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Klare Kante zeigen!

Die Covid-19-Pandemie wird seit Beginn durch einen politischen Diskurs begleitet, der sich oftmals fernab von wissenschaftlichen Tatsachen bewegt und stark durch rechtes und rechtsextremes Gedankengut geprägt wird. Mittlerweile haben Menschen, welche die staatlichen Covid-Massnahmen verweigern, sich gegen Covid-Impfungen aussprechen, sich kategorisch gegen die Maskenpflicht positionieren oder die Existenz des Virus gänzlich abstreiten, sich zu einer relativ starken Bewegung zusammengefunden.[1] Organisiert wird diese Anti-Massnahmen-Bewegung weitgehend durch Zusammenschlüsse von rechten bis rechtsextremen Personen; aus dem Dunstkreis der SVP, der Freiheits-Trychler, Mass-Voll, der Männer WG (Swiss Mens Club of Freedom) oder der rechtsextremen Jungen Tat. Gemeinsam mobilisieren sie regelmässig auf gut besuchten Demonstrationen gegen Covid-Massnahmen und streuen dort ihr rechtes Gedankengut. In letzter Zeit haben vereinzelt auch Gruppierungen an diesen Demos teilgenommen, die sich selbst als “links” oder “feministisch” verorten. Gleichzeitig werden vermehrt Parolen wie «My Body My Choice», die einen klar emanzipatorischen Ursprung haben, von Massnahmen-Gegner*innen angeeignet und instrumentalisiert. Aus diesem Anlass möchten wir als Feministisches Streikkollektiv Zürich klare Stellung beziehen, uns von diesen Gruppen distanzieren und uns von der Anti-Massnahmen-Bewegung deutlich abgrenzen. Unsere feministischen Grundsätze sind mit dem Gedankengut der Organisator*innen dieser Bewegung absolut nicht vereinbar. Wir wollen aufzeigen, dass die Anti-Massnahmen-Bewegung nichts mit einer dringend notwendigen linken und feministischen Kritik der staatlichen Pandemiebekämpfung zu tun hat und uns für Letztere aussprechen.

von Feministisches Streikkollektiv Zürich

Wieso die Anti-Massnahmen-Bewegung gefährlich ist

Auf den ersten Blick versammeln sich hinter den Bannern der Massnahmen-Gegner*innen unterschiedlichste Menschengruppen. Deshalb wird auch immer wieder beschwichtigend verkündet, dass an den Demos “imfall nicht nur Nazis” unterwegs seien. Tatsächlich sind nicht alle Teilnehmenden überzeugte Rechtsextreme. Nur ist die Tatsache, dass “auch ganz normale Leute” plötzlich mit Rechtsextremen zusammen demonstrieren, überhaupt nicht beruhigend – sondern zutiefst beängstigend. Denn das bedeutet, dass die Organisator*innen es gerade schaffen, ihre menschenverachtenden Positionen im Chaos der Diskussionen um den “Ausnahmezustand” der Pandemie als gesellschaftsfähige “Meinungen” unter die Leute zu bringen.

Rechte Elemente

Ein Element, das die diffuse Masse der Massnahmen-Gegner*innen mit Rechtsextremen verbindet, ist ihre Nähe zu Verschwörungsmythen. Die gesellschaftliche Verunsicherung während einer globalen Pandemie bietet den perfekten Nährboden für solche. Denn Verschwörungsmythen geben vor, komplexe Situationen begreifbar zu machen. Nun entstehen diese aber nicht von selbst: Sie sind ein bewährtes Mittel rechtsextremer Bewegungen, ihre menschenverachtenden Positionen mithilfe gezielter Fehlinformation durchzusetzen und breiter zu streuen. So sind auch Impf-Mythen, die gerade einen massiven Aufschwung erfahren, seit jeher von Rechten besetzt. Bereits in der ersten Organisation der Impfgegner*innenschaft um 1874 brachten sich bekannte Antisemit*innen ein, welche die Debatten um die Pockenimpfung für ihre antisemitische Propaganda instrumentalisierten. Verschwörungsmythen helfen also nur scheinbar, die Realität zu verstehen, und dienen eigentlich der Verbreitung rechter Weltbilder.

Auch die sozialdarwinistische Tendenz, welche die Debatten der Massnahmen-Gegner*innen prägt, ist ein Verbindungspunkt zu rechtsextremem Gedankengut. Sozialdarwinismus bezeichnet eine Weltanschauung, welche die Prinzipien der “natürlichen Selektion” als legitime Basis von gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Prozessen betrachtet. Dass sich die “Stärkeren” (das heisst verallgemeinert jene mit Zugang zu mehr Ressourcen) gegen die “Schwächeren” durchsetzen und letztere dabei “aussterben” wird als natürlicher, moralisch erstrebenswerter Prozess angesehen. Mit sozialdarwinistischen Theorien lassen sich von radikalen Formen des Laissez Faire Kapitalismus bis zu Eugenik allerlei menschenverachtende Ideologien rechtfertigen. Dass das “Durchseuchen” einer Gesellschaft, in der nicht alle Menschen gleichen Zugang zum Gesundheitssystem haben und Schutzmöglichkeiten ungleich verteilt sind, überhaupt erst zur Debatte steht, zeugt von der tiefen Verankerung dieser Gesinnung. Sie ist dabei gefährlich einfach vereinbar mit der vorherrschenden wirtschaftsliberalen Denkweise: Priorität hat, dass “die Wirtschaft” keine Einschränkungen erlebt, während die gesundheitspolitische Verantwortung individualisiert und Tote in Kauf genommen werden.

