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Rest in Power, Nzoy – Schluss mit rassistischer Polizeigewalt!

Am Abend des 30. August 2021 wurde Roger Nzoy am Bahnhof Morges von der Polizei erschossen. Nzoy wurde 37 Jahre alt.

von BFS Zürich

Gerufen, um dem offensichtlich psychisch angeschlagenen Nzoy beizustehen, stürmten vier Polizist:innen auf den ruhig wirkenden Nzoy los. Die Situation eskalierte, worauf Nzoy gemäss Polizeiangaben ein Messer gezogen habe und die Polizist:innen mehrmals auf ihn schossen. Vier Minuten lang unterliessen es die Polizist:innen, Nzoy medizinische Hilfe zu leisten. Stattdessen legten sie dem schwer verletzt am Boden liegenden Nzoy Handschellen an. Selbst auf Nachfrage der Notfunkzentrale gaben die Polizist:innen keine detaillierten Informationen zum Gesundheitszustand von Nzoy, vielmehr fanden sie die Erwähnung der Hautfarbe relevant: «un homme de couleur» sei er. Auch die Schweizer Medien fanden es in der Folge wichtiger, das Bild von Nzoy als islamistischen Terroristen zu zeichnen, anstatt die Polizeigewalt zu verurteilen.

Nzoy kein Einzelfall

Bei der brutalen Tötung von Nzoy handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Die Tötung reiht sich ein in eine Serie von Morde durch die Polizei an rassifizierten Menschen in der Schweiz.

Um nur einige zu nennen: Mike Ben Peter wurde am Februar 2018 in Lausanne durch sechs Polizisten brutal geschlagen und zu Boden gedrückt. Stunden später starb er im Spital. Hervé Bondembe Mandundu wurde im November 2021 in Bex VD in seiner Wohnung durch einen Polizisten erschossen. Auf Omar Musas Ali wurde im Dezember 2015 in Zürich 13mal geschossen, er überlebte nur durch Glück und ist jetzt schwer körperlich und psychisch krank. Im Funk-Spruch der Polizei wurde für ihn das N-Wort verwendet. Daneben gibt es in ganz Europa noch viele weiteren Namen zu nennen.

Graffiti im Kanton Waadt gegen die Morde durch die Polizei

Diese Fälle haben nicht nur gemeinsam, dass die Täter Polizisten und die Opfer of colour waren, sondern auch dass die Polizisten jeweils immer unter fadenscheinigen Argumenten davon kamen und nicht verurteilt wurden. Konstant spricht die Polizei ab, dass dies irgendetwas mit Rassismus zu tun hat und bekommt durch die Justiz, welche die Polizist:innen jeweils frei spricht, recht. Für ihre Angehörigen und die ganze Bevölkerung rassifizierter Menschen bedeutet dies immer wieder ein Faustschlag ins Gesicht und die klare Message, dass vor dem Gericht doch nicht alle gleich sind. Die Organisation Schwarze Schweiz hat eine Liste erstellt mit den Namen dieser Helvetiziden, also Tode von rassifizierten Menschen in Schweizer Polizeigewahrsam und Flüchtlingsheimen.

Diese Morde stellen jedoch nur die Spitze des Eisbergs rassistischer (Polizei-)Gewalt dar. Eng verbunden sind diese Morde mit der Praxis des Racial Profiling (wie bei Mike Ben Peter), wo rassifizierte Menschen durch die Polizei kontrolliert werden. In Zürich finden täglich ca. 40 dieser Kontrollen statt. Aber auch da ist der Kampf der Betroffenen auf dem juristischen Weg selten erfolgreich. Neben der Gewalt durch die Polizei im öffentlichen Raum sind die unzähligen und auch ungezählte Menschen zu erwähnen, welche durch das rassische Grenzregime der Schweiz in den Tod getrieben werden. Die unmenschliche Behandlung in Asylcamps, zermürbende Asylverfahren, Ausschaffungen, Verweigerung angemessener medizinischer Versorgung, struktureller Armut und Illegalität körperlich und psychisch krankgemacht werden und viel zu oft an Suizid versterben.

