Die Russische Revolution war und bleibt ein gewaltiges historisches Ereignis, das bis heute Vorbildcharakter für die sozialistische Organisation der Gesellschaft behält. Das revolutionäre Projekt ging letztlich schief. Doch woran lag das? Paul Mattick, ein heute vergessener sozialistischer Aktivist und marxistischer Theoretiker, sah das Urproblem darin, dass die soziale Revolution als Aufgabe des Staates und einer staatslenkenden Partei begriffen wurde, nicht als diejenige der Gesellschaft. Dieser Artikel widmet sich den Ansichten Matticks, die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben.
von João Woyzeck (BFS Zürich); aus antikap
Linkskommunistische Jugend und Kindheit im Arbeitermilieu
Paul Mattick wurde 1904 geboren und verbrachte den Grossteil seiner Jugend in Berlin, wo er ein von Armut geprägtes Leben in einer politisch bewussten Arbeiter:innenfamilie führte. Die Weichen für den politischen Weg, den Mattick einschlagen würde, wurden durch die Folgen der Novemberrevolution in Deutschland 1918 gestellt: Der Zusammenbruch der bisherigen Machtstrukturen nach dem Ersten Weltkrieg führte dazu, dass die Mehrheit der deutschen Betriebe eigene Betriebsräte wählten – ganz nach dem Vorbild der Russischen Revolution 1917, wo Arbeiter:innen- und Soldat:innenräte als Basis für das neue Staatswesen dienten. Rasch stand auch die deutsche Arbeiter:innenschaft vor der Frage, ob aus den betrieblich abgestützten Räte-Strukturen eine sozialistische Rätedemokratie mit Delegierten aus den Betrieben oder doch eine Nationalversammlung gewählt werden sollte, welche einer bürgerlich-parlamentarischen Demokratie eine Verfassung geben würde. Da die Betriebsräte weitgehend von der reformistischen SPD dominiert waren, entschied sich der erste Reichskongress der Arbeiter:innen- und Soldat:innenräte vom 16.- 21. Dezember 1918 mit 400 gegen 50 Stimmen für eine Nationalversammlung.
1919 gründete sich aus abgespaltenen linksradikalen Kreisen der SPD die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Dessen Führungsriege um Rosa Luxemburg, Paul Levi und Clara Zetkin wollte weiterhin parlamentarisch tätig sein, um nicht ins politische Abseits zu geraten, sodass bereits im Oktober 1919 auf dem zweiten Parteitag (Heidelberger Parteitag) der Grossteil der Parteibasis ausgeschlossen wurde, da er weiterhin den unmittelbaren Umsturz und damit einen antiparlamentarischen Kurs verfolgte. Die Freie Sozialistische Jugend (FSJ), der damals auch der fünfzehnjährige Mattick angehörte, stellte sich auf die Seite der Ausgeschlossenen. Als sich diese am 4./5. April 1920 zur Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands (KAPD) bündelten, trat Mattick mitsamt der gesamten FSJ Charlottenburg geschlossen bei. Die KAPD begriff sich als revolutionäre und antiautoritäre Alternative zur KPD, indem sie die Selbstorganisation von Rätestrukturen über die Partei stellte und auf Beteiligung in bürgerlichen Organen (Parlament und Gewerkschaften) verzichtete. Dazu arbeitete die KAPD mit der Allgemeinen Arbeiterunion Deutschlands (AAUD) zusammen, die sich aus revolutionären Betriebsräten zusammensetzte und als deutschlandweiter rätedemokratischer Zusammenschluss dieser Betriebsräte agierte, um die Herrschaft über die Produktion zu erobern und so die Grundlage für den künftigen Rätestaat zu legen.
1923 engagierte sich der 19-jährige Mattick in den Kleinbetrieben und Braunkohlelagern des rheinischen Braunkohlereviers (in Kleinbetrieben und in Braunkohlelagern im Gebiet um Elberfeld-Barmen) für die Organisierung der Arbeiter:innenschaft und versuchte so, die Strukturen der KAPD/AAUD auszubauen. Im Auftrag der AAUD beteiligte sich Mattick bspw. an einem Streik in den Chemiefabrikwerken von Bayer, der letztlich von der militarisierten Sicherheitspolizei brutal niedergeschlagen wurde. Mattick führte so ein sehr unstetes Leben, reiste durch Deutschland und schlug sich nebenbei mit Gelegenheitsjobs durch. Er blieb dabei immer ambitioniert, die Unzufriedenheit in der Arbeiter:innenschaft zu Massenaktionen zu kanalisieren. Mattick schrieb ausserdem politische Erfahrungsberichte, Kurzgeschichten oder literarische Buchbesprechungen für die Rote Jugend, oder auch für die Kommunistische Arbeiterzeitung (KAZ), dem Hauptorgan der KAPD, oder den Kampfruf der AAUD.
Aufbruch in die USA und Auseinandersetzung mit Sowjetrussland
Aufgrund wiederkehrender Arbeitslosigkeit sah Mattick in Deutschland keine Zukunft und reiste im März 1926 in die USA, wo er 1930 nach Chicago zog. In Chicago gehörte Mattick zunächst den Industrial Workers of the World (I.W.W.) an, war aber auch für die marxistische Proletarian Party um den Detroiter Schuster John Keracher tätig, ohne selbst Mitglied zu sein. Für Mattick fühlte sich diese Doppelzugehörigkeit nach seiner bisherigen Politisierung in den KAPD/ AAUD-Kreisen durchaus nicht unnatürlich an.
Mattick pflegte damals aber gerademal Kontakt zu einem Dutzend lose verknüpften zweisparchigen Aktivist:innen aus der Proletarian Party oder der I.W.W. Aus diesem losen Kreis bildete sich unter dem Namen Worker Educational Association (WEA) eine Art Arbeitsbildunsgverein, wo vermittels Lesezirkeln, Kursen oder Vorlesungen, Flublattaktionen sowie Streik-Unterstüzungen versucht wurde, sich zu bilden und politische Agitation zu fördern.[1] Die WEA war nur eine winzig kleine Organisation in Chicago. Aber immerhin war sie ein erster Keim rätekommunistischen Gedankenguts in den USA. Die WEA veranstaltete Diskussionabende, um das Verhältnis zwischen Partei und den Massen zu diskutieren oder um das rätekommunistische Werk «Grundprinzipien der kommunistischen Produktion und Verteilung» zu lesen.[2]
Die Grundprinzipien waren für Mattick von grosser Bedeutung. 1931 veröffentlichte Matticks basierend auf den Ideen der Grundprinzipien den Aufsatz «Was ist Kommunismus?» in der Chicagoer Arbeiter-Zeitung (CHAZ). Der Aufsatz wurde auch als Pamphlet in Umlauf gebracht, um die Reflexionen der Grundprinzipien zu propagieren. Mattick hatte in den 1930ern zudem vergeblich versucht, die I.W.W. dazu zu bewegen, das Pamphlet in ihren Publikationen abzudrucken. Matticks Artikel erschien drei Jahre später in englischer Übersetzung in der Zeitschrift der UWPA, der International Council Correspondence (ICC). Mattick würden die Postulate der Grundprinzipien während 40 Jahre nicht loslassen und er würde sie wiederholt aufgreifen, etwa 1938 im Nachfolgemagazin der ICC. Zuletzt 1970 in seinem Vorwort zur erneuten Herausgabe der Grundprinzipien.[3] Obwohl Mattick wohl grössere Ambitionen für seine Abhandlung der Grundprinzipien gehegt hatte, fand er mit den verschiedenen Versionen von «Was ist Kommunismus?» eigentlich nur in den rätekommunistischen Kreisen der USA, Deutschlands und der Niederlande Gehör; Matticks Auseinandersetzungen mit diesem Thema blieben auf die Zeitschriften der ICC (und seiner Nachfolge Living Marxism), die Rätekorrespondenz der GIK und das unter der NS-Herrschaft illegale Kampfsignal der KAU (Zusammenschluss der AAUD und der AAU-Einheitsorganisation) beschränkt.[4]
Die Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung sind (neben den Thesen über den Bolschewismus aus dem Kreis der Roten Kämpfer (Helmut Wagner, wahrscheinlich gemeinsam mit dem KAPD-Mitbegründer Karl Schröder) und Anton Pannekoeks Arbeiterräte eines der zentralen Hauptwerke der rätekommunistischen Bewegung, die sich in den 1930ern aus den Überbleibseln der linkskommunistischen Bewegungen der 1920er herausgebildet hatte. für mehr ….
Das bahnbrechende Werk der GIK
Die Grundprinzipien waren ein Kollektivwerk der niederländischen Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK; Groepen van Internationale Communisten), die sich um die ehemaligen KAPN-Mitglieder Piet Coerman und Henk Canne Meijer sowie um das ehemalige KAPD/ AAUD-Mitglied Jan Appel gebildet hatte. Die GIK agierte allerdings auch als Teil des deutschen rätekommunistischen und linkskommunistischen Diskurses. Die Grundprinzipien, welche massgebend auf Jan Appel und Henk Canne Meijer zurückgehen, erschienen 1930 denn auch erstmalig in deutscher Sprache und im Neuen Arbeiter Verlag der (Allgemeinen Arbeiter-Union Deutschlands (AAU).5
Die Sowjetunion als Staatskommunismus
Der grundlegende Ausgangspunkt der theoretischen Reflexionen in den Grundprinzipien war der sogenannte «Staatskommunismus», der sich in der Sowjetunion entwickelt hatte. Damit war gemeint, dass die Sowjetunion weiterhin eine Preispolitik führte. Preise wurden für produzierte Güter festgelegt (also unabhängig von der in die Herstellung eingeflossenen Zeit), und zwar auf den oberen Verwaltungsebene des Staatsapparates. Dieselben zentralen Schaltstellen im Staatsapparat bestimmten auch weiterhin fixe Lohnhöhen. D.h. eine externe Instanz verwaltete losgelöst von Willen und Arbeitsleistung der Produzent:innen das von den jeweiligen Produzent:innen geschaffene gesamtgesellschaftliches Produkt und setzte davon denjenigen Anteil fest, der an die Produzent:innen als Lohn (zurück)verteilt würde. Die Produzent:innen konnten also auch in der Sowjetunion mit der Arbeitsleistung, die sie aufwenden, nicht ihren Anteil am gesellschaftlichen Produkt bestimmen. Dies hatte auch politische Konsequenzen. Denn als von den Produzent:innen losgelöste Verteilungs- und Verwaltungsinstanz wurde der sowjetische Staatsapparat zu einem neuen Unterjochungsapparat.
