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Neue Reproduktionstechnologien – patriarchaler Albtraum oder feministische Utopie? (Teil 1/2)

Das aktuell gültige Fortpflanzungsmedizingesetz der Schweiz ist seit dem 1. Januar 2001 in Kraft, doch seither hat sich technologisch einiges verändert. 2017 wurde das Gesetz mit einem Fokus auf die Präimplantationsdiagnostik (PID) revidiert und aktuell steht eine weitere Revision an, in der die Eizellspende legalisiert werden soll. Bisher ist die Spende von Spermienzellen erlaubt, die Eizellspende hingegen nicht. Die Revision wird insofern auch häufig als Schritt in Richtung Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern gepriesen. Im Folgenden will ich mich aus einer feministischen Perspektive diesen Technologien annähern. Ich frage nach dem subversiven oder repressiven Potenzial von Reproduktionstechnologien, indem ich die ethischen und feministischen Debatten darüber nachvollziehe. Diese Arbeit gliedert sich in zwei Artikel – im ersten wird auf die ethischen Debatten und den Beitrag feministischer Ethiker:innen eingegangen, im zweiten auf die Debatten innerhalb der feministischen Bewegung, die durch die neuen Technologien erweitert wurden.

von Sarah Friedli (BFS Zürich)

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) schreibt im neusten Faktenblatt zum Fortpflanzungsmedizingesetz im Januar 2025:

«Während die Samenspende in der Schweiz erlaubt ist, ist die Eizellenspende heute nicht zugelassen. Kann ein Paar wegen der Unfruchtbarkeit des Mannes keine Kinder bekommen, oder besteht die Gefahr, dass eine schwere Erbkrankheit des Mannes auf das Kind übertragen wird, ist der Weg über die Samenspende möglich. Paare, die wegen der Unfruchtbarkeit der Frau keine Kinder bekommen können, oder bei denen eine schwere Erbkrankheit der Frau auf das Kind übertragen werden könnte, haben keine entsprechende Option […] Diese Ungleichbehandlung will der Bundesrat beheben. Neu soll die Eizellenspende in der Schweiz zugelassen werden.»
(BAG 2025, p. 3)

Die Eizellspende soll also legalisiert werden. Mit dieser Revision will der Bundesrat die Spende auch für unverheiratete Paare zugänglich machen, den Schutz der Spender:in[1] stärken, die Anzahl der maximalen Embryonenzahl pro Behandlung erhöhen und die Aufbewahrungsdauer von Samen- und Eizellspenden verlängern. Ebenso wie der Bundesrat und das Bundesamt für Gesundheit, argumentiert die nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin für die Legalisierung der Eizellspende als Teil des Kampfes gegen die Ungleichbehandlung der Geschlechter (NEK 2022, S. 4). Doch in der Vergangenheit und bis heute gab und gibt es gerade aus feministischen Kreisen vehementen Widerstand gegen Gen- und Reproduktionstechnologien. Was sind die Gründe für die feministische Kritik? Mit welchen ethischen Überlegungen argumentieren die feministischen Ethiker:innen, Theoretiker:innen und Aktivist:innen? Und (wie) lassen sich diese Argumente auf die Eizellespende anwenden? Um diese Frage zu beantworten, braucht es zunächst die Klärung, was Eizellspende im Spezifischen und Reproduktionstechnologien im Allgemeinen genau bedeuten.

Eizellspende

«Unter einer Eizellenspende versteht man die Spende einer weiblichen Keimzelle zur Verwirklichung eines Kinderwunsches Dritter», so schreibt das die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin NEK (NEK 2022, S. 5). Nachdem der:die Spender:in einer ausführlichen medizinischen Untersuchung unterzogen wurde (familiäre Erbkrankheiten, allgemeiner Gesundheitszustand, Fruchtbarkeit und psychischer Verfassung), beginnt eine hormonelle Therapie von knapp zwei Wochen, welche die Produktion von Eizellen anregt. Danach werden der spendenden Person die Eizellen entnommen und in einem in-vitro Verfahren befruchtet, bevor sie der:dem Empfänger:in eingesetzt werden. Bei einem sogenannten «frischen» Zyklus – in Abgrenzung zu eingefrorenen Spenden – müssen die Zyklen beider Personen aufeinander abgestimmt werden, sodass sich die gespendete Eizelle in der Gebärmutter der austragenden Person einnisten kann.

