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Schweiz: Das „typisch Schweizerische“ und die Ausländerfeindlichkeit

Die fremdenfeindliche und rassistische Rechte in der Schweiz stützt sich auf einen jahrzehntealten Mythos der “bedrohten Schweiz”. Durch die Betonung und das Zementieren von Unterschieden – in der Propaganda und der politischen Praxis – untergraben und bekämpfen die hiesigen Patriot*innen mit Hilfe der Unternehmer*innen die Solidarität unter den Lohnabhängigen. Die Stärkung der verlorengegangen Klassensolidarität ist eine dringende Aufgabe der Linken in der Schweiz und ein zentrales, politisches Mittel im Kampf gegen rechts. (Red.)

von BFS/MPS

Am 27. Januar 2017 hat Donald Trump per Dekret Geflüchteten für 120 Tage und Staatsangehörigen sieben muslimischer Ländern für 90 Tage die Einreise verboten. Als Grund führte er den „Schutz der Nation vor der Einreise ausländischer Terroristen“ an. Und sandte damit die Botschaft aus: Wer Muslim*in ist, ist gleichzeitig auch Terrorist*in. Dabei sind Muslim*innen nicht die einzigen, die den Rassismus der Trump-Administration zu spüren bekommen. Mexikaner*innen werden als „Vergewaltiger und Kriminelle“ behandelt. Die von Trump gross angekündigte Mauer soll folglich eine „Invasion“ verhindern.
Ab Samstag, 28. Januar 2017 wurden angesichts dieser ausländerfeindlichen und rassistischen Politik zahlreiche Demonstrationen abgehalten, um ihre Unterstützung für Geflüchtete kundzutun und die offizielle Islamfeindlichkeit anzuprangern. Die Taxifahrer*innen des J.F. Kennedy-Flughafens (New York) sind am Samstagabend in einen Streik getreten. Städte erklärten sich zu sanctuaries (Schutzgebieten), um die „irregulären“ Migrant*innen zu schützen. Die Dekrete (executive orders) werden vor Gericht als diskriminierend und verfassungswidrig angefochten. Dies ist womöglich der Beginn eines umfassenden Widerstands. Und er kann als Inspiration dienen.

Die „Schweizer Trumps“

Nun ist aber Trump in den USA und wir in der Schweiz. Muss uns Trump denn überhaupt interessieren, hier in der Schweiz? Tatsächlich erfahren wir von Vertreter*innen der SVP: „Trump ist ein Hoffnungsschimmer“. Und ganz nach diesem Motto unterscheidet sich die Politik der SVP im Ton nur geringfügig von Trumps empörenden Aussagen. Schweizweit können wir dies durch das widerwärtige SVP-Plakat gegen das Vorhaben der „erleichterten Einbürgerung für junge Ausländerinnen und Ausländer der 3. Generation“ deutlich sehen. Es zeigt die Karikatur einer muslimischen Frau mit Gesichtsschleier. Daneben die trügerische Frage: „Erleichterte Einbürgerung?“ Die Antwort für die Abstimmung vom 12. Februar 2017 folgt sogleich: „Nein zur erleichterten Einbürgerung!” Auch der antimuslimische Diskurs des Zuger CVP-Präsidenten Gerhard Pfister ähnelt jenem von Donald Trump.
Angesichts dieser immer weiter vorangetriebenen Ausländerfeindlichkeit von oben – d. h. von den Regierungsparteien, ihren Interessens­gruppen und der Kollegialregierung – ist es dringend notwendig, gemeinsam zu überlegen, wie wir eine möglichst breite demokratische, soziale Front aufbauen können.

Der Mythos des bedrohten Volkes

Die verschiedenen ausländerfeindlichen politischen Massnahmen – die meistens auch rassistische Züge tragen – gründen auf einem stetig wiederholten und sich ständig wandelnden Mythos: „Unsere nationale Identität ist bedroht.“ Mit diesem Mythos wird ein Zusammengehörigkeitsgefühl geschaffen. „Wir“ Schweizer*innen werden von den „Ausländer*innen“ bedroht. Je nach Zeitabschnitt und Situation tragen diese aus dem „Wir“ ausgegrenzten verschiedene Namen: Italiener*innen, Kosovar*innen, Türk*innen, Juden und Jüdinnen, Roma – Grenzgänger*innen, Asylbewerber*innen und „Illegale“ sowie „kriminelle Ausländer*innen“.
Dabei ist die Schweiz ein Einwanderungsland, das sich aus einer Vielfalt an sprachlichen, kulturellen und politischen Traditionen zusammensetzt. Ohne diese Vielfalt, ohne die unterschiedlichen Einwanderungswellen, würde es eine “Schweizer Gesellschaft” gar nicht geben.
Die Patriot*innen versuchen jedoch die Deutungshoheit zu gewinnen, indem sie definieren, was „typisch schweizerisch“ und „die Schweizer Seele“ ist. Dabei wird aus der Schweiz ein Sonderfall gemacht, eine besondere Perle und ein fragiles Konstrukt, das jederzeit kaputtgehen kann.

Ausgrenzung: eine Schweizer Tradition

Eine sogenannte demokratische Gesellschaft erfordert, dass allen die gleiche Würde zugestanden wird – den Ärmsten genauso wie den Gruppen mit Migrationshintergrund (Verfassung: Präambel, Art. 7). Dieser bürgerliche Rechtsgrundsatz wird aber immer wieder völlig offensichtlich ignoriert. Hier zwei Beispiele:
– Das Bundesgericht erklärte 1915 den Steuerzensus als verfassungswidrig. Steuerzenus bedeutet, dass nur Menschen wählen durften, deren Steuern eine bestimmte Höhe überschritten. Trotz dem Bundesgerichtsurteil blieben verarmte und obdachlose Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen waren, bis 1971 von diesem Grundrecht ausgeschlossen.
– In Bezug auf das Frauenwahlrecht bedeutete das “typisch
Schweizerische”, dass Frauen bis 1971 kein Stimm- und Wahlrecht hatten. Noch 1947 stand auf den Plakaten: “Männer-Brüder-Söhne, bewahrt uns vor der Politik. Unsere Welt ist unser Heim und sie soll es bleiben.” Die Frauen entsprachen gemäss diesem Modell dem „Anderen“. Heute wird „unsere nationale Identität“ nicht mehr von den Frauen, jedoch „von den Ausländer*innen bedroht“ – insbesondere den muslimischen.

Rassismus und die soziale Lage der Lohnabhängigen

Wenn wir diese Ausgrenzung beenden wollen, können wir uns nicht auf das Anprangern einer ausländerfeindlichen Politik, der rassistischen Kampagnen und der vielfältigen Diskriminierungen von oben beschränken. Es ist wichtig, zu hinterfragen:

  1. Wieso wählen so viele Lohnabhängige heute die SVP?
  2. Welche politischen und wirtschaftlichen Bedingungen führen dazu, dass fremdenfeindliche Ideen florieren können?

Die Mehrheit der Bevölkerung in der Schweiz setzt sich aus Lohnabhängigen zusammen, von denen ein bedeutender Teil Migrant*innen sind. Sie sind im Grunde alle in einer gemeinsamen Lage gegenüber den Arbeitgeber*innen. Auf der einen Seite stehen die Unternehmer*innen und auf der anderen die, die für diese Unternehmer*innen arbeiten.
Diese gemeinsame Lage heisst nicht, dass nicht zahlreiche Unterschiede existieren: Es gibt Unterschiede zwischen den Löhnen von Männern und Frauen, es gibt Unterschiede in den Arbeitsbedingungen, solche zwischen geschützteren und prekären Arbeitsplätzen, Unterschiede zwischen den Aufenthaltsbewilligungen von Migrant*innen und so weiter. Diese Ungleichheiten bestehen also innerhalb einer gemeinsamen Lage. Dadurch entstehen Situationen, in denen sich die Lohnabhängigen miteinander vergleichen, einander beneiden und verachten – oder sich respektieren und die Solidarität untereinander umsetzen. Zweiteres muss unser Ziel sein!

Das Fehlen von politischer Aktivität

Genau hier ist eine gewerkschaftliche und politische Aktivität entscheidend: Damit die gemeinsame Lage der Lohnabhängigen ins Zentrum gestellt wird, damit die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer sozialen Einheit nicht zersplittert. Das erfordert einen konkreten Kampf für eine solidarische Gesellschaft. Anders gesagt: Für Rechte, die den Bedürfnissen nach sozialer Sicherheit aller Menschen entsprechen. Oder nochmal anders: Für die gemeinsame, anerkannte und herkunftsunabhängige Zugehörigkeit aller Lohnabhängigen zu einer wirklich demokratischen Gesellschaft. Das Fehlen einer derartigen Praxis der gewerkschaftlichen, zivilgesellschaftlichen und politischen Linken lässt den ausländerfeindlichen und rassistischen Menschen immensen Raum.

Die verlorene Klassensolidarität

Sämtliche Propaganda der politischen Rechten und die aus ihr entspringenden Vorschläge und Gesetze stützen sich auf Unterschiede, die bewusst herausgehoben werden. Dies mit folgendem Ziel: Die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Lohnabhängigen mit eigenen Interessen durch einen emotionalen und geträumten Anschluss an eine mythische „nationale Identität“ zu ersetzen, der falsche Sicherheit vermittelt. Das Resultat ist bekannt: Spaltungen werden innerhalb der Lohnabhängigen zementiert und verstärken den Zerfall einer Klassensolidarität. Stattdessen wird die „Liebe zum Heimatland“ aufgebaut. Diese bietet eine trügerische Sicherheit für die angesichts der derzeitigen sozialen und wirtschaftlichen Unsicherheit beunruhigten und wütenden „Schweizer Lohnabhängigen“.

Ziele der Spaltungspolitik der Unternehmer*innen

Diese Spaltungspolitik entspricht den Anforderungen der Grossunternehmer*innen, ihrer Organisationen und politischen Vertreter*innen. Sie alle verkünden ein Ziel: Die „Stärkung der Schweizer Wettbewerbsfähigkeit“ – also der Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Kapitals. Dieses „Ziel“ wird von sämtlichen kapitalistischen Volkswirtschaften übernommen, welche in einem unerbittlichen internationalen Wettbewerb miteinander stehen. Um möglichst konkurrenzfähig zu sein, muss der (neoliberale) Kapitalismus die Lohnabhängigen disziplinieren, um so die Kosten senken zu können.
Hierfür werden zahlreiche Instrumente genutzt: die Angst vor der Arbeitslosigkeit, individueller Druck auf die Produktivität, die Auslagerung von Arbeitsprozessen mit der daraus resultierenden Prekarisierung, die Lockerung der Gesetze zum Arbeitsrecht und so weiter. Dies alles geschieht mit der Zustimmung der gewerkschaftlichen Apparate, die sich nicht mehr um die schwierige Aufgabe des Aufbaus und Wiederaufbaus einer gemeinsamen Identität bemühen, einer Klassensolidarität, für die das soziale Engagement nicht bei der Unternehmenstür aufhört.

Angriffe auf wenige werden zu Angriffen auf alle

Die Angriffe auf die empfindlichsten Teile der Lohnabhängigen sind ein Vorbote dessen, was sich für die Mehrheit abzeichnet. Ein Beispiel: Die Migrant*innen mit einer kurzzeitigen Aufenthaltsbewilligung wurden 2011 von der Sozialhilfe ausgeschlossen. Seit 2015 wird nun auch die Sozialhilfe für kinderreiche Familien und junge Erwachsene unter 25 Jahren stark beschränkt. So werden immer weitere Gruppen von den ihnen zustehenden Leistungen ausgeschlossen.
Die Kämpfe gegen die Ausländerfeindlichkeit und den Rassismus erfordern konkrete und möglichst breite solidarische Aktionen. Dass diese Kämpfe aber langfristig erfolgreich sein können ist es notwendig, dass die Lohnabhängigen wieder ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Gruppe erringen – und es so ermöglicht wird, dass sie gemeinsam gegen die Beschränkung ihrer Rechte und ihrer Würde kämpfen.
Nein zum „typisch Schweizerischen“!
Nein zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit!
Für gleiche politische, soziale und gewerkschaftliche Rechte für alle Lohnabhängigen!
Für eine starke und lebendige Solidarität unter Lohnabhängigen!

Der Text wurde an der antirassistischen Demo “Die Schweiz hat ein Rassismusproblem” am 4. Februar 2017 in Bern als Flyer verteilt.