Deswegen drängte sich für die GIK die essentielle Frage auf: Muss eine planmässige Organisation der Wirtschaft notwendig zu einem (Staats)Apparat führen, der sich über die Produzent:innen erhebt und diese dann (wieder) kommandiert? In ihrer Auseinandersetzung mit dieser Frage, den sowjetischen Umständen und vor dem Hintergrund der Revolutionskonzepte von Parteisozialist:innen und -kommunist:innen führten Grundprinzipien den Staatskommunismus der Sowjetunion auf eine verzerrte Auffassung von Sozialismus, nämlich als einem Staatssozialismus (oder Staatskapitalismus unter sozialistischer Führung) zurück. Konkret, für die bolschewistische Partei habe Sozialismus vor allem bedeutet, dass mit der Abschaffung des Marktes eine zentralisierten Regulation von Produktion und Verteilung errichtet werden müsse. Für die Grundprinzipien aber lag das Grundproblem auf dem Weg zum Sozialismus woanders. Das Ausbeutungsverhältnis könne nur aufgehoben werde, wenn zwischen den Produzent:innen und ihrem Produkt ein direktes Verhältnis hergestellt wird. Die Produzent:innen müssten also über das individuelle Quantum des von ihnen produzierten Wertes (nach den Gesetzen eines Marktes) bzw. über das Produkt ihres individuellen Quantums geleisteter Arbeitszeit selbst verfügen. Die Produzent:innen müssten also über den Anteil, den sie zum gesellschaftlichen Produkt geleistet haben, selbst bestimmen.
Die Arbeitszeitrechnung
Basierend auf Marxens Arbeitswerttheorie betonten die Grundprinzipien, dass die jeweilige Produzent:in vom gesellschaftlichen Produkt (nach Abzug der Kosten für die Reproduktion von Gesellschaft und Produktionsmitteln) einen Anteil in der Höhe des von ihr individuell geleisteten Arbeitsaufwands (bemessen in Zeit) erhält, um ein direktes Verhältnis zwischen Produzent:in und ihrem Produkt herzustellen (Arbeitszeit als Recheneinheit). Da die Arbeitsleistung je nach individuellem Vermögen und jeweiliger Branche anders ausfällt, müsse hierfür von der gesellschaftlich durchschnittlichen Arbeitszeit ausgehen. Die Grundprinzipien nannten dies die Arbeitszeitrechnung (AZR). Die Produzent:innen würden vom gesamtgesellschaftlichen Produkt jenen Anteil erhalten, der Quantum der von ihnen individuell geleisteten Arbeitszeit entspricht. Mit anderen Worten, die Arbeiter:innen die von ihnen geleistete Arbeitszeit in Konsumgütern eintauschen können, in welches daselbe Quantum an Arbeitszeit eingeflossen war. Denn auch die produzierten Güter würden nach der durchschnittlichen Arbeitszeit, die in ihre Herstellung eingeflossen war, bewertet. Die Grundprinzipien stützten sich hierfür auf den zweiten Band des Kapitals, wo Marx sich Gedanken über eine postkapitalistische Wirtschaft Gedanken gemacht hatte (Das Kapital, Bd. II; MEW Bd. 24, 357.). In Kontinuität mit Marx betonten die Grundprinzipien, dass dieser Arbeitszeitwert kein neues Geld sein würde, weil es nicht zirkuliert würde. Wenn nun eine Produzent:in ihre geleistete Arbeitszeit in Form eines Papierescheins, wie es sich noch Marx vorgestellt hatte, gegen das äquivalente Quantum in Konsumgütern eintauschen wollte, würde der Schein auch entwertet. Weder könnte man mit besagtem Quantum an Arbeitszeit weiterhin bezahlen noch konnte man damit Zinsen erwirtschaften.
Indem die Produzent:innen das genaue Quantum ihrer geleisteten Arbeit erhielten (im Gegensatz zu einem Lohn als vom individuellen Gesamtprodukt abgezogenen Subsistenzbetrag, während der erzeugte Überschuss über dem Selbsterhalt von einer externen Instanz einbehalten und verwaltet würde) und indem die Produzent:innen die AZR über demokratische Steuer- und Kontrollstrukturen selber ausführten, würde die staatliche Instanz als Verteiler wegfallen. Im Gegensatz dazu sei in der Sowjetunion jedoch das Verhältnis zwischen erhaltener Entlohnung und individuell geleistetem Quantum an Arbeit verschleiert worden. Deswegen konnte eine übergeordnete Instanz einen Teil des gesellschaftlichen Produktes auch eigenmächtig den Produzent:inenn zuzuweisen.
Die Grundprinzipien betonten, dass ähnlich wie im kapitalistischen Westeuropa eine Verschleierung des Ausbeutungsverhältnisses auf der Ebene des kulturellen oder politischen Überbaus gewachsen sei. Auch in der Sowjetunion habe das Verhältnis von Herrschern und Beherrschten in den demokratischen Formen der Verteilungsorganisationen seine Verschleierung gefunden. Am Beispiel des sowjetischen Dekrets vom 20. März 1919, wonach sich alle Arbeiter:innen in Konsumgenossenschaften zusammenzuschliessen hatten, wollten die Grundprinzipien demonstrieren, dass die Arbeiter:innen der Sowjetunion dann zwar die Verteilung selbst ausführten. Wie viel aber wofür gegeben werden sollte, war bereits unabhängig von den Arbeiter:innen auf höherer Verwaltungsebene entschieden worden.
Vom Sozialismus zum Kommunismus
In den Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei, auch bekannt als Kritik am Gothaer Parteiprogramm aus 1875, war von einer niederen und einer höheren Phase des Kommunismus die Rede. Eine Differenzierung die der Marxismus seit dem 20. Jhdt. auch als Phase des Sozialismus und des Kommunismus beschrieb. In der ersten Phase des Kommunismus, die, wie Marx schrieb, «eben aus der kapitalistischen Gesellschaft nach langen Geburtswehen hervorgegangen ist», würde noch das Prinzip des Austauschs von Äquivalenten gelten. Hier setzt tatsächlich auch Marx selbst mit einer Form der AZR an. In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, sobald der ökonomische Entwicklungsstand das erlaubt, würde «der enge bürgerliche Rechtshorizont» ganz durchbrochen werden. Marx sagt dazu, «um alle […] Mißstände zu vermeiden, müßte das Recht, statt gleich, vielmehr ungleich sein». Heisst also man würde in einer höheren Phase des Kommunismus soviel geben, wie man kann, und unabhängig davon soviel erhalten, wie man braucht: «Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!» Dann wäre «Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden».
Die Grundprinzipien sprechen im selben Sinne vom einem «Wachstumsprozeß in der Richtung des reinen Kommunismus». Dabei kam der nicht-produktiven gesellschaftlichen Arbeit, der gesellschaftlichen Arbeit eine besondere, man könnte fast sagen, eine wegweisende Rolle zu. Diese nicht-produktive gesellschaftliche Arbeit zeichnete sich dadurch aus, dass sie kein eigentliches Produkt erzeugte und dass ihre Dienste sofort in die Gesellschaft übergingen und sich somit in der Produktion zugleich die Verteilung vollzöge. Die Grundprinzipien nannten diesen Typ der Arbeit, zu dem etwa das Bildungs- und Gesundheitswesen, aber auch Verwaltungs- und Buchführungstätigkeiten gehörten, «allgemein gesellschaftliche Arbeit» oder A.G.A.
Die Grundprinzipien betonten, dass die jeweilige Arbeiter:in nicht das volle Quantum der von ihr individuell geleisteten Arbeitszeit konsumieren konnte. Denn auch die Produktionsmittel und die Gesellschaft müssen reproduziert (oder demokratisch geplant ausgedehnt) werden, damit die Gesellschaft weiterbestehen kann. Zunächst wurde also ein Anteil des gesamtgesellschaftlichen Produkts für Produktionsmittel, dann für die gesellschaftliche Reproduktionsarbeit abgezogen. Die Grösse dieses Anteils wurde nach dem Konsumptionsbedarf dieser Betriebe und Produktionsmittel bemessen. Es bedürfte also auch hier keiner übergeordneten eigenständigen Instanz, die den entweder den Überschuss der Produktion umverteilt oder Steuern auf Waren und Dienstleistungen erhebt, bevor sie an die Konsument:innen gelangen (indirekte Steuer). Vom gesamtgesellschaftlichen Produkt, das danach übrig bleibt, erhält die Arbeiter:in Anspruch nach dem Quantum der individuell geleisteten Arbeit. Das Verhältnis dieses auszuzahlenden gesamtgesellschaftlichen Produktes zum gesellschaftlichen Konsumptionsanteil ist der Auszahlungsfaktor.
Für die Grundprinzipien war in den A.G.A.-Betrieben das Konsumieren nach eigenem Bedarf bereits verwesentlicht, da der Massstab der Arbeitsstunde für die Verteilung der Dienstleistung keine Rolle mehr spielt. Mit fortschreitender Entwicklung des Kommunismus würden denn auch immer Betriebe (auch produktive Betriebe, solange sie die allgemeinen Bedürfnisse versorgen) in das Prinzip des Konsums nach eigenem Bedarf hineinwachsen. Je weiter die Verteilung vergesellschaftet wird, desto geringer würde der Auszahlungsfaktor. Wann das mit einem Betrieb geschieht, würde durch die Kapazität der Wirtschaft bestimmt und wäre eine bewusste Handlung der Gesamtgesellschaft. Die Kosten würden sich auf gesamtgesellschaftlicher Ebene auch nicht verändern, sondern verlagern. Wenn nämlich ein Betrieb seine Güter nicht mehr nach dem Quantum an Arbeit, das in dessen Herstellung geflossen ist, an die Konsument:innen verteilt, würde der Bedarf zur Reproduktion dieses Betriebes dem Anteil zugeschlagen, der vom gesamtgesellschaftlichen Produkt abgezogen wird vor der Verteilung nach individuell geleistetem Arbeitsquantum.
