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Das bedinungslose Grundeinkommen ist auch für Linke spannend

Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist in linken Zusammenhängen umstritten. Die bald zur Abstimmung kommende Volksinitiative könnte als Gelegenheit genutzt werden, um sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen und Ideen für ein linkes BGE einzubringen. Wie die Kritik am Blog des SGB-Chefökonomen zeigt, braucht es dafür ein grundsätzliches Umdenken.

von Peter Streckeisen; aus Debatte

Am 21. April 2012 wurde die Volksinitiative für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) in der Schweiz lanciert. In gewerkschaftlichen und linken Zusammenhängen wird oft mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Ablehnung darauf reagiert. So war der Beitrag von jos. im Vorwärts vom 27. April betitelt mit «Nicht unterschreiben!» und der Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), Daniel Lampart, bloggte am 12. April: «Grundeinkommen: gut gemeinter – aber irreführender Ansatz». Ich bin dagegen der Ansicht, dass es sich beim BGE im Kern um einen wichtigen Gedanken handelt, mit dem sich die Linke ernsthaft auseinandersetzen sollte.

Wäre damit niemandem geholfen?

Schauen wir stellvertretend für eine typische Sichtweise die Stellungnahme von Lampart an. Der SGB-Chefökonom beginnt damit, dass der vorgesehene Betrag – das Initiativkomitee spricht von 2500 Franken pro Monat – zu tief sei, um den Lebensunterhalt zu sichern: Mit einem solchen Einkommen «ist niemandem geholfen». Im Vergleich zum Lohn, den Lampart vom SGB erhält, ist dies sicherlich ein bescheidener Betrag. Wir dürfen aber nicht aus den Augen verlieren, dass heute in der Schweiz sehr viele Menschen damit oder mit weniger Einkommen auskommen müssen. Das gilt für die über 230’000 Sozialhilfebeziehenden, die sich dank einem BGE den Gang aufs Sozialamt – mit allen damit einher gehenden Zumutungen und Entwürdigungen – ersparen könnten. Geholfen wäre auch denjenigen – niemand weiss, wie viele es sind – die aus Scham gar nicht aufs Sozialamt gehen, obwohl sie Leistungen beanspruchen könnten. Und laut eidgenössischer Lohnstrukturerhebung verdient ein Drittel der erwerbstätigen Frauen weniger als 2500 Franken netto. Lehrlinge, Studierende und all jene, die aus finanziellen Gründen auf eine Aus- oder Weiterbildung verzichten, könnten mit einem BGE von 2500 sehr viel besser dastehen als heute. Da sich das BGE zudem nicht wie die Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen am Haushaltsbedarf orientiert, sondern allen Menschen individuell zusteht, sieht es auch für Familien nicht schlecht aus: Ein Paar mit zwei Kindern würde ohne eine einzige Stunde Erwerbsarbeit 6000 bis 7000 Franken pro Monat erhalten – je nachdem, wie hoch der Betrag für Kinder angesetzt wird.

Chancen und Gefahren

Es ist offensichtlich, dass ein Rechtsanspruch auf ein BGE von 2500 Franken die Situation von sehr vielen Menschen in der Schweiz stark verbessern würde und eine grosse soziale Errungenschaft wäre. Daniel Lampart will dies nicht zugeben und zieht es vor, Gefahren an die Wand zu malen bis hin zur Aussage, «die Lage der tiefen und mittleren Einkommen» könnte sich wegen dem BGE verschlechtern. Da ist die Befürchtung, das BGE würde den Sozialstaat ersetzen – in der Tat ein katastrophales Szenario, das von gewissen neoliberalen Vordenkern angestrebt wird. In der Initiative ist davon aber nicht die Rede. Die Mitglieder des Initiativkomitees vertreten stattdessen die Idee, das BGE würde an die Stelle eines entsprechenden Teils der bestehenden Sozialleistungen treten, so dass die Beziehenden gleich viel wie bisher erhalten; allerdings ist zu bedenken, dass viele Sozialleistungen heute unter dem anvisierten BGE-Niveau liegen. Bundesrat und Parlament sind zudem sowieso bereits daran, Sozialabbau zu betreiben – dafür braucht es kein BGE. Und wenn sensationellerweise die Initiative in der Volksabstimmung angenommen würde, liesse sich das wohl kaum als Signal zum Sozialabbau interpretieren. Genau so gut könnte gegen die Mindestlohninitiative der Gewerkschaften argumentiert werden, weil sie Gesamtarbeitsverträge mit höheren Löhnen zu ersetzen droht (ein durchaus realistisches Szenario).

