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Private E-Scooter-Firmen haben keine Zukunft

Unabhängig davon, ob du die E-Scooter hasst oder liebst, die die Gehwege vieler Städte auf der ganzen Welt verstopfen – eines ist klar: Die Bedingungen für ihre Nutzung müssen demokratisch und von der Öffentlichkeit festgelegt werden.

von Paris Marx; aus jacobinmag.com

Während Jahrzehnten haben Autos die Strassen unserer Städte dominiert und Fussgänger*innen und Radfahrer*innen an den Rand verwiesen. Aber seit den letzten Jahren haben immer mehr Menschen zunehmend die Nase voll vom Verkehr und der Schwierigkeit, sich ein Auto leisten zu können. Die Städte investieren zunehmend in Transit-, Rad- und Fussgänger*inneninfrastruktur. Aber bisland war kein Versuch, diesen Herausforderungen zu begegnen, so sichtbar wie die sich seit einigen Monaten rasant ausbreitenden E-Scooter.

Vor fast zwei Jahren begannen stationslose E-Scooter – also Scooter, die überall gebucht und wieder abgestellt werden können – auf den Trottoirs der US-amerikanischen Grossstädte aufzutauchen. Sie verbreiteten sich schliesslich nach Europa, Asien, Australien und darüber hinaus. In den meisten amerikanischen [wie auch europäischen, Anm. d. Red.] Städten kümmerten sich die verantwortlichen Unternehmen nicht darum, Genehmigungen zu bekommen oder ihre Dienstleistungen juristisch abklären zu lassen; sie verteilten einfach ihre E-Scooter über die Städte und provozierten das, was einige Journalist*innen die “E-Scooter-Kriege” nannten.

Die Städte bemühten sich möglichst schnell Vorschriften zu aktualisieren und Genehmigungsprogramme umzusetzen, als sich die Bewohner*innen über die E-Scooter zu beschweren anfingen, da diese die Trottoirs blockieren (ein grosses Problem für Rollstuhlfahrer*innen, Menschen mit eingeschränkter Mobilität aller Art und Fussgänger*innen, welche auf die Trottoirs angewiesen sind). Zudem kam es zu einer Vielzahl von Unfällen zwischen E-Scooter-Fahrer*innen und Fussgänger*innen. Die E-Scooter selbst waren unzuverlässig und haben durch ihre Mängel zu Stürzen geführt. Die E-Scooter haben zwar eine Debatte über die Zukunft des öffentlichen Raumes lanciert. Aber ihre Einführung in den öffentlichen Raum war beunruhigend. Und je mehr Details über die Ökonomie der Firmen hinter den E-Scootern bekannt werden, umso deutlicher wird, dass diese irgendwann zu einem öffentlichen Dienst werden müssen, wenn sie überhaupt überleben wollen – eine Veränderung, die den Städten mehr Kontrolle über sie geben wird.

Elitäre Voreingenommenheit

Es sind nicht nur E-Scooter; Technologieunternehmen interessieren sich für alle möglichen Verkehrsmittel. In Städten rund um den Globus haben Uber und ähnliche Firmen die Verkehrsüberlastung verschlimmert und den Fahrzeugverkehr erhöht. Ubers Antwort darauf besteht darin, zukünftig fliegende Autos für Menschen anbieten zu wollen, um dem Problem zu entkommen, das es selbst mitgeschaffen hat. Und Elon Musk möchte Autos in einem Tunnelsystem unter die Erde schicken. Scheinbar befindet sich jede Zukunftsvision, die nicht für jede*n Einzelnen ein persönliches Fahrzeug vorsieht, einfach ausserhalb des Vorstellungbereichs für das grösste Genie der Welt.

Diese Möglichkeiten der Zukunft werden durch die elitäre Position derjenigen Menschen eingeschränkt, die hauptsächlich die Zukunft gestalten. Der Verkehrsberater Jarrett Walker nannte die Unfähigkeit der Technologiefirmen, zu akzeptieren, dass die räumlichen Einschränkungen von Städten nicht durch Technologie gelöst werden können, ein Beispiel für die “Elite-Projektion”. Das heisst, dass die Eliten nicht erkennen, dass das, was für sie am besten funktioniert, möglicherweise nicht funktioniert, wenn es von allen genutzt wird. (Elon Musk nannte ihn daraufhin einen Idioten.) Aber es ist nicht das erste Mal, dass Menschen, die die Transportvisionen vorantreiben, ihre eigene Voreingenommenheit nicht erkennen können.

In einem Essay von 1973 beschrieb der Sozialphilosoph André Gorz das Auto als ein Luxusprodukt, dessen Geschwindigkeitsversprechen nicht mehr funktionieren würde, wenn jede*r eines hätte: “Obwohl die Automobilindustrie jeder/m versprochen hat, schneller fahren zu können, endete es im vorhersehbaren Ergebnis, dass jede*r so langsam wie der/die langsamste sein muss; nämlich mit einer Geschwindigkeit, die durch die einfachen Gesetze der Strömungsmechanik bestimmt wird.” Trotz jahrzehntelangem Strassenneubau und Autobahnverbreiterungen konnte das Stauproblem nicht gelöst werden, da jeder Versuch der Kapazitätserhöhung einfach immer mehr Autos anzieht.