Die Assoziation freier und gleicher Produzent:innen
Die AZR kann aber nicht vollends verstanden werden, ohne den staatstheoretischen Hintergrund zu beachten, vor dem die Grundprinzipen formuliert wurden. Die traumatische Grunderfahrung der GIK war nicht zu Letzt, dass das Projekt Sowjetunion zu etwas gewachsen war, das sie nur noch als «Staatskommunismus» (und später auch Staatskapitalismus) beschreiben konnten. Neben den materiell-historischen Umständen (eines kapitalistisch noch kaum erschlossenen Russland Anfangs des 20. Jhdts. mit kleinbäuerlicher Bevölkerungsmehrheit und ohne etablierte Bourgeoisie) war es für die Grundprinzipien vor allem das Verständnis der Bolschewiki davon, wie der Sozialismus erbaut werden würde, mehr noch darüber was Sozialismus überhaupt sei, die zum ‘Staatskommunismus’ geführt hatten. Denn Lenin und die Bolschewiki hätten bestimmte staats- und wirtschaftsphilosophischen Vorstellungen der Sozialdemokratie zu Beginn des 20. Jhdts. im Wesentlichen übernommen und selbst nach diesen gehandelt. Ein besonders prägnantes Beispiel hierfür war der Nationalökonomiedozent an der SPD-Parteischule, Mitglied der USPD und Redakteur en Chef des USPD-Zentralorgans Freiheit Rudolf Hilferding. Mit seiner Vorstellung eines staatsmonopolistischen Kapitalismus (StaMoKap), der in einen Sozialismus hineinwachsen würde, hatte er auch grossen Einfluss auf Lenin ausgeübt, der solche Tendenzen noch in seinem Werk Staat und Revolution wiedergab. Im Wesentlichen war es die Vorstellung, dass das Kapital auf einem wettbewerbsorientierten Markt zur Konzentration neigte und über das Finanzkapital schliesslich zu einer Verbandelung mit dem Staat. Denn das Privatunternehmertum würde eine Hürde für die Vertrustung und Monopolisierung darstellen, weswegen sich das Kapital unter dem Staat konzentrieren würde. Dieser staatsmonopolistische Kapitalismus würde dann einer Art Riesentrust (Generalkartell) gleichen. Der Staat müsste nur noch von einer sozialistischen Partei erobert werden, die die Wirtschaft sinnvoll ordnet, um sie planvoll zu gestalten. Dieser StaMoKap würde unter sozialistischer Führung in einen Staatsozialismus wachsen und schliesslich in den Kommunismus münden. Eine Folge hiervon war aber auch eine tiefgreifende Identifikation von staatlicher und gesellschaftlicher Kontrolle. Auch die Bolschewiki seien in ihrer gesellschaftlichen Umgestaltung grundsätzlich von diesem grundlegenden Missverständnis von Sozialismus als Fortführung der kapitalistischen Kapitalkonzentration unter einer zentralen Produktions- und Verteilungsleitung ausgegangen. Was sie unterschied, war vor allem, dass die Machtergreifung nicht allmählich durch parlamentarische Wahlen der sozialistischen Partei, sondern durch eine einmalige illegale und gewaltvolle Eroberung der Staatsmacht passieren würde – insofern Revolution. In beiden Fällen – mit dem sozialdemokratischen wie dem bolschewistischen Weg – aber rückte an die Stelle der Selbstorganisation von Produktion und Verteilung die Vorstellung von der Zentralisierung der Gesamtwirtschaft unter der Herrschaft des Staates.
In Anlehnung an Marxens Prägung durch die Pariser Kommune war für die Autor:innen der Grundprinzipien aber eben nicht der Staat das Subjekt der Wirtschaftsentwicklung, sondern die Gesellschaft. Denn die Aufhebung des Ausbeutungsverhältnisses ist nur als Assoziation freier und gleicher Produzent:innen möglich. Der Staat, d.h. in Marxens Begrifflichkeit die politische Vorherrschaft der proletarischen Klasse, war nur zur Durchsetzung eines neuen Gesellschaftsverhältnisses nötig. Und was Marx Staat nannte, würde mit der Festigung des sozialistischen Gesellschaftsverhältnis aufhören.
Auch eine ökonomische Revolution
Für die GIK waren die russischen Sowjets, oder allgemein das Arbeiter:innenrätesystem die historisch konkrete Form, in der sich die Assoziation freier und gleicher Produzent:innen verwirklicht hatte. Aber unter Verweis auf Marx hielt die GIK fest, dass sich die Gesellschaft nur als Ganzes sozialisieren liesse. Die Frage nach dem Weg zum Sozialismus mit der Losung: «Alle Macht den Räten!», noch nicht vollständig beantwortet. Die Assoziation der freien und gleichen Produzent:innen findet «in politischer Hinsicht ihren höchsten Ausdruck […] im Rätesystem und ökonomisch in der allgemein gesellschaftlichen Buchhaltung.»
Das bedeutet auch, dass das Reich der Freiheit, wie es Marx in Aussicht gestellt hatte, jenseits der Entscheidung zwischen Zentralismus und Föderalismus zu suchen sei. Die einzelnen Betriebe und Industrien könnten sich durchaus horizontal wie vertikal zu einem planmässigen Ganzen verbinden. Der entscheidende Punkt war, dass ein direktes und exaktes Verhältnis zwischen Produzent:innen und Produkt durch die Produzent:innen selbst hergestellt würde.
In diesem Sinne waren die Grundprinzipien keine Abhandlung über die revolutionäre Machtergreifung, sondern darüber, wie nach dieser eine Produktion und Verteilung ohne Ausbeutung möglich würde. Die Grundprinzipien weisen hier auf einen blinden Fleck hin, den die Bolschewiki aus der sozialdemokratischen Tradition ererbt hatten, der sich aber erst durch die historischen Erfahrungen der Sowjetunion herausgeschält hatte.6
Mattick beschäftigte sich ein Leben lang mit den Grundprinzipien
40 Jahre später würde Mattick das Vorwort für die erneute Herausgabe der Grundprinzipien schreiben. Darin äusserte sich der alte Mattick auch kritisch. Dass nämlich die Reglung der Verteilung nach dem exakten Verhältnis von Produzent und Produkt für den Produktionsprozess an sich bereits den Aufstieg einer externen Instanz über die Produzent:innen verhindern würde, sah Mattick als Trugschluss an. Die Primäre Ursache für die Entstehung eines neuen Ausbeutungsverhältnisses sah der alte Mattick vielmehr in der politischen Diktatur einer Partei oder ganz allgemein im politischen Aufstieg einer Minderheit über die Arbeiter:innenschaft (und über die Planungsinstrumente). Die Antwort hatte für Mattick entsprechend auch primär eine politische zu sein; dass ein Rätesystem sich etablierte, also keinen Staatsapparat oder Parteiapparat neben sich zuliess. Trotz seiner Kritik hielt der alte Mattick den Grundprinzipien wiederum zu Gute, dass die «ökonomische Prinzipien» in den Grundprinzipien die Frage nach der Differenzierung zwischen verstaatlichtem und gesellschaftlichem Eigentum aufwarfen und so aufdeckten, dass sozialistische Vorstellungen oft Verstaatlichung bereits als Sozialisierung verstünden, also blossen Staatskapitalismus bereits mit Sozialismus identifizierten. Eine Vorstellung, die auch Mattick als ererbte Altlast der sozialdemokratischen Denktradition ansah. Und in eben diesem Sinne nannte der alte Mattick die Grundprinzipien den «Ausgangspunkt aller ernsthaften Diskussionen und Bemühungen um die Verwirklichung der kommunistischen Gesellschaft».7
Die Grosse Depression – Mattick findet zurück zum politischen Aktivismus
Die Grosse Depression, die mit dem Börsencrash im Oktober 1929 ihren Lauf nahm und die Arbeitslosenrate in den USA verachtfachte, liess Mattick nach einer auswanderungsbedingten Phase der politischen Isolation wieder politisch aktiv werden und Anbindung finden. Die Wohlfahrt war in den USA traditionellerweise kaum als gesamtstaatliches Sozialsystem organisiert und stützte sich vor allem auf private oder lokal-behördliche Strukturen, was zu einer raschen Überlastung führte. Die Leistung der Bezirks- oder Stadtverwaltungen beschränkte sich im Wesentlichen auf Lebensmittelausteilung an bedürftige Familien. Miete, Gas und Licht gab es vorerst nicht – erst nach sozialen Kämpfen, und auch dann nur in unzureichendem Masse. 1932 erhielt eine fünfköpfige Familie 28.97 Dollar bei einem Existenzminimum von 105 US-Dollar. Die Unterstützung für ledige Erwerbslose bestand vor allem daraus, in Obdachlosenasylen und öffentlichen Massenspeisungen abgefertigt zu werden, die oft durch Privatvereine oder Kirchenorganisationen finanziert wurden.[8]
Als sich die Depression verschärfte, schlossen sich die verschiedenen sozialistischen Klubs der Exildeutschengemeinde in Chicago – Mattick sprach damals nur gebrochen Englisch und sein politischer Aktivismus war primär auf Exildeutsche ausgerichtet – zu einem Kartell von rund 2’400 Mitgliedern zusammen. Um dem Kartell ein Sprachrohr zu schaffen, belebte Mattick die Chicagoer Arbeiter-Zeitung (CHAZ) wieder, die 1924 augesetzt worden war. Für die CHAZ hatte Mattick den Anspruch, Zeitung des Kartells, also der zusammengeschlossenen Arbeitenden und Erwerbslosen zu sein, und nicht die Zeitung einer bestimmten revolutionären Organisation. Damit geriet die CHAZ in Konflikt mit der Kommunistischen Partei (CPUSA), ebenfalls Mitglied des Kartells, die sich als die «wahre» Vorhut des Proletariats begriff. Der Konflikt mit der KP hatte aber auch ideologische Ursachen: Mattick widersetzte sich schon in den 1930ern einer undifferenzierten Solidarität mit der Sowjetunion und übte tiefgreifende Kritik.
