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Corona-Krise: Was nun?

Jetzt sind sie also da, diese Lockerungsmassnahmen. Und mit diesen die Corona-Skeptiker*innen, Neuen Rechten und Verschwörungstheoretiker*innen – in einer Front mit den Unternehmer*innen, die wieder zurück an die Futtertröge der Ausbeutung wollen. Doch wie sollen wir dazu stehen?

von Sarah Friedli (BFS Jugend Zürich)

Es ist erfreulich, dass die Reproduktionszahl der Ansteckungen so weit gesunken ist, dass Lockerungen durchgeführt werden können. Doch diese Massnahmen waren notwendig, weil die Pandemie zu einer solchen wurde. Denn vorher haben die Behörden weltweit die Vorbereitungen vernachlässigt, die Pharmaindustrie hat sich nicht um Impfstoffe gekümmert und das Gesundheitswesen wurde mit Sparmassnahmen nur mehr auf Profit getrimmt. Ist es also wirklich in unserem Sinne, einfach wieder zum «buissnes as usual» zurückzukehren? Es ist eine verzwickte Lage, denn klar: Der Shutdown gewisser Bereiche führte zu Arbeitslosigkeit. Die Aufforderung, Zuhause zu bleiben, führte zu Vereinzelung, vermehrter häuslicher Gewalt und Abhängigkeit. Die Schulschliessungen führten zur Verfestigung sozialer Bildungsunterschiede und Mehrfachbelastung für Eltern. Wir sind alle froh, wenn wir bald wieder raus dürfen, keine Lohnkürzungen mehr einstecken müssen und die Kinder wieder zur Schule können. Doch haben wir aus dieser ersten Phase der Krise nicht mehr gelernt? Müssen wir uns nicht auf weitere Krisen gefasst machen? Ich behaupte, dass ist sogar genau das, was wir jetzt tun müssen. 

Wir sind alle froh, wenn der Virus eingedämmt werden kann. Ob das passieren wird, ist noch nicht absehbar. In der Schweiz scheinen wir zumindest an einem Punkt zu sein, wo die Ansteckungszahlen wieder relativ niedrig sind. Aber die letzten Monate haben uns mehr gelehrt, als dass wir alle einfach gerne wieder unsere Freund*innen und Familien treffen würden. Und es ist Zeit sich über diese Lehren Gedanken zu machen und Schlüsse zu ziehen. Im Folgenden einige Punkte, welche dabei wichtig sind. 

