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Pandemie: Der globale Impfnationalismus

Pandemien sind per Definition Epidemien, welche sich auf mehreren Erdteilen ausbreiten. Dementsprechend können sie auch nur global nachhaltig und solidarisch bekämpft werden. Die derzeitige «Impfpolitik» gegen die Covid-19-Pandemie geht genau den gegenteiligen Weg: Reiche Länder decken sich durch Absprachen mit den Pharmakonzernen reichlich mit Impfstoffen ein. Die Mehrheit der Länder aber hat bis auf weiteres keinen oder ungenügenden Zugang zu lebensrettenden Impfstoffen.

von David Ales (BFS Basel)

er Umgang unserer Gesellschaften mit den Impfungen gegen die Covid-19-Pandemie ist exemplarisch für die Funktionsweise des globalen Kapitalismus. Einerseits ist die Geschwindigkeit, mit der die Wissenschaft diverse Impfstoffe entwickelt hat und das Virus immer besser versteht, beeindruckend. Die medizinisch-technischen Möglichkeiten sind heute grösser denn je. Andererseits ist die Art und Weise, wie die Impfstoffe verteilt (oder eben nicht verteilt) werden, schlichtweg ein Verbrechen: Anstatt die verschiedenen Impfstoffe bedarfsgerecht, solidarisch und vor allem weltweit zu verteilen, haben sich wohlhabende Länder die Mehrheit der globalen (und künftigen) Impfstofferzeugnisse gesichert. Dies geschah teilweise an den offiziellen Institutionen vorbei und durch geheime Absprachen mit den Impfstoffherstellern. Versuche, eine globale Koordinierung mittels internationaler Organisationen zu gewährleisten, wurden zwar gestartet, gleichzeitig aber nationalstaatlich unterlaufen. Pharmakonzerne haben sich durch Verträge mit zahlungsfähigen Staaten bereichert und grosse Gewinne eingestrichen, die Impfstoffpreise sind angestiegen. Sowohl der US-Konzern Moderna, der seinen Impfstoff teilweise durch Lonza in der Schweiz herstellen lässt, als auch der US-Pharmariese Pfizer dürfen sich dieses Jahr über Gewinne in Milliardenhöhe freuen. Während einige wohlhabende Länder massive Reserven an Impfstoffen aufgebaut und einen Grossteil oder alle Risikopatient:innen schon geimpft haben, liegt die Impfquote in vielen armen Ländern bei unter einem Prozent (Stand April 2021).

Private Aneignung kollektiver Forschung

Dass so eine ungleiche Verteilung lebensrettender Arzneimittel überhaupt möglich ist, verdanken wir der Vormachtstellung multinationaler Pharmakonzerne und einem globalen System zum Schutze des «geistigen Eigentums»: den Patenten. Diese garantieren den Impfstoffherstellern ein jahrelang gültiges Monopol auf die Herstellung und Vermarktung der von ihnen patentierten Impfstoffe. Damit verbunden ist die Vorstellung, dass die Entwicklung medizinischer Produkte einzig auf den Anstrengungen der jeweiligen Konzerne beruht. In Wahrheit aber basieren «Forschung und Innovation» privater Akteure zu einem grossen Teil auf der «Vorarbeit» und der Kooperation mit öffentlich finanzierten Bildungs- und Forschungseinrichtungen. Gerade die derzeit wichtigen mRNA-Impfstoffe sind das Ergebnis jahrzehntelanger Forschungsbemühungen verschiedener Universitäten weltweit. Kommt hinzu, dass die Entwicklung der neuen Covid-19-Impfstoffe durch öffentliche Gelder mitfinanziert wurde. Pfizer/Biontech investierte rund 2 Milliarden aus eigenen Mitteln, erhielt aber 2,7 Milliarden von Deutschland und den USA. Auch der Impfhersteller Moderna erhielt rund 4 Milliarden US-Dollar von den US-Gesundheitsbehörden. Dank dem Prinzip des «geistigen Eigentums» und fleissiger Lobbyarbeit gelingt es Big Pharma dennoch, sich die kollektiven Arbeitsergebnisse privat anzueignen.

Impfnationalismus

Auch wenn die Erforschung und Herstellung von Impfstoffen ein komplexes Unterfangen ist, so wären mittlerweile mehrere Schwellenländer in der Lage, die bestehenden Covid-19-Impfstoffe selbst herzustellen und so ihrer Bevölkerung schneller zur Verfügung zu stellen. Jedoch hindern sie die Patente daran, mit der Produktion der lebensrettenden Impfstoffe zu beginnen. Länder wie Indien und Südafrika, aber auch Hunderte NGOs und Wissenschaftler:innen weltweit verlangen deswegen immer wieder, den Patentschutz für lebensnotwendige Medikamente ganz oder vorübergehend auszusetzen. Genau dagegen wehren sich die reichen Länder und ihre Pharmakonzerne aber vehement – leider bisher erfolgreich. Der Schweizer Pharma-Lobbyist Thomas Cueni, Generaldirektor des Internationalen Pharmaverbands in Genf, verkündete in einem NDR-Interview schamlos, dass Firmen künftig nicht mehr bereit sein könnten, solch «ausserordentliche Leistungen» zu vollbringen, wenn der Patentschutz aufgehoben werde. Ein jämmerlicher Versuch, die Aneignung kollektiver Forschung und die Privatisierung der Gewinne durch die Pharmaindustrie zu rechtfertigen.

Unser gegenwärtiges System führt dazu, dass überlebensnotwendige medizinische Güter und Dienstleistungen nur denjenigen Menschen zur Verfügung stehen, die entweder in zahlungsfähigen Ländern leben oder es sich persönlich leisten können, sehr viel Geld für medizinische Leistungen zu bezahlen. Mitte März wies Ngozi Okonjo-Iweala, die derzeitige Vorsitzende der Weltgesundheitsorganisation, darauf hin, dass rund 60 Länder über einen Corona-Impfstoff verfügen, während mehr als 130 Staaten ohne eine einzige Impfdosis dastehen. Sie rief die Impfstoffhersteller zwar dazu auf, eine Lizenzfertigung ihrer Vakzine durch andere Unternehmen zu ermöglichen, stellte aber die Marktmacht der Pharmakonzerne nicht wirklich in Frage.

Ändern dürfte sich an der aktuellen Situation bis auf weiteres ohnehin wenig. Eine solidarische Verteilung lebensrettender medizinischer Güter ist den Verwaltungsräten und Aktionär:innen multinationaler Pharmakonzerne eben nicht zuzumuten. Dass Menschen vor allem in armen Ländern deswegen täglich sterben – sei es an Covid-19 oder anderen, teilweise gut behandelbaren Krankheiten – gehört genauso zum aktuellen System wie die horrenden Gewinne der Pharmaindustrie. Ändern wird sich dies erst, wenn es gelingt, den Pharma- und Gesundheitssektor durch kollektiven Widerstand gesellschaftlich anzueignen und Gesundheit als öffentliches Gut zu verankern.

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