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Schweiz: Manifest des Zürcher Frauen*streikkollektivs

Der zweite Frauen*streik der Geschichte der Schweiz rückt immer näher. Die organisatorischen Vorbereitungen für den 14. Juni 2019 laufen auf Hochtouren und auch auf inhaltlicher Ebene erarbeiten die verschiedenen Kollektive Positionen, Forderungen, Texte und Manifeste. Zusätzlich zum Manifest aus der Romandie und dem schweizweiten Appell zum Streik hat nun das Zürcher Frauen*streikkollektiv ein weiteres, lesenswertes und kämpferisches Positionspapier verfasst. (Red.)

von Frauen*streikkollektiv Zürich; aus frauenstreikzuerich.ch

Manifest feministischer Streik & Frauen*streik Zürich

Ist es normal, dass ein Chef die Figur und die Kleidung seiner Mitarbeiter*innen kommentiert?
Ist es normal, dass im öffentlichen Raum ständig halbnackte Frauenkörper zu sehen sind?
Ist es normal, dass Schwarze Frauen* und ihre Familien tagtäglich Racial Profiling ausgesetzt sind?
Ist es normal, dass in der Schweiz alle zwei Wochen eine Frau* in den eigenen vier Wänden getötet wird?
Ist es normal, dass eine Frau* häusliche Gewalt erdulden muss, um ihr Aufenthaltsrecht zu sichern?
Ist es normal, dass in der Schweiz weniger als 20% der Opfer sexueller Gewalt Anzeige erstatten?
Ist es normal, dass Frauen* für die gleiche Arbeit weniger Lohn erhalten als ihre männlichen Kollegen?
Ist es normal, dass Arbeit aufgeteilt wird in bezahlte und unbezahlte (Haus- und Sorge-) Arbeit und letztere vor allem von Frauen* geleistet wird?
Ist es normal, dass Frauen* mit Beeinträchtigungen kaum Arztpraxen finden, die barrierefrei sind?
Ist es normal, dass Schwarze Frauen* nicht als Citoyennes dazugehörend mitgedacht werden?
Ist es normal, dass Diplome von Migrant*innen nicht anerkannt und wertgeschätzt werden?

Wir finden: Nein! Deshalb streiken wir am 14. Juni.

Gemeinsam die Fesseln sprengen

Schon von klein auf lernen wir durch Erziehung und Sozialisierung die geschlechtsspezifischen Rollen einzunehmen. Gewalt und Diskriminierungen gehören für Frauen* zum Alltag. Sie erscheinen normal. Frauen* sollen ihre Bedürfnisse zurückstellen und den Grossteil der Erziehungs- und Sorgearbeit übernehmen – sei es in der Wohngemeinschaft, in der Familie, im Verein, am Arbeitsplatz oder im Polit-Kollektiv. Wagt es eine Frau*, sich entgegen dieser Norm zu verhalten, sich gar aufzulehnen, wird sie umgehend zurechtgewiesen und abgewertet: Sie wird als «Rabenmutter», «Schlampe», «besserwisserisch», «unweiblich» oder «zickig» bezeichnet, mit rassistischen und sexistischen Sprüchen beleidigt. In anderen Fällen verliert sie ihre Arbeit, ihre Familie, sie wird misshandelt oder sogar getötet.

Denn für das Funktionieren der patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaft ist es grundlegend, dass Frauen* die Sorgearbeit gratis oder zu miserablen Löhnen leisten. Neben der rassistischen und kolonialistischen Ausbeutung ist es diese geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die das herrschende Wirtschaftssystem weiterbestehen lässt.

Freiheiten erkämpfen

Kurzum – die Zustände, in denen wir leben, sind eine Frechheit. Seit Jahren weisen wir auf die unzähligen Missstände hin und kämpfen dagegen an. Wir sind Frauen* mit und ohne Aufenthaltsbewilligung, mit und ohne Verantwortung für Kinder, wir sind Schwarze und weisse Frauen* und Frauen* of Colour, in queeren und Hetero-Beziehungen, jünger und älter, mit und ohne Beeinträchtigung. Als solche sprechen wir mit Journalist*innen, machen politische Vorstösse, Interpellationen, sammeln Unterschriften für Abstimmungen, hoffen, warten…, gehen auf die Strasse, überzeugen Bekannte, sprechen mit Freund*innen und der Familie.