  1. Der Shutdown hat uns vor Augen geführt, dass es Tätigkeiten gibt, die wichtiger sind als andere, damit wir (über)leben und damit es uns gut geht. Die ganzen Tätigkeiten rund um die Gesundheit, um die Betreuung und Pflege, um die Nahrungsmittelversorgung und um die Verteilung sind notwendig. Wir kommen auf der anderen Seite aber ganz gut aus ohne Lebensmittelspekulant*innen, Börsenhändler*innen, Polizist*innen, ohne die Erfindung eines weiteren teuren Gadgets zur Sprachsteuerung der Vorhänge im trauten Heim und auch ohne Flugzeuge.
    Das heisst: Wir müssen als Gesellschaft gemeinsam darüber diskutieren, welche Tätigkeiten sinnvoll sind und welche nicht und dann schauen, dass wir in den notwendigen Bereichen genug Personal und gute Arbeitsbedingungen haben![1]
  2. Die Bestrebungen der Politik, genug Gesundheitsmaterial wie Beatmungsgeräte möglichst schnell herzustellen, hat gezeigt: Veränderungen sind machbar, wenn ein politischer Wille da ist. Es ist machbar, in Autofabriken Beatmungsgeräte und Masken herzustellen. Es ist möglich, Flughafenpersonal so umzuschulen, dass sie dem Gesundheitspersonal unter die Arme greifen können.
    Das heisst, es ist auch möglich, umweltschädliche und unnötige Bereiche abzuschaffen oder umzugestalten. Und das alles ohne, dass dabei Tausende von Menschen in die Arbeitslosigkeit stürzen.[2]
  3. Flugzeuge stehen am Boden, Tourist*innenströme sind versiegt. In gewissen Ländern steht oder stand sogar die Industrie still. Dies zeigt, was nötig und machbar ist, um dem Ziel von Netto-Null-Emission näher zu kommen. Wenn wir den Umbau der von der Gesellschaft als unnötig erkannten Bereichen unter ökologischem Aspekt anschauen, dann wäre es klar möglich, die Automobilfabriken, Kohleminen und den Flugverkehr lahmzulegen und die Infrastrukturen und das Know-How für einen ökosozialistischen Umbau zu nutzen. [3]
  4. Die gesundheitliche Krise und die damit verbundenen Massnahmen zeigen uns ebenfalls, wer in einem auf Ungleichheit und Ausbeutung bestehenden System für Krisen bezahlt. In der Schweiz hatten viele Unternehmen die Möglichkeit, Kurzarbeit zu beantragen. Das ist vorerst gut, denn dies sichert vielen Menschen ihren Lohn weiterhin. Wenn wir uns aber anschauen, woher dieses Geld kommt, zeigt sich, wer für die Krise bezahlt. Es wird Lohnabhängigen ständig weisgemacht, dass die Kurzarbeit goodwill vom Staat sowie der Unternehmen sei. Doch die Kurzarbeit wird aus der Arbeitslosenkasse bezahlt und somit mit einem Teil unserer Löhne (Stichwort: Soziallohn[4]). Wir bezahlen mit unseren Löhnen die Arbeitslosenkasse und diese bezahlt jetzt die Unternehmen, damit die Angestellten Kurzarbeitsentschädigung ausbezahlt bekommen. Wenn sich Unternehmen dann erdreisten, dennoch Arbeit bei ihren Angestellten einzufordern oder Dividenden auszuschütten, ist das purer Hohn und gehört verboten.
    Das heisst also: Wir bezahlen die Krise. Wir bezahlen die Krise, wenn wir mit Teilen unserer früheren Löhne jetzt unsere Arbeitslosigkeit finanzieren. Wir bezahlen die Krise, wenn Unternehmen Ferien oder freie Tage streichen, weil wir während dieser Zeit nicht so viel arbeiten konnten (passierte bspw. in Kitas). Wir bezahlen die Krise, weil wir in Bereichen wie dem Gesundheitswesen bisher unter immer schlechteren Arbeitsbedingungen und miserablen Löhnen arbeiten mussten, damit die Profite nicht sinken und wir jetzt vor einem kaputtgesparten Gesundheitswesen stehen. 
  5. Das Virus ist nicht die einzige Krise. Zum einen wurde das Gesundheitswesen jahrzehntelang kaputtgespart[5], damit die Profite stabil bleiben oder steigen. Die direkte Konsequenz davon ist, dass Menschen sterben müssen, weil nicht genügend Personal und Material vorhanden ist und das Personal an Erschöpfung oder Krankheiten leiden. Das Virus kommt aber auch nicht von ungefähr. Die Tatsache, dass dieses neuartige Virus, wie auch schon andere Viren in den letzten 20 Jahren, überhaupt auf den Menschen übertragen werden konnte, hat viel mit unserer unökologischen und zerstörerischen Agrar- und Rohstoffindustrie zu tun.[6]
    Es gibt Personen und Konzerne, Holdings, Kartelle, die von eben diesen Entwicklungen massiv profitier(t)en. Sie profitier(t)en von der Massentierhaltung, der Zerstörung der Natur und vom Auspressen des Gesundheitswesens. Es gibt auch Menschen, die gerade jetzt, unmittelbar von der Krise profitieren. So sehen beispielsweise Investmentbanker*innen bei Goldman Sachs diese Krise als Chance, das «Risikoniveau innerhalb eines Portfolios schrittweise zu erhöhen.»[7]
    Es muss uns klar werden: Bezahlen müssen diejenigen, die jahrelang Profite eingestrichen haben mit klimaschädlichen Investitionen und dem Kaputtsparen unseres Sozialwesens[8]
  6. Die Grenzen wurden geschlossen, die Fluchtrouten dichtgemacht, die Asyllager sind überfüllt. Die Schliessung der Grenzen wurden mit der Begründung gerechtfertigt: «Wir sind alle gleich und es gelten für alle die gleichen Regeln. Da wird auch für Gruppen wie Migrant*innen keine Ausnahme gemacht.» (Bundesrätin Karin Keller-Sutter frei zitiert durch die Autorin). Doch es zeigt sich: vor dem Corona-Virus sind eben nicht alle gleich. Wir leben in einer Welt, die soziale Ungleichheiten hervorbringt und manifestiert. Die Linien gehen entlang von Klasse, Geschlecht sowie angenommener Herkunft und Hautfarben. Während in der Schweiz alles in kürzester Zeit umgebaut und organisiert wird, sodass möglichst viele Menschen medizinisch versorgt werden können, wurden zu Beginn der Verbreitung in Italien sofort die Grenzen geschlossen. Die überfüllten Lager an den EU-Aussengrenzen sind allen egal. Wir leben in einer Welt, in der alle vor Augen geführt bekommen, dass einige Leben weniger Wert sind als andere. Und wir schauen gleichgültig weg.[9] 
    Wir müssen für eine Welt einstehen, wo alle Menschenleben als wertvoll betrachtet werden, egal welches Geschlecht, welche Hautfarbe oder welche angenommene Herkunft sie haben und egal, ob sie jung, alt, gesund oder vorerkrankt sind![10]

[1] https://sozialismus.ch/artikel/2020/feminismus-wir-muessen-uns-fuer-die-krise-wappnen-die-danach-kommt/

[2] https://sozialismus.ch/artikel/2020/oekologie-die-doppelte-krise-eine-konversionsstrategie/

[3] https://sozialismus.ch/artikel/2020/oekologie-fuer-einen-umbau-der-flugindustrie/

[4] https://sozialismus.ch/artikel/2016/feminismus-gegen-sparmassnahmen-kaempfen-frauen-entlasten-soziallohn-verteidigen/

[5] https://sozialismus.ch/artikel/schweiz/2016/schweiz-die-auswirkungen-der-sparpolitik-auf-die-angestellten-und-patientinnen/

[6] https://sozialismus.ch/artikel/2020/corona-virus-die-gesundheitskrise-ist-auch-eine-krise-der-agrarindustrie/
Oder: https://sozialismus.ch/artikel/2020/corona-krise-die-agrarindustrie-wuerde-millionen-tote-riskieren/

[7] https://www.goldmansachs.com/insights/pages/from-room-to-grow-to-room-to-fall.html

[8] https://sozialismus.ch/arv/2020/am-rande-vermerkt-wer-soll-das-bezahlen/

[9] https://www.woz.ch/2013/fluechtlingspolitik/vergessen-im-grossen-wir?fbclid=IwAR0CDs82QsY4v0-O6NFVxQ2DnGobJ5pI0czWb1XgIlZjgmam-2XN94CSFQ0

[10] https://sozialismus.ch/arv/2020/am-rande-vermerkt-die-asylverfahren-muessen-ausgesetzt-werden/
Oder: https://sozialismus.ch/arv/2020/am-rande-vermerkt-vor-dem-corona-virus-sind-alle-gleich-oder-eben-nicht/

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