Reproduktionstechnologie

Eizellspenden werden als Teil neuer Reproduktionstechnologien verstanden. Diese Technologien dienen nicht dem Schwangerschaftsabbruch, sondern der Unfruchtbarkeitsbehandlung und der Genforschung. Heidi Hofmann gibt in ihrem Buch Die Feministischen Diskurse über Reproduktionstechnologien: Positionen und Kontroversen in der BRD und den USA (1999) eine nützliche Definition, an die ich mich im Folgenden ebenfalls halten werde:

«In dieser Arbeit verwend ich den Begriff Neue Reproduktionstechnologie (NRT) als Sammelbegriff für verschiedene neue Methoden der Unfruchtbarkeitsbehandlung: die sogenannte In-vitro-Fertilisation […] sowie die damit zusammenhängenden Folgetechniken wie Keimzellspende, Embryonenspende, Geschlechtswahl, Kryokonservierung, Leihmutterschaft und Embryonenforschung.» (S. 23)

Die NRT grenzen sich somit von herkömmlichen Praxen ab, die seit Jahrhunderten zu Zwecken von Schwangerschaftsabbrüchen genutzt wurden. Seit der ersten erfolgreichen Schwangerschaft nach einer In-vitro-Fertilisation (IVF)[2] und der Geburt von Louise Brown im Jahr 1987, hat die Anwendung der NRT eine stetige Ausweitung erfahren. In der Schweiz sind es laut Bundesamt für Gesundheit jährlich zwischen 6000 und 7000 Paare, welche «medizinische Hilfe in Anspruch, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen.» (BAG 2025, S. 2)

Reproduktions- und Gentechnologien sind aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte historisch verknüpft mit dem Forschungs- und Technikboom in Agrarbusiness und Tierzucht in der Nachkriegszeit. Andere, verwandte Techniken, wie Ultraschall, sind ganz direkt mit der militärischen Waffenentwicklung des Zweiten Weltkriegs verbunden. Auch heute sind die Entwicklung und Anwendung neuer Reproduktionstechnologien von kapitalistischen und staatspolitischen Kräften geformt. In den Worten der Theoretikerin, Kulturkritikerin und Autorin von The Other Machine (1996) Dion Farquhar:

«Contemporary reproductive medicine is inextricable from the context of its development by international corporate capital, from the degree and kind of state support it receives, and from its differential national reception and distribution – it is always also a business. […] At the same time, technologies intervene and touch individuals’ bodies at the most intimate level.»
[dt.: Die zeitgenössische Reproduktionsmedizin ist untrennbar mit dem Kontext ihrer Entwicklung durch das internationale Unternehmenskapital, dem Ausmaß und der Art der staatlichen Unterstützung und der differenzierten nationalen Rezeption und Verbreitung verbunden – sie ist immer auch eine Geschäftspraxis. […] Gleichzeitig greifen die Technologien in den Körper des Individuum ein und berühren individuelle Körper auf einer sehr intimen Ebene.] (S. 3)

NRT sind also immer sehr individuell und persönlich aber gleichzeitig auch hochgradig gesellschaftlich. Es betrifft die gesellschaftliche Reproduktion, die Frage nach Technologievertrauen und die Diskussion, ob Menschen alles dürfen, was sie können. Kurz: Es werden ethische Grundsätze neu verhandelt.

Weil sie Grundsatzannahmen über die Natur und das Menschsein sowie über Verwandtschaft und (Menschen-)Rechte hinterfragen, beschäftigen sich Ethikkommissionen immer wieder mit Reproduktionstechnologien und ihre Auswirkungen auf Individuen und Gesellschaften. Natürlich gibt es in der Ethik verschiedene Strömungen und Hintergründe und so gibt es auch explizit feministische Ethik. Feminist:innen intervenieren als Direktbetroffene, potenziell Betroffene oder aus theoretischen, ethischen Überlegungen. Dabei versuchten und versuchen sie immer wieder, die beiden Ebenen – gesellschaftliche und persönlich-individuelle – zusammenzudenken und für die Rechte der politischen Subjekte, die sie zu vertreten beanspruchen, einzustehen. Somit strebt feministische Ethik immer nach der Befreiung aller vom Patriarchat unterdrückten Menschen. Dies ist ein Gegensatz zu Formen der Ethik, die das «grösstmögliche Glück für die grösstmögliche Zahl» ins Zentrum stellt und somit bspw. die Ausgrenzung/Entrechtung/Abwertung einzelner in Kauf nehmen kann (Hofmann 1999, S. 60/61).

