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Bundesrat Cassis und die Freiheit der Andersdenkenden

Am Mittwoch, 20. September 2017 wurde Ignazio Cassis (FDP) zum neuen Schweizer Bundesrat gewählt. In seiner daran anschliessenden Wahlrede zitierte er Rosa Luxemburg. Damit folgt er einem Trend der zunehmenden Rosa Luxemburg-Begeisterung von bürgerlich-rechten Kräften. Und gleichzeitig beweist der frischgewählte Bundesrat, dass er weder die historische Figur Luxemburg, noch das Zitat „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ verstanden hat.

von BFS Zürich

Die Wahl des 56-jährigen Ignazio Cassis in den Schweizer Bundesrat kam wenig überraschend. Der FDP-Politiker wurde vor allem aufgrund seiner Tessiner Herkunft als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge des abgetretenen Didier Burkhalter gehandelt. Ganz nach dem Prinzip der so genannten „Zauberformel“ war der Anspruch der FDP auf den frei werdenden Sitz kaum bestritten.
Dementsprechend langweilig war die Wahl. Bereits im zweiten Wahlgang hatte der Kandidat die notwendige Mehrheit erreicht. Damit rückt der Bundesrat nun leicht nach rechts – auf den eher profillosen Didier Burkhalter folgt ein geschickter Lobbyist, der als Mediziner insbesondere im Krankenkassenumfeld verschiedene Mandate gesammelt hat, unter anderem beim Krankenkassenverband Curafutura, welches ihm 180’000 Franken pro Jahr einbrachte. Die Krankenkassen werden also einen wichtigen Fürsprecher im Bundesrat gewinnen.[1]
Dieses Image als Lakai der Konzerne gefällt Cassis jedoch nicht. Er selbst sähe sich lieber als Intellektuellen wahrgenommen, als einer, der die Probleme der Menschen versteht, analysiert und unnachgiebig an einer Lösung arbeitet. Vielleicht vor diesem Hintergrund ist überhaupt zu verstehen, weshalb nun Cassis auf die grosse Bühne trat und sich als neugewählter Bundesrat mit einem Zitat von Rosa Luxemburg präsentierte. Er wird es damit irgendeinem liberalen Philosophen gleichgetan haben, die ja auch seit Jahren auf Rosa Luxemburg referieren – und die unbeugsame Revolutionärin gleichzeitig einfach nicht verstehen.
Cassis führte natürlich noch kurz aus, was er denn mit dem Zitat meine. Er verwies darauf, dass „die Art von Freiheit“ – also die des Andersdenkenden – die Schweiz zusammenhalte. Er selbst hätte es sich zur Aufgabe genommen, diese Freiheit zu schützen. Nur blöd, dass Rosa Luxemburg kaum auf etwas referiert hat, das die Schweiz zusammenhalten könnte. Die „Andersdenkenden“ sind bei ihr kaum rechtsliberale bürgerliche Politiker, ihr Ziel war kaum die Freiheit des Marktes, die bei Cassis zuoberst steht. Vielmehr verwies Luxemburg auf gewisse autoritäre Tendenzen in Russland nach der Revolution von 1917, die ihr zu schaffen machten. Die Abweichler*innen in ihrem Sinne sind weiterhin Unterstützer*innen der Revolution, aber mit gewissen anderen Vorstellungen, oder einer Kritik an den Methoden.
Auch wenn sie also gerne so zitiert wird, als sei sie eine eigentlich bürgerlich-liberale Philosophin gewesen, war Luxemburg bis zu ihrer Ermordung 1919 durch rechte Freischärler überzeugte Sozialistin. Unermüdlich war ihr Einsatz für die Revolution, für eine bessere Welt, für mehr Menschlichkeit und Emanzipation. Was dafür notwendig sein würde, war ihr immer bewusst: „Sozialismus heißt nicht, sich in ein Parlament zusammensetzen und Gesetze beschließen, Sozialismus bedeutet für uns Niederwerfung der herrschenden Klassen mit der ganzen Brutalität, die das Proletariat in seinem Kampfe zu entwickeln vermag.”
Auf welcher Seite Cassis gestanden hätte, 1918, als sich die November-Revolution in Deutschland ausbreitete, darüber müssen wir nicht spekulieren. Ein Lohnabhängiger ist er kaum. Dass er das selbst scheinbar nicht einschätzen kann, bedeutet vor allem, dass Cassis halt doch kein Intellektueller, sondern in erster Linie ein Lobbyist ist.
Der chancenlose Herausforderer von Cassis, der welsche Pierre Maudet, präsentierte sich nach seiner Nicht-Wahl dementsprechend als die nachträglich vielleicht bessere Alternative. Er zitierte Nelson Mandela: „Ich verliere nie. Entweder gewinne ich, oder ich lerne etwas.“ Hätte Cassis doch auch etwas gelernt.
Fussnoten:
[1] https://www.nzz.ch/schweiz/bundesratskandidat-ignazio-cassis-ein-knallharter-softie-ld.1311314

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