Selbst in der Schweiz, einem Land mit einer äusserst robusten Tradition der Konsensorientierung und des Arbeitsfriedens, existieren zahlreiche Basiskollektive, die sich gegen die Ungerechtigkeiten des kapitalistischen Alltags organisieren: Solinetzwerke, Organisationen und NGOs setzen sich gegen das aktuelle Migrationsregime ein, kämpfen gegen Sozialabbau und für bessere Arbeitsbedingungen, prangern die aktuelle “Klimapolitik” an oder stehen für feministische Anliegen ein. Als Bewegung für den Sozialismus sehen wir es als unsere Aufgabe, derartige Initiativen zu unterstützen und im Rahmen unserer Möglichkeiten mitzugestalten. Gleichzeitig nehmen wir eine revolutionär-sozialistische Perspektive ein, weil wir davon überzeugt sind, dass Widerstand gegen das System stärker wird, wenn es gelingt, verschiedene Kämpfe zu verbinden und eine gesamtgesellschaftliche Alternative zu formulieren. Angesichts der historischen und aktuellen Vereinnahmung und völligen Diskreditierung „des Sozialismus“ durch autoritär-stalinistische Regime sowie „sozialdemokratische“, de facto systemerhaltenden Kräfte, ist es wichtig, zu erläutern, was wir unter Sozialismus verstehen und welche Schlüsse wir aus den bisherigen Erfahrungen mit sozialistischem Anspruch ziehen. Die folgenden Thesen stellen den Versuch dar, unsere Vorstellung von Sozialismus grob zu skizzieren.
von David Ales (BFS Basel)
1. Sozialismus = kollektive und demokratische Verwaltung der Produktionsmittel
Die kapitalistische Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Produktionsmittel – also die Gesamtheit der Hilfsmittel, welche für die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen notwendig sind (Werkzeuge, Maschinen, Gebäude, Transportmittel, Rohstoffe) – im Besitz privater Eigentümer:innen befinden: den Kapitalist:innen. Als soziale und politische Klasse bestehen die Kapitalist:innen zwar nur aus einer kleinen Minderheit von Unternehmer:innen und ihren politischen Vertreter:innen. Dennoch besitzen und kontrollieren sie die grosse Mehrheit des weltweit produzierten Reichtums und vergrössern diesen, indem sie die Mehrheit der Menschen, die Klasse der Lohnabhängigen, für sich arbeiten lassen. Das Kernanliegen unseres sozialistischen Projektes besteht darin, diese Macht- und Eigentumsverhältnisse gänzlich zu überwinden und die derzeit privaten Produktionsmittel zu vergesellschaften, also in gemeinschaftlichen Besitz zu überführen. Mit kollektiver Verwaltung der Produktionsmittel meinen wir ausdrücklich nicht nur eine Beaufsichtigung von aussen (etwa durch externe Kontrollorgane), sondern eine umfassende Aneignung durch die Produzierenden und die Gesellschaft.
Wenn wir dieses Prinzip ernst nehmen, so wird auch klar, dass Sozialismus keinesfalls mit der blossen Verstaatlichung von Betrieben verwechselt werden darf: Auch Staatsbetriebe werden durch Gremien von oben nach unten gelenkt und unterliegen kapitalistischen Sachzwängen: Rentabilität, Warenförmigkeit, Wachstum und Marktorientierung. Öffentlich-rechtliche Betriebe wie die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) oder das schweizerische Rüstungs- unternehmen (RUAG) sind profitorientierte Aktiengesellschaften, bei denen der Bund Haupt- oder Alleinaktionär ist. Um der Herrschaft des Kapitals eine kollektive Gestaltungsmacht von unten entgegenzusetzen, treten wir als Sozialist:innen deswegen nicht für eine Verstaatlichung, sondern für die Schaffung von demokratisch organisierten Kontroll- und Selbstverwaltungsstrukturen ein. Erst durch die umfassende und gesetzlich garantierte Verankerung von Gemeineigentum lassen sich die Bedingungen für eine Gesellschaft schaffen, in der demokratisch bestimmt wird, welche Güter und Dienstleistungen unter welchen Bedingungen erarbeitet und zur Verfügung gestellt werden. Nur so ist es möglich, gesellschaftliche Bedürfnisse unter Berücksichtigung ökologischer Kriterien ins Zentrum menschlicher Tätigkeit zu stellen.