In den folgenden drei Unterkapiteln widme ich mich dreien Themenkomplexen, die im Zuge der NRT gesellschaftlich neu verhandelt werden und somit auch ethische Diskussionen stimuliert haben, in welche Feminist:innen interveniert haben: Die Frage der menschlichen Natur, das Verhältnis zwischen Körperlichkeit und Geist und der Einsatz von sowie der Zugang zu medizinischer Technologie.

Menschliche Natur und Menschsein

In der breiten Gesellschaft werfen die NRT und Aushandlungen um allfällige Gesetzgebungen – wie auch mit der anstehenden Revision in der Schweiz – die Frage auf, was Menschsein bedeutet. Hinzu kommt, dass Reproduktionstechnologie eng mit Gentechnologie verknüpft ist. So werden viele Eizellen, die durch Reproduktionstechnologien gewonnen werden, für Genforschung und Experimente genutzt. Auch die Tests und Analysen auf Gendefekte (Prä-Implantations-Diagnostik) vor dem Fortfahren mit der NRT/IVF ist in diesem Kontext zu verstehen. Der Mensch, die menschlichen Gene und Erbvorgänge werden somit zum Experimentierfeld. Es ist rein technologisch möglich, Menschen zu «züchten» in dem Sinne, als dass die Keimzellen nach Kriterien wie Erbkrankheiten, Augen-, Haar-, Hautfarbe, Grösse selektiert werden können. Dies bedeutet nicht, dass es möglich ist, Genstränge zu manipulieren, sondern alle Keimzellen zu untersuchen und zu selektieren, welche Genkombinationen erwünscht sind und welche nicht. Es wurde und wird diskutiert, ob die menschliche Natur durch technische Eingriffe per se gefährdet sei oder ob es das Menschsein genau ausmacht, dass der Mensch als autonomes Wesen zur Naturbeherrschung durch technische Mittel befähigt sei.

Diese zweite Position definiert Menschen durch ihre Vernunft und Autonomie in Abgrenzung zur Natur, die eben beherrscht werden könne (Hofmann 1999, S. 38). Es wird eine Dichotomie zwischen Natur (beherrscht) und Mensch (beherrschend) hergestellt und mit Technik, Wissenschaft und Vernunft legitimiert. In der Anwendung von Technik auf die menschlichen Körper und die menschliche Reproduktion hingegen, wird die Trennung unscharf, da Menschen dann ebenfalls diesem Naturbegriff zugeordnet werden können, welche durch Technik reglementiert, beherrscht und transformiert wird. Die andere Position, sieht die «menschliche Substanz» durch technische Verfahren gefährdet. So ist etwa die Philosophin Elisabeth List zu verstehen, wenn sie schreibt: «Die Ersetzung des biologischen Körpers durch den Technokörper bedeute[t] die Preisgabe und Eliminierung des Menschlichen.» (List paraphrasiert nach Hofmann, 1999, S. 170) Viele Feminist:innen, vor allem aus dem ökofeministischen Spektrum, vertreten diese Position. Sie ziehen eine Verbindung zwischen der Unterdrückung der Natur und der Unterdrückung von Frauen[3], welche laut ihnen auf der Dichotomie Natur – Mensch / Frau – Mann / Emotion – Vernunft basiert (Für eine weiterführende Liste dieser Dichotomien siehe Gaard, 1997, p. 116). Laut ihnen werden Frauenkörper ebenso wie die Natur durch das Patriarchat und den Wissenschaften in dessen Dienste unterdrückt. Technische Eingriffe sind somit eine Fortsetzung dieser patriarchalen, gewaltvollen Unterdrückung mit neuen Instrumenten.

