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Der Kita-Markt in der Schweiz

Die Schweizer Bourgeoisie hat ein Interesse am Ausbau von Kindertagesstätten (Kitas), um die Erwerbsarbeit von Frauen zu steigern und mehr Gewinne zu erzielen. Der Staat unterstützt dieses Vorhaben finanziell, entzieht sich aber grösstenteils der Verantwortung und überlässt die Organisation des Kinderbetreuungswesens privaten Anbietern. Diese erwirtschaften Profite mit der Betreuung von Kleinkindern, können aber nur aufgrund staatlicher Subventionen, kaum bezahlbaren Elternbeiträgen und prekarisierten Angestellten auf dem Markt bestehen.

von Elyas Berg (BFS Zürich)

Schweizer Kleinkinderbetreuung im internationalen Vergleich

In einer Studie des center for economic and policy research (cepr) von 2009 über die Dauer von Elternurlaub bzw. deren finanziellen Leistungen in 21 Ländern schliesst die Schweiz am schlechtesten ab (siehe Abbildung 1). Ausschliesslich die Mutter hat Anrecht auf 14 Wochen Mutterschaftsurlaub, von welchen umgerechnet nur 11 Wochen bezahlt werden (80% des Lohnes werden während 14 Wochen ausbezahlt). Ein gesetzlicher Vaterschaftsurlaub existiert nicht.

Dass stattdessen die familienergänzende Kinderbetreuung besonders ausgebaut wäre, stellt sich leider als Illusion heraus. Ähnlich schlecht kommt die Schweiz nämlich in einem Bericht der OECD von 2009 über den prozentualen Anteil am BIP für öffentlichen Ausgaben für die Kinderbetreuung im Frühbereich weg. Die Schweiz investiert mit ca. 0.2% am wenigsten aller verglichenen Länder (siehe Abbildung 2).


Abbildung 1: Gesamtelternurlaub und Anteil bezahlter Zeit in Wochen (für Zwei-Eltern-Familien).
Abb. 2: Öffentliche Ausgaben für Kindebetreuung und Bildung im Frühbereich (in Prozent des BIP).

Nichtsdestotrotz startete der Bund 2003 ein Impulsprogramm, bei welchem Kantonen und Gemeinden Finanzhilfen für den Ausbau von Betreuungsplätzen in Kindertagesstätten (Kitas) und schulergänzenden Betreuungseinrichtungen gewährt werden. Bis 2018 wurden im Rahmen dessen schweizweit 370 Millionen Franken für die Schaffung von knapp 60’000 Kitaplätzen investiert. Zusätzlich wurden 2018 nochmals 100 Millionen Franken gesprochen, um Kantone und Gemeinden zu unterstützen, welche die Subventionierung von familienergänzenden Betreuung auszubauen. Ziel davon sei es, die Elternbeiträge für Kitaplätze zu senken.

Die Wirtschaftsverbände wollen mehr Kitaplätze

Wirtschaftsverbände, wie beispielsweise die Economiesuisse unterstützen dieses Vorhaben des Bundesrates. Es sei richtig die «negativen Erwerbsanreize» für Frauen zu minimieren, auch wenn sie das Subventionsmodell kritisieren und einen individuellen Steuerabzug für Eltern vorschlagen. Der Schweizerische Arbeitgeberverband argumentiert ähnlich.

Die Gründe für die Ausbaupläne im Kitawesen, mit gleichzeitiger Ablehnung eines Elternurlaubs, von Seiten der Schweizer Bourgeoisie sind allerdings durchschaubar. Seit Jahren hat diese damit zu kämpfen, dass die Arbeitsproduktivität hierzulande kaum mehr gesteigert werden kann. Den Unternehmen bleibt zur Profiterhöhung neben Lohnsenkungen also nichts anderes übrig, als eine Erhöhung der Erwerbstätigkeit. Neben der Einbindung ausländischer Lohnabhängiger (Verteidigung des Personenfreizügigkeit im Rahmenabkommen mit der EU), der Erhöhung der Arbeitszeit oder der Erhöhung des Rentenalters kann dies durch die Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen erreicht werden. Denn nur 12% der Mütter kleiner Kinder gehen in der Schweiz einer Vollzeit-Erwerbsarbeit nach, während der Anteil bei Vätern bei 81.5% liegt.

Grosse Unterschiede zwischen Kantonen und Gemeinden

Trotz Finanzhilfe vom Bund bleibt die Gestaltung und Finanzierung des Kitawesens in der Schweiz Sache der Gemeinden. Eine Studie der Infras (ein Forschungs- und Beratungsunternehmen) zeigt die enormen Unterschiede auf Kanton- und Gemeindeebene (siehe Abbildung 3). Während einige Kantone einen Versorgungsgrad von 20% bis 60% aller Kleinkinder erreichen, kommen die meisten nicht über 15% hinaus. In mehr als der Hälfte aller Schweizer Gemeinden existieren noch immer überhaupt keine Kitaplätze. Und 75% der Kinder unter drei Jahren haben gar keinen Zugang zu einem Kitaplatz.

Abb. 3: Anzahl Betreuungsplätze pro 100 Kinder im Frühbereich.