Sprache als Kampffeld

Auch in der Polemik der Anti-Massnahmen-Bewegung verdeutlicht sich deren rechter Einschlag. Wenn das Schlagwort “Apartheid” verwendet wird, um auf die Ungleichbehandlung von Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, aufmerksam zu machen, ist das ein klares Beispiel rechtsextrem geprägter Rhetorik. Die in den 60ern entstandene Neue Rechte entdeckte in der Sprache eine Waffe, um gesellschaftliche Diskurse gezielt zu dominieren[2]: Der sprachliche Schachzug, nicht haltbare historische Vergleiche herzustellen oder gezielt zu schockieren, zielt darauf ab, rechte Gedanken wieder sag- und denkbar zu machen, sowie historische Ereignisse zu verharmlosen. Ein weiteres Beispiel hierfür sind die an Anti-Massnahmen-Demos weitverbreitete Holocaust-Verharmlosungen und -Vergleiche. Die Inszenierung eines gelben Magen David (Davidstern) mit der Aufschrift “ungeimpft” zeugt nicht nur von Geschichtsvergessenheit, sondern von der beispiellosen Skrupellosigkeit, die eigene Situation mit jener von Menschen zu vergleichen, die im Holocaust verfolgt und vernichtet wurden.

Wenn plötzlich von “My Body, My Choice” die Rede ist

Auch die Vereinnahmung feministischer und linker Forderungen gehört zur neurechten Strategie der Diskursverschiebung. Dies zeigt sich beispielsweise auch im Namen der Gruppe Freie Linke. Massnahmen-Gegner*innen bedienen sich bewusst Parolen aus linken Bewegungen, so beispielsweise “Bildung für Alle”, “My Body, My Choice” oder – “leicht” abgeändert – “Kein Mensch ist zertifizierbar”. Bei genauerem Hinschauen wird schnell offensichtlich, dass deren Inhalte entleert und verdreht wurden. So scheren sich die demonstrierenden Massnahmen-Gegner*innen, die in Zürich direkt am Bundesasylzentrum vorbeimarschierten, keinen Deut um das Recht auf Bildung, körperliche Unversehrtheit oder die Bewegungsfreiheit von geflüchteten Menschen.

Auch in der Aneignung von “My Body, My Choice” durch die Impfgegner*innen wird deutlich, dass die Parolen gezielt missbraucht werden. So lancierten genau die Kreise, die es nun wagen, diese Parole für ihre Zwecke zu vereinnahmen, vor Kurzem zwei Initiativen zur Schwächung des Rechts auf selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche. Der markante Unterschied der beiden Forderungen: Anders als der individuelle Entscheid für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch, hat der individuelle Impfentscheid kollektive Auswirkungen. Auch hier stehen die Inhalte der Anti-Massnahmen-Bewegung also in krassem Widerspruch zu feministischen, emanzipatorischen Grundsätzen. 

Fazit: Sich gegen rechts positionieren

Anhand der Anti-Massnahmen-Bewegung lässt sich also gut beobachten, wie rechtes Gedankengut strategisch in Debatten eingeführt wird, wie es problemlos in weiten Teilen der Bevölkerung seinen Platz erhält und normalisiert wird. Auch wenn nicht alle Menschen, die sich in dieser Bewegung aufgehoben fühlen, rechts sind – ja manchmal sogar ein linkes Selbstverständnis haben – zeugen die hier diskutierten Ideen von individualisiertem, unsolidarischem, sozialdarwinistischem bis zuweil rechtsextremem Gedankengut. Menschen, die das Verteidigen der eigenen persönlichen Freiheit, bspw. keine Maske tragen zu müssen oder sich nicht impfen zu lassen, selbst dann als oberstes Gut sehen, wenn das Ausüben dieser Freiheit die Gesundheit anderer Menschen aufs Spiel setzt und gleichzeitig die Bewältigung der Pandemie mit all ihren negativen gesellschaftlichen Folgen sabotiert, mit Links-Sein verbinden, üben keine solidarische feministische, antikapitalistische Kritik aus, sondern eine radikal-individualistische und neoliberal-verwässerte, die mit linken Überzeugungen nichts zu tun hat. 

