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Die Schweiz hat ihre erste zone à défendre

Mitte Oktober 2020 haben Aktivist:innen im Kanton Waadt ein Stück Wald besetzt. Bereits seit längerem versuchten Anwohner:innen und Umweltschützer:innen mit Demos und Petitionen, das ökologisch wertvolle Gebiet vor der Zerstörung durch den Zement- und Betonhersteller LafargeHolcim zu bewahren. Mit der ersten zone à défendre (ZAD) existiert nun auch in der Schweiz eine Wald- oder Gebietsbesetzung und damit eine Form des ökologischen Widerstands, die in Frankreich und Deutschland bereits eine lange Tradition hat.

von Matthias Kern (BFS Zürich)

Mit Barrikaden, Zelten und selbstgebauten Baumhäusern verteidigen seit Mitte Oktober 2020 mehrere dutzend Aktivist:innen den Hügel Mormont wenige Kilometer nördlich von Lausanne, welchen die Firma Holcim seit Jahren zur Produktion diverser Bauprodukte nutzt. Die Aktivist:innen gaben ihrer Besetzung den Namen zone à défendre de la Colline (ZAD de la Colline). Durch den Rohstoffabbau wurde in den vergangenen Jahrzehnten bereits ein Grossteil des angrenzenden Waldes zerstört und eine Schneise in die Landschaft geschlagen. Doch nicht nur optisch hat der profitgetriebene Raubbau des globalen Zementkonzerns an der Natur Konsequenzen: Die Abbauregion rund um Mormont gehört zu den am stärksten durch Luftverschmutzung betroffenen Gebieten der Schweiz.

Und nun also entstand der Widerstand. Es mag zwar nur ein kleiner Wald, ein kleiner Hügel sein, der aktuell besetzt wird. Doch im Kontext der erstarkenden Umwelt- und Klimabewegung könnte die Besetzung Symbolcharakter annehmen. Sie zeigt, dass wir den Interessen und der Willkür der multinationalen Konzerne nicht einfach ausgeliefert sind, sondern konkrete Organisierung, Solidarität und lokaler Widerstand durchaus das Potenzial haben, ihren Machenschaften das Handwerk zu legen. Dazu ist aber wichtig, dass es nicht einfach ein paar dutzend Vollzeitaktivist:innen sind, die blockieren und besetzen. Stattdessen sollten die Aktionen und Ideen von der Bevölkerung ausgehen und gemeinsam mit dieser entwickelt werden. Denn Widerstand gegen Konzerne wie LafargeHolcim ist nicht nur gerechtfertigt, er ist eigentlich bitter nötig.

LafargeHolcim zerstört Mensch und Umwelt

Beton und Zement gehören global betrachtet zu den grössten Verursachern von Treibhausgas-Emissionen. Sie machen ungefähr acht Prozent des globalen Ausstosses an CO2 aus. Dieses entsteht zum einen beim Abbau und der Herstellung der Baustoffe, zum anderen durch den chemischen Prozess, der Beton und Zement überhaupt erst hart werden lässt und bei dem grosse Mengen Kohlendioxid freigesetzt werden.

Als grösster Zementhersteller der Welt ist der Schweizer Konzern LafargeHolcim damit auch einer der grössten Treiber der Klimaerwärmung. Und nicht nur das: Das Unternehmen ist dafür bekannt, Rohstoffvorkommen rücksichtslos auszubeuten, seine Hochöfen grossteils noch mit Braunkohle zu betreiben sowie gefährliche und mies bezahlte Arbeitsstellen anzubieten. Darüber hinaus wird aktuell gegen den Konzern wegen Terrorfinanzierung ermittelt. Er hatte in Nordsyrien der Terrorgruppe ISIS Schutzgelder bezahlt, um trotz des islamistischen Regimes in Nordsyrien, unter dem Minderheiten, Frauen und die Kurd:innen gelitten haben, weiterhin eine grosse Fabrik offenhalten und so Zement produzieren zu können.

