Menu Schließen

Bärn-Räp: Lieder i de Charts doch d’Mieti isch nid zauht

Die beiden Rapper Iroas und Migo von der Chaostruppe veröffentlichen zusammen mit dem Produzenten Buzz am 31. Juli ihr Album «Nachtblau». Darin setzen sie sich mit ihrem musikalischen Erfolg, dem eigenen Älterwerden und ihrer Rolle im Rap-Zirkus auseinander. Trotz des respektablen Namens, den sich die beiden mittlerweile erarbeitet haben, das Chaostruppen-Album hat es überraschend auf den ersten Platz der Schweizer-Albumcharts geschafft, bleibt die Kunst aber weitgehend brotlos.

von Mats Brunner und Theo Vanzetti (BFS Zürich)

Ihr Erfolg lindert keineswegs die Dringlichkeit, nach politischen Alternativen zu suchen. So rappt Migo zum Beispiel: «Im Fautschä würkt dr Erfoug wi Schmärztablettä.»[1] Er kritisiert damit Rapper*innen, die sich der Illusion hingeben, dass sie es mit ihrer Musik nach oben schaffen und sich damit aus den bestehenden gesellschaftlichen Unterdrückungs- und Machtstrukturen hinaushieven können. Migo resümiert diese Position in folgendem Zitat: «Wüu Legändä heisst nid chartä ufs Eis, Legändä heisst es brönne Outos duss am Tag wo du geisch.»[2] Dies könnte als Anspielung auf George Floyds Tod und die Black Lives Matter-Bewegung interpretiert werden und, dass es auf der Welt viel wichtigeres gibt als ob sich ein Album gut verkauft.

Polemische Kulturkritik an einer kleinbürgerlichen Lebensweise kommt auf dem Album auch nicht zu kurz. Besonders im Song «Ig wünsches dir» verhandeln Migo und Iroas verschiedene Lebensentwürfe. So rappt Migo: «Weisch es Läbä so wi du z’ha, ey das wär für mi wi U-Haft».[3] Um alternative Lebensformen zu finden, müssen zuerst diejenigen kritisiert werden, die innerhalb des jetzigen Systems die Schuld für die Misstände tragen. Dafür suchen sich Iroas und Migo Kleinbürger*innen und Bullen aus.

Migo und Iroas unterlassen es dabei, verklausulierte Theorie-Phrasen zu dreschen. Wie immer rappen sie von realen Situationen von der Strasse. Im Song «Stadt» disst Migo Elfeinbeintürmer*innen, die sich hinter ihrer Lektüre von Marx und Foucault verkriechen. Die Leute von der Strasse hingegen würden Stücke aus genau diesem Elfenbeinturm sägen, um ihn dann zu verscherbeln. Bildstarker Wortwitz wie hier hat das Album an unzähligen Stellen zu bieten.

Disses gegen Ländler und die CH-Rapszene

Auch immer wieder kommt die Battlerap-Attitude zum Vorschein, welche wesentlich dazu beiträgt, dass Rap eine unabdingbare gesellschaftskritische Kunstform ist. Auf «Gloria» findet sich zum Beispiel folgender Seitenhieb gegen jene Volksmusik welche in den Augen Vieler die Schweiz angeblich besonders auszeichnen soll: «Z’Wort Kultur bruchä für Ländler, hätt schlicht niemer je söuä.»[4] Dabei ist doch eigentlich klar, dass die relevanten Volkskulturen des späten 20. und 21. Jahrhunderts unter anderem Rap, Dancehall, Reaggeton und Graffiti heissen.

Auf dem Track «3 Hänsel» bringen Iroas und Migo zum Ausdruck was sie von Vielem im Schweizer Rap-Game halten. Noch deutlicher war Migo übrigens letztens auf dem Track «Laserougä», welchen er und Buzz  kurz vor diesem Album droppten. Auch andere MC’s der Chaostruppe haben sich bereits über die hiesige Rapszene ausgelassen und beispielsweise die Belanglosigkeit vieler Inhalte thematisiert, wie hier Tarick One am Virus Bounce Cypher 2020 (ab Minute 5:24).

Migo rappt auf «3 Hänsel» unter anderem: «Rapper ir Schwiz si männlech, nie gsehsch ä Rapper ir schwiz grännä.»[5] was ebenfalls an den letzten Cypher erinnert, wo es eine Umfrage unter Rapper*innen gab, wann sie das letzte Mal geweint hätten. In der Umfrage wird offenbar, dass manche männliche MC’s anscheinend Mühe damit haben, sich mit ihrer Gewühlswelt auseinanderzusetzen. Vermutlich fühlten sie sich durch das Thema der Umfrage in ihrer fragilen Männlichkeit angegriffen. Es sei an dieser Stelle aber erwähnt, dass im Video von SRF Virus durchaus auch reflektierte Antworten zu finden sind.

Aufwändig produzierte melancholische Beats

Die beachtlich wirkenden Beats des Albums sind dabei melancholischer und gedämpfter als zum Beispiel beim erst kürzlich erschienenen Chaostruppen-Album «Umverteilig (zu üs)» (dazu gibt es auf sozialismus.ch auch ein Review) oder «Anti Einges», einem Kollabo-Album von Roumee und Iroas von 2019. Man erkennt jedoch klar die Handschrift des Produzenten und somit Ähnlichkeiten zu den bisherigen Releases von Migo & Buzz wieder. Exemplarisch steht hierfür der Titelsong Nachtblau. Buzz schafft mit dem zurückhaltenden und ruhigen Beat die Kulisse für eine Ästhetik, die sich auch im dazugehörigen Musikvideo zeigt, in welchem die Rapper in einer verregneten Nacht durch ihre menschenleere Stadt und über verwitterte Bahngeleise laufen. Der subtile Sound des Albums eignet sich also nicht unbedingt um partymässig über die Stränge zu schlagen. Statt Club-Atmosphäre entsteht das Setting für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Problemen der kapitalistischen Welt. Trotz dieser Melancholie, die sich in der Musik und im Text breitmachen, ist Hoffnung im Album keinesfalls abwesend. So rappt Migo im selben Lied: «Lachä mit minä Lüt und es tönt ehrläch, wöu aues hie isch no mügläch mir chöis cherä».[6] Die politische, emanzipatorische Perspektive, um welche die beiden Rapper ringen, ist stets spürbar.