Geschlechter(-Hierarchien) und Dichotomien

Vertreter:innen dieser Strömung lehnen daher den Eingriff von Technik am menschlichen Körper gänzlich ab. Andere hingegen sehen in der Technik eine Möglichkeit, die Dichotomie zwischen Körper und Geist, Frau* und Mann*, Natur und Kultur aufzubrechen und Geschlechterhierarchien damit zu überwinden (Technofeminismus). Heidi Hofmann bezeichnet diese Debatte darüber, ob der Einsatz technischer Mittel Geschlechterhierarchien überwindet oder zementiert, als «Use/Abuse-Debatte» und fasst in ihrem Buch die zwei Standpunkte folgendermassen zusammen:

«Der eine Pol der Use/Abuse-Debatte lehnt Gen- und Reproduktionstechnologien bedingungslos ab. Für die Vertreter dieses Pols sind diese Technologien ein patriarchales Instrument zur Unterdrückung der Frauen. Auf der anderen Seite der Use/Abuse-Debatte stehen die Frauen, für die der gesellschaftliche Kontext und die Machtverhältnisse, unter denen die Technologie eingesetzt werden, ausschlaggebend sind und nicht Technik per se.» (Hofmann 1999, S. 107)

Zum ersten Pol zählt sie beispielsweise die bekannte Ökofeministin Maria Mies oder die Autorin von The Mother Machine (1985) Gena Cora. Cora schreibt da: «Unter Technologien verstehe ich etwas im Interesse des Patriarchat Geschaffenes, mit dem die Frau zum Ding reduziert wird.» (Cora zitiert nach Hofmann, 1999, p. 121) Zum zweiten Pol zählt sie Shulamith Firestone oder Donna Haraway. Firestone war überzeugt von der befreienden Tendenz der Technologien. Auch Haraway sieht durch die Technologie das gesellschaftliche, dichotome Verständnis von Natur/Kultur oder natürlich/künstlich in Frage gestellt (Hofmann 1999, S. 83). Diese Positionen müssen auch in ihrer Zeit verstanden werden: Während in den 80er die technologiekritischen Stimmen stärker sind, werden in den 90er die Analysen der Technofeminist:innen gestärkt.

Ich befasse mich im Folgenden nur noch mit den Vertreter:innen der zweiten Position. Meiner Ansicht nach geht die erste Position – Technologien im Allgemeinen und NRT im Spezifischen seien per se immer Instrument patriarchaler Unterdrückung – von essentialistischen Positionen aus. So sind in dieser Perspektive NRT immer frauen*unterdrückend, wobei Frauen* immer Menschen mit Uterus sind. Diese Position ist in ihrer Logik immer transfeindlich und hat meiner Auffassung nach keinen Platz in der heutigen feministischen Debatte. Dem gegenüber braucht es einen differenzierten und kritischen Blick auf NRT, welcher sowohl die gesellschaftliche Ebene – den patriarchalen Kontext – als auch die individuelle Ebene miteinbezieht und nach den Machtstrukturen und den kontrollierenden sowie den befreienden Aspekten von NRTs fragt. Dion Farquhar tut genau dies in ihrem Buch The Other Machine (1996) – welches durch den Titel bereits als Antwort und Widerspruch zu Gena Cora verstanden werden kann. Farquhar fragt nach dem Diskurs welcher die gesellschaftliche Wahrnehmung von NRT prägen und formen:

«This book looks at the role discourse plays in constructing answers to a central question about power: how bodies can both be in control and shape technologies they desire, utilize, adapt, or resist at the same time they can be controlled and shaped by them. [im Original hervorgehoben]»
[dt.: Dieses Buch befasst sich mit der Rolle, die der Diskurs bei der Konstruktion von Antworten auf die zentrale Frage nach der Macht spielt: wie Körper Technologien, welche sie wünschen, nutzen, anpassen oder ihnen widerstehen, gleichzeitig kontrollieren und gestalten können.] (Farquhar 1996, S. 4)

Sie hebt hervor, dass eine Analyse der NRT danach fragen muss, ob und inwiefern diese traditionelle und repressive Körpernormen zementieren oder auflösen: Stabilisieren NRT die Verbindung von biologischem Geschlecht (sex) und Reproduktion, die biogenetische Verwandtschaft, die Natürlichkeit von Mutterschaft oder haben NRT das Potenzial, diese Kategorien zu hinterfragen? Stellen NRT die Vorstellung einer idealisierten, biologischen Kleinfamilie wieder her oder destabilisieren sie diese Vorstellung? Laut Farquhar ermöglichen NRTs die Loslösung von heteronormativem Sex und Reproduktion und das queeren von familiären Beziehungen. Durch die Veränderung unserer Wahrnehmung von Zeugung, Reproduktion und Elternschaft haben die NRT laut ihr das Potenzial, die patriarchale Hegemonie zu destabilisieren und Reproduktionsvorgänge als historisch situiert und gesellschaftlich konstruiert zu verstehen (Farquhar 1996, S. 191). Um dieses Potenzial aber auszuschöpfen wäre es unumgänglich, dass die Macht über die Reproduktionsmittel in den Händen der Nutzer:innen liegt. Denn nur so ist der Zugang für alle gewährleistet.

Zugang und Ausschluss zu medizinischer Technologie

Wer darf sich reproduzieren? Wann ist Unfruchtbarkeit ein zu behebendes Problem und wann eine politische Absicht? Welche Familienkonstrukte sind erwünscht, welche nicht? Wie viele Menschen haben Platz auf der Welt? Dies sind ethische und politische Fragen, die den Zugang zu NRT bestimmen und durch politische und religiöse Kräfte sowie durch staatliche Gesetzgebungen vermittelt sind. NRTs – und gerade auch die Eizellspende – werden als Lösung für Unfruchtbarkeit und somit als (Er-)Lösung für unfreiwillig kinderlose Paare und Menschen gepriesen. So auch im Schreiben des BAG. Dabei gibt es im hegemonialen Diskurs laut Farquhar zwei Punkte, die ausgeblendet werden: Wer ist unfruchtbar? Und wieso sind die Menschen unfruchtbar? Mit dem Fokus auf die individuelle Unfruchtbarkeit und das ebenso individuelle Bedürfnis nach Kindern werde nicht beachtet, dass Unfruchtbarkeit als zunehmendes gesellschaftliches Phänomen auch gesellschaftliche Ursachen hat.

Jegliche gesellschaftlichen Ursachen von Unfruchtbarkeit – Umweltveränderungen aufgrund der Klimazerstörung, Giftstoffe und Hormone in verarbeitetem Essen, Krankheiten, Zugang zu medizinischer Versorgung, Stress, Traumata und weitere – werden ausgeschlossen. Gleichzeitig werden auch aufgrund kapitalistischer Gesundheitsversorgung jene Menschen, die am meisten von oben genannten Ursachen für Unfruchtbarkeit betroffen sind – arme, migrantische, rassifizierte Menschen – vom Zugang zu NRT ausgeschlossen. Zum einen ganz direkt über die Kosten von medizinischer Versorgung und reproduktionstechnologischen Behandlungen. Denn der Zugang zu NRTs ist in der kapitalistischen Gesellschaft kostspielig. Wenn NRT nicht von staatlichen Versicherungen bezahlt werden, ist der Zugang also für arme Menschen kaum möglich. Zum anderen werden marginalisierte Menschen über gesellschaftliche Akzeptanz und Normierung von Behandlungen ausgeschlossen. So zeigt Farquhar, dass unfreiwillige Unfruchtbarkeit – und somit auch der legitime Anspruch auf NRT – nur dann akzeptiert werde, wenn die Personen in die traditionelle, heteropatriarchale Kleinfamiliennorm passen würden:

«Narratives about ‘infertile women’ vary greatly depending on which women are being described. In the majority of popular and medical ones, they vary mostly according to degrees of sympathy extended to her or degrees of responsibility she bears for earlier nonreproductive sexual conduct. If she is young, middle class, white, and in a heterosexual married couple, her inability to reproduce is configured as frustrating her natural maternal instincts, her drive to fulfill her nature as a woman.»
[dt.: Die Erzählungen über ‚unfruchtbare Frauen‘ sind sehr unterschiedlich, je nachdem, um welche Frauen es sich handelt. In der Mehrzahl der populären und medizinischen Erzählungen variieren sie vor allem nach dem Grad der Sympathie, die ihr entgegengebracht wird, oder nach dem Grad der Verantwortung, die sie für ihr früheres, nicht reproduktives Sexualverhalten trägt. Wenn sie jung, aus der Mittelschicht, weiß und in einer heterosexuellen Ehe ist, wird ihre Unfähigkeit zur Fortpflanzung als Frustration ihrer natürlichen Instinkte, ihres Drangs, ihre Natur als Frau zu erfüllen, dargestellt.] (Farquhar 1996, S. 85)