Heikles Terrain

Dann begibt sich der SGB-Chefökonom auf ein heikles Terrain. Die Anspruchsberechtigung könnte seines Erachtens ein grosses Problem sein: Wenn alle Menschen mit Wohnsitz in der Schweiz ein BGE zugute hätten, würde dies «wohl unwiderruflich zu ausländerrechtlichen Verschärfungen führen, um den Kreis der Ansässigen nicht allzu gross zu definieren». Glaubt Daniel Lampart wirklich, dass ein BGE die «Abschottung der Schweiz begünstigen» würde, oder ist dieser Abschnitt rein opportunistisch motiviert? Wir kennen das rechte Argument über den «Sozialschmarotzer-Tourismus» bestens – aber aus gewerkschaftlicher Sicht kann es doch nur darum gehen, trotzdem und erst recht für soziale Rechte zu kämpfen!
Nicht besser wird es im folgenden Abschnitt: Der Chefökonom überrascht uns nicht mit der Feststellung, dass ein BGE viel kosten würde. Obwohl die Initiative offen lässt, wie es finanziert werden soll, geht er von einer Mehrwertsteuererhöhung aus (was durchaus den Ansichten verschiedener Mitglieder des Initiativkomitees entspricht). Diese Steuererhöhung würde laut Lampart zu einer Flucht in die Schwarzarbeit führen – ein Argument, wie wir es ebenfalls tausend mal gehört haben, wenn das Unternehmerlager über «zu hohe Löhne» oder «Arbeitskosten» schimpft…
Abenteuerlich ist auch die Behauptung von Lampart, das BGE würde zu einem starken Druck auf die Löhne führen: Viel mehr könnte argumentiert werden, dank dem  BGE würde der Druck nachlassen, einen schlechten und schlecht bezahlten Job überhaupt anzunehmen.

Gewerkschaftliche Prioritäten

Natürlich ist die vorliegende Initiative nicht das Gelbe vom Ei (siehe Kasten), und wir teilen nicht unbedingt die politische Gesinnung der Mitglieder des Initiativkomitees. Aber warum, frage ich mich beim Lesen, schreibt der SGB-Chefökonom denn nicht Folgendes: Das BGE wäre eine tolle Sache, wenn es Existenz sichernd ist, nicht die bestehende soziale Sicherung ersetzt und über progressive Mechanismen, d.h. nicht durch indirekte Steuern finanziert wird? Eine implizite Antwort kommt am Schluss: Die Gewerkschaften haben andere Prioritäten, heisst es da – sie kämpfen für Mindestlöhne und «leistungsfähige, gerecht finanzierte Sozialversicherungen». Nun ist aber auch hier die Frage zu stellen: Wem ist damit geholfen, Herr Lampart? Leider nicht den Menschen ohne Erwerbstätigkeit; nur begrenzt denjenigen, die sich in grösserem Ausmass um die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen kümmern; auch nur bis zu einem gewissen Grad denen, die Teilzeit arbeiten – für sie ist ein Mindestlohn nicht Existenz sichernd. Das Sozialversicherungssystem reproduziert die sozialen Ungleichheiten am Arbeitsmarkt, weil es so stark auf Erwerbsarbeit ausgerichtet ist. Zwar funktioniert die AHV solidarisch, aber auf tiefem Niveau: Selbst die höchsten AHV-Renten sind niedriger als das vorgeschlagene BGE.

