Menu Schließen

Schweiz: Der bürgerliche Hass auf die Klimabewegung

Die rechte Hetze rund um das Klimacamp auf dem Bundesplatz diese Woche war teilweise zu erwarten. Es erstaunt nicht, dass bürgerliche Politiker*innen weiterhin den drohenden Klimakollaps herunterspielen oder gar leugnen. Ebenso voraussehbar war ihr Insistieren auf «Recht und Ordnung» und der Ruf nach einer Platzräumung durch die Polizei. Doch die Aggressivität, mit der sie sich fliessendes Blut der Aktivist*innen erhofften und den Protest als (ausländisch finanzierten) Terror bezeichnen, ist wirklich schockierend. Die herbeigesehnte Brutalität gibt uns einen Vorgeschmack, zu welchen Mitteln die Rechte greifen wird, wenn es tatsächlich mal ans Eingemachte geht: ihr Privateigentum.

von Emil Spotter (BFS Zürich)

Der kurze Weg zur «System Change»-Forderung

Der Klimastreik radikalisiert sich. Was als Bestreikung von Schulstunden begonnen hat, weitete sich in im Verlaufe der letzten eineinhalb Jahren rasch auf zahlreiche weitere Lebensbereiche aus. Seither haben sich Studierende, Eltern, Grosseltern, Wissenschaftler*innen und – wenn auch noch zögerlich – Lohnabhängige in den Betrieben zusammengeschlossen, um eine rasche Begrenzung der Klimaerwärmung und den Schutz der Biodiversität einzufordern. Die Forderungen des Klimastreiks richteten sich zu Beginn mehrheitlich an die Institutionen: Die Politiker*innen sollten endlich die von ihnen gemachten Versprechungen und ratifizierten Verträge in die Tat umsetzen und ihre Politik an den wissenschaftlichen Erkenntnissen ausrichten. Die rhetorische Unterstützung mehrerer Parteien war dem Klimastreik in dieser Phase noch sicher. Doch geschehen ist neben einer angeblich historischen «Klimawahl» kaum etwas.

An der Gründung und dem steten Aufbau des Klimastreiks haben seit Beginn eine nicht zu vernachlässigende Zahl Aktivist*innen mitgewirkt, die sich zur Lösung der Klimafrage für einen radikalen Bruch mit dem kapitalistischen System stark gemacht haben. Die Diskussionen, ob und inwiefern der Klimastreik einen «System Change» verlangen sollte, waren und sind bis heute fundamental wichtig. Als Kompromiss wurde eine Falls-Klausel festgehalten: Sollten die Forderungen (namentlich netto null CO2Emissionen bis 2030) im bestehenden System nicht umgesetzt werden, wird ein «System Change» eingefordert.

Es wurde nie explizit ein Datum festgelegt, an welchem die Falls-Klausel auf den Prüfstand kommt. Doch die Ereignisse sprechen für sich: Die Unzulänglichkeiten eines rein parlamentarischen Kampfes für das Klima wurden den Aktivist*innen schneller klar, als eine nur theoretisch geführte interne Diskussion gedauert hätte. Zu krass waren die Enttäuschungen, die die Klimawahl vor einem Jahr provozierte. Damit sei natürlich nicht gesagt, dass alle Aktivist*innen im Klimastreik nun eine klar antikapitalistische Haltung einnehmen – die Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten dauern an. Doch die Bandbreite der als legitim erachteten Aktionen wurde definitiv breiter. Beispielsweise hätte der aufgrund der Pandemie leider abgesagte «StrikeForFuture» zusammen mit Arbeiter*innen einen Warnstreik markieren sollen. Weiter zogen die Blockade der Grossbanken CS und UBS im Juli 2019 grosse Solidaritätsaktionen des Klimastreiks mit sich. Und nun haben sich die Klimastreikenden den Platz vor dem Herzen der offiziellen Politik genommen – ohne zuerst um Erlaubnis zu bitten.