Die meisten Gesetzgebungen zu Reproduktionstechnologien halten in diesem Sinne die Heteronormativität auch aufrecht, indem sie vorgeben, dass NRT nur innerhalb einer Ehe oder eingetragenen Partnerschaft zulässig seien. In Ländern, wo homosexuelle Paare nicht heiraten oder eine Partnerschaft eintragen dürfen, wird ihnen den Zugang somit verwehrt. In der Schweiz ist die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt und mit der Revision des Gesetzes will der Bundesrat den Einsatz der NRT nun auch für unverheiratete Paare zugänglich machen. Dies kommt einer Erweiterung des Zugangs gleich. Nichtsdestotrotz bleibt zu fragen, was das dann in der Praxis heisst. Wie müssen Paare beweisen, dass sie – wenn auch unverheiratet – doch ein Paar sind und ein Anrecht auf NRT haben? Wer ist zuständig für die Beurteilung? Diese Fragen bleiben in der aktuellen Revision des Schweizer Gesetzes bisher unbeantwortet. Auch die Frage nach Alter bleibt in der neuen Revision schwammig. So wird nur festgehalten, dass das «Paare nur dann Zugang zu Fortpflanzungsverfahren haben, wenn sie auf Grund ihres Alters und ihrer persönlichen Verhältnisse voraussichtlich bis zur Volljährigkeit des Kindes für dessen Pflege und Erziehung sorgen können.» (BAG 2025, S. 4) Wenn weiterhin nur heteronormative, able-bodied, weisse Menschen in Paarkonstellationen Zugang zu Reproduktionstechnologischen Behandlungen haben, so zementieren diese Technologien bestehende Normen eher, als dass sie diese aufbrechen. Diese gesellschaftsstabilisierende Rolle von Wissenschaft und Technologie wird von Feminist:innen auf der ganzen Welt kritisiert.

Ebenso kritisieren viele Feminist:innen nicht nur Technik und Wissenschaft, sondern auch Nationalstaaten als normierend, repressiv patriarchal. Dies zeigen sie unter anderem an staatlichen Massnahmen zur Steuerung von Reproduktion. Denn Reproduktion von Menschen hat immer auch eine unmittelbar bevölkerungspolitische Dimension. Am Beispiel von Palästina/Israel zeigt Sigrid Vertommen, wie der politische Umgang mit In-Vitro-Fertilisation biopolitischen Zielen von Nationalstaaten dient. Sie beschreibt Israel als siedlerkolonialistischen Staat, der in seiner Struktur auf die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung ausgelegt ist, um einen jüdischen Nationalstaat zu schaffen. Dafür bedient sich Israel auch an biopolitischen Massnahmen wie Gesetzen zu Reproduktion:

«There are nonetheless some indications in Israel’s history of reproductive policies of what Shellee Colen (1995) has dubbed stratified reproduction, a policy by which certain groups in society are encouraged to reproduce and others are not.»
[dt.: Dennoch gibt es in der Geschichte der israelischen Reproduktionspolitik einige Anzeichen für das, was Shellee Colen (1995) als „stratifizierte Reproduktion“ bezeichnet hat, d.h. eine Politik, bei der bestimmte Gruppen in der Gesellschaft zur Reproduktion ermutigt werden und andere nicht.] (Vertommen 2016, S. 174)

Mit dem Begriff der stratifizierten Reproduktion ist gemeint, dass Israel, wie auch andere Nationalstaaten, gezielt Anreize schaff, die die Reproduktion einzelner Bevölkerungsgruppen fördert – während gleichzeitig die Reproduktion anderer Bevölkerungsgruppen erschwert wird. Diese Politik kann entlang rassistischen, trans- und queerfeindlichen, behindertenfeindlichen, religiösen oder ökonomischen Kriterien umgesetzt werden.

Staatliche Biopolitik vermittelt also Zugang oder Ausschluss verschiedener Bevölkerungsgruppen zur individuellen Reproduktion. Sie ist Teil des rassistischen, patriarchalen und kapitalistischen Kontexts, in dem NRT stattfindet und marginalisierte Gruppen haben per se einen erschwerten Zugang zum Gesundheitssystem. Hofmann geht in ihrem Buch auf Zahlen aus den USA ein und zeigt, dass gerade Women of Colour besonders schlecht versichert sind (Hofmann 1999, S. 53). In der Schweiz ist die Lage durch die obligatorische Krankenversicherung etwas anders, aber auch hier werden nicht alle Behandlungen von den Krankenkassen übernommen, die Leistungen hängen von den Prämien ab und marginalisierte Menschen – beispielsweise Sans Papiers – haben nur Zugang zu Notfallversorgung. Ausserdem zeigt sich in der Analyse von Reproduktionstechnologien, dass die neuen Technologien – zur Verbesserung der Fruchtbarkeit – dem gegenteiligen Muster in der Anwendung folgen, als jene Technologien, die zur Verhütung dienen. Beide zusammen ergeben aber ein Bild von höchst klassistischen und rassistischen Reproduktionspolitiken:

«Wurden die Verhütungstechnologien in ihrer Entwicklungsphase […] vorwiegend bei Frauen aus der Unterschicht angewandt, so werden die Befruchtungstechnologien vorwiegend von weissen, meist der Mittelschicht angehörenden Frauen in Anspruch genommen.» (Hofmann 1999, S. 53/54)

Und damit ist man auch sehr schnell bei der eugenischen Bewegung. Nicht nur im Nazi-Deutschland, sondern schon zuvor waren eugenische Zwangssterilisationsgesetze in den USA in Kraft. (Davis 2022, S. 217/218) Und es ist kein Geheimnis, dass der Miterfinder von IVF ein Mitglied in der eugenischen Society in Grossbritannien war. Es ist damit zu vermuten, dass seine Interessen an künstlicher Befruchtung an seine eugenischen Überzeugungen geknüpft waren.

Vor diesem Hintergrund lässt sich die vehemente Kritik von feministischen Theoretiker:innen und Aktivist:innen gut nachvollziehen. Und es bleibt auch weiterhin an uns, die neuen Entwicklungen genau unter die Lupe zu nehmen und auf ihre unterdrückenden Mechanismen hinzuweisen, dagegen anzukämpfen und Reproduktion nicht nur als ein individuelles, sondern als ein gesellschaftliches Thema zu verstehen. Im nächsten Artikel will ich dies tun, indem ich auf die feministischen Diskussionen um individuelle vs. gesellschaftliche Autonomie, die historisch konstruierte Rolle von Mutterschaft und das Verhältnis von sozialer Reproduktion und Kapitalismus eingehe.

Teil 2 des Artikels


[1] Ich werde im Folgenden mit dem Doppelpunkt gendern. Wenn die soziale Kategorie Frau* gemeint ist, verwende ich den Stern, Zitate werden wortgetreu übernommen.

[2] Das beschreibt die künstliche Befruchtung der Eizelle ausserhalb des Körpers.

[3] Ich verwende hier keinen Genderstern, weil in der Argumentationslinie dieser Position Frauen und Frauenkörper als biologische Tatsache verstanden werden. Die Hierarchie und Rollenzuschreibungen werden als Konstruiert verstanden, so haben diese Feminist:innen durchaus eine Analyse von sozialer Konstruktion von Geschlecht, jedoch nicht vom Körper.

Weiterführende Literatur

  • Bhattacharya, T. and Vogel, L. (Hg.) (2017) Social reproduction theory: remapping class, recentering oppression. London: Pluto Press.
  • Davis, A.Y / Stöppler, E. (2022) Rassismus, Sexismus und Klassenkampf. Münster: Unrast Verlag.
  • Farquhar, D. (1996) The other machine: discourse and reproductive technologies. New York: Routledge (Thinking gender).
  • Gaard, G. (1997) ‘Toward a Queer Ecofeminism’, Hypatia, 12(1), S. 114–137. online: https://www.jstor.org/stable/3810254.
  • Hofmann, H. (1999) Die feministischen Diskurse über Reproduktionstechnologien: Positionen und Kontroversen in der BRD und den USA. Frankfurt/Main: Campus-Verl (Campus Forschung, 786).
  • Vertommen, S. (2016) ‘Toward a Political Economy of Egg Cell Donations’, in C. Kroløkke et al. (Hg.) Critical kinship studies. London New York: Rowman & Littlefield International (Rowman and Littlefield International – Intersections).
  • Vertommen, S. (2021) ‘“Marx in Utero” a Workers’ Inquiry of the in/visible Labours of Reproduction in the Surrogacy Industry’, in A. Mezzadri (Hg.) Marx in the Field. London (Anthem Frontiers of Global Political Economy and Development), S. 189–202.
  • Vertommen, S., Parry, B. and Nahman, M. (2022) ‘Introduction: Global Fertility Chains and the Colonial Present of Assisted Reproductive Technologies’, Catalyst: Feminism, Theory, Technoscience, 8(1). online: https://doi.org/10.28968/cftt.v8i1.37920.
  • van de Wiel, L. (2020) Freezing Fertility. Oocyte Cryopreservation and the Gender Politics of Aging. New York.

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1 Kommentar

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