Gerade angesichts des Rechtsrucks während der Pandemie ist es unabdingbar, dass wir linke Antworten auf die Krise formulieren und nach aussen tragen. Wir können die Kritik am Umgang der Regierung mit der Pandemie nicht den Rechten überlassen. Emanzipatorische Positionen zu formulieren kann aber nicht bedeuten, mit Rechten gemeinsame Sache zu machen. Wenn linke oder feministische Gruppierungen an rechts-dominierten Anti-Massnahmen-Demonstrationen teilnehmen, verharmlosen und normalisieren sie die menschenverachtenden Denkweisen, die hier verbreitet werden, indem sie diese unwidersprochen stehen lassen. Sie werden gar zu aktiven Unterstützenden der politischen Gegenseite: Mithilfe ihrer Präsenz können die rechten Organisator*innen gegen aussen den Schein wahren, dass breite Teile der Gesellschaft hinter ihrem reaktionären Geschwurbel stehen. Ebendieses Phänomen wurde vor einigen Wochen deutlich, als eine feministische Gruppierung an einer von Rechten organisierten Anti-Massnahmen-Demonstration eine Rede hielt: Danach war in allerlei bürgerlichen Medien zu lesen, dass an den Protesten mittlerweile “sogar Feminist*innen” teilnehmen würden. Somit wurde die Tatsache, dass auch Rechtsextreme Reden hielten, weitgehend verharmlost. 

Solidarische Perspektiven aus der Krise entwickeln

Es gilt also auch aus feministischer Perspektive in Pandemie-Zeiten genau hinzuschauen und nicht in einem anti-autoritären Reflex jene Kräfte zu stützen, die antifeministische, rassistische und faschistische Positionen mit sich bringen. Kritik am Umgang der Regierung mit der Pandemie muss auch funktionieren, ohne rechtes Gedankengut zu bedienen oder die Pandemie zu leugnen. Anstatt in einer rechts-dominierten Bewegung mitzumischen, müssen wir unsere eigenen, emanzipatorischen Analysen stärken und nach aussen tragen. Nicht jede Befürwortung einer Massnahme bedeutet Staatsgläubigkeit und nicht jede Kritik ist “Schwurblerei” – diesen Balanceakt gilt es zu bewältigen, um nicht in neoliberale oder rechte Ströme abzudriften.[3]

Es ist höchste Zeit, aus der Schockstarre zu erwachen und emanzipatorische Handlungsfähigkeit zu erlangen. An Anlässen zu Kritik und politischem Handeln mangelt es nicht: So gilt es beispielsweise, die staatliche Pandemiebekämpfung auch aus internationalistischer Sicht zu verurteilen und die Ungleichverteilung von Impfstoffen und das Patentsystem anzuprangern. Und auch einzelne Massnahmen sollten wir kitisieren lernen: Wenn bspw. die 10-tägige Isolationsdauer auf Druck der Wirtschaftslobby plötzlich halbiert wird und damit einmal mehr Profit über Gesundheit gestellt wird. Auch für eine linke Kritik an der Zertifikatspflicht gibt es zahlreiche Gründe; u.a. den Ausbau von Überwachungstechnologien oder die verschärfte Diskriminierung von Personen ohne anerkannte Ausweisdokumente. Doch die Antwort auf all diese und weitere Problematiken darf weder im Leugnen der Pandemie noch im Abdriften nach Rechts münden.

Wir müssen uns mit den sozialen Fragen in all ihrer Komplexität auseinandersetzen und Perspektiven aus der Krise, dem Kapitalismus und in eine solidarische Zukunft aufzeigen. Solidarität bedeutet, nicht auf neoliberale Konzepte von “Selbstverantwortung” hereinzufallen, sondern wahrzunehmen, dass wir gegenseitig voneinander abhängig sind, und gerade diejenigen zu unterstützen, welche die Krise am stärksten trifft. Zeigen wir menschenverachtenden Ideologien klare Kante und kämpfen wir weiter für grösstmögliche Gerechtigkeit für alle. 


[1] im Folgenden fassen wir diese Gruppen als “Anti-Massnahmen-Bewegung”/ “Massnahmen- Gegner*innen” zusammen.

[2] Strobl, Natascha: Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse, Berlin 2021, S. 23. und auf Arte bzw auf Youtube in der Schweiz verfügbar.

[3] Ausführung zur Konfusion in der Pandemie auf ajour.ch und zu Dilemmatas und heiklen Fragen in der WOZ.

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2 Kommentare

  1. Pingback:Medienspiegel 25. Januar 2022

  2. Aga

    Hallo BfS

    Danke für den eindrücklichen Artikel zur zunehmenden Verschmelzung von Coronamassnahmengegner*innen und Neonazis.

    Es scheint, dass sich in Teilen die Geschichte zu wiederholen scheint, mit den entsprechenden zukünftigen Konsequenzen. Eins ist ganz klar: Das kapitalistische System in seiner Dauerkrieg mit all ihren Folgeersxheinungen, ist gerade dran, ein weiteres faschistisches Monster zu Gebären. Sorgen wir dafür, dass es Eine Totgeburt wird. NIE WIEDER FASCHISMUS UND NAZISMUS.

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