Das Kitawesen ist in privater Hand

Trotz der immensen Unterschiede zwischen den Kantonen und Gemeinden, kann zumindest in den grösseren Städten eine Zunahme von Kitaplätzen festgestellt werden. Ein Beispiel dafür ist die Stadt Zürich, wo von 2008 bis 2017 eine Steigerung der Kitaplätze von knapp 6’000 auf über 10’000 stattgefunden hat (siehe Abbildung 4). Nur ein kleiner Teil dieser sind jedoch in öffentlicher Hand. Der grösste Teil der Kitas in der Stadt Zürich, wie auch in der ganzen Schweiz, sind privat organisierte kleine und sehr kleine Trägerschaften. Immer öfters werden aber Zusammenschlüsse und grössere Player gegründet, wie beispielsweise die marktführende und als GmbH organisierte Kitakette pop e poppa. Auf ihrer Website schreiben diese offen, dass ihr Ziel sei, «neue Betreuungseinrichtungen zu eröffnen (Kitas, schulergänzende Betreuung etc.) oder bereits existierende Einrichtungen zu übernehmen». Der Mitgründer von pop e poppa Frédéric Chave, ein ehemaliger Wirtschaftsstudent, sagt in einem Interview mit einem Wirtschaftsmagazin, dass Kitas heute wie ein KMU geführt würden. Dass eine solche unternehmerische Herangehensweise im Bereich der ausserfamiliären Kinderbetreuung, sowohl für die Kinder, die Eltern, wie auch für die Angestellten nichts Gutes bedeuten kann liegt auf der Hand.

Abb. 4: Entwicklung der Kita-Plätze in der Stadt Zürich 2008 bis 2017.
Abb. 5: Aufteilung der Kosten der familienergänzenden Kinderbetreuung in der Stadt Zürich (2017).

Finanzierung von Kitaplätzen

Diese privaten Kitaanbieter können aber trotz staatlicher Subventionen und prekären Arbeitsbedingungen nur auf dem Markt bestehen, weil die Eltern den grössten Teil der Kosten selbst tragen. In der Stadt Zürich werden zwei Drittel der Kosten für familienergänzende Kinderbetreuung (also über 177 Millionen Franken) durch die Elternbeiträge gedeckt (siehe Abbildung 5).

Im internationalen Vergleich sind die Fremdbetreuungskosten für Eltern in der Schweiz so hoch wie in keinem anderen OECD-Land. Die Kosten für eine Vollzeitbetreuung zweier Kleinkinder in einer Kita entspricht in der Schweiz fast 70% des Durchschnittseinkommens (siehe Abbildung 6).

Abb. 6: Kosten für zwei Kinder (2 und 3 Jahre), die eine Vollzeitbetreuung in einer typischen Kita besuchen, in % des Durchschnittsverdienstes, 2015.

Profite auf Kosten der Eltern und Angestellten

Die Kosten für ausserfamiliäre Kinderbetreuung im Frühbereich ist für viele Eltern also ein kaum tragbarer Kostenfaktor. Auf der anderen Seite sind die Löhne der in den Kitas arbeitenden Betreuer*innen skandalös tief. Eine ausgelernte Fachperson Betreuung (FaBe) in einer privaten Kita in der Stadt Zürich verdient bei einem Vollzeitpensum brutto durchschnittlich 4’784 Franken monatlich. Ihr Einkommen ist demnach deutlich tiefer als des Stadtzürcher Medianlohns von 7’740 Franken monatlich. In anderen Gemeinden wird der Lohn noch einiges geringer ausfallen. Zudem muss erwähnt werden, dass die meisten Betreuer*innen nicht zu einem Vollzeitpensum angestellt werden und mit einem entsprechend tieferen Reallohn auskommen müssen.

Viele Mitarbeitende in Kitas sind allerdings nicht einmal in einem Normalarbeitsverhältnis angestellt. Über die Hälfte der Angestellten in Stadtzürcher Kitas beispielsweise sind Hilfskräfte, Praktikant*innen und Lernende, zu einem grossen Teil bestehend aus Jugendlichen und jungen erwachsenen Frauen. Sie arbeiten für einen nicht existenzsichernden Lohn und ohne langfristige Sicherung ihres Arbeitsplatzes.

Für eine öffentlich finanziertes Kinderbetreuungswesen

Um dieser Problematik gerecht zu werden, greift die Forderungen nach höheren Subventionen oder der Verlängerung des Impulsprogramms des Bundes zu kurz. Vielmehr muss ein öffentlich organisiertes und finanziertes Kinderbetreuungsangebot geschaffen werden. Die Kosten dürfen nicht zu Lasten der arbeitenden Eltern ausfallen.

Weiter müssen die Arbeitsbedingungen und Löhne der Betreuer*innen erhöht und in einem GAV verbindlich festgehalten werden. Damit einhergehend ist die Abschaffung des Praktikant*innenstatus, ohne welchen Kitas heute gar nicht überleben könnten, längst überfällig. Und nicht zuletzt braucht es eine höhere gesellschaftliche Anerkennung der grösstenteils von Frauen ausgeführten ausser- und innerfamiliären Betreuungstätigkeit bzw. Care Arbeit, welche ein wesentliches Standbein der Gesellschaft darstellt.

Der schweizweite Frauen*streik vom 14. Juni 2019 wird ein nächster grosser Mobilisierungsmoment darstellen, um diesen Forderungen Ausdruck zu verleihen. Die Trotzphase, eine Gruppe von Kinderbetreuer*innen, welche sich gegen die prekären Bedingungen und für bessere Arbeitsverhältnisse im Kitawesen einsetzt, wird sich an diesem beteiligen und die genannten Missstände und Forderungen sichtbar machen.


Im neusten Bericht der OECD von 2013 ist die Schweiz nicht erfasst, weil die Datenlage hierzulande zu unübersichtlich ist.


Am Anderen Davos 2019 organisierte die Bewegung für den Sozialismus gemeinsam mit der Trotzphase einen Workshop. Der Workshop lässt sich hier nachhören.

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2 Kommentare

  1. Pingback:Am Rande vermerkt: Kitas am Limit und das sozialdemokratische Elend ‹ BFS: Sozialismus neu denken – Kapitalismus überwinden!

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