Die Massenautomatisierung, so Gorz, sei “ein absoluter Triumph der bürgerlichen Ideologie”, da sie “bei allen die Illusion fördert, dass jede*r Einzelne auf Kosten aller anderen den eigenen Nutzen suchen kann.” Nachdem man die Alternativen zerstört und die Stadt getötet hatte, um Platz für Autos zu schaffen, blieb den Menschen keine andere Wahl mehr als Auto zu fahren. Aber nach mehreren Jahrzehnten dieses Status quo scheint sich nun langsam das Blatt zu wenden.

Die Entscheidungen darüber, wie die Zukunft der Mobilität aussieht, können jedoch nicht einfach einer Gruppe von unnahbaren Milliardären überlassen werden, die von der Kapitalakkumulation angetrieben werden, anstatt dass sie das Beste für die Förderung gerechter und lebensfähiger Gemeinschaften wollen.

Privates «E-Scooter-Sharing» funktioniert nicht

Das plötzliche Auftauchen der E-Scooter war allerdings keine komplette Katastrophe. Die E-Scooter erzwangen eine wichtige Debatte über den öffentlichen Raum und den Anspruch auf die Strasse und machten es zugleich tausenden Menschen leicht, E-Bikes und E-Scooter als Alternative zu ihrem derzeitigen Pendlerverhalten auszuprobieren. Aber das Ergebnis kann nicht einfach darin bestehen, dass E-Scooter-Firmen die Parameter definieren, die für ihre privaten Interessen zwangsläufig die Enteignung der öffentlichen Infrastruktur zur Folge haben.

E-Scooter in Lissabon

Auch wenn die Unternehmen möchten, dass die Menschen etwas anderes glauben, ist die langfristige Lebensfähigkeit privater stationsloser E-Scooter- und E-Bike-Dienste sehr zweifelhaft. So wie Uber zehn Jahre nach seiner Gründung ohne Aussicht auf Rentabilität in absehbarer Zeit immer noch riesige Summen verliert, kämpfen auch die E-Scooter-Firmen darum, ihre Finanzen in den Griff zu bekommen – aber zu einem viel früheren Zeitpunkt ihrer Existenz.

Rollerfirmen wie Bird und Lime haben erfolgreich hunderte Millionen an Risikokapital gesammelt. Aber sie verbrennen dieses Geld regelrecht und die Investor*innen sind nicht grosszügig wie mit Uber. Travis Van der Zanden, der CEO von Bird, hat gesagt, dass der Schwerpunkt für 2018 zwar auf der massenhaften Ausbreitung lag, 2019 aber auf der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Einheiten liegt. Es ist jedoch unklar, wie gut das läuft. E-Scooter sind bekannt für ihre kurze Lebensdauer.

Van der Zanden sagte zuvor, dass Roller sechs Monate auf der Strasse sein müssen, damit das Unternehmen die Gewinnschwelle erreicht. Und obwohl er behauptet, dass die neueren, “robusteren” Modelle zehn bis zwölf Monate halten werden, stützen unabhängige Daten diese Aussage nicht. Die Scooter von Bird in Louisville, Kentucky, hielten zwischen August und Dezember 2018 durchschnittlich nur 28,8 Tage und zwischen Januar und April 2019 in Los Angeles 126 Tage – weit unter dem, was nötig ist.

Die Daten aus Los Angeles zeigen deutlich noch Schlimmeres: das damals neueste Rollermodell, der Bird Zero, hatte eine überdurchschnittlich kurze Lebensdauer von nur 116 Tagen. Lime hat ähnliche Probleme mit seinem neuesten Modell, dem Gen 3. Es leidet unter erheblichen Wartungsproblemen, die die erhofften Kosteneinsparungen illusorisch machen. Trotz der Behauptungen von langlebigeren E-Scootern erhöhte Bird im April die Preise in einer Reihe von Städten und warf damit weitere Fragen auf, ob seine Produktstrategie wie erwartet funktioniert.

Für stationslose E-Bikes ist sieht die Situation nicht viel besser aus. Auch die Uber-Tochtergesellschaft Jump hat ihre Preise in letzter Zeit erhöht und teilweise von 0,15 auf 0,30 Dollar pro Minute verdoppelt. Diese Preise konkurrieren nun mit 1,75 Dollar pro 30 Minuten oder 17 Dollar pro Monat für alle Fahrten unter 30 Minuten im öffentlichen Fahrrad-Sharing-System von Los Angeles.