Mattick war der Ansicht, dass die Sowjetunion zwar die gesamte Produktion verstaatlicht, dabei aber ein quasi-kapitalistisches Verhältnis zwischen der Arbeit und den verstaatlichten Produktionsmitteln beibehalten hatte. Da Russland 1917 ein ökonomisch rückschrittliches Land und nur teilweise kapitalistisch erschlossen gewesen war, hatten die Bolschewiki – neben der russischen Arbeiter:innenschaft die zentrale Triebfeder der Russischen Revolution – nicht die Absicht verfolgt, direkt den Sozialismus einzuführen. Vielmehr hatten sie einen Staatskapitalismus unter sozialistischer Führung errichten wollen, um die sowjetische Wirtschaft für den Sozialismus vorzubereiten. Dazu sollte die verstaatlichte kapitalistische Wirtschaft nach dem Vorbild der Deutschen Post in der deutschen Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges zur planmässigen Lenkung restrukturiert und auf eine Bedarfswirtschaft umgelenkt werden. Mit dem Dekret zur Verstaatlichung der gesamten Produktion vom 28. Juni 1918 und bei gleichzeitiger Unterordnung oder Ersetzung von Selbstverwaltungsstrukturen der Betriebe, die seit 1917 spontan aus der russischen Arbeiter:innenschaft gewachsen waren (Fabrikkomitees), geriet der bolschewistisch dominierte Parteistaat – so Mattick – mit der russischen Arbeiter:innenschaft in Konfrontation. Von da an kontrollierte die bolschewistische Partei die Produktion und Verteilung, d.h. sie verwaltete den Einsatz des geschaffenen Produktes und bestimmte, was davon als Lohn an die Arbeiter:innen zurückging. Eine Selbstverwaltung durch die Betriebsbasis gab es nicht. Der Staatsapparat war für Mattick damit zu einer Art Gesamtkapitalist geworden, der die Arbeiter:innenschaft auch ohne Privateigentum an den Produktionsmitteln ausbeutete. Die Entwicklung der Sowjetunion kam für Mattick einer blossen Verstaatlichung des Lohnverhältnisses gleich.[9]
Die Arbeitslosenbewegung in den USA und die Selbstorganisation als Klasse
Bis Ende 1932 hatte sich die allgemeine Situation in den USA so sehr verschlimmert, dass sich die Zahl der Arbeitslosen auf rund 15 Mio. vergrössert hatte – um die 30% der damals rund 123 Mio. Menschen in den USA, wenn man die betroffenen Familienmitglieder mitrechnet. In Chicago waren sogar 40% der Erwerbsfähigen unbeschäftigt. Unter diesen Umständen kollabierte förmlich das Bisschen an vorhandener öffentlicher Unterstützung. Bundesstaatliche und nationale Hilfspakete liessen einen Grossteil der von Armut betroffenen Menschen weithin im Stich. Zwangsräumungen verdoppelten sich im Vergleich zum Vorjahr. Auch in den USA blieb Mattick ein Leben in Armut nicht erspart, denn im Zuge der Grossen Depression verlor er seine Anstellung als Mechaniker und wurde selbst langzeitarbeitslos.
Mattick und seine Kontakte in der Proletarian Party sammelten sich als lose Gruppe von etwa hundert Leuten, die im Prinzip als Arbeitslosenverband der Proletarian Party fungierte: die sogenannte Arbeiterliga oder Workers League. Die Arbeiterliga unterstützte die Erwerbslosen in ihrem Kampf für umfangreichere Sozialleistungen, staatlich geförderte Hilfsmassnahmen und öffentliche Beschäftigungsprogramme, sowie gegen Wohnungsräumungen. Zur Mobilisierung der Erwerbslosen, die den Arbeitsplatz als Ort zur politischen Organisation verloren hatten, ging sie von einer Hilfsstation der Chicagoer Wohlfahrt zur nächsten. Politisch in Aktion traten sie durch gleichzeitige Demonstrationen vor mehreren Hilfseinrichtungen. Hierfür versammelten sich die Erwerblosen an verschiedenen Orten in Kleingruppen und kamen an einem zentralen Punkt zusammen, um eine Auflösung von Massenaufläufen im Vorfeld zu verhindern. Solche Hilfsproteste, getragen von verschiedenen sozialistischen Organisationen, fanden 1932 nach Berichten der Polizei und der Wohlfahrtsverbände im Schnitt zehnmal pro Woche statt. Zur weiteren Organisation wurden die Arbeitslosen aufgefordert, Vertreter:innen in ein stadtweites Delegiertenhaus zu wählen, das die Ziele der Bewegung bestimmte und die Demonstrationen koordinierte, wobei nur Erwerbslose, also keine bezahlten Vertreter:innen von Parteien, gewählt werden konnten. Das war durchaus programmatisch: Anders als die KP ging die Arbeiterliga nicht davon aus, zunächst müsse den Betroffenen durch die Wissenden die richtige Ideologie eingeimpft werden.
Wer führt die Arbeitslosenbewegung?
Ende 1932 gründeten mehrere Dutzend Mitglieder der Proletarian Party, die sich im Wesentlichen mit den Aktivist:innen der Arbeiterliga deckten, die United Workers Party of America (UWPA). Mattick war dabei stets der treibendem Pol der UWPA gewesen.
Entgegen der Behauptungen, dass Mattick eigentlich nur den deutschen Rätekommunismus importiert habe, fanden sich viele Englische Muttersprachler:innen in den Reihen der UWPA wieder. Die UWPA bezeichnete sich zwar als Partei, sie ging allerdings von einem ganz anderen Parteikonzept aus als die traditionellen kommunistischen Avantgardeparteien. Die UWPA lehnte das Verhältnis, wie es avantgardistische Parteien zur Arbeiter:innenklasse pflegten, strikt ab.
Wie sich die UWPA ihr Verhältnis zu den Massen genau vorstellte, wird vor allem aus einem UWPA-Pamphlet ersichtlich, dass die UWPA 1934 veröffentlichte und aus Matticks Feder stammte.[10] Das Pamphlet war eine Antwort auf die trotzkistische Communist League of America (Left Opposition) oder kurz L.O. – neben der UWPA die letzte Organisation, die in der Federation of Unemployed Workers verbleiben würde (dazu weiter unten)[11] –, welche die UWPA im September 1933 zur Diskussion über die Gründung einer neuen kommunistischen Bewegung (Partei und Internationale) eingeladen hatte, um die stalinistisch geprägten KPs zu beerben. Die UWPA begrüsste die Initiative der L.O. zu einer neuen KP und einer neuen Internationalen zwar grundsätzlich als progressiv. Doch sie stellte auch ausdrücklich klar, dass sie sich einer kommunistischen Bewegung, wie sie die L.O. (oder die VI. Internationale) anstrebte, nicht anschliessen könne. Stein des Anstosses war das Verhältnis, das die L.O. zur Arbeiter:innenklasse anstrebte. Die UWPA offenbarte in ihrer Antwort an die L.O. denn auch wie die trotzkistische Opposition gegen den Stalinismus aus rätekommunistischer Sicht wahrgenommen wurde.[12]
Die trotzkistische Linke führte die Niederlage der deutschen Arbeiter:innenklasse gegen den Aufstieg des Faschismus 1933 darauf zurück, dass die KPD und die Komintern falsch gehandelt hätten. Trotzki selbst hatte kritisiert, dass die Niederlage der deutschen Arbeiter:innenschaft darauf zurückzuführen sei, dass die Komintern der deutschen Arbeiter:innenschaft in KPD-Kreisen zunächst ein Zusammengehen mit den Arbeiter:innen in den sozialdemokratischen Kreisen zu einem breiten Arbeiter:innenwiderstand (Einheitsfront) untersagt und, 1935 nach dem Machtaufstieg des deutschen Faschismus, die französische Arbeiter:innenschaft auf eine Volksfront mit den linksbürgerlichen Organisationen verpflichtet hatte.
Mattick und die UWPA reflektierten die Niederlage der deutschen Arbeiter:innenschaft aber auch unter einem weiteren Aspekt: ein Verhältnis zwischen Partei und Arbeiter:innenschaft im Sinne einer erzieherischen Führung der unreifen Masse würde die Arbeiter:innenschaft in eine politische Passivität drängen. Und wenn Führungen dann reaktionäre Wege einschlügen, würde die passive Masse zwangsläufig mitgerissen. Die Gegenüberstellung des Kurses der Komintern und der Sowjetunion mit Trotzkis scharfer Kritik daran durch die L.O. sah Mattick entsprechend vor allem als Auseinandersetzung mit einem Oberflächenphänomen; für Mattick konnte Trotzkis Kritik auf eine Frage der falschen und richtigen Führung runtergebrochen werden. Für die UWPA und Mattick aber war der Unterschied der trotzkistischen Opposition zum Stalinismus somit auch primär ein taktischer (zum Verhältnis zwischen Partei und der Arbeiter:innenklasse in der Sowjetunion siehe Fussnote).[13]
Die UWPA betonte hingegen, dass es einen prinzipiellen Unterschied brauche, um eine genuin neue und lukrative kommunistische Bewegung zu stiften. In diesem Sinne kritisierte die UWPA, dass sich die L.O. als Alternative anbot, indem sie eine Rückkehr zu den wahren Prinzipien der bolschewistischen Revolution, verkörpert durch Trotzki und Lenin, als Antwort auf den stalinistischen Irrweg propagierte.
Der erste Denkfehler, den die UWPA hierbei erkannte, bestand darin, dass die Rückkehr zum Leninschen Prinzip nur eine ahistorische Strategie sein konnte. Denn Lenins und Trotzkis Werk während der Russischen Revolution müsse als praktische Anwendung marxistischer Ideen und einer Form von Diktatur gewertet werden, wie sie für die materiell-historischen Umstände des damals rückständigen Russlands mit einer nur marginalen Arbeiter:innenklasse modifiziert worden waren. Sich aber im Angesicht hochentwickelter kapitalistischer Volkswirtschaften und einer Krise, die sich international zu einer permanenten den Kapitalismus destabilisierenden Krise entwickelt (Todeskrise; dazu weiter unten), auf Lenin zurückzubesinnen, liesse die hiesigen historisch-materiellen Bedingungen ausser Acht.
