Die Schweizer Universitäten werden momentan von einer ungewohnten Welle von Studiengebührenerhöhungen erfasst. In Fribourg, Basel, Bern und an den ETHs in Zürich und Lausanne sind Erhöhungen geplant. Gegen diesen Angriff auf die Studierenden bildet sich aber langsam Widerstand. In Basel fand am 15. November die dritte studentische Vollversammlung statt. In Fribourg kam es letzte Woche, am 9 November, zu einer Demonstration mit mehreren hundert TeilnehmerInnen gegen die geplante Erhöhung. Auch in Lausanne sind Vorbereitungen zu Protestaktionen im Gange und in Bern äussert sich der Unmut im Rahmen der Proteste gegen die kantonalen Sparpläne, beispielsweise an der Demonstration „Sozialer Kahlschlag stoppen“ am 22. November. In Zürich wiederum fand am 15. November eine Aktion der Gruppe „Bildung ohne Hürden“ an der ETH statt. Mit Flyern und Transparenten wurde auf die geplante Erhöhung aufmerksam gemacht. Gleichzeitig wird zum Unterschreiben einer Petition unter https://500franken.ch/petition/aufgerufen. Das Bündnis, welches sich gegen die Studiengebührenerhöhung an der ETH wehrt, hat dazu ein Argumentarium verfasst. Wir wollen dieses hier verbreiten. (Red.)
von „Bildung ohne Hürden“; aus 500franken.ch
Argumentatorium
- Studiengebühren als Hürde
- Studium und Arbeitswelt
- Studiengebühren, Stipendien und Sparmassnahmen
- Studiengebühren(erhöhungen) schweizweit
- Der ETH-Rat, seine Argumentation und seine Interessen
Studiengebühren als Hürde
Laut einer Umfrage vom Verband der Studierenden an der ETH (VSETH) von 2012 würden 9% der schweizerischen und 32% der nicht-schweizerischen Studierenden bei einer Erhöhung der Studiengebühren auf 850.- pro Semester nicht mehr an der ETHZ studieren [1]. Dies zeigt klar, dass die vom ETH-Rat geplante Erhöhung für viele Studierende eine unüberwindbare Hürde darstellen würde. Gleichzeitig wirft es auch die Frage auf, wie vielen Menschen durch die bereits existierenden Studiengebühren ein Studium verunmöglicht wird. Die allermeisten Studierenden leben mit einem sehr eng begrenzten Budget. 40.- mehr pro Monat (bzw. 500.- im Jahr) stellen für viele eine grosse Herausforderung dar.
Gerade weil die Ausgaben für Studierende ständig steigen: Krankenkassenprämien, Mieten und ÖV-Preise nehmen seit Jahren zu. Studieren wird immer teurer und unzugänglicher. Die durchschnittlichen Krankenkassenprämien steigen von 1996 bis 2014 stiegen von 196.- auf 396.- [2]. Gleichzeitig werden Prämienverbilligungen abgebaut.
Die momentane Situation im schweizerischen Stipendienwesen bietet keine Auswege oder Abfederungen für Studierende und in einigen Kantonen stehen die Stipendien im Rahmen von Sparmassnahmen unter Druck. So müssen sich Studierende trotzdem noch mit Nebenjobs über Wasser halten, obwohl die hohe Intensität eines ETH-Studiums Teilzeiterwerbsarbeit beinahe verunmöglicht. Die Studierenden sind also stark von ihren Eltern oder sonstigen privaten Geldgebern abhängig, was oft eine grosse Belastung für die Familien sowie auch für die Studierenden darstellt.
Studium und Arbeitswelt
Der ETH-Rat bezeichnet die Erhöhung als „moderat und sozialverträglich“, weil Menschen mit einem ETH-Abschluss ihre Arbeitskraft für einen guten Lohn verkaufen können [3]. Studierende sollen nach ihrem Abschluss ihre Arbeitskraft möglichst rasch verkaufen. Es scheint selbstverständlich, dass dies die Studierenden wollen. Die universitäre Bildung bewegt sich mehr und mehr zu einer Ausbildung in einem gutbezahlten Beruf in der Industrie oder Wirtschaft. Diejenigen, die das nicht wollen, so scheint es, sollen es zumindest müssen. So wird eine Dankbarkeit der Studierenden gegenüber der Wirtschaft ins Spiel, die sie zeigen sollen, indem sie ihre Arbeitskraft in der (Privat-)Wirtschaft verkaufen.
Eine solche Verpflichtung soll aber weder ökonomisch noch moralisch bestehen. Eine Studiengebührenerhöhung verstärkt auf subtile Weise die Entwicklung der Hochschulen zu reinen Produzenten von qualifizierter Arbeitskraft für die Wirtschaft, anstatt als Ort der kritischen Bildung und Forschung gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen zu dienen.