Diese privaten Dienste sind für jede*n, die/der sie regelmässig nutzt, bereits teurer als die bestehenden öffentlichen Systeme. Die vergangenen und vermutlich noch kommenden Preiserhöhungen werden sie zukünftig möglicherweise vollends zu einem Nischenprodukt machen – zu einer Zeit, in der sie ihre Kosten noch nicht decken können. Öffentliche Daten aus Austin, Texas, zeigen, dass die täglichen Fahrten pro E-Scooter rückläufig sind und 80 Prozent der Fahrten in einem einzigen Bezirk, der nur 10 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht, vorgenommen werden.

Wie bei Uber und Co. müssen die Preise zwangsläufig weiter steigen, um eine Rentabilität zu erreichen, die sie für die meisten Einwohner ausser Reichweite bringt. Das private Modell funktioniert einfach nicht.

Öffentliche Mobilität für gerechte Städte

Wenn die Vermietung von E-Scootern eine Zukunft haben soll, muss sie zwangsläufig in öffentliche Fahrrad-Sharing-Systeme integriert werden. Dies kann mittels einem Hybridmodell erreicht werden, das in erster Linie auf Docks basiert, aber einen dockfreien Einsatz in Gebieten ohne gute Dockabdeckung ermöglicht. Ein solches Modell muss auch mit einem Plan für den Ausbau der Infrastruktur verbunden werden, in dem Fahrräder und E-Scooter genutzt werden können, ohne die Fussgänger*innen zu belästigen. Das bedeutet, dass Strassen und Parkplätze, die derzeit für Autos reserviert sind, umgenutzt werden. (Es wäre auch schön, wenn diese Anpassungen in den Mobilitätskonzepten von einer öffentlichen Aufklärungskampagne begleitet würden, um E-Scooter-Fahrer*innen davon zu überzeugen, nicht wie Arschlöcher zu fahren.)

Es reicht nicht aus, nur ein paar Felder zu bemalen, auf denen private Unternehmen ihre stationsfreien Fahrzeuge absetzen können, und damit ihre Anwesenheit als vollendete Tatsache zu akzeptieren. Diese Unternehmen werden den bereits bekannten neoliberalen Kanon zu nutzen wissen, der den E-Scooter-Verleih wie so viele andere städtische öffentliche Dienstleistungen, dem privaten Markt überlassen möchte. Aber sie haben bereits bewiesen, dass sie die Prioritäten der Öffentlichkeit hinter ihre eigenen Ziele der Marktdominanz und der Eroberung des öffentlichen Raums stellen. Sie haben sich nicht als Partner*innen, sondern als Eindringlinge erwiesen.

Es kann sich jedoch durchaus auch erweisen, dass E-Scooter nicht gut in einer Flotte funktionieren. Egal ob öffentlich oder privat verwaltet, sollten die Städte nicht zögern, die Dienstleistungen weiter einzuschränken, wenn dies der Fall sein sollte. Die steigenden Preise für stationslose E-Scooter-Dienste sind bereits Anreiz für regelmässige Nutzer*innen, ihre eigenen zu kaufen, da sie  häufig nur ein paar hundert Franken kosten und tragbarer sind als ein Fahrrad. Anreize könnten genutzt werden, um den Kauf von E-Scootern und E-Bikes zu fördern; letztere haben sich in Schweden bewährt.

Der Besitz von E-Scootern und E-Bikes sollte nicht als Misserfolg angesehen werden. Tech-Plattformen haben ein Rentier-Geschäftsmodell entwickelt, “bei dem ein*e Eigentümer*in anderen den Zugang zu Eigentum in Rechnung stellt, so wie ein*e Vermieter*in den Mieter*innen die Miete eines Hauses berechnet”, und das “Sharing” von E-Scootern ist keine Ausnahme. Die Förderung des Besitzes von Fahrrädern und E-Scootern für regelmässige Nutzer*innen ist dabei noch das bessere Ergebnis, da sie viel länger halten und immer für ihre Besitzer*in verfügbar sind. Es spielt dabei keine Rolle, ob das mit den Präferenzen der Silicon Valley-Kapitalist*innen übereinstimmt.

Ein Übergang weg von der automobilen Dominanz ist nicht nur notwendig, um die Umweltziele zu erreichen, sondern auch unerlässlich, um gerechtere Städte zu schaffen. So können die Strassenflächen, die derzeit von Autos eingenommen werden, für andere Verkehrsmittel und städtische öffentliche Räume umgenutzt werden.

E-Scooter-Firmen haben geholfen, diese gesellschaftlichen Debatten zu beschleunigen. Aber ihr privates Modell hat die falschen Prioritäten, was ein demokratisch kontrolliertes und erweitertes öffentliches System unerlässlich macht. Die öffentliche Mobilität muss jedoch in ein grösseres sozialistisches Programm für Städte eingebettet werden, um sicherzustellen, dass die Verbesserung der Lebensqualität nicht zu einer Gentrifizierung führt, die diejenigen, die am meisten davon profitieren würden, in auto-abhängige Vororte treibt. Denn Mobilität ist nur einer von vielen Aspekten bei der Schaffung von Städten für alle.


Übersetzung durch die Redaktion. Es wurden geringfügige Anpassungen am Text vorgenommen.

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