Über den Kapitalismus hinaus

Aus linker Perspektive darf es nicht darum gehen, verschiedene Forderungen gegeneinander auszuspielen. Wer sich für das BGE einsetzt, braucht nicht gegen Sozialversicherungen, Mindestlöhne oder Arbeitszeitverkürzung (davon spricht Lampart nicht einmal mehr, nachdem die Gewerkschaften auf diesem Feld verschiedene Flops produziert und Niederlagen eingesteckt haben…) zu sein. Die Klasse der Lohnabhängigen besteht aus unterschiedlichen Fraktionen, deren Interessen zum Teil durchaus, aber nicht in jeder Hinsicht deckungsgleich sind; verschiedene Forderungen sind für einzelne Gruppen wichtiger als für andere. Traditionell haben die Gewerkschaften ebenso wie die meisten radikalen linken Strömungen die Interessen jener Lohnabhängigen, die nicht voll und kontinuierlich erwerbstätig sind, vernachlässigt oder vergessen. Hier könnte das BGE einen Kontrapunkt setzen. Warum nicht die vorliegende Initiative als Gelegenheit nutzen, um sich in diese Diskussion einzumischen und den Punkt stark zu machen, an dem das BGE wirklich über den Kapitalismus hinaus weist: Es unterläuft den Zwang zur Lohnarbeit, indem es allen Menschen ein existenzsicherndes Einkommen unabhängig vom Verkauf ihres Arbeitsvermögens garantiert. Kann der Kapitalismus ohne diesen Zwang weiterexistieren? Vermutlich nicht.
Natürlich stellen sich dann viele offene und schwierige Fragen – wie immer, wenn wir über die andere Gesellschaft diskutieren, für die wir kämpfen. Ein wichtiger Aspekt betrifft die Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit zwischen den Geschlechtern. Von den Frauen können wir lernen, dass es andere Motive gibt zu arbeiten als das Einkommen und die Karriere – sie leisten seit Generationen die meiste unbezahlte Arbeit. Warum also glauben, niemand würde mehr arbeiten, wenn es zum (Über-)Leben nicht mehr erforderlich wäre? Aus feministischer Sicht wird befürchtet, ein BGE könnte viele Frauen von der Erwerbsarbeit abhalten. Es gibt aber auch die Hoffnung, die unbezahlte Arbeit würde gesellschaftlich aufgewertet. Wenn wir Feministinnen wie Nancy Fraser folgen, die der zunehmend vom Recht zur Pflicht gewordenen maximalen Erwerbsbeteiligung von Frauen kritisch gegenüberstehen, betrifft allerdings die entscheidende Frage das zukünftige Verhalten der Männer: Wenn sie sich nicht weitaus mehr als bisher an der Haus- und Familienarbeit beteiligen, wird es keine grössere Geschlechtergerechtigkeit geben. Denken wir nochmals an das Paar mit zwei Kindern, das 6000 bis 7000 Franken BGE erhält: Vielleicht würden unter diesen Bedingungen tatsächlich viele Männer sich entscheiden, eine Zeit lang ihre Erwerbstätigkeit zu reduzieren oder ganz zu unterbrechen. Natürlich wären weitere Rahmenbedingungen nötig, zum Beispiel das Recht, nach einer solchen Unterbrechung in diesen Job zurückzukehren, wie es Frauen nach dem Mutterschaftsurlaub zusteht.

Eine Initiative, viele offene Fragen

Die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens wird von Linken und Liberalen ebenso wie von Konservativen und Neoliberalen unterstützt. Das liegt daran, dass je nach politischer Perspektive darunter etwas ganz Anderes verstanden werden kann: von einem Instrument, mit dem Reichtum umverteilt und der kapitalistische Arbeitszwang unterlaufen wird, über ein Mittel zur Umgestaltung der Steuerpolitik (negative Einkommenssteuer, Konsumsteuer) bis zum minimalen sozialen Auffangnetz, das den Markt frei zur Entfaltung kommen lässt.
Wichtig aus einer linken Perspektive sind folgende Punkte: Das BGE muss Existenz sichernd sein (d.h. in der Schweiz 3000 Franken); es darf nicht bestehende Leistungen des Sozialstaats ersetzen (ausser Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen); die Finanzierung darf nicht auf indirekten Steuern (Mehrwertsteuer) beruhen.
Der vorliegende Initiativtext lässt die entscheidenden Fragen unbeantwortet. Das lässt sich als Absicht deuten, eine offene Diskussion zu lancieren, oder als opportunistisches Kalkül, um möglichst niemanden zu vergraulen. Hier der Text im Wortlaut:

«1. Der Bund sorgt für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
2. Das Grundeinkommen soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen.
3. Das Gesetz regelt insbesondere die Finanzierung und die Höhe des Grund-einkommens.»

Das Initiativkomitee ist politisch nicht homogen. Das bekannteste Mitglied ist der ehemalige Bundesratssprecher Oswald Sigg, Mitglied der SP und Redakteur des durch Paul Ignaz Vogel gegründeten Mediendienstes Hälfte/Moitié. Mit dabei ist auch die feministische Theologin Ina Praetorius. Federführend bei der Kampagnenarbeit sind allerdings Kreise, deren Weltsicht eine Mischung aus politischer Naivität, urliberalem Utopismus und anthroposophischem Gedankengut spiegeln: die Agentur zum Grundeinkommen (Zürich) und die Initiative Grundeinkommen (Basel). Sie favorisieren eine Finanzierung durch die Mehrwertsteuer und eine Absenkung der aktuell bezahlten Löhne und Sozialleistungen um den Betrag des BGE (Christian Müller und Daniel Straub: Die Befreiung der Schweiz. Über das Bedingungslose Grundeinkommen. Limmat Verlag 2012).
Eine Kritik an den teils problematischen, teils konfusen politischen Vorstellungen dieser Kreise ist ebenso notwendig wie die Kritik der traditionellen Haltung in gewerkschaftlichen und linken Zusammenhängen, das mit dem BGE angesprochene Problem zu verdrängen. Avji Sirmoglu und ich haben in einem Aufsatz im Widerspruch versucht, diese doppelte Kritik auszuführen («Das Grundeinkommen – kapitalistische Utopie oder linke Perspektive» im Widerspruch Heft Nr. 52/2007, S. 177-184). (P.S.)
Der Text wurde 2012 in der Zeitschrift Debatte publiziert.

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