Zurück zu Lenin bedeutete zweitens vor allem auch, dass die Vorstellungen, die Lenin aus der Zweiten Internationale ererbt hatte, als Dogmen fortgetragen würden. Und diese bolschewistischen Dogmen erkannte die UWPA genauso bei Stalin wie auch bei Lenin und Trotzki. Denn trotz grundverschiedener strategischer Ausrichtungen, habe im Wesentlichen dasselbe Prinzip zugrundegelegen: Das Verhältnis zwischen avantgardistischer Partei und den arbeitenden Massen war eines des Anführens und Erziehens. Dies war, so Mattick, in Lenins Denken tief verankert und liess sich bereits auf Lenins Werk Was tun? aus 1903 zurückverfolgen. Lenin hatte dort bekräftigt, dass die Arbeiter:innenschaft aus sich selbst nur zu einem gewerkschaftlichen Bewusstsein gelangen könne, um von den Ansteller:innen oder der Gesetzgebenden bessere Ausbeutungsbedingungen einzufordern. Die sozialistische Doktrin, so Lenin, aber müsse durch professionalisierte Revolutionär:innen von aussen eingeimpft werden.
Hierin erkannten Mattick und die UWPA wiederum zwei irrige Vorstellungen. Zum einen schien Klassenbewusstsein für Lenin, wie zuvor schon für Kautsky, identisch mit der sozialistischen Lehre zu sein, wie eine Art Sammlung von Kernanliegen oder Ideologemen. Zum anderen war Bewusstsein etwas, das von aussen eingeimpft würde. Basierend auf Lenins Auffassung von Klassenbewusstsein würde denn auch die Folgerung naheliegend erscheinen, die Massen durch professionalisierte Revolutionär:innen mit der richtigen Propaganda zu erziehen und von einer Partei zu führen. In diesem Sinne wäre die Revolution auch wirklich primär eine Angelegenheit der richtigen Führung und ihrer Propaganda.
Doch aus Sicht der UWPA und Matticks blieb die Unterschiedenheit der L.O. zur stalinistischen Komintern eine rein taktische, solange die trotzkistische Linke zwar den stalinistischen Kurs ablehnte, indem sie sich selber als die richtige Führung propagierte.
Für Mattick und die UWPA stand die Vorstellung von Klassenbewusstsein als richtiges Gedankenkonstrukt, das durch professionalisierte Revolutionär:innen eingeimpft würde, in geradem Gegegensatz zur Auffassung Marxens selbst. Marx nämlich habe das Klassenbewusstsein mit dem Klassenkampf selbst identifiziert. In Anlehnung an Marx gingen Mattick und UWPA von einem prinzipiell anderen Verständnis von Klassenbewusstsein aus, und folglich von sich als revolutionärer Organisation. D.h. das Klassenbewusstsein ergab sich aus den empirischen Erfahrungen als Proletariat. Oder anders ausgedrückt, «Die Theorie wird in einem Volke immer nur so weit verwirklicht, als sie die Verwirklichung seiner Bedürfnisse ist. […] Es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen.»[14]
Diese Auffassung von der Bewusstseinsentwicklung als einer, die aus der eigenen Erfahrung der Betroffenenen in den jeweiligen Umständen entsteht, treffen wir auch später noch bei Mattick an. In Workers‘ Control betonte Mattick, dass eine massenhafte Veränderung des Bewusstseins in der Arbeiter:innenschaft durch keine Propaganda der Welt erreicht werden könne, solange keine materielle Notwendigkeit dazu bestehe oder solange eine Konsolidierung der Kapitalismus sogar eine Verbesserung der ökonomischen Situation verspreche. Solange die propagandistischen Inhalte belanglos für die Befriedigung der eigenen materiellen Bedürfnisse erschienen, würden sie auch keinen breiten Anklang finden können.[15]Und in From the Bottom Up machte Mattick ausdrücklich deutlich, dass deswegen auch eine Partei von avantgardistischen Wissenden, die die Führung übernimmt oder sogar die politische Macht erobert, um die Massen zu erziehen, dieses Ziel nicht erreichen könne:
«Das Bewusstsein zur Auflehnung gegen die Gesellschaft und zu ihrer Veränderung wird nicht durch die „Propaganda“ bewusster Minderheiten entwickelt, sondern durch die reale und direkte Propaganda der Ereignisse Das zunehmende soziale Chaos gefährdet die Lebensgewohnheiten immer grösserer Menschenmassen und verändert ihre Ideologien. Solange Minderheiten innerhalb der Masse agieren, ist die Masse nicht revolutionär, allerdings auch nicht die Minderheit. Ihre „revolutionären Vorstellungen“ können weiterhin nur kapitalistischen Funktionen dienen. Wenn die Massen revolutionär werden, verschwindet die Unterscheidung zwischen bewusster Minderheit und unbewusster Mehrheit, und damit auch die kapitalistische Funktion der scheinbar ‚revolutionären‘ Minderheit.»[16]
Paul Mattick – From the bottom up (1941)
Die Vorstellung, dass Voraussichtige die Massen anleiten müssten und der Machtgewinn einer solchen Massenpartei somit auch einem Anwachsen des sozialistischen Klassenbewusstseins entspräche, schien für Mattick und die UWPA unsinnig. In diesem Sinne musste die kommunistische Bewegung für die UWPA nicht nur taktisch, sondern eben auch prinzipiell anders sein als die bolschewistische. Es stellte sich daher nicht nur die Frage: «Trotzkismus oder Stalinismus, sondern Kommunismus oder Bolschewismus?»
Der Partei komme historisch keine wichtigere Rolle zu, als sie dem in der arbeitenden Klasse (angelegten) revolutionären Bewusstsein zukommt. Die UWPA wollte daher vielmehr die Arbeiter:innen dabei unterstützen, eigenständige Initiativen und autonom Machtstrukturen zu entwickeln und ordnete sich ohne wenn und aber den Arbeiter:innenräten unter, für deren Bildung sie eintrat. Praktisch hiess dies, dass sich die UWPA in zweifacher Weise engagierte: einerseits agitierte sie für den Kommunismus, andererseits kämpfte sie selbst in Klassenkämpfen mit, um den Arbeiter:innen den Weg mit der eigenen Tat vorzuzeigen.[17]
Konkurrierende Parteien mit Absolutheitsanspruch vs. geeinte Arbeiter:innenklasse
Das bolschewistische Verhältnis einer erziehenden und anführenden Kaderpartei gegenüber der Masse hatte für Mattick allerdings nicht bloss demokratietheoretische Folgen, sondern stellte für ihn auch ein Hindernis zur erfolgreichen Mobilisierung im Klassenkampf dar. Für Mattick und die UWPA wuchs die Arbeiter:innenmacht nicht dadurch, dass eine Partei mit der richtigen Ideologie und der richtigen Strategie möglichst den Grossteil der Arbeiter:innenklasse auf den richtigen Weg führen würde, sondern vielmehr aus der Dialektik zwischen den sich verändernden materiellen Umständen und der Entwicklung des Bewusstseins und Organisationsgrads bei den Arbeiter:innen: Vor dem Hintergrund der Zusammenbruchstheorie ging die UWPA davon aus, dass sich der Kapitalismus in seiner Endphase befunden habe und auf eine permanente Krise zusteuerte. Für ein wankendes System aber gehe es bei jedem Aufstand oder Konflikt um die Wurst. Deswegen trug jeder Kampf zwischen Lohnabhängigen – so sehr es sich auch bloss um ökonomische Tageskämpfe handeln mochte – den Keim für einen Systembruch in sich. Der Kapitalismus müsse dann letztlich jeden Aufstand rigoros bekämpfen. Und durch die materielle Verschärfung des Klassenantagonismus würde auch jede:r Arbeiter:in in scharfer und direkter Konfrontation mit Repräsentant:innen des Kapitals – ganz gleich wie rückschrittlich in der Bewusstseinsentwicklung – einen Kampf gegen das System an sich ausfechten müssen. In anderen Worten, die Fliehkräfte der historischen Umstände würden die Arbeiter:innenschaft zusammenführen und radikalisieren. Deswegen könne die Revolution auf der Grundlage reiner Ideologie zur Bewusstmachung der Arbeiter:innen allein auch nicht erfolgreich geführt werden.
Was es für einen erfolgreichen Systemsturz brauche, ist im Grunde eine im Klassenkampf geeinte Arbeiter:innenschaft. Doch gerade Parteien, die sich als den richtigen Weg propagieren, stehen dem im Weg. Da Parteipolitik immer bedeutet, dass Parteien miteinander um die Arbeiter:innenschaft konkurrieren und Segmente der Arbeiter:innenklasse gegeneinander, in illusorische Scheinkämpfe zu Felde führen.[18] In diesem Sinne ging die United Workers Party of America von der für sie grundlegenden Prämisse aus: «the revolution is not a party question, but the job of the workers as a class […]».[19]
Also doch keine Partei?
Natürlich liesse sich dann fragen, wie weit es sich noch um eine Partei im eigentlichen oder alteingesessenen Sinne handle. Und tatsächlich hatte Mattick im Moment der Gründung noch dazu tendiert, eine Bezeichnung als Partei zu vermeiden und mit der Selbstbezeichnung der niederländischen Rätekommunist:innen um Henk Canne Meijer und Piet Coerman geflirtet, die sich Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK; Groepen van Internationale Communisten) nannten. Aber die ehemaligen Proletarian Party-Mitglieder wollten eine wahrnehmbare Organisation.[20] Ab 1935 benannten sich die UWPA-Sektionen (es gab neben Chicago auch eine in Buffalo, Illinois) dann aber doch um in Groups of Council Communists.[21] Dies war ein bewusster Ausdruck der Ablehnung der Organisationskonzepte der Zweiten und Dritten Internationale sowie auch derjenigen der versuchten Vierten Internationale. In ihrem Verständnis von Marx waren die Groups of Council Communists der Ansicht, dass die Selbstbestimmung der Arbeiter:innenklasse nur dadurch möglich sein würde, dass Arbeiter:innenräten die politische Macht eroberten und das kapitalistische System in ein sozialistisches Produktions- und Verteilungssystem unwandelten. Die politische Herrschaft dürfe nicht durch eine anführende Partei erobert werden, als wäre die Herrschaft der richtigen Arbeiter:innenpartei gleich der Herrschaft der Arbeiter:innenklasse. Mattick hielt es entsprechend auch für angemessener, seine Organisation eher als Propagandaorganisation zu beschreiben, die für die Selbstbestimmung der Arbeiter:innenklasse eintrat, denn als Partei.[22]
Zwei Jahre nach ihrer Gründung brachte die UWPA auch ihr eigenes Publikationsorgan auf den Weg, das monatlich erschien: die International Council Correspondence (ICC). Die Redaktion schwankte zwischen 10 und 20 Mitgliedern aus dem engeren Mattick-Kreis, der wöchentlich in Matticks Haus tagte. Die Herstellung der ICC stützte sich auf der Eigeninitiative der UWPA-Mitglieder ab. Das Zeitschriftenlogo war handgezeichnet. Gearbeitet wurde mit einem Mimeographen, einer Siebdruckmaschine. Das Siebdruckverfahren bedeutete auch, dass Fehler in der Druckplatte in den Publikationen verewigt wurden.