Die zones à défendre haben eine lange Tradition

Gegen die Machenschaften des in der Schweiz ansässigen Konzerns LafargeHolcim, der 2015 durch die Fusion des französischen Herstellers Lafarge mit dem Schweizer Unternehmen Holcim entstanden ist, regte sich in der Vergangenheit in vielen Teilen der Welt Widerstand. Und nun also trifft ihn solcher endlich auch im Land seines Hauptsitzes. «Zone à défendre» (ZAD) – Verteidigungszone – nennen die Besetzer:innen ihren Hügel. Damit stellen sie sehr bewusst eine Verbindung zu den diversen ökologischen Kämpfen in Frankreich her, bei denen geplante Bauprojekte, Autobahnen, Flughäfen oder Abbaugebiete blockiert und besetzt werden, um die Umweltzerstörung zu verhindern. Die erste und bekannteste ZAD in Frankreich, die ZAD Notre-Dame-des-Landes (1), befindet sich in der Nähe von Nantes. Dort blockiert die Bevölkerung zusammen mit Besetzer:innen seit den 1970er-Jahren den Bau eines Flughafens. Die Besetzung war trotz mehrerer Räumungsversuche so erfolgreich, dass Emmanuel Macron 2018 verkündete, der Flughafen werde nicht gebaut. Neben dieser ZAD existieren in Frankreich mindestens sieben weitere grössere Landbesetzungen.

Auch in Deutschland sind solche Besetzungsformen seit mehreren Jahren bekannt. Aktuell besonders im Fokus der Öffentlichkeit stehen der Hambacher Forst sowie der Danneröder Wald. Im Hambacher Forst kämpfen Besetzer:innen gegen das Abbaggern eines uralten Waldstücks zur Gewinnung von Braunkohle im Tagebau von RWE, Europas grösstem Energiekonzern, während im Danneröder Wald gegen die Rodung für eine neue Autobahn gekämpft wird. An beiden Orten findet der Widerstand mit und rund um lokale Initiativen statt. Denn bei beiden Projekten wird nicht nur die Natur massgeblich bedroht, sondern auch die Lebensqualität und der Lebensraum der Anwohner:innen.

Nicht das einzige Kampfmittel, aber eine Dimension des umfassenden Widerstands

Ob die ZAD de la Colline bei Veröffentlichung dieses Artikels noch Bestand haben wird, ist aktuell nicht abzusehen. Klar scheint auf jeden Fall, dass sie das Repertoire unseres Widerstands gegen die Klimakatastrophe und die fortschreitende Umweltzerstörung um eine neue Aktionsform erweitert hat. Verteidigungszonen und Besetzungen können zentral dazu beitragen, das Bewusstsein für ein Anliegen zu steigern, die lokale Bevölkerung mit politischen Organisationen in Kontakt zu bringen und ganz aktiv Konzerninteressen zu stören.

Dabei muss uns klar sein, dass eine isolierte Besetzung von einer Handvoll Aktivist:innen vielleicht einen Bau oder eine Rodung für eine Zeit verhindern kann, aber schlussendlich wohl scheitern wird. ZADs können wichtig sein, aber sie werden erst dann schlagkräftig, wenn sie im Rahmen einer sozialen Bewegung geschehen und an weitergehende politische Forderungen geknüpft sind. Denn schlussendlich ist angesichts der drohenden ökologischen Katastrophen der kommenden Jahre die ganze Welt eine zone à défendre.


1 Die ZAD in Notre-Dame-des-Landes war auch Taufpatin der «zones à défendre»: In Frankreich steht ZAD eigentlich für «Zone d’Aménagement Différée» (Förderungsgebiet). Sobald ein Gebiet vom Staat zu einer ZAD-Zone erklärt wird, bekommt die örtliche Verwaltung das Vorrecht, das Land zu kaufen. Die Besetzer:innen von Notre-Dame-des-Landes übernahmen das Kürzel und tauften es neu.

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