Was aber hat sich verändert? Klar, es gab Fortschritte, kleine und grosse. Etwa das Recht auf gleiche Schulbildung für Mädchen und Jungen, das Frauenstimmrecht oder den straflosen Schwangerschaftsabbruch, dass öffentliche, rassistische Diskriminierungen strafrechtlich geahndet werden können (wenn auch selten), dass Vergewaltigung in der Ehe (seit 1992) strafbar ist und (seit 2004) als Offizialdelikt auch ohne Anzeige verfolgt werden kann.

Gemeinsam ist diesen Fortschritten vor allem eines: Sie alle sind Resultate einer über hundertfünfzig Jahre wirkenden Frauen*bewegung. Sie alle wurden mit viel Herzblut und unermüdlichem Einsatz erkämpft.

Aber noch immer – und immer öfters – sehen wir uns mit Antifeministen, Sexisten und Rassisten konfrontiert, auf der Strasse, am Arbeitsplatz, im Internet oder in den Regierungspalästen dieser Welt. Sie wollen die von uns erkämpften Freiheiten zerstören und uns zu billigen Arbeitskräften, Sexobjekten und gehorsamen Hausfrauen degradieren. Denn sie meinen, die weltweit erstarkende feministische Bewegung unterdrücken zu können, indem sie ihren Sexismus noch schamloser ausleben. Doch diese Herren täuschen sich.

Wir bewegen uns, wir streiken!

Wir dulden den reaktionären Backlash und die lebensverachtende «Normalität» nicht. Wir erkennen die unterschiedlichen und mehrfachen Unterdrückungen, die dieses System produziert. Deshalb ist unser Feminismus vielfältig und diese Vielfalt unsere Stärke. Die Zeit ist reif für einen tiefgreifenden Wandel.

Um diesen Wandel zu beschleunigen, verweigern wir für einen Tag unsere Arbeit, wir verweigern unser «normales» Funktionieren.

Wir streiken!

So, wie wir es schon 1991 getan haben. Und so, wie es weltweit unsere Schwestern tun. Wir solidarisieren uns mit den feministischen Kämpfen und am 14. Juni 2019 reihen auch wir uns in diese internationale Bewegung ein!

Unsere Arbeit ist verdammt viel Wert – ohne uns steht alles still

Ob wir auf der Baustelle, in der Kinderkrippe, im Büro, im (fremden) Privathaushalt, im Sexsalon, in der Schule, im Flugzeug oder auch im eigenen Haushalt arbeiten – unsere Arbeit ist mehr wert als das, was wir dafür bekommen.

Wir tolerieren weder sexistisches noch rassistisches Lohngefälle. Unsere Arbeit verdient denselben Respekt und dieselbe Anerkennung wie jede andere Arbeit.

Dies gilt insbesondere für die Haus- und Sorgearbeit: Gerade mal 10% dieser in der Schweiz geleisteten Care-Arbeit werden entlohnt. Die restlichen 90% dieser Arbeit werden nicht bezahlt – und über zwei Drittel dieser nichtbezahlten Arbeit wird von Frauen* geleistet. Kurz: Die Haus- und Sorgearbeit hält das kapitalistische Wirtschaftssystem aufrecht. Die Care-Arbeit subventioniert die gesamte Wirtschaft – und nicht umgekehrt. Und für all die unbezahlte Arbeit, mit der wir die Wirtschaft subventionieren, erhalten wir keine Rente. Deshalb sind die Renten der Frauen* im Alter entsprechend tief und viele Frauen* von Altersarmut betroffen. Statt diese Ungleichheit in der Altersvorsorge zu beheben, zielen AHV-Reformen auf eine weitere Belastung der Frauen* ab, etwa mit der Erhöhung des Frauenrentenalters.