2. Sozialismus = gleichberechtigte Teilhabe und Zugang zu öffentlichen Gütern
Die Mehrheit der Menschen ist heute dem Zwang unterworfen, im Rahmen kapitalistisch organisierter Erwerbsarbeit ihre eigene Arbeitskraft zu verkaufen und somit als Lohnabhängige zu arbeiten. Durch das Gemeineigentum an Produktionsmitteln soll dieser Zustand aufgehoben werden. Um aber zu gewährleisten, dass in einer künftigen Gesellschaft allen Menschen gleichberechtigte Teilhabe und Mitbestimmungsmöglichkeiten zustehen, müssen Selbstverwaltungsstrukturen auch ausserhalb des Arbeitsplatzes erkämpft werden: in den Quartieren, in Bildungsinstitutionen, öffentlichen Einrichtungen und in der Verwaltung. Ziel sollte sein, Fragen des gesellschaftlichen Miteinanderlebens, kulturelle Aktivitäten, Freizeit und Erholung nicht mehr kommerziell und geldvermittelt, sondern gemeinschaftlich zu planen und zu gestalten. Der Zugang zu Bildungs-, Gesundheits-, Pflege und Erziehungseinrichtungen, sowie kulturelle Angebote und der öffentliche Verkehr müssen dabei allen Menschen unentgeltlich zugänglich sein. Der freie Zugang zu öffentlichen Gütern und die demokratische Teilhabe sollen nicht nur zu einer gleichberechtigten und solidarischen Gesellschaft führen, sondern auch Möglichkeiten für neue Formen des Zusammenlebens (Wohnen, Freizeit, Kinderbetreuung, Beziehungen) schaffen.
3. Sozialismus = Basisdemokratie und Verhinderung von Machtkonzentration
Vergangene und aktuelle Projekte mit sozialistischem Anspruch waren und sind von Repression, Bürokratisierung, Personenkult und/oder Gewalt gegenüber Andersdenkenden begleitet. Ganz offensichtlich verfügte der sogenannte „Realsozialismus“ über kein Korrektiv, um eine immer grössere Machtfülle und die Herausbildung neuer Eliten zu verhindern. Es ist daher wenig verwunderlich, dass heutzutage viele Menschen davon ausgehen, dass Bürokratisierung und Diktatur nicht nur „zum Wesen des Sozialismus“ gehören, sondern gar in der marxschen Theorie angelegt sind. Das diese Annahmen falsch sind, ergibt sich schon aus den ersten beiden Thesen dieses Textes: Wenn das Kernanliegen des Sozialismus in der Kollektivierung und Vergesellschaftung der Produktionsmittel und aller sonstigen Lebensbereiche besteht, so ist auch klar, dass die Aneignung all dieser Bereiche durch eine bürokratisch organisierte Einheitspartei oder eine sonstige Machtelite nichts mit Sozialismus zu tun hat. Das historische Erbe des Stalinismus (und seinen zahlreichen Spielformen) wirkt aber bis heute nach und ist eines der grössten Hindernisse im Aufbau einer neuen, demokratischen und sozialistischen Bewegung. Die Vorstellung von Sozialismus als autoritärer Konzeption hemmt nicht nur die Neuentstehung einer kämpferischen und organisierten Arbeiter:innen-bewegung, sie trägt auch zur in linken Kreisen weitverbreiteten Organisationsfeindlichkeit bei.
Umso wichtiger ist es, sich kompromisslos von autoritären Politikformen zu distanzieren und auch konzeptuell Massnahmen vorzusehen, die Bürokratisierung und Machtkonzentration verhindern. Auch wenn wir der Ansicht sind, dass sich Sozialismus nicht auf dem Papier entwerfen lässt, ist es entscheidend, die Lehren aus den historischen Erfahrungen zu ziehen und bestimmte Leitlinien aus ihnen abzuleiten. So sollte für ein künftiges sozialistisches Projekt gelten:
- Keine Relativierung oder Einschränkungen von individuellen politischen und sozialen Rechten. Anstatt Menschenrechte als bürgerliches Konzept abzutun, sollten wir aufzeigen, inwiefern die Durchsetzung der Menschenrechte unter kapitalistischen Verhältnissen äusserst willkürlich bleibt und letztlich nur in einer postkapitalistischen Gesellschaft für alle realisiert werden kann. Gerade in Zeiten, in denen rechtsnationalistische Regierungen in zahlreichen Ländern (Ungarn, Polen, Österreich, Türkei, USA) die sozialen und politischen Rechte der Lohnabhängigen (insbesondere von Frauen und Minderheiten) offen angreifen, ist es aus linker Sicht wichtig, diese zu verteidigen. Einzige Ausnahme stellt hier das Recht auf Privateigentum an den Produktionsmitteln dar.
- Insbesondere keinerlei Einschränkungen der Presse-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit. Das Selbstbestimmungsrecht von politischen, ethnischen oder religiösen Minderheiten muss ebenso gewährleistet sein wie das uneingeschränkte Recht auf Kritik und Meinungsäusserungsfreiheit in Organisationen, Selbstverwaltungsstrukturen und überall sonst. Dies gilt explizit auch für politische Gegner:innen, sofern diese nicht zu gewalttätigen und menschenverachtenden Praktiken aufrufen.
- Das Selbstbestimmungsrecht aller Bevölkerungen muss respektiert werden.
- Alle Personen, die in künftigen Verwaltungsstrukturen aktiv sind, müssen demokratisch gewählt und jederzeit wieder abwählbar sein. Politische Mandate müssen zeitlich begrenzt sein und einer ständigen Kontrolle unterliegen. Privilegien finanzieller oder sonstiger Art sind verboten.
4. Sozialismus kann nur aus einer pluralistischen Bewegung von unten hervorgehen
Die Erfahrungen des 20. und 21. Jahrhunderts machen klar, dass Einparteiensysteme zu Unterdrückung, Bürokratisierung und Gewalt führen. Eine neue antikapitalistische und emanzipatorische Bewegung kann nur dann Erfolg haben, wenn sie aus einer Pluralität von politischen und sozialen Bewegungen und Orientierungen entsteht. Politische Organisationen mit revolutionär-sozialistischem Anspruch sollten versuchen, Teil des antikapitalistischen Wiederstandes zu sein und diesen mit aufzubauen, ohne diesen aber zu vereinnahmen oder in seiner Diversität zu schwächen. Selbstverständlich ist es wichtig und legitim, im Rahmen politischer Kämpfe und Klassenauseinandersetzungen die eigenen Grundsätze und Anliegen einzubringen und insofern auch für eine sozialistische Orientierung zu kämpfen. Gleichzeitig muss aber klar sein, dass eine emanzipatorische und gleichberechtigte Gesellschaft nie aus der alleinigen Führung einer einzigen Partei oder Strömung entstehen kann. Die politische Pluralität in allen Selbstverwaltungsorganen muss daher zu jedem Zeitpunkt gewahrt und gewährleistet werden. Dies bedeutet auch, von der Durchsetzung eines sozialistischen Programms im Rahmen eines revolutionären Prozesses abzusehen, wenn dieses von der Mehrheit der Bewegung abgelehnt wird.
5. Sozialismus als feministisches Projekt!
Die einseitige Fokussierung traditioneller sozialistischer Bewegungen und Parteien auf die Erwerbsarbeit hat dazu geführt, dass die zentrale Rolle feministischer Kämpfe und von Frauen als elementarer Teil der Lohnabhängigen oft vergessen ging. Die unbezahlte und meist in privatem Rahmen geleistete Reproduktionsarbeit – vor allem die Kindererziehung sowie die Pflege- und Hausarbeit – unterliegt zwar nicht unmittelbar der Kapitalakkumulation, ist aber für das Fortbestehen kapitalistischer Gesellschaft von entscheidender Bedeutung. Historisch gesehen haben Frauen in Klassenkämpfen, Streiks und Revolutionen (1917 in Russland, 1936 in Spanien etc.) immer eine zentrale Rolle gespielt, auch wenn sie in politischen Instanzen und intellektuellen Debatten oft untervertreten waren oder verdrängt wurden. Eine sozialistische Bewegung, die sich auf die Klasse der Lohnabhängigen als revolutionäres Subjekt bezieht, muss deswegen konsequent feministische Kämpfe und die Selbstorganisation von Frauen* unterstützen und sie als integralen Bestandteil des Klassenkampfes begreifen.
Als emanzipatorisches Projekt müssen wir uns entschieden gegen die Diskriminierung von LGBTQI*-Menschen wehren und ihre Anliegen und Kämpfe auch als Teil unserer Politik begreifen. Der Kampf um die Sichtbarmachung und die Gleichberechtigung verschiedener Geschlechteridentitäten, sexueller Orientierungen und Beziehungsformen gehört nicht nur an sich zu unserem sozialistischen Projekt, sondern formuliert zugleich eine Kritik am mit dem Kapitalismus eng verbundenen bürgerlichen Familienmodell.
Auch die nach wie vor weitverbreitete geschlechterbasierte Arbeitsteilung, Machismus, sexistisches Verhalten sowie Gewalt gegen Frauen sind das Ergebnis einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft und müssen konsequent bekämpft werden.
6. Sozialismus als antirassistisches und internationalistisches Projekt!
Die Spaltung der Klasse der Lohnabhängigen vollzieht sich nicht nur entlang der Geschlechter, sondern auch entlang von Landesgrenzen, Regionen sowie ethnischen Gruppen. Dabei profitieren die Kapitalist:innen als soziale Klasse weltweit davon, dass ein grosser Teil der globalen Arbeiter:innenklasse rechtlich weitgehend schutzlos ist und zu günstigen Bedingungen ausgebeutet werden kann. Die Entstehung des Kapitalismus ist historisch eng mit der modernen Sklaverei, kolonialer Unterwerfung, Krieg, Nationalstaatenbildung, Rassismus und imperialistischer Politik verbunden. Die Schweiz ist vor allem auf Grund ihrer Rolle als Finanz- und Handelsplatz, aber auch durch die Aktivitäten zahlreicher multinationaler Konzerne mit Sitz in der Schweiz ein wichtiges Element der imperialistisch-kapitalistischen Weltordnung. Die globalen Abhängigkeitsverhältnisse und die Klassengegensätze, die Millionen Menschen in die Flucht treiben, werden weltweit mit neoliberalen, fremdenfeindlichen und/oder rassistischen Ideologien kaschiert oder gerechtfertigt.
Die ideologische, rechtliche, politische und soziale Diskriminierung von Migrant:innen und Geflüchteten führt auch in der Schweiz zu Spaltungen und Entsolidarisierung und schafft dadurch (teilweise illegalisierte) Lohnabhängige, die besonders leicht ausbeutbar sind. Als Sozialist:innen lehnen wir die Spaltung der Lohnabhängigen ab und bekämpfen jede Form von Ausgrenzung, Repression und Diskriminierung. Darüber hinaus ist es zentral, auch Arbeitskämpfe von Migrant:innen und die Kämpfe der Geflüchteten um mehr Rechte und Anerkennung als Teil von Klassenauseinandersetzungen zu begreifen, in welchen sich prekarisierte Teile der Lohnabhängigen artikulieren und organisieren. Nur wenn es gelingt, auf internationaler Ebene und über ethnisch-kulturelle Spaltungsversuche hinweg Solidarität innerhalb der Klasse der Lohnabhängigen zu schaffen, lassen sich rassistische Ideologien und Politikformen wirksam bekämpfen. Für uns ist klar, dass Sozialismus als emanzipatorisches Projekt der Klasse der Lohnabhängigen nur als internationale, länderübergreifende Bewegung Erfolg haben kann. Dies aus mindestens zwei Gründen: Erstens geht im globalisierten Kapitalismus die Macht nicht nur von nationalen Regierungen, sondern auch von supranationalen Strukturen (Europäische Union, NATO, Weltbankgruppe, Internationaler Währungsfonds etc.) und global tätigen Unternehmen aus. Da also die herrschende Klasse im Kapitalismus global vernetzt ist, lässt sich ihre Macht auch nur international angreifen. Zweitens besteht auch die Klasse der Lohnabhängigen de facto nicht aus national isolierten Einheiten. Globale Produktions- und Distributionsketten machen deutlich, dass eine sozialistische Bewegung immer versuchen muss, die Klasse der Lohnabhängigen international zu mobilisieren und auch politisch zu vernetzen.
7. Sozialismus + Klimagerechtigkeit = Ökosozialismus!
Die offensichtliche Unfähigkeit kapitalistischer Gesellschaften, ressourcenschonende und schadstoffarme Wirtschaftskreisläufe hervorzubringen, ist eines der besten und dringendsten Argumente dafür, sich für einen Systemwandel einzusetzen. Es gilt daher immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass die dem Kapitalismus inhärente Notwendigkeit nach ständiger Intensivierung und Ausweitung der Produktion zwangsläufig mit einer ökologischen Umgestaltung der Gesellschaft kollidiert.
Leider zeigt die miserable Umweltbilanz der ehemaligen „realsozialistischen“ Länder aber, dass wir nicht davon ausgehen dürfen, dass aus der Entmachtung des Kapitals automatisch eine ökologische Gesellschaft hervorgeht. Auch wenn es gelingt, die Produktionsmittel zu kollektivieren und demokratische Selbstverwaltungsstrukturen aufzubauen, so ist dies keine Garantie für eine ökologische Gesellschaft.
Die durch die kapitalistische Produktions- und Konsumweise verursachte Klimaerwärmung und Umweltzerstörung gefährden die Existenzgrundlagen aller Menschen, treffen aber vor allem die Lohnabhängigen und Landarbeiter:innen in ärmeren Ländern. Gleichzeitig ist es der enorme Ressourcenverbrauch und die Politik der imperialistischen Länder und ihrer Konzerne, welche für diesen Prozess hauptverantwortlich sind. Wir sind deswegen der Ansicht, dass der Kampf gegen die Zerstörung der globalen Ökosysteme nicht nur in unserem eigenen Interesse, sondern auch eine Frage der internationalen Solidarität ist. Schon heute verwenden grosse Teile der Umweltbewegung den Begriff der Klimagerechtigkeit, um die Verflechtung sozialer, ökonomischer und ökologischer Anliegen aufzuzeigen.
Eine ökosozialistische Perspektive zu verfolgen bedeutet für uns, ökologische, soziale und politische Anliegen zusammenzudenken. Dazu gehört einerseits, sich an den Forderungen von Lohnabhängigen, Landarbeiter:innen und Indigenen im globalen Süden zu orientieren. Andererseits verlangt das Prinzip der Klimagerechtigkeit gerade in einem imperialistischen Land, sich konsequent gegen umweltschädliche Produktions- und Konsumweisen einzusetzen und nach Alternativen zu suchen. Dies betrifft sowohl die Industrie, die Städte- und Raumplanung, die Transportmittel und die damit verbundene Infrastruktur, die Nahrungsmittelerzeugung und die Energiepolitik.
Ökosozialismus bedeutet für uns keine technologiefeindliche Haltung: Die Suche nach alternativen und neuen Produktionsverfahren, Materialien und Mobilitätskonzepten wird zwangsläufig Teil eines ökosozialistischen Projektes sein. Aber wir sind der Ansicht, dass bei der Entwicklung neuer sowie der Beurteilung aktueller Technologien vor allem die globalen und langfristigen Auswirkungen berücksichtigt werden müssen. Produktionsverfahren und Güter, die auf den massiven Einsatz fossiler Brennstoffe oder andere endliche Ressourcen angewiesen sind, stellen aus ökosozialistischer Sicht ein Problem dar und müssen falls möglich angepasst oder ersetzt, falls nötig abgeschafft werden. Dies selbst dann, wenn sie heute – wie dies beispielsweise beim Autoverkehr der Fall ist – für einzelne Regionen und Bevölkerungsteile mit materiellen Komfort verbunden und kulturell verankert sind.
Sozialismus neu denken, Kapitalismus überwinden!
Die soeben formulierten Thesen über Sozialismus sind zwangsläufig unfertig und bleiben, angesichts des Fehlens breiter antikapitalistischer und sozialistischer Massenbewegungen abstrakt. Gerade weil jede neue Gesellschaftsform – so auch Sozialismus – immer das Ergebnis von Klassenkämpfen und demokratischen Aushandlungsprozessen ist, ist es zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, ein detailliertes Programm zur Erreichung und Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaft zu entwerfen. Konkrete Forderungen müssen sich wenn immer möglich an aktuellen politischen Fragen, Debatten und sozialen Bewegungen orientieren und auf diese Bezug nehmen. Dennoch gehört eine lebendige Debatte darüber, was wir eigentlich unter Sozialismus verstehen und welche Grundsätze uns dabei wichtig sind, zur politischen Kultur und zur Aufbauarbeit im Rahmen der Bewegung für den Sozialismus.
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Kohärente Thesen, überzeugende Argumente gegen (linken) Autoritarismus. Die grosse Frage, die ausgeklammert bleibt, ist die der Gewalt: Die Profiteure des untergehenden Kapitalismus werden ihre Privilegien immer mit Waffengewalt verteidigen. Auf diese Herausforderung habe ich noch keine überzeugende Antwort gefunden, denn eine revolutionäre Bewaffnung und die Bereitschaft zu töten gehen erfahrungsgemäss mit militärischer Hierarchie, Autorität und mit Verrohung einher.