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Am Rande vermerkt: Weshalb «Panikkäufe» vielleicht gar nicht so panisch sind

Rund um die aktuelle Corona-Pandemie sind die allermeisten Menschen in der Schweiz bislang ruhig und besonnen geblieben. Vereinzelt ist es zu grösseren Einkäufen und zum Anlegen von Notvorräten gekommen, was – noch vereinzelter – zu leeren Regalen in den Supermärkten geführt hat. In einem überheblichen Anflug hat sich ein Teil der linksintellektuellen Social-Media-Blase genüsslich über die scheinbare Irrationalität des Hamsterkaufes und über die sporadisch kopflosen Reaktionen auf die schwer einzuschätzende Bedrohung lustig gemacht.

Dabei sollten diejenigen, welche die Logik der kapitalistischen Warenströme und Produktionsketten zumindest in der Theorie zu kennen vorgeben, doch eigentlich nicht unbedingt darauf vertrauen, dass uns die kapitalistische Wirtschaft auch in der Not und der Krise versorgen wird, geschweige denn, dass diese einem global auftretenden Virus gegenüber auch längerfristig resilient sein könnte.

Bereits vor einigen Jahren ist eine öffentliche Diskussion um individuelle Lagerhaltung entbrannt. Damals nämlich hat der damalige Armeechef André Blattmann die Bevölkerung aufgefordert, Notvorräte anzulegen. Gerade von linker Seite kam darauf vernichtende Kritik und der Vorwurf der rechtspopulistischen Aufwiegelung der Gesellschaft. Und logisch, wenn ein Armeechef sowas sagt, dann ist das nicht zu trennen von der seit Jahren zu beobachtenden Angstmacherei und von der Hetze gegenüber Geflüchteten, Ausländer*innen, der Personenfreizügigkeit; alles im Sinne einer Reduit-Mentalität etc. pp.

Gleichzeitig ist es – sowohl damals als auch heute in Zeiten der Corona-Pandemie – erstaunlich, wie linke Menschen in die politische und ökonomische Stabilität unseres Systems zu vertrauen scheinen. Dabei müsste doch genau uns klar sein, dass erstens Krisen dem Kapitalismus inhärent sind und dass zweitens im Falle einer Krise das Wohl der Bevölkerung erst an zweiter Stelle kommt: zuerst müssen die Konsequenzen und Kosten für das Kapital so gut es geht abgeschwächt werden.

Und sogar ohne Krise beisst sich die bestmögliche Versorgung der Menschen oftmals mit der so genannten «Wirtschaftlichkeit». Verschiedene deutsche Spitäler haben zurzeit mit einer ernsthaften Knappheit an Desinfektionsmitteln und Schutzmasken zu kämpfen. Wenn diese ausgehen, ist dies nicht irgendeine Lappalie, sondern eine grosse Katastrophe: Ohne Desinfektion und Schutzmasken keine Operation, keine Versorgung von Erkrankten, keine noch so geringfügige Behandlung. Und wieso haben die Spitäler keine Masken mehr? Weil sie nach dem Prinzip des Marktes arbeiten. Da wird jeweils möglichst zeitnah der günstigste Anbieter von medizinischen Produkten ausgesucht. Es geht nicht um die besten Schutzmasken, sondern darum, dass diese möglichst billig sind. Masken an Lager zu halten heisst, dass diese Lagerkosten verursachen. Und womöglich sind die Masken ja morgen nochmals etwas billiger wie heute, was extrem ärgerlich wäre. Deshalb haben Spitäler keine grossen Vorräte von diesen so wichtigen Verbrauchsmaterialien, sondern kaufen sie stetig in geringen Mengen ein, zu möglichst günstigen Konditionen. Obwohl Vorräte an diesen Gütern zentral wären, gerade im Pandemiefall.

Da der Pandemiefall wie auch die wirtschaftliche Krise aber nicht im kapitalistischen Idealablauf vorgesehen sind, wird gerne darauf verzichtet, diese auch nur ansatzweise in die Planung miteinzubeziehen. Dies ist nur einer von vielen Gründen, weshalb das Gesundheitssystem dringend von der Profitlogik entkoppelt werden müsste, denn «Wirtschaftlichkeit» bedeutet nicht nur in normalen Zeiten Stress und Überlastung für die im Gesundheitssektor Arbeitenden, sondern eben auch medizinische Unterversorgung und Notstand im Ausnahmefall.

Es gibt also wirklich einige gewichtige Gründe unserem Wirtschaftssystem in Zeiten einer Pandemie nicht zu vertrauen, dass es uns auch morgen noch mit den wesentlichen und lebensnotwendigen Gütern versorgt. In einer Zeit, in der «just-in-time» der Rationalisierungsvorsatz Nummer Eins ist und Lagerhaltung noch maximal auf der Strasse während des Transportes geschieht, sollten wir uns wohl kaum über Menschen amüsieren, die halt individuell etwas Lagerhaltung betreiben. Die globalen Produktionsketten und Warenströme sind enorm fragil, das wissen wir nicht erst seit Corona. Zurzeit können verschiedene Schweizer Industriebetriebe nicht wie gewünscht weiterproduzieren, weil sie einige Teile aus China nicht mehr bekommen und diese auch nicht an Lager haben. Weshalb genau in Situationen wie der aktuellen eine linear in die Zukunft weitergedachte Stabilität als einzige mögliche Zukunftsaussicht erscheint, ist dann doch eher schleierhaft.

Dazu kommt, dass das Gefühl von Verletzlichkeit bei Krisen verschiedener Art (seien sie gesundheitlich oder ökonomisch) je nach sozialer Schicht oder Klasse unterschiedlich zum Ausdruck kommt. Es ist anzunehmen, dass Menschen, die ökonomisch prekär sind, sich auch tendenziell verletzlicher fühlen, wenn solche Gesundheitsrisiken auftreten. Und dies ja auch zurecht, da die Gesundheitsrisiken ja tatsächlich von sozialen Faktoren abhängen und die allfälligen Kosten eines Krankheitsfalls ganz unterschiedlich ins Gewicht fallen können.

Das alles soll nun keine Aufforderung sein zum Hamsterkauf und auch kein Plädoyer für Prepper-Geschichten. Insbesondere, weil individuelle Antworten auf Bedrohungen wie Pandemien oder Umweltkatastrophen eigentlich nie funktionieren können. Aber in einer Gesellschaft, die uns seit Jahrzehnten sogenannte “Eigenverantwortung” einbläut, ist es auch nicht erstaunlich, wenn individuelles Handeln als einzige Möglichkeit der Vorbereitung erscheint. Wichtig wäre es, wenn wir stattdessen Solidarität fordern und Selbstorganisierung vorantreiben. Es täte uns Linken gut, ab und an unsere theoretischen Konzepte und Analysen der kapitalistischen Weltwirtschaft mit den aktuellen Entwicklungen kurzzuschliessen anstatt Menschen auszulachen, die in (ob begründeter oder nicht) Sorge einige Gegenstände des täglichen Bedarfs zu viel einkaufen.

von Matthias Kern

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