Aus diesem Grund fordern wir die Vergesellschaftung der Care-Arbeit, zu der auch die Hausarbeit gehört. Wir wollen einen angemessenen Lohn! Wir wollen sichere Arbeitsverträge, ob im Privathaushalt oder auf der Baustelle. Wir wollen subventionierte Krippen und Altersheime. Eine echte Gleichberechtigung ist nur mittels Überwindung der Hierarchisierung von Menschen zu erreichen. Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft haben ihre Privilegien zu hinterfragen. Männer haben sich zu gleichen Teilen an Care- und reproduktiven Tätigkeiten zu beteiligen. Wir tolerieren nicht weiter, dass Mütter – insbesondere Alleinerziehende – in der Armutsfalle landen.

Wir fordern eine Elternzeit, einen Vaterschaftsurlaub, der dem realen Aufwand der Kinderbetreuung sowie der Erwerbsarbeit von Müttern gerecht wird.

Wir fordern eine sofortige und umfassende Entkriminalisierung der Sexarbeit, sodass die Rechte der Sexarbeiter*innen garantiert werden. Wir wollen keine Fallpauschalen in den Spitälern, sondern gut bezahltes Personal, das sich für die Arbeit Zeit nehmen kann. Denn Care ist kostbar! Und jede andere Arbeit, die von einer Frau* geleistet wird ebenso. Unsere Arbeit ist verdammt viel wert. Ohne uns steht alles still.

Wir wehren uns gegen institutionellen und alltäglichen Rassismus und Sexismus

Sexuelle Gewalt kann ein Grund sein, das Herkunftsland verlassen zu müssen. Auf der Flucht erleben die meisten Frauen* weitere Gewalt. Und auch im Ankunftsland erleben geflüchtete Frauen* Gewalt, etwa wenn sie in den Befragungen der Migrationsbehörden ihre Erfahrungen erneut schildern müssen. Diese Befragungen fühlen sich an wie ein polizeiliches Verhör in einem Strafverfahren.

Wir fordern, dass frauen*spezifische Fluchtgründe in der Schweiz voll und ganz anerkannt werden, nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis.

Wir fordern die Anerkennung sexueller Identitäten ohne (bspw. in einem Asylverfahren) Beweise vorlegen zu müssen. Wir fordern, dass die binäre Denkweise und das Kategorisieren von Menschen aufhören, da die Realität viel komplexer und vielfältiger ist.

Schwarze Frauen* und Frauen* of Colour sind nebst alltäglichem Sexismus auch alltäglichem Rassismus ausgesetzt. Sei es beim Spaziergang durchs Quartier, auf der Tanzfläche oder bei der Jobsuche. Als nicht-weisse Frauen* müssen wir uns das «Dazugehören» tagtäglich erkämpfen – und stellen wir die rassistische Deutungshoheit der Mehrheitsgesellschaft in Frage, so werden wir als «überempfindlich» verunglimpft.

Hierzulande werden Diplome und Ausbildungen anderer Länder selten anerkannt. So sind die Arbeitsbereiche von Migrant*innen oft auf Haushalt und Pflegeberufe beschränkt. Wir kümmern uns um Kinder, um alte Menschen, um den Haushalt anderer Leute – unsere Arbeit wird «unsichtbar» gemacht, wird nicht anerkannt und nicht wertgeschätzt. In manchen Fällen stehen wir 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Manchmal auch ohne legalen Aufenthaltsstatus. Durch unsere Arbeit ermöglichen wir anderen Frauen, arbeiten zu gehen und Karriere zu machen.

Wir wollen einen echten Zugang zum Bildungs- und Rechtssystem – ohne Angst, ausgewiesen zu werden.

Wir fordern, dass der Status der Sans-Papiers regularisiert wird, dass die Diplome anerkannt werden, und wir fordern eine Gesetzgebung, die uns gegen die vielfachen Diskriminierungsformen schützt, die wir als Frauen*, als Migrant*innen, als Arbeiter*innen erfahren.

Wir fordern, dass die verschiedenen Ebenen von Gewalt gegen migrierte Frauen* sichtbar gemacht und als Problem anerkannt werden. Wir fordern ein Bleiberecht, wenn unser Leben in Gefahr ist. Nur dann können wir erfolgreich gegen diese Gewalt kämpfen.

Und hören wir einander zu: Das heisst, verschiedene Diskriminierungen anzuerkennen und Privilegien zu hinterfragen.

Wir wollen eine emanzipative Bildung

Wir wollen eine Schule, die ein Ort der Emanzipation und der Förderung der Gleichstellung ist. Wir wollen mehr Mitsprache der Schüler*innen bei der Gestaltung des Unterrichts und der Schule als Ganzes. Bildungsinstitutionen müssen sichere Orte sein und Raum für Gegenwehr ermöglichen. Unterrichtsfächer dürfen nicht mehr geschlechtsspezifisch begriffen werden. Der Zugang zu Bildung soll allen nicht nur gewährt, sondern auch ermöglicht werden.  Frauen* müssen technische und viele weitere männer*dominierte Ausbildungsgänge so geöffnet werden, dass sie auch die Möglichkeit haben, diese mitzugestalten.

Die Schule ist ein Ausdruck der patriarchalen Gesellschaft: sie festigt die Hierarchien auf Grundlage eingeübter Geschlechterrollen.
Schul- und Berufslaufbahnen von Kindern und Jugendlichen sind geprägt von den Werten, Normen und Modellen der Erziehungsinstitutionen, von den Praktiken, Unterstützungsformen, pädagogischen Hilfsmitteln, Inhalten, Lehrbüchern, den Interaktionen und schliesslich von der Institution selbst.

Die Förderung von Gleichberechtigung muss fachunabhängig sein. Wir wollen, dass Lehrpersonen und Erzieher*innen entsprechend ausgebildet sind. Dafür braucht es eine ständige Sensibilisierung durch Weiterbildungen und eine Neuformulierung des Berufsauftrages, der im Zeichen von Kooperation und Solidarität steht.
Eine emanzipative Bildung bedeutet, eine inklusive Sprache zu verwenden, die Geschlechterpluralität zu thematisieren, sprich dass es mehr gibt als bloss «Mann» und «Frau», verschiedene Familienmodelle näherzubringen, Rollenmodelle zu diskutieren und Mehrfachdiskriminierungen genau unter die Lupe zu nehmen.

Wir fordern die Anerkennung der Verschiedenheit von Schüler*innen durch Lehrpersonen, Lehrmittel sowie überhaupt durch die Bildungsinstitutionen.

Wir fordern mehr (welt-)politische Bildung und Diskussion im Unterricht – auch in der Primarschule.

Wir wehren uns gegen sexistische, homophobe und transphobe Gewalt

Frauen* erleiden auch in der Schweiz Gewalt, weil sie Frauen* sind und/oder weil sie als Lesben, Bisexuelle, Transpersonen, Intersexuelle oder Queere Personen (LGBTIQ) nicht in die Leitplanken der heteronormativen Gesellschaft passen. In der Schweiz stirbt alle zwei Wochen eine Frau* an sexistischer Gewalt. Zwei von fünf Frauen* erfahren in der Partnerschaft im Laufe ihres Lebens physische und/oder sexuelle Gewalt. Wird eine Frau* von ihrem (Ex-)Partner ermordet, wird oftmals von «Familiendrama» gesprochen: Die Betroffene sei mitschuldig, weil sie ihn verlassen oder einen zu kurzen Rock getragen habe.

Wir wollen, dass die Gewalt benannt wird als das, was sie ist: sexistische Gewalt! Wir wollen selbst entscheiden, welcher Lebensentwurf für uns richtig ist und was wir anziehen. Unsere Leben und Körper gehören uns!

Viele Frauen* sind in einer von Männern, oftmals weissen Männern, dominierten Gesellschaft von überschneidenden Diskriminierungserfahrungen betroffen (wie beispielsweise Frauen* of Colour, migrantische Frauen*, Frauen* mit Beeinträchtigung, Frauen*, die nicht dem Schönheitsideal der Hochglanzmagazine entsprechen, ältere Frauen*, prekarisierte Frauen* und LGTBQI*personen).