Studiengebühren, Stipendien und Sparmassnahmen
Die geplanten Studiengebührenerhöhungen an den ETHs stehen im Kontext der Sparmassnahmen auf Bundesebene. In diesem Rahmen kürzte der Bundesrat den Finanzierungsbeitrag des Bundes an den ETH-Bereich um 80 Millionen Franken jährlich [4]. Es erscheint also naheliegend, dass die ETHs diese fehlenden Beiträge durch Mehreinnahmen decken möchten. Dass dies auf eine Abwälzung auf die Studierenden geschieht ist inakzeptabel. Das Geld möchte der Bundesrat lieber für die Armee und den Strassenbau ausgeben. Für den Bundesrat heisst es: Kampfjets und Autobahnen statt Bildung und Forschung [5].
Im Rahmen der ständigen Sparmassnahmen und des Sozialabbaus auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene sind den Fantasien der bürgerlichen Sparpolitiker zusätzliche Hürden für Studierende aufzubauen zurzeit keine Grenzen gesetzt. Beispielsweise im Aargau, wo eine Senkung der Stipendien um einen Drittel durch eine Aufsplittung in Stipendien und Darlehen geplant ist [6]. Andernorts sind die häufig lächerlich niedrigen Stipendien im Rahmen von Sparübungen unter Druck. Es zeigt sich auch in Bern wo im Rahmen der momentan geplanten kantonalen Sparmassnahmen die Studiengebühren für „BildungsausländerInnen“ erhöht werden sollen. Und auch in Zürich kam es im Rahmen des Abbaupakets „Leistungsüberprüfung 16“ [7] zu einer Kürzung bei den individuellen Prämienverbilligungen, eine Massnahme, die nebst finanziell Schwächeren, vor allem auch Studierende trifft. Im Frühjahr 2017 wollten eifrige Kantonspolitiker der SVP und EDU auch prüfen, ob sich die Studiengebühren an der Universität Zürich (die im Gegensatz zu den ETHs unter kantonaler Kontrolle steht) verdoppeln lassen [8]. Zynisch nannten die Vertreter*innen der Milliardärs- und der Freikirchenparteien ihre Vorlage als „Angleichung der Studiengebühren an die Realität“. Also eine Realität an jahrzehntelange Politik der Steuergeschenke für Reiche und des dann als notwendig propagierten Sozialabbaus. Die Realität der Sparpolitiker, und auch des ETH-Rates, ist nicht die eines Grossteils der Studierenden.
Die Sparmassnahmen sind immer geknüpft an Steuererleichterungen, die in den Vorjahren durchgesetzt wurden oder in Zukunft geplant sind. Sei dies durch den Riesenflop und -betrug USR II von 2008, welcher Mindereinnahmen in Milliardenhöhe verursachte, oder den Steuererleichterungen für Reiche und Unternehmen in diversen Kantonen ab den 1990er Jahren. Gute Beispiele sind hier sicher Zürich, Luzern, Schwyz und zahlreiche weitere.
Studiengebühren(erhöhungen) schweizweit
Nicht nur für die ETHs werden derzeit Studiengebührenerhöhungen angedacht oder geplant:
- In Basel ist eine Erhöhung der Studiengebühren für alle um 100.- pro Semester und gar eine Verdoppelung der Gebühren für „ausländische“ Studierende geplant. Die letzte Erhöhung der Studiengebühren wurde in Basel 2013 durchgesetzt.
- In Fribourg wird eine Erhöhung der Studiengebühren um 35% diskutiert.
- In Bern wird im Rahmen der kantonalen Sparmassnahmen über eine Erhöhung der Studiengebühren für „Bildungsausländer“ abgestimmt.
- In Genf wurde 2016 eine Erhöhung der Gebühren geplant. Sie konnte durch Proteste von Studierenden abgewendete werden
Auch an allen anderen Hochschulen der Schweiz waren Gebührenerhöhungen in den letzten 15 Jahren immer wieder ein Thema. Teilweise konnten sie durchgesetzt werden, häufig wurden sie auch durch erfolgreichen Protest von Studierenden abgewandt.
Es zeigt sich aus, dass eine wichtige Argumentationslinie der Erhöhungsbefürworter der Verweis auf höhere Gebühren an anderen Hochschulen ist. Ein Kampf gegen die Erhöhung der Gebühren an den ETHs ist also auch ein Zeichen der Solidarität mit Studierenden an anderen Hochschulen die derzeit oder in Zukunft mit Plänen zur Erhöhung der Studiengebühren konfrontiert sind.
Der ETH-Rat, seine Argumentation und seine Interessen
Der ETH-Rat ist das leitende Gremium des ETH-Bereiches, verwaltet also die beiden Hochschulen in Zürich und Lausanne und noch einige Forschungsstellen. Er hat angekündigt die Studiengebühren erhöhen zu wollen und wird darüber anfangs März 2018 definitiv entscheiden. Er begründet dies mit einer Anpassung an andere Hochschulen mit höheren Studiengebühren, den hohen Kosten der Studiengänge und wachsenden Studierendenzahlen [9]. Der ETH-Rat bezeichnet die Erhöhung als „moderat und sozialverträglich“. Dies wird damit begründet, dass ETH-Studierende nach dem Studium gut verdienen, Stipendien beantragt werden können und die Studierenden nur einen kleinen Teil ihrer Ausbildungskosten beisteuern.
Um sich zu erklären wieso dieses Gremium, welches sich nach eigenen Angaben aus Menschen aus der (Privat-)Wirtschaft und Forschung zusammensetzt, so argumentiert, lohnt es sich einen Blick auf seine Mitglieder und ihre Interessen(sbindungen) zu werfen [10]. Das 11-köpfige Gremium wird präsidiert vom Rechtsanwalt Fritz Schiesser, welcher auch noch Stiftungsrat des neoliberalen Think Thanks „Avenir Suisse “ ist [11]. VertreterInnen der Privatwirtschaft sind Christina Leister (Besitzerin der Leister-Gruppe mit einem geschätzten Vermögen von 175 Mio CHF), Marc Bürki (CEO des Finanzunternehmen Swissquote mit 150 Mio CHF Umsatz und 17.8 Mia CHF Kundenvermögen), Beth Krasna (unabhängige Verwaltungsrätin und Unternehmensberaterin verschiedener Firmen) und Paul Herrling (ehemaliger Leiter des Pharma-Bereichs von Novartis).
Aber auch die Vertreter*innen aus der Forschung und die VorsteherInnen der ETH-Institutionen sammeln ihre Mandate in der Privatwirtschaft. So ist der Präsident der ETH Zürich Lino Guzzella auch noch Verwaltungsrat der Kistler Holding AG (Jahresumsatz 358 Mio CHF) und Kommanditist der Robert Bosch Industrietreuhand KG, welche die Geschäfte der Robert Bosch GmbH (Jahresumsatz 73 Mia EUR) kontrolliert. [12] Der Präsident der EPFL Martin Vetterli ist Mitglied von drei Verwaltungsräten. Verwaltungsratsmandate sind im ETH-Rat so verbreitet, wie Nachtschichten bei Architekturstudierenden.
Am 24. November 2017 ist im Rahmen der Langen Nacht der Kritik in Basel ein schweizweiter Austausch über Aktionen gegen Studiengebühren geplant. Eine solche Vernetzung der Studierenden der verschiedenen Universitäten soll dazu dienen, sich gemeinsam gegen die Angriffe auf die Studierenden zu wehren. Bei Interesse an weiteren Infos sind wir per Mail (info[ät]bfs-zh.ch) erreichbar.
Fussnoten:
[1] https://vseth.ethz.ch/wp-content/uploads/2015/09/PresseberichtAuswertungStudiengebuehrenUmfrage.pdf
[2] https://blog.tagesanzeiger.ch/datenblog/index.php/5131/zwei-jahrzehnte-dauerpraemienschock
[3] https://www.ethrat.ch/de/medien/medienmitteilungen/erhoehung-studiengebuehren
[4] Die Zahlen sind ein bisschen unklar, da immer wieder andere erscheinen. Der ETH-Rat rechnet zumindest mit 83 Mio. CHF weniger im Budget 2018. https://www.ethrat.ch/sites/default/files/ETHR_BB18_DE_web.pdf
[5] https://www.derbund.ch/schweiz/standard/Mehr-Geld-fuer-die-Armee-weniger-fuer-die-Bildung/story/18815128
[6] Der Kantonsrat hat diese Massnahme beschlossen. Es wird zu einem Referendum kommen. https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/liveticker-es-kommt-zum-referendum-das-volk-muss-ueber-das-stipendiengesetz-abstimmen-131881572 (Stand 7.11.17)
[7] Mehr zur Lü16 unter: http://kaputtgespart.ch/sparmassnahmen/
[8] Positionspapier der Kritischen Politik Zürich zu dieser Vorlage: http://www.kripo.uzh.ch/wp-content/uploads/Positionspapier-Studiengeb%C3%BChren.pdf
[9] https://www.ethrat.ch/de/medien/medienmitteilungen/erhoehung-studiengebuehren
[10] Die Interessensbindungen sind hier aufgelistet: https://www.ethrat.ch/de/interessenbindungen
[11] In Beiträgen von Avenir Suisse zu Universitäten taucht als beständige Forderung „mehr Nutzerfinanzierung“ auf. Bspw: https://www.avenir-suisse.ch/bildung_mehr-exzellenz-und-effizienz-an-den-hochschulen
[12] Zur Funktionsweise der Robert Bosch GmbH: http://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/a-278718-4.html