Eher erstaunlich ist, dass es auf dem ganzen Album nur eine einzige kurze Anspielung aufs Fischen gibt. Nachdem beide Rapper in der Vergangenheit ihre Affinität für diese Nahrungsbeschaffungsmassnahme ausdrückten, scheint zumindest Iroas’ neue Leidenschaft das Train-Spotting zu sein. Die Enstehung des Albums kann man gut nachvollziehen, wenn man Iroas auf Instagram folgt. Schliesslich bietet das Tonstudio der Crew direkten Ausblick auf die Zuggleise. In den Lyrics finden sich diverse Anspielungen auf Bahnübergänge, Züge und die dazugehörigen Geräusche. Der Track «Übergang» erweckt den Eindruck, als wollte man mit dem Anfangsteil des Beats einen nächtlichen vorbeirollenden Güterzug darstellen.

Screenshot von Iroas‘ Instagram-Story (ca. Mitte Juli 2020).

Chillen mit Koksdealern statt mit Jean Ziegler

Auf «Stadt» rappt Migo «Mini Euterä hei chillt mitem Jean Ziegler, und ig chill mit Koksdealer».[7] Es ist eine Interpretation, aber vielleicht geht es hier ja um einen klassischen Eltern-Kind-Konflikt, indem die Eltern sich wünschen würden, dass der Nachwuchs ‘etwas Gescheites’ mit seinem Leben anfängt. Naja. Jean Ziegler chillte ja zum Beispiel mit Gaddafi und verteidigt Nicolás Maduros Regime in Venezuela. Von dem her kommt da im Vergleich ein durchschnittlicher berner Koksdealer ja ganz gut weg.[8]

Inhaltlich sind viele Songs ähnlich wie frühere Releases von Migo oder Iroas. Beispielsweise auf dem Album «Bokeh» von Iroas wurde ebenfalls auf melancholische Weise Vieles verarbeitet was im Everyday-Struggle im Kapitalismus dazugehört. Aber es sind ja auch immer noch dieselben asozialen Strukturen und Probleme in denen wir leben. Deshalb könnte man sich durchaus auch mal die Frage stellen ob es mit einer neoliberalen Leistungslogik zu tun hat, wenn man von Künstler*innen erwartet sich bei jedem Werk völlig neu zu erfinden.

Iroas, Migo und Buzz haben mit Nachtblau ein Album released, das aus einem Guss ist.

Im Outro benennt Migo nochmals klar was das Problem in dieser kaputten Welt ist: «Hoffnig isch Brot, Gschicht isch Wasser, Fridä dä Boot, Chrieg dä Yachtä»[9], was neben Georg Büchners berühmte Parole auch an Disastars Part auf dem Hanau-Benefiztrack «Bist du wach?» erinnert: «Die Grenze liegt nicht zwischen Innen und Aussen, sondern zwischen unten und oben. Die einen geh’n Yachten shoppen, die anderen geh’n unter in Booten.» (Minute 3:10)

Ebenfalls im Outro von «Nachtblau» erinnert uns Iroas an die Wichtigkeit von kollektiver politischer Aktion, um all die Scheisse zu überwinden: «Wär säch ällei wot d’Wäut uf d’Schueträ ladä, wird nur begrabä ungädrannä».[10]

Hier kannst du das Album „Nachtblau“ als CD oder als Download kaufen.


[1] «Im Falschen wirkt Erfolg so wie Schmerztabletten.»

[2] «Eine Legende zu sein heisst nicht zu charten [Platzierung in der Hitparade] auf die Nummer Eins. Eine Legende zu sein heisst, es brennen draussen Autos am Tag wo du gehst.»

[3] «Hey ein Leben so wie du zu haben, das wär’ für mich wie U-Haft.»

[4] «Das Wort Kultur hätte schlicht nie jemand für Ländler benutzen sollen.»

[5] «Rapper in der Schweiz sind Männlich. Nie siehst du einen Rapper weinen.»

[6] «Ich lache mit meinen Leuten und es hört sich ehrlich an. Weil alles ist hier noch möglich und wir könnens kehren.»

[7] «Meine Eltern chillten mit Jean Ziegler. Ich chille mit Koksdealern.»

[8] Weshalb in Bezug auf Venezuela nur eine ‘Weder Guaidó noch Maduro’-Position vertretbar ist, wird in diversen Artikeln auf unserer Homepage aufgezeigt. Unter anderem in Folgendem: https://sozialismus.ch/artikel/international/2019/venezuela-weder-fuer-guaido-noch-fuer-maduro/

[9] «Hoffnung ist Brot, Geschichte ist Wasser, Friede den Booten, Krieg den Yachten.»

[10] «Wer sich alleine die Welt will auf die Schultern laden, wird nur begraben unten dran.»

Verwandte Artikel

1 Kommentar

  1. Pingback:Bärn-Räp: «Aues für aui – Scho sit Partys im Blauliecht»

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert