Der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die ukrainische Bevölkerung jährt sich schon zum zweiten Mal. Mehrere Zehntausend Ukrainer:innen wurden bereits ermordet, davon 20’000 Zivilist:innen. Keine:r von ihnen hatte sich diesen Krieg ausgesucht. Das war das Kreml-Regime allein! Mit mittlerweile 11 Millionen Geflüchteten hat die russische Invasion zudem die grösste europäische Flüchtlingsbewegung seit Ende des Zweiten Weltkrieges verursacht.
von BFS/MPS
Solidarität mit den ukrainischen Lohnabhängigen bedeutet klare Kante gegen Putins Invasion
2023 konnten weder die Ukraine bedeutende Gebiete befreien noch die russischen Truppen viel neues Gebiet besetzen. Doch das autoritäre Regime um Wladimir Putin hat seine Ziele nicht aufgegeben, nur die Strategie angepasst. Dies beweist unter anderem der stellvertretende Leiter des russischen Sicherheitsrates und enger Freund Putins, Dimitri Medwedew. Für ihn ist Kyiv nur eine «vorrübergehend besetzte russische Stadt». Es ist damit zu rechnen, dass Russland auf eine schrittweise Eroberung weiter Teile der Ukraine setzt, um einen Rest der Ukraine als von Russland abhängigen dysfunktionalen Rumpfstaat zurückzulassen. Während nun Russland seine Wirtschaft teilweise militarisiert und seine Ausgaben für Armee und Waffenindustrie für 2024 auf 6% des BIP steigern will, lässt die militärische Hilfe des Westens für die Ukraine nach – ein Umstand, auf den das Regime im Kreml zählt, um im Frühjahr 2024 die Oberhand zu gewinnen.
Unter russischer Fremdherrschaft haben die ukrainischen Lohnabhängigen nichts zu gewinnen – zu allerletzt die Bewegungsfreiheit, um sich von der eigenen ausbeutenden Klasse zu befreien. Linke, die Waffenlieferungen ablehnen, oder von ukrainischen Lohnabhängigen fordern, dass sie ihre Waffen niederlegen, leben an der Realität vorbei. Wir unterstützen weiterhin das Recht der ukrainischen Bevölkerung, sich gegen die russische Invasion und Besatzung auf bewaffnete Weise zu wehren.
Putin will aus der Ukraine eine abhängige Halbkolonie machen
Das autoritäre Kreml-Regime inszeniert sich als Befreier der Ukrainer:innen. In Wirklichkeit manipuliert das Kreml-Regime die russische Bevölkerung, indem es die kollektive Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg instrumentalisiert. Hinzu kommen grossrussisch-imperiale Vorstellungen: Die sogenannte «militärische Spezialoperation» befreie angeblich die Ukrainer:innen von den Faschist:innen und hole sie zurück in den sicheren Schoss der sogenannten «dreieinigen russischen Nation» (Russland – Ukraine – Belarus). Dahinter verbirgt sich aber tatsächlich russischer Revanchismus, der nicht akzeptiert, dass andere Bevölkerungen nicht mehr der russischen geopolitischen Einflusssphäre untergeordnet sein wollen.
Die besetzten Gebiete – immerhin 18% des ukrainischen Territoriums –, die der Kreml in Anlehnung an das zaristische Governorat im 18. Jhdt. Noworossija (Neusrussland) nennt, zeichnen ein dystopisches Bild: Manipulierte Wahlen, systematischer Ausschluss oppositioneller Kandidat:innen, Verfolgung Oppositioneller. Ukrainer:innen werden gezwungen, auf russischer Seite mitzukämpfen, Arbeiter:innen werden unter Drohung von Rausschmiss aus Rentenkassen und Arbeit zwangsweise in Russland eingebürgert. 19’500 ukrainische Kinder wurden deportiert, um in Russland von russischen Eltern zwangsadoptiert zu werden. Seit dem 1. September 2023 gilt zudem das neue russische Gymnasialgeschichtsbuch, das die Annexion der Krim und die sogenannte «Spezialoperation» als heldenhafte Pflicht lehrt. Totalitäre Bildungspolitik und Deportation in diesem sensiblen Alter zielen darauf ab, die ukrainische Kultur (auch diejenige der russischsprachigen Bevölkerung) nachhaltig auszulöschen.

Der Westen und die Kapitalist:innenklasse in der Ukraine
handeln nicht uneigennützig
Seit den Ukraine Recovery Conferences in Lugano 2022 und London 2023 ist klar, wie sich der Westen den Wiederaufbau der Ukraine vorstellt: als liberale Deregulierung der Wirtschaft und Abbau von Arbeiter:innen-Rechten. In dieselbe Kerbe schlägt die Regierung Selenskyj. Dass selbst inmitten der Kriegszeiten ein derartiger Liberalisierungsschub geleistet wird, spottet den ukrainischen Lohnabhängigen, die das Land unter Einsatz von ihrem Leben am Laufen halten, wiederaufbauen und verteidigen.
Eine andere Ukraine ist allerdings nur mit den Lohnabhängigen möglich. Ein Beispiel für die Initiativkraft der arbeitenden Bevölkerung ist Nina Kozlovska. Die leitende Krankenpflegerin aus dem Umland von Kiyv legte den Grundstein für eine landesweite Mobilisierung von Beschäftigten im Gesundheitswesen. Unter dem Hashtag #BeLikeNina (#БудьякНіна) sammelten sich Gesundheitsarbeiter:innen zum Kampf gegen den neoliberalen Kurs der Regierung Selenskyj: gegen die Schliessung von Krankenhäusern, Personalabbau und für die Involvierung von Gesundheitsarbeiter:innen in die parlamentarische Ausgestaltung von Gesundheitsreformen.
Die ukrainische Regierung muss die ukrainischen Lohnabhängigen beim Wiederaufbau als Mitentscheidende einbeziehen. Nur so lässt sich garantieren, dass aus der Ukraine ein sozialer Staat wird. Und so werden die ukrainischen Lohnabhängigen zum Selbstbewusstsein finden, um sich als Klasse zu organisieren und sich dereinst über den Tellerrand der bürgerlichen
Demokratie hinauszuwagen.
Die ach so neutrale Schweiz
In der Schweiz wurden auch lange nach Kriegsbeginn noch 50- 60% des russischen Rohöls und der Erdölprodukte gehandelt und so der Krieg faktisch mitfinanziert. Vieles spricht dafür, dass die Schweiz die Undurchsichtigkeit ihres Finanzmarktes nutzen will, um diese Rolle beizubehalten. Mittlerweile gilt zwar eine Preisobergrenze für den Handel mit russischem Öl. Doch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat keinen Kontrollmechanismus zur Überwachung dieser Sanktionen übernommen – es setzt auf die Eigenverantwortung der Handelsunternehmen… Zudem sind Schweizer Unternehmer:innen und Unternehmen, die im Ausland ansässig sind, den Sanktionen nicht unterworfen. Russland handelt sein Öl nun via undurchsichtige Pop-Up-Unternehmen mit Sitz in Hong Kong und Dubai, wo nicht feststellbar ist, welche russischen oder schweizerischen Unternehmen Anteilseigner sind. Die Schweiz reiht sich damit in den Versuch Westeuropas ein, gleichzeitig die russische Kriegstreiberei zurückzudrängen und den Fluss billiger russischer fossiler Energieträger aufrechtzuhalten. Das autoritäre und kapitalistische Russland nutzt die Zwänge des
fossilen Kapitalismus, denen der Westen unterliegt, indes gezielt aus, um seine Kriegsmaschinerie zu finanzieren.
Im September 2023 wurde auf Initiative der FDP-Bundesrätin Karin Sutter-Keller ein provisorisches Konzept ausgearbeitet, das dem Bundesrat empfahl, den Aufenthaltsstatus S (Einreise und Jobsuche ohne Asylverfahren) für ukrainische Geflüchtete im März 2024 nicht mehr zu verlängern. Die Ausreise der Geflüchteten sollte forciert werden (ca. 70’000 von 90’000), falls sich die Lage in der Ukraine stabilisieren würde. Glücklicherweise wurde der Aufenthaltsstatus S im November 2023 dann doch bis März 2025 verlängert. Tatsächlich sprechen sich immer mehr Politiker:innen im Westen offen für eine Rückkehr der ukrainischen Geflüchteten aus und betonen dabei, wie relativ sicher der Westen der Ukraine mittlerweile sei. All das, obwohl es Teil von Putins Winterstrategie ist, die Raketenbeschüsse auf zivile Ziele in der West- und Südukraine zu steigern. Dies zeigt, wie brüchig die europäische Willkommenskultur ist.
Deswegen fordern wir
- Russland muss sofort alle Kampfhandlungen einstellen und alle Truppen und anderen Behörden aus allen besetzten Gebieten der Ukraine zurückziehen.
- Die erzwungene Russifizierung ukrainischer Gebiete muss beendet und rückgängig gemacht werden.
- Die Gelder russischer Oligarch:innen müssen konfisziert und für den Wiederaufbau der Ukraine und die Demokratisierung Russlands verwendet werden.
- Europa darf russisches Öl, Raffinerieprodukte und Gas nicht mehr beziehen, auch nicht via Drittstaaten, und der Schweizer Rohstoffhandelsplatz muss den Handel mit russischen fossilen Energieträgern gänzlich einstellen.
- Es braucht einen kompletten Schuldenschnitt für die Ukraine.
- Der Wiederaufbau der Ukraine muss unter der aktiven Mitgestaltung der ukrainischen Lohnabhängigen vollzogen werden.
- Die Mitbestimmungsrechte von Gewerkschaften und Arbeiter:innen-Verbänden sowie tarifvertragliche Arbeiter:innenrechte müssen (wieder)hergestellt und ausgeweitet werden.
- Alle Geflüchteten aus allen Ländern müssen würdevoll aufgenommen werden und die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben haben. Es braucht sichere Fluchtwege.
Titelbild: Ein Blick zeigt eine zerrissene Flagge der Ukraine, die an einem Draht vor einem zerstörten Wohnhaus in der südlichen Hafenstadt Mariupol, Ukraine, aufgehängt ist, 14. April 2022. REUTERS/Alexander Ermochenko