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Italien: Die Arbeitskämpfe der ErntehelferInnen Süditaliens

Die Arbeitsbedingungen der Erntehelferinnen in Süditalien sind prekär. Rassistisch motivierte Gewalttaten gegen die migrantischen ArbeiterInnen häufen sich. Nun formiert sich Widerstand dagegen.

von Lisa Brugger (BFS Basel)


Mehr Infos zu den Arbeitskämpfen in Italien gibts auch am diesjährigen Anderen Davos, unter anderem mit Mit Eliana Como, Gewerkschafterin und Aktivistin der Sinistra Anticapitalista in Italien sowie Peppe Marra, Gewerkschafter der Basisgewerkschaft USB in Kalabrien.

Spätestens seit 2010 ist europaweit bekannt, unter welchen menschenunwürdigen Umständen die migrantischen Landarbeiter*innen in Süditalien auf den Feldern Tomaten, Orangen und Mandarinen ernten. Damals kam es nach dem Mord an einem malischen Arbeiter in der kalabresischen Stadt Rosarno zu Streiks und Protesten der Erntehelfer*innen. Die in Ghettos wohnhaften Arbeiter*innen waren wiederholt Ziel rassistischer Gewalt durch Einheimische geworden und wehrten sich sowohl gegen ihre unwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen wie auch gegen die rassistischen Angriffe aus der lokalen Bevölkerung. Dass sich seither nicht viel verändert hat, zeigen die traurigen Ereignisse des vergangenen Sommers 2018: Innert 2 Tagen sterben in Apulien nahe Lesina und Foggia insgesamt 18 Landarbeiter*innen bei zwei Verkehrsunfällen, als sie von ihren Mittelsmännern, den sogenannten caporali (1), von den Feldern in die Zeltstädte zurücktransportiert werden. Nur wenige Wochen später schiesst ein Italiener in der Ebene von Gioia Tauro in Kalabrien, nahe dem grössten europäischen Ghetto und Wohnort vieler migrantischer Landarbeiter*innen San Ferdinando, auf drei Erntehelfer und tötet dabei den malischen Geflüchteten Soumaila Sacko. Diese Vorfälle zeigen, dass sich an den Arbeitsbedingungen und an den Lebensumständen der Land- arbeiter*innen wenig geändert hat.

Die rassistisch motivierte Erschiessung von Soumaila Sacko führte ähnlich wie 2010 zu Streiks und Protesten der Landarbeiter*innen. In Neapel, Potenza, Rom und anderen italienischen Städten fanden Demonstrationen in Gedenken an den ermordeten Erntearbeiter und Gewerkschaftsaktivisten statt. Die Demonstrant*innen forderten zum wiederholten Male eine Verbesserung der Arbeits- und Lebens- bedingungen sowie ein Ende der rassistischen Gewalttaten; hunderte Erntehelfer*innen in Kalabrien und im Norden Apuliens beteiligten sich ausserdem an einem Streik auf den Feldern.

Aufbau gewerkschaftlicher Strukturen

Die grosse Teilnehmerzahl an den jüngsten Protesten und die provinzübergreifenden Streiks sind nicht zuletzt den Bemühungen der letzten Jahre geschuldet, eine gewerkschaftliche Selbstorganisation der Landarbeiter*innen aufzu- bauen. Daran beteiligen sind unter anderem die Basisgewerkschaft Unione Sindicale di Base (USB) und verschiedene Kollektive. In den letzten Jahren organisieren sich immer mehr migrantische Landarbeiter*innen bei der Unione Sindicale di Base (USB), häufig handelt es sich bei den Aktivist*innen um langjährige Plantagenarbeiter*innen, die nun mit der USB regelmässige Mobilisierungen und Kampagnen in Kalabrien und Apulien organisieren. Die USB und ihr prominenter Wortführer Aboubakar Soumahoro treten kämpferisch auf und arbeitet eng mit anderen sozialen Bewegungen zusammen. Eine dieser sozialen Bewegungen ist beispielsweise das Netzwerk Campagne in Lotta. Es wurde 2011 als Reaktion auf die Proteste in Rosarno gegründet, mit dem Ziel, die Segregation der migrantischen Landarbeiter*innen zu überwinden, deren Selbstorganisation und Forderungen zu unterstützen sowie Solidaritätsaktionen zu organisieren.

Die Selbstorganisation der Erntehelfer*innen in Italien ist mehr als notwendig. Arbeiten sie heute in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen und leben in menschenunwürdigen Ghettos, so verspricht die politische Situation des Landes keine Besserung ihrer Verhältnisse in naher Zukunft – eher im Gegenteil. Der seit 2018 amtierende Innenminister Matteo Salvini versucht sich in erster Linie mit einem harten Kurs gegenüber Geflüchteten, die mit Booten über das Mittelmeer bis nach Italien gelangen, zu profilieren. So verhinderte er im Sommer 2018 erfolgreich das Anlegen von Rettungsschiffen mit mehreren hundert Geflüchteten an Bord solange, bis sich andere EU-Länder bereit erklärten, die Menschen aufzunehmen. Bislang scheint die Strategie Salvinis, sich auf das Thema der „illegalen“ Migration zu fokussieren und Geflüchtete als Pfand in einem politischen Machtkampf mit der EU zu benutzen, für die rechtspopulistische Regierung aufzugehen. Auch für die Geflüchteten und Migrant*innen im Landesinnern stehen düstere Zeiten bevor. Mit dem scharfen Ton der neuen Regierung verstärkt sich ein Klima der Gewalt und des Fremdenhasses im Land. Ein Beschluss des italienischen Städtchens Lodi steht sinnbildlich dafür: Die Bürgermeisterin der rechtsnationalistischen Partei Lega Nord hat dort mit einem bürokratischen Trick migrantische Kinder aus der Schulmensa verbannt (2) – ganz nach dem Motto: „Italiener*innen zuerst“. Innenminister Salvini gibt sich derweilen alle Mühe, die grassierende rassistische Gewalt im Land zu verharmlosen. Als Reaktion auf den Mord an Soumaila Sacko besuchte Salvini zwar das grösste italienische Slum San Ferdinando, jedoch nicht etwa um die rassistische Tat zu verurteilen und die Lebensbedingungen in San Ferdinando zu kritisieren sondern um für seinen harten Kurs gegen die (illegale) Migration zu weibeln. Denn das Ghetto San Ferdinando mit schätzungsweise 3500 Bewohner*innen eignet sich hervorragend, um die Botschaft Salvinis zu übermitteln: dass es bereits zu viele Migrant*innen in Italien gebe und die direkten Folgen davon Ghettoisierung und steigende Kriminalität seien.

Eine Herausforderung für linke Gewerkschaftspolitik

Zeltstädte wie San Ferdinando müssen selbstverständlich kritisiert werden, jedoch nicht indem man die Existenz der dort lebenden Menschen in Frage stellt, sondern indem man die Verhältnisse in Frage stellt. Eine linke Kritik muss deshalb in erster Linie von den Arbeitsbedingungen der Migrant*innen in Süditalien ausgehen. Aufgrund unsicherer oder fehlender Aufenthaltstitel, materieller Armut und familiärer Verpflichtungen sehen sich viele gezwungen, prekäre Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Hinzu kommt die Konkurrenzsituation zwischen den (häufig illegalisierten) Erntehelfer*innen aus west- und ostafrikanischen Ländern und den migrantischen Arbeitskräften aus osteuropäischen Ländern wie Rumänien und Bulgarien, die mittels Personenfreizügigkeitsabkommen für die Erntesaison nach Italien pilgern. Diese Konkurrenzsituation hält die Löhne zusätzlich tief. Als migrantische*r Erntehelfer*in in Süditalien zu schuften, heisst: Akkordlohn, Arbeitszeiten zwischen 8 und 12 Stunden am Tag unter extremen klimatischen Bedingungen, Tageslöhne zwischen 20 und 30 Euro und keinerlei vertrags- und arbeitsrechtliche Ansprüche. Gewerkschaftliche Strukturen, die es den Menschen ermöglichen, als Kollektiv Forderungen zu stellen und sich Gehör zu verschaffen, sind unerlässlich, wenn man gegen die Macht der Unternehmer*innen und der mafiösen Strukturen der Branche etwas erreichen will.

Trotz der jüngsten Bestrebungen befindet sich die gewerkschaftliche Organisation in der italienischen Landwirtschaft erst im Aufbau, denn die klassischen italienischen Gewerkschaften haben jahrelang wenig Interesse am landwirtschaftlichen Sektor gezeigt. Die vornehmlich migrantischen und teilweise illegalisierten Arbeitskräfte gelten als unorganisierbar und ein gewerkschaftliches Engagement in diesem Bereich scheint weder lukrativ noch erfolgversprechend zu sein. Die Landwirtschaft als gewerkschaftsverlassene Branche ist ein Bild, das nicht nur auf Italien zutrifft. Auch in der Schweiz arbeiten mehrheitlich migrantische Arbeitskräfte auf den Feldern und auch in der Schweiz halten sich die Gewerkschaften zumeist fern von der Branche, obwohl es eine der am wenigsten regulierten und prekärsten des Landes ist. (3) In Italien hat die fehlende gewerkschaftliche Organisation der Erntehelfer*innen historische Wurzeln: Im 20. Jahrhundert versuchten die Grossgrundbesitzer*innen die Macht der (damals sehr erfolgreichen) Gewerkschaften zu brechen, indem sie sogenannte forestieri (Fremde) anstelle der (organisierten) Einheimischen als Erntehelfer*innen einstellten. Diese akzeptierten nicht nur tiefere Löhne sondern es fehlte ihnen auch eine gewerkschaftliche Organisation um kollektive Kämpfe zu führen. Die Zusammensetzung der forestieri hat sich im Laufe der Zeit stark gewandelt. Waren es zu Beginn noch Italiener*innen anderer Landesteile, setzen sich die Erntehelfer*innen heute vornehmlich aus ost- und westafrikanischen Geflüchteten und osteuropäischen Migrant*innen zusammen. Die Problematik ist dieselbe geblieben. Die unsicheren Aufenthaltstitel und die damit einhergehende Deportability (4) der Geflüchteten, die räumliche Segregation der migrantischen Arbeiter*innen und eine hohe Fluktuation erschweren die gewerkschaftliche Organisierung der migrantischen Landarbeiter*innen, sodass sich die Vorstellung der migrantischen Arbeitskräfte als nicht-organisierbar weiterhin hält.

Selbstorganisation ist möglich!

Dass diese jedoch sehr wohl organisierbar bzw. (selbst)organisiert sind, das haben sie in Süditalien in den letzten Jahren mehrmals gezeigt. In Basisorganisationen wie der USB und kollektiven Netzwerken wie der Assamblea Lavoratori Africani di Rosarno (ALAR) stehen insbesondere viele Geflüchtete aus West- und Ostafrika zusammen für eine Verbesserung ihrer Situation ein (5). Der alle paar Jahre aufflammende Arbeitskampf der migrantischen Landarbeiter*innen Süditaliens erinnert daran, dass es heute häufig Geflüchtete und Migrant*innen sind, die in ausbeuterischen Verhältnissen arbeiten und dass deren Kämpfe viel zu oft von den übrigen Arbeitskämpfen getrennt passieren. Doch auch die Erntehelfer*innen von Rosarno und Foggia gehören zu den Lohnabhängigen, zu den Menschen, die weltweit den Angriffen der neoliberalen Politik auf ihre Arbeits- und Lebensverhältnisse ausgesetzt sind. Genauso wie die Angriffe auf unsere Arbeiter*innenrechte nicht an Landesgrenzen halt machen oder vor unterschiedlichen Nationalitäten zurückweichen (sondern sich diese zu eigen machen), genauso länderübergreifend und solidarisch muss der gewerkschaftliche Kampf geführt werden. Streik auf den Feldern, Streik in der Fabrik – das muss die Antwort sein auf eure Politik!


1 Caporalato wird das einzigartige süditalienische System aus Mittelsmännern (caporali) genannt, welche Tagelöhner*innen für die Arbeitgeber*innen effizient und günstig organisiert und „just in time“ an die Einsatzorte befördert. Die caporali verdienen mit den Tagelöhner*innen Geld, indem sie vom Lohn der Erntehelfer*innen eine Gewinnbeteiligung sowie Transport- und Wohnkosten abziehen. Das caporalato-System ist flächendeckend in mafiaähnlichen Strukturen organisiert. Das Einstellen von Personen über die caporali ist in Italien seit 2011 offiziell verboten.

2 Von Drittstaatsangehörigen wird in Lodi neu verlangt, ein Vermögensnachweis aus dem Heimatland vorzuweisen, der in die einkommensbasierte Berechnung der Mensakosten einfliessen soll. Ein solches Dokument wird in vielen Drittstaaten jedoch nicht ausgestellt. Die Familien werden in der Folge in die höchste Einkommensklasse eingestuft und der Essensbeitrag erhöhen sich somit pro Kind um mehr als das Doppelte. Viele Familien können sich so den Zugang zur Mensa, zum Schulbus und zu den Kinderkrippen nicht mehr leisten. Davon betroffen sind aktuell über 300 Kinder.

3 Eine Ausnahme bildet dabei teilweise die Romandie, wo Gewerkschaften wie_L‘autre syndicat sich auch für die Rechte illegalisierter Landarbeiter*innen einsetzen.

4 Der Begriff Deportability beschreibt eine Situation, in der Migrant*innen in ständiger Angst leben, ausgeschafft zu werden. Diese permanente Unsicherheit kann als eine Technik der Disziplinierung von migrantischen Arbeitskräften zu effizienten und gefügigen Arbeiter*innen verstanden werden.

5 Migrantische Arbeitskräfte aus EU-Ländern ziehen es häufig vor, ihre Mobilität als Mittel zum Widerstand gegen schlechte Arbeitsbedingungen zu nutzen und treten gegebenenfalls die Flucht nach vorn an, anstatt sich auf Konfrontationen einzulassen. Diese Möglichkeit bleibt den geflüchteten Menschen verwehrt.

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