Staat und Polizei im Kapitalismus – ist die Polizei wirklich «Freund und Helfer»?

Uns wird von Kind an gesagt, die Polizei sei unser aller Freund und Helfer und sorge für unsere Sicherheit. Doch sind hier wirklich «alle» gemeint? Oder ist nur die Sicherheit von Wenigen gemeint? Um diese Fragen beantworten zu können, muss zuerst die Rolle der Polizei im Staat in Zusammenhang mit unserem Wirtschaftssystem, dem Kapitalismus, untersucht werden.

Der Staat, so wie wir ihn kennen, und die Polizei sind eng miteinander verbunden. Polizist:innen sind vom Staat angestellt; ihre Aufgabe ist es, dessen Interessen durchzusetzen. Was sind die Interessen des Staates? Das Hauptinteresse des Staates ist primär, die Bedingungen aufrechtzuerhalten, die für seine Existenz notwendig sind. Diese sind zuallererst die dem Staat übergeordneten Gesetze des Kapitalismus. Das heisst, der Staat muss sich bis zu einem gewissen Grad den Interessen des Kapitals unterordnen, sonst würde er nicht so funktionieren können, wie er es heute tut.

Nicht alle sind gleich betroffen von polizeilichen oder juristischen Strafen.

Wenn es also der Job von Polizist:innen ist, die Interessen des Staates durchzusetzen, heisst das folglich, dass die Polizei die Interessen des Kapitals vertritt. Der Job von Polizist:innen ist das Kapital zu schützen. Um damit die erste Frage zu beantworten: Ja, die Polizei ist Freund und Helfer – nämlich die der kapitalistischen Klasse mit dem notwenigen Kapital. Aber zu sagen, sie sei Freund und Helfer von allen, wäre eine masslose Übertreibung und Leugnung der Tatsachen. Denn leider ist es Tatsache, dass nicht alle gleich stark betroffen sind von polizeilichen oder juristischen Strafen. Wer genug Geld besitzt, kauft sich frei. So sehen es die Bedingungen des Kapitalismus vor. Das Kapital ist in diesem Sinne von diesem Straf- und Justizsystem ausgenommen.

Wer das Privileg nicht hat, sich freizukaufen, ist dem Straf- und Justizsystem hilflos ausgeliefert. Dies betrifft vor allen arme Menschen. Durch diese Mechanismen wird Arm-sein an sich stigmatisiert und kriminalisiert, obwohl Armut logische Folge des Kapitalismus ist. Die dominante Vorstellung von Armut blendet die Tatsache aus, dass die Existenz des Kapitalismus Armut bedingt. Stattdessen ist die weitverbreitete Meinung, dass Armut die Konsequenz von Kriminalität sei, was völlig verdreht ist. Die Lösung, die von unserer Gesellschaft für Kriminalität bereitgehalten wird, ist Strafe und Gefängnis. Armut als Auslöser von Kriminalität wird dabei unsichtbar gemacht. Statt eine konkrete Lösung oder Hilfe für armutsbetroffene Menschen zu leisten, werden Unmengen an Geld in Polizeiarbeit investiert, die nicht fähig ist, das eigentliche Problem zu lösen. Das eigentliche Problem ist nämlich die kapitalistische Wirtschaftsweise, die ständig auch Armut produziert, weil der Kapitalismus für sein Überleben Arbeitskraft ausbeuten muss.

Struktureller Rassismus in Staat und Polizei – Reform oder Revolution?

Unsere kapitalistische Gesellschaft ist strukturell rassistisch. Diese Tatsache lässt sich nicht leugnen. Dieser Rassismus kam auch nicht von irgendwo her und war plötzlich da. Er ist jahrhundertelang gewachsen. Obwohl die Geschichte des Rassismus die Lebenszeit des Kapitalismus überdauert, sind Kapitalismus und Rassismus stark miteinander verwoben. Das eine lässt sich nicht ohne das andere analysieren. Rassismus ist also tief in unserer Gesellschaft verankert und wird somit auch in staatlichen Institutionen wie der Polizei reproduziert. Das zeigt sich an den unzähligen rassistischen Morden, Racial Profiling, an der Kriminalisierung von BIPoC, Muslim:innen, Fahrenden und weiteren marginalisierten ethnischen Gruppen.