Zunehmende Aggressivität der Rechten

Parallel zur Radikalisierung des Klimastreiks reagiert das Bürgertum immer aggressiver. Zum rechten Repertoire gehören seit Beginn das Belächeln und das hilflose Verhöhnen von Klimaaktivist*innen sowie die Leugnung der Klimakrise. In der NZZ beispielsweise werden die Klimastreiks als «quasireligiöse moderne Klimakreuzzüge» und als eine «Mobilisierung von Milchgesichtern» bezeichnet, die angeblich unter einem «eklatanten Informationsmangel» litten. Mit der Besetzung des Bundesplatzes zum Wochenbeginn scheint die Klimabewegung jedoch einen tieferliegenden Nerv bei den Herrschenden getroffen zu haben.

So beleidigte Nationalrat Andreas Glarner (SVP-Hardliner) seine Ratskollegin Sibel Arslan (Grüne Partei) massiv rassistisch, als sie vor laufender Kamera dem Klimacamp ihr Wohlwollen zusicherte. Claudio Schmid, Zürcher Kantonsabgeordneter der SVP, wünschte sich öffentlich, dass das Blut der Klimaaktivist*innen fliessen sollte und bezeichnete das Camp als «linksradikalen Terror».

Claudio Schmids mittlerweile gelöschter Tweet mit seinen Gewaltfantasien

Wohlgemerkt ging es hier um eine Platzbesetzung ohne direkt konfrontativen Charakter. Bei den beiden genannten Exponenten handelt es sich aber auch nicht einfach um zwei Einzelpersonen, die eben mal ausfällig wurden. Sowohl die Biografie von Glarner wie auch diejenige von Schmid zeugen von einer Serie rassistischer Beleidigungen, Ehrverletzungen und bewusst rechtsextremer Referenzen. Dass sie von ihrer Partei nie gerügt und ausgeschlossen, sondern im Gegenteil zu Kaderleuten befördert wurden, lässt tief in das Verhältnis der SVP zum Rechtsextremismus blicken. Die Partei, die sich gerne als alleinige Hüterin der direkten Demokratie aufspielt, verachtet den politischen Protest von unten am stärksten.

Diese Rohheit und Menschenverachtung beschränkt sich längst nicht nur auf die SVP. Die obigen Zitate illustrieren auch die Abscheu vor politischer Selbstermächtigung bei der NZZ, dem Kampfblatt der schweizerischen Bourgeoisie. Weiter betreibt die FDP mit verschwörungsideologischen «Mutmassungen» Hetze gegen die Klimabewegung. Ihr Nationalrat Hans-Peter Portmann möchte den Nachrichtendienst mit der Untersuchung beauftragen, ob nicht ausländische Organisationen die Fäden hinter der Bundesplatzbesetzung ziehen. Die Lächerlichkeit einer solchen Beschuldigung ist kaum zu überbieten. Dies besonders, wenn sie aus den Reihen der FDP kommt: Einige von Portmanns (ehemaligen) Parteikolleg*innen haben in der Vergangenheit Gelder «aus dem Ausland» angenommen, um ihre kapitalistische Politik voranzubringen. Jüngste Beispiele sind Pierre Maudet, der Geschenke für millionenschwere Bauprojekte am Flughafen Genf angenommen hat, und Christa Markwalder, die im Gegenzug zu einer Reise nach Kasachstan den Vorstoss einer kasachischen Lobby im Parlament einbrachte.

Das Zusammenspiel von Pandemie und globaler Rezession hat die politische Situation nochmals massiv verschärft. Die Zeiten sind vorbei, in denen der Klimastreik mit grossem medialem Echo und grundsätzlich wohlwollender Berichterstattung rechnen konnte. Dies umso weniger, je mehr sie sich radikalisiert und die Eigentumsverhältnisse in Frage stellt. Unabhängig von der genauen Ausgestaltung der rechten Gegenwehr auf unsere ökosozialistischen Proteste ist aber eines sicher: Die Herrschenden werden ihre materiellen Interessen mit aller Vehemenz verteidigen – wir tun gut daran, diese Gefahr in unsere politische Praxis und Reflexion einfliessen zu lassen.


Quelle Titelbild: Climatestrike Switzerland

Verwandte Artikel

1 Kommentar

  1. Pingback:Klimastreik: Ziviler Ungehorsam ist nicht nur symbolisch! ‹ BFS: Sozialismus neu denken – Kapitalismus überwinden!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert