Die ökofeministische Bewegung entstand vor einigen Jahrzehnten aus der Beobachtung, dass es eine Analogie zwischen der Ausbeutung von Frauen und der Ausbeutung der Natur gibt. Während im aktuellen Kontext des ökologischen Zusammenbruchs die Idee der Verbindung verschiedener Kämpfe wieder auftaucht, wächst auch das Interesse an dieser feministischen Bewegung. Marijke Colle ist eine Ökofeministin der ersten Stunde und wird am diesjährigen Anderen Davos über das Thema sprechen. Für sie ist niemand besser in der Lage, sich der Verbindung zwischen Natur und menschlichem Leben sowie der Dringlichkeit von Massnahmen gegen die Zerstörung des Planeten bewusst zu werden, als Frauen. (Red.)
von Marijke Colle; aus cadtm.org
In welchem Kontext ist der Ökofeminismus entstanden?
Marijke Colle: Ökofeministisches Bewusstsein ist in der [sogenannten, Anm. d. Red.] Dritten Welt entstanden, wo Umweltprobleme (Dürren, Überschwemmungen, Wirbelstürme, Abholzung usw.) die Menschen – vor allem Frauen – früher und intensiver betreffen als anderswo. In Indien zum Beispiel bildete Anfang der 1970er Jahre eine Gruppe von Frauen eine Bewegung – die Chipko-Bewegung –, um ihren Wald vor der industriellen und kommerziellen Ausbeutung zu retten. Diese Wälder waren durch die britische Kolonialherrschaft monopolisiert worden und blieben nach der Unabhängigkeit Indiens Staatseigentum mit bedeutendem militärischem Einfluss. Für die an diese Wälder angrenzenden Dörfer an den Hängen des Himalayas, die hauptsächlich von Frauen bewohnt wurden – Männer wanderten zur Arbeit in die Stadt – waren die Wälder sehr wichtig, vor allem im Kampf gegen die Bodenerosion. Um die Abholzung zu verhindern, stellten sich diese indischen Bäuerinnen und Bauern mit ihren Körpern zwischen die Bäume und die Armee, welche jene fällen wollten. Diese Aktion war zum Teil deshalb ein Erfolg, weil das Militär es nicht wagte, Frauen anzugreifen.
Eine führende indische Philosophin, Vandana Shiva, die sich der Bewegung anschloss, hat eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der öko-feministischen Vision gespielt. Sie prangert unter anderem die demografische Politik an. Diese macht die Frauen für die Überbevölkerung verantwortlich, die als vermeintliche Ursache der Umweltkrise gilt. Shiva wendet sich gegen die Politik der Geburtenkontrolle, die mit Hilfe der indischen Armee zur Abtreibung tausender weiblicher Föten geführt hat (Mädchen sind in Indien weniger geschätzt als Jungen, vor allem wegen der Mitgift, die von den Familien der Mädchen bei Hochzeiten bezahlt werden muss).
In den lateinamerikanischen Ländern wird der Ökofeminismus hauptsächlich mit dem Konzept des Buen Vivir [gutes Leben, Anm. d. Red.] in Verbindung gebracht, das von der indigenen Bevölkerung geprägt wurde. Diese Denkweise, in der Frauen eine wichtige Rolle spielen, basiert auf einer harmonischen Beziehung zwischen Natur und Mensch. Sie bevorzugt eher die Lebensqualität als den Erwerb einer Menge von Gegenständen.
Neben diesem Ökofeminismus des Südens gibt es auch einen eher westlichen Ökofeminismus …
MC: Die Entstehung des Ökofeminismus in den Vereinigten Staaten und in Europa geht auf die frühen 1980er Jahre zurück und fand in einem ganz anderen Kontext statt. Er hängt in erster Linie mit dem nuklearen Wettrüsten zusammen, das dem Kalten Krieg inhärent war. In den Vereinigten Staaten brachte die Women’s Pentagon Action nach dem Unfall im Kernkraftwerk Three Miles Island im März 1979 zweitausend Frauen zusammen. Diese Frauen prangerten den Militarismus der Gesellschaft an. In Grossbritannien organisierten Frauen ein Friedenslager, um gegen das Atomraketen-Lagerprojekt auf der Greenham Common Base zu protestieren. Diese pazifistische Bewegung wurde von Frauen angetrieben, die den Krieg ablehnten, die das Leben ihrer Kinder und im weiteren Sinne die Zukunft der Menschheit und des Planeten erhalten wollten. Zum amerikanischen Ökofeminismus, der von der Befreiungstheologie beeinflusst ist, gehört auch eine spirituelle Strömung von Theolog*innen, die sich gegen die Tatsache auflehnen, dass in unserer Kultur Gott männlich ist, dass die Natur nicht berücksichtigt wird und Frauen in den Hintergrund gedrängt werden. Einige identifizieren sich mit den über Jahrhunderte gejagten Hexen, andere erzählen ihre Geschichte und ihre Kämpfe in poetischen Geschichten.
Wie sind Frauen dazu gekommen, feministische und ökologische Themen zu artikulieren?
MC: Die zentrale These des Ökofeminismus besteht darin zu sagen, dass es eine Analogie zwischen der Ausbeutung der Frau und der Ausbeutung der Natur gibt: der Mangel an Respekt ihnen gegenüber, der ihnen zugewiesene Platz, das Unsichtbar-Machen ihrer Arbeit, ihrer Produktion und so weiter. Vandana Shiva zum Beispiel zog eine Parallele zwischen der Überwachung schwangerer Frauen durch die Technowissenschaft, welche die Auswahl von Föten erlaubt, und der Art und Weise, wie Wissenschaftler*innen versuchen, die Natur zu beherrschen und zu gestalten, indem sie wilde Pflanzen zugunsten von Monokulturen eliminieren. Ökofeminist*innen zeigen, dass diese Unterdrückungen miteinander verbunden sind, dass sie sich in der patriarchalen Kultur gegenseitig verstärken. Schlussendlich waren es die konkreten Kämpfe, die dazu führten, feministische und ökologische Themen zu artikulieren und sie zusammenzuführen. Sie mündeten in einem Kampf gegen die Herrschaft sowohl über Frauen als auch über die Natur, der ihre Emanzipation ermöglichen sollte. Der Ökofeminismus entwickelte sich nicht theoretisch, sondern durch die kollektive, erfinderische, kreative, gewaltfreie Erfahrung von Frauen.
Woher kommen die damit verbundenen Unterdrückungen?
MC: Das moderne Denken ist um Dualismen herum strukturiert, deren Ursprünge manchmal bis in sehr alte Zeiten zurückreichen (Platon, Augustinus usw.), wobei die Frau als Gebärmutter und der Mann als Gehirn wahrgenommen wird. Später in der Renaissance hat die Trennung von Mensch und Natur dazu beigetragen, menschliche und nicht-menschliche Beziehungen zu trennen und zu hierarchisieren, die einerseits die Natur, die Frau, die Gefühle, die Psychologie, die Intuition und andererseits die Kultur, den Mann, die Vernunft, die Macht, die rationale Erfassung der Dinge sehen. Diese Dualismen stellen eine Rechtfertigung für die Abwertung von Frauen und der Natur dar und legitimieren ihre Beherrschung durch die Männer. Mit dem Aufkommen der kapitalistischen Gesellschaft und der Entwicklung der Technowissenschaften haben die Ausbeutung der Frauen und die Instrumentalisierung der Natur noch perversere Formen gefunden, bis hin zur Reduzierung auf blossen Warenstatus.
Besteht nicht die Gefahr, dass der Feminismus durch seine „Ökologisierung“ «naturalisiert» wird [Frauen angeblich natürliche Wesenszüge zugeschrieben werden, Anm. d. Red.]?
MC: Die durch das dualistische Denken herbeigeführte Identifikation von Frauen mit der Natur ist schon deshalb problematisch, weil sie nicht stimmt. Ganz allgemein vermindert sie das menschliche Potenzial von Frauen (sowie von Männern), die auf so genannte weibliche (oder männliche) Fähigkeiten und Rollen beschränkt werden. Tatsächlich kann sich eine Frau in den sogenannten männlichen Fähigkeiten entfalten und umgekehrt. In ihrem «Wesen» sind Frauen der Natur nicht näher als Männer. Seit mehreren Jahrzehnten versucht die feministische Bewegung, Frauen von dieser «Naturverbundenheit» zu befreien, die von patriarchalischem Denken ausgenutzt wird, um Frauen dem häuslichen Bereich zuzuordnen und sie von der Politik auszuschliessen. Einige ängstliche bürgerlich-radikale Feminist*innen haben den Ökofeminismus abgelehnt, indem sie ihm vorwarfen, Frauen in ihrer traditionellen Rolle zu halten. Meiner Meinung nach trifft dieser Vorwurf nicht zu. Es ist eine Bewegung mit sehr realen Kämpfen, durch die sich die Frauen ihrer Unterdrückung und ihrer Weigerung, in einer Welt zu leben, die von den Gesetzen des Krieges, des Profits, des Wettbewerbs und der Herrschaft über die Natur regiert wird, bewusst geworden sind. Erst durch das Handeln wuchs das Bewusstsein für Herrschafts- und Ausbeutungssysteme, die Frauen und die Natur unterwerfen. Somit wurde Bewusstsein nicht durch das Lesen von Büchern erlangt, sondern durch die Teilnahme an wirklichen Bewegungen. Anstatt ihre Beziehung zur Natur zu verleugnen und sich von der Welt, zu der die Menschheit gehört, abzuschotten, versuchen Ökofeminist*innen, diese Verbindung neu zu bewerten und neue nicht-hierarchische Beziehungen aufzubauen. Es ist die Hierarchie und Dominanz in diesen Beziehungen – die Tatsache, dass das, was „männlich“ ist, besser ist als das, was „weiblich“ ist; dass die Natur trotz ihres Nutzens für das Funktionieren der Gesellschaft abgewertet wird –, die problematisch ist und nicht die Beziehung als solche.
Was sind die Gemeinsamkeiten zwischen der Situation, in der der Ökofeminismus entstand, und der heutigen Situation?
MC: Die Angst vor der Zukunft und die Dringlichkeit, eine andere Vision des friedlichen und respektvollen Umgangs mit der Erde vorzuschlagen, waren die treibende Kraft hinter den Widerstandsaktionen der Frauen in den 1980er Jahren. Heute ist mit dem Klimawandel das ökologische Bewusstsein zentral geworden. Gleichzeitig nehmen die Frauen sehr deutlich wahr, dass die feministischen Kämpfe sich nicht erschöpfen und dass die Gewalt gegen Frauen – in den Vordergrund gerückt durch die MeToo-Bewegung – für viele von ihnen immer noch sehr real ist. Die Gewalt der Männer-Frauen-Beziehung ist sehr tief in unserer kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft verankert, genau wie die Gewalt, die der Natur zugefügt wird.
Was sind die Beiträge der Frauen zum ökologischen Kampf?
MC: Weil Frauen viele Aufgaben in der Gemeinschaft wahrnehmen müssen, werden sie aufgrund der ihnen zugewiesenen Rollen (Hausarbeit, Verantwortung für das Wohlergehen der Kinder, der Alten, der Kranken usw.) dazu gebracht, sich mehr um ökologische Fragen zu kümmern. Sie werden die ersten sein, die von den Problemen der Umweltverschmutzung in ihrer Umgebung, ihrem Wohnraum oder ihrer Fabrik herausgefordert werden und die nach Lösungen suchen, um das Leben ihrer Kinder, Familien, Kolleg*innen zu schützen. Sie werden sich besonders der untrennbaren Verbindung zwischen der menschlichen Gesellschaft und ihrem sozialen Umfeld, der Verbindung zwischen Natur und menschlichem Leben, der Dringlichkeit zu handeln, um die Zerstörung des Planeten zu stoppen, bewusst werden. Und sie werden die ersten sein, die Veränderung in Gang setzen. Nicht umsonst sind junge Schülerinnen bei den Klimastreiks so prominent vertreten. Die Ökologie lehrt uns, dass nichts verloren geht, dass alle nicht-organischen Abfälle auf dem Planeten bleiben und dass sich die Mülltonne füllt. Diese Erkenntnis, dass wir nur einen Planeten haben, macht sich auch bei den Frauen bemerkbar, die auch heute noch am meisten Verantwortung für den Haushalt übernehmen.
Was sind die Perspektiven, die Ökofeminist*innen im aktuellen Kontext eröffnen?
MC: Ökofeminist*innen zeigen, dass das Funktionieren der Gesellschaft weitgehend von den unsichtbaren und unentgeltlichen Beiträgen der Frauen und der Natur abhängt. Die ganze Arbeit der Fürsorge für andere, die häuslichen Aufgaben, die Sorge um die Beziehungen in der Familie, in der Gemeinschaft, weil sie zum Privatleben gehören und ausserhalb des kommerziellen Kreislaufs liegen, sind unsichtbar, wie auch die Dienste der Ökosysteme unsichtbar bleiben. Und doch macht diese weibliche Arbeit etwa zwei Drittel der Wirtschaft aus. Ökofeminist*innen versuchen, dieses Unsichtbare sichtbar zu machen und aufzuwerten. Wenn wir eine ökologische Lösung für die aktuelle Krise wollen, müssen wir diese tiefe Haltung der Sorgfalt und der Vorsicht der Frauen zurückerobern und auf die Welt ausdehnen: kein unkalkulierbares Risiko eingehen, Kooperation vor Konkurrenz, Qualität vor Quantität, Gebrauchswert (der Nutzen der Objekte, die wir für unser Wohlbefinden herstellen) vor Marktwert (die Objekte, die produziert werden, um verkauft zu werden und Gewinn zu machen), Recycling statt Wegwerfen. Das Unsichtbare sichtbar machen: Deshalb ist der Frauen*streik vom 8. März so wichtig. Er ermöglicht den Frauen zu erkennen, dass die Welt stehen bleibt, wenn sie aufhören [zu arbeiten, Anm. d. Red.]. Es ist wichtig, auf das eigene Handeln zu vertrauen, denn so zeigen Frauen ihren Beitrag, ihre Macht, kollektiv zu handeln. Und dieser Ökofeminismus kann konkret werden.
Übersetzung durch die Redaktion.
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