Das Problem ist aber nicht per se, dass es einzelne rassistische Individuen gibt bei der Polizei, sondern ein viel tiefgreifenderes systematischeres Problem. Erst wenn diese Systematik dahinter anerkannt wird, können progressive und revolutionäre Überlegungen und Forderungen entstehen. Versuche, die mit Reformen dieses strukturell rassistische Problem bei der Polizei ändern wollen, greifen die Unterdrückung im Kern nicht an, sondern geben ihr ein neues Gewand. Oftmals gibt es die Forderung, die Polizei brauche einfach mehr «Diversität». Dabei wird vergessen, dass die es die Aufgabe der Polizei ist das kapitalistische System aufrechtzuerhalten, welches zutiefst rassistisch ist. Die Durchführung dieser Aufgabe wird mit der «Diversitäts»-Forderung lediglich auf weitere Menschen übertragen. Ausserdem gibt es einige Studien, die zeigen, dass auch rassifizierte Polizist:innen Gewalt anwenden oder Racial Profiling praktizieren.[1] Der «weisse Blick» ist integraler Bestandteil der Polizeiarbeit und wird von Schwarzen Menschen oder People of Color in Uniform genauso übernommen.

Die Aufgabe der Polizei ist es, das kapitalistische System aufrechtzuerhalten, welches zutiefst rassistisch ist.

Oft wird auch die Überwachung von Polizist:innen mit «Body Cams» gefordert. Es ist Realität, dass Hunderte Morde an Schwarzen Menschen schon dokumentiert sind. Viel geändert hat das bisher nicht an der Polizeigewalt. Das Problem liegt nicht an einer unzureichender Beweislage, sondern eben, dass der Staat zur Aufrechterhaltung des Systems schlichtweg auf die polizeiliche Institution angewiesen ist und deshalb nicht ganze Polizeieinheiten aufs Mal entlässt.

Revolutionäre Forderungen für den Abbau der gesamten polizeilichen Institution müssen an Forderungen zur Überwindung des Kapitalismus geknüpft sein. Und weil die Polizei bei der Aufrechterhaltung des Kapitalismus eine wichtige Rolle spielt, kann die Abschaffung der Polizei als Institution nicht ohne die Überwindung des Kapitalismus erreicht werden. Der Reformismus von heute wird zu den Unterdrückungsmechanismen von morgen.

Aber um nicht in ein Dilemma zwischen reformablehnende Ohnmachtslosigkeit und Revolution als einzige Perspektive zu fallen, gibt es dazu hilfreiche Überlegungen von Organisationen wie «Critical Resistance» über non-reformistische Reformen (auch: abolitionistische Reformen). Diese abolitionistische Reformen verfolgen einen konkreten Abbau der Polizei als Institution, die gleichzeitig längerfristige gesellschaftliche Veränderungen initiieren. Zwei Beispiele hierfür wären Demilitarisierung und Definanzierung. Die Forderung der Demilitarisierung soll durch die Entwaffnung den Anfang eines Prozesses bilden, der nicht Erniedrigung reproduziert, sondern konsequent die Würde eines jeden Menschen und seines Lebens anerkennt. Mit der Entwaffnung sind nicht nur jegliche Scharfgeschütze gemeint, sondern auch jede Art von Technologie, die zur Überwachung oder Datenspeicherung genutzt werden. So begünstigt das Entziehen dieser Ressourcen auch ein Entmächtigen dieser Institution.