Die meisten Artikel erschienen namenlos, was programmatisch bedingt war. Denn die die ICC sollte lediglich ein Mittel im Klärungsprozess des Rätekommunismus sein. Die ICC war der Intertnationalen Rätekorrespondenz der niederländischen Rätekommunist:innen (GIK) nachempfunden. Die ICC wurde zum Umschlagplatz für klassische Werke des Links- und Rätekommunismus, sowie für Beiträge von Rätekommunist:innen aus aller Welt (vor allem die Niederlande, Deutschland und die USA) – darunter Grössen wie Anton Pannekoek und Karl Korsch.[23] Die ICC funktionierte denn auch wie die Rätekorrespondenz als internationales theoretisches und Diskussionsorgan der verschiedenen rätekommunistischen Organisationen.
Die Publikationsserie der UWPA/ Groups of Council Communists sollte von 1934 bis 1943 andauern. Zuerst unter dem Namen International Council Correspondence, dann unter den Namen Living Marxism, wenig später unter New Essays.[24]
Zenit und Ende der Arbeitslosenbewegung
Durch die Halbierung der Chicagoer Nahrungsmittelhilfe im Oktober 1932 wurde die Vernetzung der linken Organisationen auf eine höhere Stufe befördert. Die KP, die sozialistische Partei und die Arbeiterliga, im Wesentlichen die Vorgängerin der UWPA, mobilisierten ihre jeweiligen Anhänger:innen in der Erwerbslosenbewegung für einen gemeinsamen Hungermarsch. Am Marsch kamen 25’000 Menschen zusammen, die z.T. auch in weiteren Organisationen verankert waren. In der Folge zog die Stadtregierung Chicagos die Pläne zur Reduktion der Hilfen tatsächlich wieder zurück. Es ist schwierig, den genauen Einfluss zu rekonstruieren, den der Mattick-Kreis ausübte. Einen ungefähre Ahnung könnte hier die Anhänger:innenzahl an der Planungssitzung des Hungermarsches geben. Während die Sozialistische Partei nach Eigenaussage um die 15’000 und die KP um die 10’000 Anhänger:innen für sich reklamierten, sprach die Arbeiterliga von rund 3’000 Anhänger:innen in zehn assoziierten Gruppen. Die Arbeiterliga war also eindeutig die kleinere linksradikale Bewegung, allerdings nicht unbedeutend in Chicago.
Der Erfolg gegenüber den Behörden bezüglich der Nahrungsmittelhilfe motivierte die Arbeiterliga/ UWPA, die KP, die sozialistische Partei und etwa 30 weitere Organisationen, sich zur «Federation of Unemployed Workers League of America» zu formieren. Auch wenn die Federation ihr Ziel, eine landesweite Bewegung zu werden, nie vollkommen erreichte, organisierte sie auf ihrem Höhepunkt im Mai 1933 immerhin eine überregionale Konferenz der Erwerbslosen für die Industrieregion des Mittleren Westens.
Die Arbeiterliga/ UWPA geriet mit ihren Ambitionen, die Federation zu einer eigenständigen Organisation aller Erwerbslosen zu machen und nicht zu einer Koalition diverser linker Parteien, in Konflikt mit der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei. Die Ziele der Arbeiterliga scheiterten letztlich aber daran, dass die Mehrheit der beteiligten Organisationen sowie die verbleibenden Mitglieder der Sozialistischen Partei für einen Reformkurs der Federation plädierten. Die Ziele der Arbeiterliga und überhaupt die Federation erlitten endgültig Schiffbruch an der Zentralisierung der Wohlfahrtsinstitutionen im Januar 1934, da diese der Arbeitslosenbewegung den Wind aus den Segeln nahm. Auch verloren linksradikale Alternativen allgemein an Attraktivität, nachdem Präsident Franklin D. Roosevelt den New Deal – eine Reihe von Wirtschafts- und Sozialreformen zwischen 1933 bis 1938 als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise – auf den Weg gebracht hatte.
Krisentheorie – oder warum der Kapitalismus immer zu Verarmung führen wird
Die Works Progress Administration als Arbeitsbeschaffungsagentur des New Deals beschäftigte mit 8.3 Mio. Menschen letztlich die:den Ernährer:in jeder vierten Familie in den USA. Mattick warnte jedoch davor, dass die Krisen des Kapitalismus, die die Ausbeutung der Lohnabhängigen verschärfen und Millionen Menschen ihrer Lebensgrundlage berauben, durch staatliche Eingriffe in den Kapitalismus nicht nachhaltig behoben werden könnten.
Unter Berufung auf das Gesetz der fallenden Profirate war Mattick der Ansicht, dass der Kapitalismus aus seiner eigenen inneren Funktionsweise zwangsläufig irgendwann zusammenbrechen müsse. Anders ausgedrückt würde die Kapitalrentabilität zwangsläufig sinken, denn der Wert einer Ware wird nach Marx nur durch menschliche Arbeit generiert und der Mehrwert, den die Kapitalist:innenklasse als ihren Profit einsteckt, ist im Prinzip nichts anderes als der Teil des erzeugten Werts, der nicht an die Arbeitenden ausbezahlt wird. Ziel der kapitalistischen Wirtschaft sei es daher, den Mehrwertteil zu vergrössern, etwa durch Verringerung der notwendigen Arbeitszeit (nötig zur Reproduktion der:des Arbeiter:in). Immer effizientere technologische Entwicklungen, die innert weniger Zeit eine höhere Stückzahl produzieren, würden die Arbeitszeit pro Stückzahl extrem verringern, womit weniger Lohn pro produzierte Stückzahl ausbezahlt werden müsste (relativer Mehrwert). Mittel- bis langfristig würde sich ironischerweise aber genau aus dieser Mehrwertsteigerung ein Problem ergeben. Denn mit der damit einhergehenden Personalreduktion würde der Teil des Wertes, der als Profit einbehalten werden kann, langsamer wachsen als der Teil des Wertes, der investiert werden muss, um einen kommenden Produktionszyklus zu garantieren.[25]
Irgendwann würde der Kapitalismus also an einen Kipppunkt gelangen, ab dem die Kapital-Akkumulationsrate nicht mehr auf dem bisherigen Niveau aufrechterhalten werden kann, und zusammenbrechen. Mattick hielt es natürlich für unsinnig, einen konkreten Zeitpunkt zu errechnen, an dem die Profitrate unter dieses Niveau fallen würde. Vielmehr, so Mattick, tendiere der Kapitalismus zu wiederkehrenden Krisen – es seien also nicht einfach zyklische vorübergehende Phasen eines Konjunkturzyklus. Vor allem aber sah Mattick, dass es für den Kapitalismus immer schwieriger werden würde, Perioden der Kapitalstagnation zu überwinden, bis es irgendwann schliesslich unmöglich würde. Mattick sprach daher davon, dass der Kapitalismus in eine permanente Krise eingetreten sei.[26]
1933 steuerte Mattick sogar das vierte Kapitel des 1933-er Programm der Industrial Workers of the World (I.W.W.) bei, wo die Vorstellung, dass der Kapitalismus aus seiner inneren Funktionsweise heraus in permanenter Krise sein würde, im Zentrum stand.[27]
Vor diesem Hintergrund äusserte sich Mattick in seinem Hauptwerk «Marx und Keynes. Die Grenzen des gemischten Wirtschaftssystems» auch kritisch gegenüber einer Verstärkung der Planungsmomente zur Behebung der Krisen im Kapitalismus. Vom keynesianischen Standpunkt aus sei es logisch, dass der Staat Schwankungen im Konjunkturzyklus durch antizyklische Gegenmassnahmen ausgleicht, also den Wirtschaftsverlauf stabilisiert und so Konjunktureinbrüche verhindert. Mattick räumte ein, dass staatliche Zuschüsse die materielle Produktion unmittelbar ausweiten und den Beschäftigungsgrad hochhalten können, doch das Grundproblem würde so nicht behoben. Im Prinzip sei eine gemischte Wirtschaftsform (verstärkte staatliche Regulierung und Investition) also eine Defizitfinanzierung, die irgendwann an ihre Grenze stossen müsse, weil das zur Reproduktion des Akkumulationsprozesses notwendige Kapital, aus dem sich ja dann auch die staatlichen Zuschüsse (Steuern) selber speisten, im Verhältnis zum notwendigen Kapitalvolumen weiterhin geringer würde (weiterhin die fallende Profitrate). Verstärkte staatliche Regulation könne den Zusammenbruch des Kapitalismus also nur hinauszögern. Deswegen sei es zentral, dass das Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital im Kapitalismus (Mehrwertsteigerung als Ziel der Wirtschaft) aufgehoben werde.[28]
«Die Revolution ist keine Parteifrage, sondern die Aufgabe der Arbeiter:innen als Klasse»
Die Aufhebung des Lohnverhältnisses stand ganz und gar im Zentrum von Paul Matticks Denken. Aus einer ökonomischen Perspektive versuchte Mattick zu erklären, weshalb im Kapitalismus eine krisenfreie Wirtschaft unmöglich ist. Aus einer demokratietheoretischen Perspektive wollte er zeigen, dass Freiheit letztlich nur bedeuten kann, dass man seine Arbeit und das Produkt aus seiner eigenen Arbeit selbst bestimmt. Mattick unterstrich in diesem Zusammenhang, was echte Vergesellschaftung, im Gegensatz zu blosser Verstaatlichung, ausmacht: die Umstrukturierung der zwischenmenschlichen Verhältnisse und der Verhältnisse der der arbeitenden Menschen zu den Produktionsmitteln hin zu einer demokratischen und selbsttätigen Bestimmung der eigenen Arbeit. Ohne diese fundamentale Umstrukturierung wäre eine Vergesellschaftung schwerlich mehr als die blosse Verstaatlichung des Ausbeutungsverhältnisses. Vor diesem Hintergrund kam Mattick auch zum Schluss, dass der Weg zu einer Selbstverwaltung nicht über Fremdanleitung beschritten werden könne.
Doch was kann die gegenwärtige Arbeiter:innenbewegung heutzutage aus Matticks Reflexionen konkret mitnehmen? Es steht ausser Frage, dass man die Strukturen, die im Klassenkampf aus der Arbeiter:innenschaft wachsen, zentralisieren und sie überregional koordinieren muss, um die politische und wirtschaftliche Macht zu erobern wie auch zu halten. Nicht nur im Klassenkampf, sondern auch in der Ausgestaltung der Infrastruktur für eine funktionierende sozialistische Gesellschaft, die überall dieselbe Leistungsqualität (Bildung, Gesundheit, Ernährung etc.) gewährleistet, muss zumindest eine gewisse Zentralisierung im Sinne eines Verwaltungswesens erhalten bleiben. Dabei stellen sich gewisse Arbeiter:innen freilich als begabtere Organisator:innen heraus als andere. Und nicht jeder Mensch, der eine Begabung entwickelt, ist autodidakt. Organisierte Strukturen, darunter auch Parteien, die die diversen Tendenzen der Arbeiter:innenschaft ausdrücken und verbreiten, tragen zur organisierten Ausbildung und zum gezielten Einsatz von Talenten bei. D.h., solange sie im geeinten Klassenkampf mit-kämpfen und nicht miteinander konkurrieren, um die Führung über den Klassenkampf zu übernehmen. Denn es bleibt ein essentieller Unterschied, ob sich die Arbeiter:innenschaft selbst zentralisiert und aus ihrer Mitte Führungskräfte eigens hervorbringt, oder ob durch eine Minorität von professionalisierten Revolutionär:innen, die dem Klassenkampf als Ganzes als separiertes und übergeordnetes Organ gegenübersteht, um die Führungskräfte aus der Klasse zu absorbieren und den Arbeiter:innen zu sagen, dass und auf welche Weise sie sich zu zentralisieren haben. So eine Vermittlungsinstanz zwischen Klassenbewusstsein und Arbeiter:in – denn genau das ist die avantgardistische Erzieherin und Führerin – kann sich über Kurz oder Lang nur verselbstständigen zum Gehirn, wo zuerst beschlossen schon wird, was die Arbeiter:innenschaft zu beschliessen und auszuführen hat. An diesem Verhältnis von autoritativer Vorhut zur arbeitenden Masse ändert auch das Wachsen zur Massenpartei nicht grundsätzlich etwas, solange eine Spitze von Kadern wie ein Transmissionsriemen Vermittlerin von Bewusstsein zur massenhaften Mitgliedschaft sein will. Doch am Ende eines Entwicklungsprozesses, den eine autoritativ-erzieherische Vermittlungsinstanz in Gang setzt, wird das Verkommen der Arbeiter:innenorgane zu Behörden stehen, die in wichtigen Entscheidungen lediglich noch die Direktiven der einsichtigen Vorhut absegnen[30] – insbesondere wenn die Revolution einer einzigen Partei untersteht.
Trotz der gewaltigen Zäsur Stalins zu Lenin, Trotzki und der alten Garde der Bolschewiki, die immerhin die wegweisende Sowjetidee (Arbeiter:innenräte als Staatsorgane) gegen das menschewistische Ziel einer verfassungsgebenden Versammlung durchsetzten, dürfte Mattick wohl Recht darin beinhalten, dass die Entwicklung der Russischen Revolution neben den historisch-materiellen Bedingungen des damaligen Russlands auch in der gemeinhin bolschewistischen Organisierungsidee begründet ist:
«Die Produktion muss so umgestellt werden, dass sie den wirklichen Bedürfnissen der Menschen dienen kann; sie muss zu einer Produktion für den Konsum werden. […] Es braucht wenig Philosophie, Soziologie, Ökonomie und Politikwissenschaft, um diese einfachen Dinge zu erkennen und nach dieser Erkenntnis zu handeln. Der tatsächliche Klassenkampf ist hier entscheidend und bestimmend. […] Die Partei ist ein fremdes Element in der gesellschaftlichen Produktion, so wie die Kapitalistenklasse ein unnötiger dritter Faktor neben den beiden für die Durchführung des gesellschaftlichen Lebens notwendigen Faktoren war: den Produktionsmitteln und der Arbeit. Die Tatsache, dass Parteien an Klassenkämpfen teilnehmen, zeigt, dass diese Klassenkämpfe nicht auf ein sozialistisches Ziel ausgerichtet sind. Sozialismus bedeutet letztlich nichts anderes als die Beseitigung des dritten Faktors, der zwischen Produktionsmitteln und Arbeit steht. Das „Bewusstsein“, das die Parteien entwickeln, ist das „Bewusstsein“ einer Ausbeutergruppe, die um den Besitz der gesellschaftlichen Macht kämpft. Wenn sie ein „sozialistisches Bewusstsein“ propagieren will, muss sie zuallererst den Parteibegriff und die Parteien selbst abschaffen.»[31]
Paul Mattick – From the bottom up (1941)
Quellen
Biografische Daten aus:
Buckmiller, M.: Die Revolution war für mich ein grosses Abenteuer – Paul Mattick im Gespräch mit Michael Buckmiller, Münster: Unrast 2015.
Roth, G.: Marxism in a Lost Century: A Biography of Paul Mattick, Brill: Leiden 2015.
Literaturangaben
[1] Roth 2015, 72f.
[2] Roth 2015, 81f.
[3] Roth 2015, 81.
[4] Roth 2015, 149; Bourrinet 2017, 556.
[5] GIK (1930): Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung, abrufbar unter: https://aaap.be/Pages/Transition-de-Fundamental-Principles-1930.html (14.04.2020).
Zu den Gründungsmitgliedern der GIK: Anthonie Pannekoek Archives (2015): Groep(en) van Internationale Communisten (G.I.C., 1928-1944), abrufbar unter: https://aaap.be/Pages/Group-GIC.html#appe (10.02.2022).
Appels dreiteiliger Aufsatz «Marx-Engels und Lenin : Über die Rolle des Staates in der proletarischen Revolution» erschienen im Zentralorgan der KAPD, der Kommunistischen Arbeiter-Zeitung (KAZ), war eine Art Vorstudie, die Appel zu einer Rohfassung der Grundprinzipien ausweiten würde. Die Grundprinzipien würden darauf kollektiv während mehrerer Jahre in der GIK, vor allem durch Canne Meijer weiter ausgearbeitet werden. In der genannten Vorstudie lieferte Appel bereits die politische Prämisse, indem Appel die Vorstellung sozialistischer Wirtschaft und der Erbauung des Sozialismus in Lenins «Staat und Revolution» als reformistisch kritisierte, weil sie blosse Verstaatlichung mit Vergesellschaftung und folglich Staatskommunismus (später von Appel auch Staatskapitalismus genannt) mit eigentlichem Sozialismus gleichsetzte. Nicht der Staat, sondern die Assoziation freier und gleicher Produzent:innen, verkörpert durch die Räte, sollte die Wirtschaft lenken. In: Corvo, F.: Die GIK und die Ökonomie der Übergangsperiode. Eine Einführung. Abrufbar auf: http://www.left-dis.nl/d/GrondbegInlGERMAN.pdf. (Juni bis Juli 2018), 3- 5.
Allgemeine biografischen Daten zu Appel, in: Appel, J. (1966): Die Erinnerungen von Jan Appel, abrufbar unter: https://muckracker.wordpress.com/geschichte/jan-appel/ (o. J.).
[6] Man könnte präzisieren, dass Marx unter Staat die ‚Nutzung des Verwaltungsapparates zur Niederhaltung der ausgebeuteten Klasse durch die herrschende Klasse‘ meinte und dass Marx das Kommune-Ereignis als proletarisches Gegenmodell zum bürgerlichen Staat deutete, in welchem die Verwaltung der Gesellschaft aufhörte politisch, d.h. Staat zu sein, weil demokratische Selbsttätigkeit Gesellschaftsverwaltung zu einer Sache des Proletariats machte.
[7] Mattick, P: (1070): Einleitung. Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung, abrufbar unter: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/mattick/1970/02/einleitung.htm (02.03.2011).
[8] Mattick, P. (1936): Arbeitslosigkeit, Arbeitslosenfürsorge und Arbeitslosenbewegung in den Vereinigten Staaten (Kapitel III «Arbeitslosenfürsorge»), abrufbar unter: https://shorturl.at/COST1 (3.3.2009).
[9] Zur Auffassung Matticks siehe: Mattick, P. (1932): Die kapitalistischen Tendenzen Russlands, abrufbar unter: t.ly/8MjXW (17.08.2019).
Zu Lenins Vorstellung siehe: Lenin (1918): “Lenin: Über „linke“ Kinderei und Kleinbürgerlichkeit (Kapitel III bis V), auf Englisch unter: “Left-Wing” Childishness, abrufbar unter: https://www.marxists.org/archive/lenin/works/1918/may/09.htm (März 2022); Lenin (1917): Staat und Revolution («Aufhebung des Parlamentarismus.» unter III. Kapitel), abrufbar unter: https://shorturl.at/nRX24 (20.07.2008).
Zum Verhältnis Fabrikkomitee – Staat: Fabrikkomitees wurden dem entstehenden Parteistaat untergeordnet, indem sie ab Januar 1918 den bolschewistisch dominierten Gewerkschaften eingegliedert wurden, also ihre Funktion als Glied zwischen Wirtschaft und Staat einbüssten, und indem die Entscheidungen der Fabrikkomitees in den verstaatlichten Betrieben seit März 1918 vom Obersten Rat für Volkswirtschaft (oberstes wirtschaftliches Staatsorgan) genehmigt werden mussten. In: Brinton, M.: The Bolsheviks and Workers‘ Control p. 32f., 35f., 1970.
[10] Roth 2015, 137.
[11] Roth 2015, 137.
[12] UWPA (1934): Bolshevism or communism : on the question of a new communist party and the „Fourth“ International, 2f., abrufbar unter: shorturl.at/ajkRX (03.08.2010).
[13] UWPA (1934): Bolshevism or communism : on the question of a new communist party and the „Fourth“ International, 3; 6, abrufbar unter: shorturl.at/ajkRX (03.08.2010).
Die bolschewistische Partei oder Kommunistische Partei Russlands (KPR) zeigte in der Tendenz einen eher instrumentellen Bezug zu den Sowjets. Auf dem 8. Parteikongress 1919 beschloss die bolschewistische Partei per Resolution, in allen staatlichen und zivilen Organisationen homogene Fraktionen bilden, um als Avantgarde den «entscheidenden Einfluss und vollständige Kontrolle in allen Organisationen der arbeitenden Menschen» gewinnen. In: Gregor 1974, 88f.; vgl. auch Hough und Fainsod 1979, 82; Daniels 1960, 111.
Am 9. Parteikongress der KPR wurde entschieden, dass die verfassungsmässige Übergeordnetheit der Sowjetspitze (Präsidium des Exekutivkomitees des All-russischen Sowjetkongresses) gegenüber dem Rat der Volkskommissariate kein grundsätzlicher sei, sondern jeweils die Entscheidung desjenigen Staatsspitzenorgans zu verfolgen sei, dass der Parteilinie diene. In: Pietsch 1969, 124f.
1931 veröffentlichet das Amtsblatt Sobranie erstmalig offen ein gemeinsames Dekret des ZK der KPdSU und des Sowjetpräsidiums (mittlerweile eher eine Art Parlamentspräsidium). Der Schattenstaat trat damit aus dem Schatten, was als eine Art Bruch mit dem verfassungsmässigen Mythos verstanden werden kann. In Van den Berg 1984, 88f.
Hieran wird deutlich, wie das Verhältnis der Partei zu den Verwaltungsorganen der Arbeiter:innenschaft als einem der autoritativen Erziehung schliesslich in einem Parteienstaat mündete, wo die Parteispitze die wesentlichen Direktiven in der Politikgestaltung als einer Art (bekannten) grauen Eminenz vorgab.
Zur Einheitsfront: Trotzki, L. (1932): Was Nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats, abrufbar unter: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1932/wasnun/index.htm (22.7.2008).
Zu Trotzkis Kritik der Volksfront: Trotzki, L. (1936): Wohin geht Frankreich, abrufbar unter: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1936/06/inhalt.htm (22.7.2008).
Zur Einheitsfront: Trotzki, L. (1932): Was Nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats, abrufbar unter: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1932/wasnun/index.htm (22.7.2008).
Zu Trotzkis Kritik der Volskfront: Trotzki, L. (1936): Wohin geht Frankreich, abrufbar unter: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1936/06/inhalt.htm (22.7.2008).
Georgi Dimitroff, 1935- 1943 Generalsekrtär der Komintern zur Volksfront und Einheitsfront: Dimitroff , D. (1935): Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus. Bericht auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, abrufbar unter: https://www.marxists.org/deutsch/referenz/dimitroff/1935/bericht/index.htm (16.10.2003).
[14] UWPA (1934): Bolshevism or communism : on the question of a new communist party and the „Fourth“ International, 3- 5, abrufbar unter: https://shorturl.at/wFINS (03.08.2010).
Zitat aus: MEW Bd. 1, 386; UWPA zitiert die zweite Hälfte auch in ihrem Pamphlet.
[15] Mattick, P. (1969): Worker’s Control, auf Französisch unter: La gestion ouvrière, abrufbar unter: https://shorturl.at/afuMV (o. J.), oder in: Intégration Capitaliste et Rupture Ouvriere, p. 256. Verlag EDI Paris 1972.
[16] Mattick, P. (1941): Pannekoek’s “The Party and the Working Class”, abrufbar unter: https://www.marxists.org/archive/mattick-paul/1941/pannekoek.htm, (08.2005).
Derselbe Artikel kursiert auch unter dem Titel „rom the Bottom up“, trug aber ursprünglich den Titel „Pannekoek’s “The Party and the Working Class”. Denn Mattick antwortete mit besagtem Artikel auf eine Replik Frank Maitlands, selber trotzkistisches Mitglied der Independent Labour Party, zu Pannekoeks Artikel „Die Partei und die Arbeiterklasse„. Maitland hatte den nach rätekommunistischer Manier namenlos erschienen Artikel fälschlicherweise Mattick zugeordnet. Weil aber Pannekoek selbst zu besagtem Zeitpunkt nicht antworten konnte und der Artikel in der International Council Correspondence erschienen war, antwortete Mattick auf Maitland.
[17] UWPA (1934): Bolshevism or communism : on the question of a new communist party and the „Fourth“ International, 10f., abrufbar unter: https://shorturl.at/wFINS (03.08.2010).
[18] UWPA (1934): Bolshevism or communism : on the question of a new communist party and the „Fourth“ International, 10f., abrufbar unter: https://shorturl.at/wFINS (03.08.2010).
[19] UWPA (1934): Bolshevism or communism : on the question of a new communist party and the „Fourth“ International, 1, abrufbar unter: https://shorturl.at/wFINS (03.08.2010).
[21] Roth 2015, 108.
[22] Roth 2015, 150.
[23] Anthonie Pannekoek Archives (2015): International Council Correspondence. Living Marxism. New Essays. 1934-1943, abrufbar unter: https://shorturl.at/alDMQ(13.05.2021).
[24] Roth 2015, 137f.; 141f.
[25] Anthonie Pannekoek Archives (2015): International Council Correspondence. Living Marxism. New Essays. 1934-1943, abrufbar unter: https://shorturl.at/alDMQ (13.05.2021).
[26] MEW Bd. 25, III, 221 – 241; Auf diese Interpretation des Kapitals war Mattick durch die Lektüre von Hendryk Grossmans Buch «Das Akkumulation- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems» (1929) gekommen. Grossman habe ihm ermöglicht, das Kapital, das vielen linken schwer zugänglich bleibt, umfassend und in praktischer Hinsicht zu verstehen. Für Grossmanns Werk siehe: Grossmann, H. (1929): Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, abrufbar unter: http://pombo.free.fr/grossmann29.pdf (o. J.).
Es ist selbstredend augenfällig, dass der Rätekommunist Mattick, dessen Denktradition auf den deutschen Linkskommunismus der 1920er zurückgeht, wie auch schon die KAPD/ AAUD von einer Krisentheorie ausgeht. Allerdings ist die Grundprämisse eine andere. Grossmann, auf den sich Mattick berief, sah den zwangsläufigen Zusammenbruch des Kapitalismus nämlich nicht in einer Absatzkrise (Unmöglichkeit, neue Absatzmärkte zu finden, sobald die Expansion des Marktes verunmöglicht würde) begründet, sondern leitete ihn vom Marx’schen Gesetz der fallenden Profitrate her. Auf Marx stützend (3. Band des Kapitals) ging Grossmann also davon aus, dass ab einem gewissen Punkt der Umfang des Mehrwerts nicht mehr ausreichen würde, um eine fortdauernde Akkumulation zu ermöglichen. In: Grossmann, H. (1929): Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, 117- 123, abrufbar unter: http://pombo.free.fr/grossmann29.pdf (o. J.).
Luxemburg, auf die sich die KAPD stützte, hingegen in ihrem Werk «Akkumulation des Kapitals – Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus» (1913) betont, dass die Akkumulation von Kapital in einer kapitalistischen Wirtschaft im Sinne einer in sich abgeschlossene Wirtschaft nicht möglich sei. Dies, weil der Drang des Kapitalismus zum Wachstum (immer mehr Kapital muss akkumuliert werden) nur durch die Eroberung neuer Absatzmärkte in der nicht-kapitalistischen Welt zu befriedigen sei. Innerhalb eines konstanten kapitalistischen Raums konnte Produktion und Absatz auf Dauer nur in Missverhältnis geraten (Absatzkrise).
Wenn aber die Ausdehnung in neue Absatzmärkte nicht möglich war, würde der Mehrwert nicht mehr realisiert werden können, das Kapital in der Folge also auch nicht weiter akkumuliert werden können. Luxemburg kritisierte in diesem Zusammenhang auch, dass Marx im zweiten Band seines Kapitals ein allgemeines Missverhältnis zwischen Produktion und Absatzmöglichkeit nicht erwartet hatte und daher die Bedeutung dieser Problematik (Die zentrale Frage war für Luxemburg, woher würden die Abnehmer:innen kommen, um das Mehr an Mehrwert als Kapital zu realisieren?) nicht gesehen habe. In der Folge seien die Rechnungen, die Marx im Kapital angestellt hatte, um den Produktions- und Reproduktionsprozess dazustellen, fehlerhaft. Luxemburg erklärte sich dies damit, dass der zweite Band noch nicht druckfertig gewesen sei, als Marx verstarb, sondern aus unfertigen Manuskripten im Nachlass durch Engels zusammengestellt worden war und daher eher eine unvollständige Arbeit zur Selbstreflektion dargestellt habe.
[26] Mattick, P. (1966): Monopoly Capital; Im Manifest der UWPA kommt der Begriff «permanente Krise» 11-mal vor: UWPA (1934): World-wide Fascism or World Revolution?
[27]Industrial Workers of the World (1933): Programm und Aufgaben
[28] Mattick, P. (1969): Marx and Keynes. The Limits of the Mixed Economy.
[29] Vgl. Fussnote 13
[30] Mattick, P. (1941): Pannekoek’s “The Party and the Working Class”, abrufbar unter: https://www.marxists.org/archive/mattick-paul/1941/pannekoek.htm, (08.2005).