In den männlich geprägten Strukturen und Institutionen des Migrationsregimes, wie den Notunterkünften, werden diese Mehrfachbedrohungen besonders spürbar.

Wir fordern die (rechtlich) verbindliche Umsetzung der Istanbul-Konvention. Das beinhaltet, dass die Betroffenen vor psychischer, physischer und sexueller Gewalt geschützt und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Sexistische Gewalt darf in der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert sein, es braucht Mittel für Kampagnen, damit ein Umdenken in der Gesellschaft stattfindet. Sexistische Gewalt ist immer verbunden mit einem Machtanspruch und es ist Gewalt – ob in der Partnerschaft, auf der Arbeit, auf der Strasse oder in sozialen Netzwerken.

Nein heisst Nein! Wir fordern rechtlichen Schutz von Gewaltbetroffenen und die Anerkennung ihrer Definitionsmacht. Fertig mit Täterschutz.

Wir fordern, dass sexuelle Gewalt als Teil des Diskriminierungsverbots anerkannt wird. Es muss ein Recht auf Unversehrtheit geben.

Wir wollen Klimagerechtigkeit – und einen echten Kampf gegen die Klimaerwärmung

Das kapitalistische Wirtschaften, das auf patriarchalen Strukturen von konstruierter Zweiteilung, Hierarchisierung und Abwertung beruht, prägt auch das Verhältnis der Menschen zur Umwelt. Ähnlich der unbezahlten Reproduktionsarbeit der Frauen* wird auch die Reproduktion der Natur im Kapitalismus unsichtbar gemacht und geringgeschätzt, obwohl jede Form des Wirtschaftens neben menschlicher Arbeit auch auf die Natur angewiesen ist und sie eine Grundlage unseres Lebens bildet.

Über die fortschreitende Kapitalisierung von Wasser, Land, Erdöl etc. erschliessen sich Privatfirmen Profitquellen, die zu zunehmender materieller Ausbeutung und Zerstörung, v.a. auch in Ländern ausserhalb Europas führt.

Wir stellen uns gegen jegliche Privatisierung von Land und Wasser und fordern die Demokratisierung aller Entscheide zum Umgang mit unserer Umwelt. Wie die Geschlechterverhältnisse wollen wir auch das Verhältnis zur Natur revolutionieren.

Wir fordern Klimagerechtigkeit – jetzt! Wer die Klimaerwärmung stoppen will, muss auch konsequent die profitorientierte Ausbeutung von Mensch und Umwelt stoppen.

Unsere Körper gehören uns

Die Profiteure des kapitalistischen Wirtschaftssystems bereichern sich auf unterschiedlichen Ebenen an unseren Körpern: Anhand allgegenwärtiger Vorschriften, Schlankheits- und Gesundheitswahn, Jugendkult und stereotypisierter Frauen*bilder wird uns vorgeschrieben, wie wir uns zu kleiden, zeigen, ernähren und zu verhalten haben und was wir zu konsumieren haben. Über Filme, Bücher, Werbung und Erziehung wird von Kindheit auf die Zweigeschlechtlichkeit propagiert.

Dies führt zu Diskriminierung und Abwertung von Menschen, die nicht in diese Binarität passen. Die allgemeine Verbreitung von Stereotypen führt zu einer Kultur, in der Frauen*körper zu Objekten gemacht werden. Das legitimiert und banalisiert geschlechtsbezogene Gewalt.

Deshalb fordern wir, dass diese Gewalt als das dargestellt und bekämpft wird, was sie ist: eine sexistische Tatsache, die Frauen* verletzt und tötet. Des Weiteren werden sogenannte «Frauenprodukte» vermarktet, auf Hygieneprodukte wie Binden oder Tampons extra Mehrwertsteuern erhoben und die Verantwortung der Verhütung wird u. a. finanziell auf das weibliche Geschlecht abgewälzt.

Die heutige Medizin ist auf Männlichkeit normiert. Bei Frauen* fokussiert die Forschung hauptsächlich auf Fragen der Reproduktion und zu wenig auf Fragen der generellen Frauen*gesundheit. So wird ein Herzinfarkt bei Frauen* oft nicht rechtzeitig erkannt, weil nicht-männliche Körper schlichtweg zu wenig erforscht sind.

Wir fordern mehr Forschung zu männlicher Verhütung, eine Medizin, die alle Geschlechter wahrnimmt und kostenlosen Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle.

Wir wollen freie Wahl in der Reproduktion, das Recht auf kostenlosen Schwangerschaftsabbruch, kostenlose Verhütungsmittel, die freie Wahl der Verhütungsform, gratis Hygieneprodukte für die Menstruation und freien Zugang zu Behandlungen im Zusammenhang mit einer selbstbestimmten Geschlechtsanpassung.

Frauen* und Mädchen* mit Beeinträchtigung sind von mehrfacher Diskriminierung betroffen.

Wir sind sowohl innerhalb wie auch ausserhalb unseres häuslichen Umfelds oft in höherem Mass Gewalt, Verletzung oder Missbrauch, Nichtbeachtung oder Vernachlässigung und auch Misshandlung oder Ausbeutung ausgesetzt.

Wir wollen besseren Schutz und bessere Betreuung beeinträchtigter Frauen* und Mädchen*, mehr Möglichkeiten zur Selbstbestimmung sowie mehr Sicht- und Hörbarkeit im öffentlichen Raum.

Heteronormativität raus aus den Köpfen

Die nicht-männliche Sexualität ist weitgehend negativ besetzt. Weibliche Lust wird übergangen, die Menstruation tabuisiert. Körper und Lust von Menschen, die nicht cis-männlich sind, waren lange komplett unerforscht und auch heute gibt es wesentlich weniger Wissen dazu. Die hegemoniale Sichtweise auf Sex ist cis-männlich und heteronormativ: Heterosexualität wird als einzig gültige Norm angesehen.

So diskriminieren auch Recht und Institutionen andere Beziehungsformen und/oder sexuelles Begehren. Wir fordern, unsere Sexualität und unsere Beziehungsformen selbst definieren zu können, damit wir unsere Lust so leben können, wie wir das wünschen. Wir fordern Aufklärungskampagnen zu Selbstbestimmung, Sexualität und Identität.

Wegen all dem und vielem anderem, für all das und viel mehr streiken wir am 14. Juni 2019 – laut und lässig, voller Wut und Zuversicht. Warum? Weil wir viele sind! Und weil’s ja sonst niemand für uns tut.


PDF des Manifest des Zürcher Frauen*Streikkollektivs

Eine Anmerkung zu Sprache und Schreibweisen:

In einer binären Welt, in der alles entweder als «männlich» oder «weiblich» gilt, wollen wir mit dem Gender-Stern * darauf hinweisen, dass sich nicht alle mit dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren können. Geschlechtliche Identität sowie sexuelles Begehren unterliegen sozialem und auch persönlichem Wandel und sind nicht «naturgegeben» oder fix.  Cis-Frauen oder Cis-Männer sind Menschen, die sich mit dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren können.

Wir sind der Meinung, dass Frauen*, ob Trans-, Inter-, Cis- oder Queer, vom Patriarchat unterdrückt werden und definitiv nicht davon profitieren. Deshalb verwenden wir den Gender-Stern; auch um zu zeigen, dass wir viele sind.

Wir schreiben «Schwarze Frauen» mit grossem «S», um einerseits darauf hinzuweisen, dass es sich bei «Schwarz» nicht um ein Adjektiv, sondern um eine konstruierte Rassifizierung mit spezifischen Zuschreibungen handelt, die nicht auf realen Dispositionen beruht. Zum anderen wird mit der Verwendung des grossen «S» auf antirassistische Widerstandskämpfe Bezug genommen, in denen der Begriff «Schwarz» als politische Selbstbezeichnung verwendet wird; «weiss» schreiben wir klein, obwohl wir auch dieses Adjektiv als Zuordnung begreifen, diese aber eine klar andere Bedeutung in Geschichte und Gegenwart einnimmt als «Schwarz».

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