Beim zweiten Beispiel geht es darum, soziale Lösungen für soziale Probleme zu fordern. Bei der Definanzierung geht es deshalb nicht nur um ein Entziehen von Geld. Zur gleichen Zeit soll ein Investment in andere wichtige soziale Bereiche stattfinden, wie ein investieren von Geld für verschiedene Wohnprojekte, statt eine Polizei, die Wohnungslose aus dem öffentlichen Raum verscheucht. Mehr Geld für psychische Betreuungen oder Suchtberatungsstellen, statt eine weiterführende Bedrohung durch die Polizei für Drogenabhängige und psychisch kranke Menschen. Die Liste ist lang. Natürlich ist das erst der Anfang und eine umfängliche Veränderung der Verhältnisse kann nur durch eine Veränderung der ökonomischen Verhältnisse erreicht werden, aber diese Ansätze bieten eine konkrete Perspektive. Eine Perspektive, die wir als antikapitalistische revolutionäre Linke brauchen.

Racial Profiling: ein rassistisches Repressionsinstrument

Profiling ist ein wesentliches Instrument der Polizeiarbeit: Auf Basis weniger bis sehr weniger Annahmen oder Informationen erdenken sich Polizist:innen ein Profil von (potentiellen) Zielpersonen, aufgrund dessen sie dann über ihr Vorgehen entscheiden. Mithilfe des Profilings sollen Polizist:innen einen strategischen Vorteil und dadurch Kontrollen über ihr gegenüber erlangen. Sie werden darin geschult, äussere/körperliche Merkmale, Kleiderstile, Verhaltensweisen, Ausdrucksweisen und weitere angebliche Kriminalitäts- oder Subversivitätsindikatoren nach vorgegebenen Kategorien einzuordnen und schliesslich nach vorgegebenen Mustern zu handeln. Diese Kategorisierungen sollen nach Aussagen der Polizei auf Statistiken beruhen, gemäss welchen von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen andere Gefahren ausgehen. Somit werden das rassistische Rechtssystem sowie die polizeiliche Repression zu sich selbst und gegenseitig legitimierenden Institutionen: Die historisch, mit dem Aufbau der Institutionen systematisch hergestellten gesellschaftlichen Unterscheidungen zwischen einem friedfertigen «Uns» und einem bedrohlichen «Anderen» werden so reproduziert, dass sie sich bewahrheiten müssen.

Indem polizeiliche Repression auf rassifizierte Merkmale – und nicht auf Tatbestände – ausgerichtet ist, führt sie zudem zu räumlicher Segregration und/oder verstärkt diese. Wer dem rassistisch konstruierten «Anderen» zugezählt wird, der:die wird gewaltvoll damit konfrontiert, dass er:sie nicht dazugehört. Wer auf der anderen Seite nicht von Racial Profiling betroffen ist, aber Racial Profiling beobachtet, dem:der wird eine konstruierte Bedrohung aufgrund von vermeintlichen Eindringlingen in den «eigenen» Kulturraum vor Augen geführt. Die Konstruktion eines «Uns» und eines «Anderen» wird normalisiert.

Wichtig bezüglich Racial Profiling ist, die strukturelle Dimension davon im Blick zu haben. Es steht ausser Frage, dass der:die einzelne Polizist:in als ausführendes Instrument an dieser rassistischen Gewalt beteiligt ist und sich anders verhalten müsste. Aber Fälle von Racial Profiling dürfen nicht isoliert als Taten von einzelnen Rassist:innen betrachtet werden. Sie müssen in ihren gesellschaftspolitischen und institutionellen Kontext gesetzt werden.


Deshalb fordern wir, dass rassistische (Polizei-)Gewalt sofort aufhört! Denn wenn sich die Strukturen nicht drastisch ändern, werden weitere rassistische Morde durch Polizist:innen folgen. Wir fordern:

  • Justice for Nzoy, indem die Verantwortlichen für seinen Tod zur Rechenschaft gezogen werden!
  • die Definanzierung und Demilitarisierung der Polizei, so dass diese abgeschafft werden kann und die Mittel stattdessen in solidarische Strukturen fliessen können!

In dieser Zeit von Krieg und Krise ist unsere Solidarität gefragter denn je. Und diese Solidarität beinhaltet den Kampf gegen jegliche Form der rassistischen Diskriminierung, der rassistischen Ausbeutung und der rassistischen Polizeigewalt.

Rest in Power Roger Nzoy.


[1] Alex S. Vitale, The End of Policing / Vanessa E. Thompson

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