten, aber gewerkschaftlich nur schwach organisierten Berufen an?

Im Vorfeld des Streiks habe ich eine Gruppe von Verkäuferinnen zusammengetrommelt. Wir haben gewusst, dass es sehr schwer bis unmöglich ist, Verkäuferinnen zum Streiken zu bewegen. Sie wären sofort fristlos entlassen worden. Das ist auch heute noch so. In dieser Branche wird nicht einmal das Arbeitsgesetz überall eingehalten. Meine Hauptaufgabe ist es gewesen, ihnen die Angst zu nehmen.

Kannst du ein Beispiel einer Streikaktion genauer erläutern?

Eine Gruppe von VHTL-Frauen und ich haben am Streiktag lila Plastikstühle in den Globus an der Bahnhofstrasse hineingetragen und versucht, diese an die Verkäuferinnen zu verteilen mit der Begründung, dass sie doch sicher müde Beine haben und einmal einen Moment absitzen möchten. Dazu haben wir Flugblätter und Werbematerial verteilt und unsere Aktion erklärt. Wir haben mitten im Erdgeschoss des Globus einen Kreis gebildet und Frauenlieder gesungen. Die Verkäuferinnen haben sich einerseits gefreut, andere waren geniert. Ständig sind irgendwelche Vorgesetzte herumgeschwirrt und waren etwas ratlos. Keiner hat es gewagt, uns nahe zu kommen oder uns wegzuweisen. Natürlich gab es von Seiten der Kundinnen und Kunden positive und negative Reaktionen. Aber wir haben unser Ding unberührt durchgezogen und sind dann nach längerer Zeit wieder abgezogen, ohne dass irgendetwas Negatives vorgefallen wäre. Die Vorgesetzten wussten genau, dass möglichweise etwas in der Presse erscheinen würde. Sie hatten also Angst, aber auch Respekt. Das war mein Eindruck.

Du hast vorhin die drohende Repression im Verkauf erwähnt, falls Verkäuferinnen tatsächlich ihre Arbeit niedergelegt hätten. Kannst du uns ein Beispiel geben, wo es zu Entlassungen und anderen Disziplinarmassnahmen gekommen ist?

Ich war im VHTL auch für die Betreuung der Kiosk-Angestellten zuständig. Das bedeutet harte Arbeit, extrem lange Arbeitszeiten und tiefe Löhne. Ich konnte eine Kiosk-Frau davon überzeugen, einen Tag zu streiken. Sie hat einen grossen Kiosk im Flughafen Kloten geleitet. Sie hat das so gut gemacht – auch mit einem interessanten Bücherangebot – dass sie grossen Umsatz erzielt hat. Trotzdem wurde sie am gleichen Tag entlassen. Sie hat damit gerechnet. Trotzdem hatte sie anschliessend eine schwere Krise. Ich habe immer wieder versucht, sie zu trösten, ihr zu erklären, warum sie entlassen wurde, dass wir im Kapitalismus leben, wo nur der maximale Profit zählt, die Menschen aber unter die Räder kommen. Ich habe ihr auch geholfen, eine neue Stelle zu finden und sie dabei beraten.

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