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2 Kommentare

  1. Pingback:DAS „TYPISCH SCHWEIZERISCHE“ UND DIE AUSLÄNDERFEINDLICHKEIT | antira.org

  2. Nikola Zelger

    Rassismus in der Schweiz?
    Ja das gibt es.
    Nirgendwo in den Deutsch-sprechenden Ländern ist der Rassismus so groß und so offensichtlich wie hier in der Schweiz.
    Nein, vielleicht drücke ich es falsch aus:
    Aktive Fremdenangst….ja das ist eine gute Wortschöpfung…
    Sie beginnt bereits im kleinen Laden um die Ecke, wenn man als nicht “schweizerdeutsch” sprechender ein Laib Brot oder eine Flasche Wasser erwerben will und die Verkäuferin richtiggehend Panik bekommt, dass da ein Fremder kommt. Um es für den, offensichtlich nicht schweizerdeutsch sprechenden, Kunden noch schwerer zu machen, ja nie mehr wieder einen Fuß in dieses Geschäft zu setzen, wehrt sich die Verkäuferin mit der einzigen Waffe, welche ihr im Augenblick zur Verfügung steht: Der Sprache…. Es ist ihr egal, ob es der Kunde versteht, sie braucht sein “fremdes Geld” nicht und am Abend, nach Dienstschluss, kann sie noch eine spannende Geschichte erzählen, über einen Mann, der Brot und Wasser kaufen wollte….
    Es hört nicht auf im Kaffeehaus, wo man betteln muss, damit die Bedienung einem doch eine Tasse Kaffee bringen soll. Und schon gar nicht, wenn man bittet, zumindest langsamer zu sprechen, da man aus Österreich kommt und das schweizerdeutsch NOCH nicht kann.
    Und auf der anderen Seite wird gehetzt was das Zeug hält.
    Eine bekannte Schweizer Tageszeitung, welche mit ihrem rotem Pamphlet verspricht, dass sie den Durch-BLICK hat ist da mindestens so kraftvoll in Ihren Ausdrücken wie es einst Streichers Stürmer war.
    Dieser Tage erst, konnte man lesen, dass es einem Paar gelungen war das Sozialamt um 330.000 Franken zu “betrügen” und dann noch die Frechheit besessen hatte, mit einem Jaguar zu Gericht zu erscheinen. Dass es sich bei dem Paar um Ausländer handelte machte die Sache umso dramatischer.
    Ist ja auch eine Menge Geld, und ein Jaguar ist ein Luxusauto.
    Bei diesem Beispiel fängt man an zu zweifeln, ob Leonard Euler, einer der grössten Mathematiker, wirklich Schweizer war. Was das mit Mathematik zu tun hat?
    Nun, 330.000 in einem Zeitraum von neun Jahren und an zwei Personen ergibt eine monatliche Summe von knapp 1600 Franken pro Person. Die haben ein Leben in Saus und Braus gelebt in der Tiefpreisinsel Schweiz, wo man für ein Laib Brot knapp 4,00 Franken bezahlen muss und die Wohnungskosten von politischem Kalkül gesteuert werden, welche besagen, dass je teuerer die Wohnung umso weniger (arme) Fremde ziehen in unsere Gemeinde. Mit diesem Geld lässt es sich sehr gut Leben.
    In Bukarest!!
    Elefanten werden plötzlich zu Mücken und das will man dann vermeinden.
    Und das der Jaguar ein Genfer Autokennzeichen hatte und das Paar nachweislich nicht in Genf wohnt, passt nicht zur stürmenden Tageszeitung. Man kann es ja dann kommentieren und richtigstellen, denkt man… Falsch gedacht….
    Nur um festzustellen, dass jeder einzelne Kommentar sorgfältig ausgesucht ist und nur jene veröffentlicht werden, welche der gemeinsamen, stürmischen Linie entsprechen um eben das Bild einer einheitlichen empörten Gesellschaft widerzuspiegeln. Aber Zensur gibt es ja nicht….Ausnahmslos alle Kommentare empören sich über den Fremden und seine fremde Frau….
    In Deutschland und Österreich ist ja alles besser. Ist es doch, oder?
    Nun, In Österreich ist jeder Fremde willkommen!
    Naja, zugegeben, nur wenn er viel bezahlt und in Deutschland auch, sofern er auch bezahlt oder für weniger Geld arbeitet. Ist so. Im Skiurlaub sieht man die Menschen aus aller Welt und fragt man sie, ob sie das Gefühl haben, dass die Österreicher Rassisten – pardon, aktive Fremdenangst Menschen sind, dann kommt es wie aus einem Mund:
    Nein, die Österreicher sind die Gastfreundlichsten Menschen überhaupt.
    Ja das stimmt, zu Gästen ist man freundlich, nicht zu Fremden.
    In der Schweiz ist man generell unfreundlich. Sowohl zu Gästen und besonders zu armen Fremden. Welches der beiden übel das bessere ist kann ich noch nicht sagen. Oder anders ausgedrückt:
    In der Schweiz spricht man offen über die aktive Fremdenangst, in Österreich und Deutschland nicht, aber dafür hatten die damals einen Führer, der hat dann wenigstens offen darüber geredet.

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