Menu Schließen

Schweiz: Entlassung von Gesundheitspersonal in Zeiten von Corona – läuft in Zürich

Am Spital Affoltern werden elf Hebammen entlassen. Am 5. März 2020 informierten die Betroffenen ihre Kolleg*innen, dass sie die Kündigung nicht einfach so hinnehmen wollen. Das Spital beharrt auf den schon im Januar beschlossenen Entlassungen und argumentiert, dass es für die Hebammen keine Arbeit mehr gäbe. Dass ein Schweizer Spital just in der Zeit Leute entlässt, in der aufgrund des Coronavirus eine der grössten Herausforderungen für das Gesundheitswesen seit Jahrzehnten auf uns zukommt, ist nicht nur komplett verantwortungslos. Es beweist auch, dass die (Gesundheits-)Politiker*innen und Spitalleitungen offensichtlich unfähig sind, die kommende gesellschaftliche Krise zu bewältigen. All unsere Solidarität gilt den elf entlassenen Hebammen.

von Philipp Gebhardt (BFS Zürich)

«Effizienz» versus Bedürfnisse

Seit Jahren erleben wir, wie die neoliberale Gesundheitspolitik darauf abzielt, «nicht rentable» Spitäler zu schliessen oder zu privatisieren. Die Schliessungspläne betrafen auch das Spital Affoltern. Im Mai 2019 stimmten in einer Referendumsabstimmung jedoch 74% der Stimmberechtigten – entgegen der Empfehlung der Mehrheit der Gemeinderäte in den umliegenden Gemeinden – für den Erhalt des Spitals. Trotz des Abstimmungserfolges war jedoch klar, dass die kantonale Gesundheitsdirektion und die bürgerlichen Gesundheitspolitiker*innen das Resultat nicht auf sich sitzen lassen werden. Die neoliberale Sparpolitik, das damit verbundene Primat der «Rentabilität» von öffentlichen Institutionen und die Spitalleitung kamen ihnen da entgegen. Schon im Oktober 2019 kündigte die Spitalleitung an, den Leistungsauftrag «Geburtshilfe» ab Januar 2020 abzugeben, weil zu wenig Kinder im Spital auf die Welt kämen (im neoliberalen Fachjargon hiess das: «die erfolderlichen Fallzahlen wurden nicht erreicht»). Der Schritt sei unumgänglich, «um insgesamt die betriebswirtschaftliche Effizienz zu erreichen», liess die Spitalleitung verlauten.

Die Entlassenen sammeln vor dem Spital Unterschriften für einen besseren Sozialplan (Bild Affolteranzeiger)

Entlassungen und einen miesen Sozialplan

Die Idee, statt der Gebärabteilung ein stationäres Geburtshaus einzurichten, wurde zwar am 1. Januar 2020 umgesetzt und dafür sogar noch drei Hebammen eingestellt. Nur drei Tage später beschloss die Spitalleitung allerdings, das Projekt wieder abzubrechen. Unterstützt wurden sie dabei von der kantonalen Gesundheitsdirektion. Ende Januar 2020 wurde dann allen elf Hebammen die Kündigung in Aussicht gestellt. Im März werden die Entlassungen dann defintiv ausgesprochen, bestätigte der Spitaldirektor Michael Buik. Die Entlassenen sollen nun mit einem schlechten Sozialplan abgespiesen werden.

Der VPOD schreibt dazu: «Die Hebammen wehren sich gegen das unfaire Vorgehen der Spitalleitung und fordern zumindest einen guten Sozialplan für alle. Insbesondere fordern sie den Einbezug auch derjenigen, die bereits während der Probezeit die Kündigung erhielten [das betrifft die drei im Dezember 2019 neu eingestellten Hebammen]. Ältere sowie langjährige Mitarbeiterinnen sollen eine Abgangsentschädigung von mindestens 4 Monatslöhnen erhalten. Das Hebammenteam des Spitals Affoltern hat sich bereits mehrfach mit der Spitalleitung getroffen. Eine Einigung bezüglich eines fairen Sozialplans für alle ist bisher leider nicht in Sicht.»

Bankrott der bürgerlichen Gesundheitspolitik

Angesichts der (drohenden) Gesundheitskrise in Folge der Corona-Epidemie ist das Argument, dass die Hebammen nicht mehr gebraucht werden, nicht nur falsch, sondern vor allem verantwortungslos. In einem dramatischen Bericht über die Zustände in einem Spital in Bergamo in der Lombardei meint der Arzt Dr. Daniele Macchini: «Es gibt keine Chirurgen, Urologen und Orthopäden mehr, wir sind nur noch Ärzte, die plötzlich Teil eines einzigen Teams werden, um diesem Tsunami, der uns überwältigt hat, zu begegnen.»

In Italien zeigt die jahrzehntelange neoliberale Austeritätspolitik ihr menschenverachtendes Ausmass. Die Berichte aus den Krankenhäusern in der Lombardei zeugen von der katastrophalen Situation (Personal- und Medikamentenmangel, Kapazitäts- und Ausstattungsgrenzen etc.). Es können nicht mal mehr alle infizierten Menschen behandelt werden. Die Ärzt*innen müssen entscheiden, wen sie noch behandeln.

Der Arzt Macchini beschreibt in rührenden Worten den enormen solidarischen Einsatz, den das Gesundheitspersonal trotz Erschöpfung und persönlichen Gefahren zeigt: «Das Personal ist erschöpft. Ich sehe Müdigkeit in Gesichtern […]. Ich habe gesehen, dass Menschen sogar noch länger als früher blieben, um noch mehr Überstunden zu machen, als sie es bereits gewohnt waren. Ich sah eine Solidarität von uns allen. […]. Ärzte, die Betten verlegen und Patienten verlegen, die Therapien verabreichen, statt Krankenschwestern. Krankenschwestern mit Tränen in den Augen, weil wir nicht alle retten können […].»

Die Schweiz muss sich darauf einstellen, dass das Gesundheitssystem auch hierzulande bald massiv herausgefordert und möglicherweise an den Anschlag kommen wird. Denn der Ausbreitungsverlauf des Virus in der Schweiz gleicht dem von Italien – nur zeitverzögert um 9-14 Tage. Mittlerweile haben es die Schweizer Behörden allerdings aufgegeben, die Menschen systematisch auf Corona zu testen und die flächendeckenden Kontrollen eingestellt, obwohl diese erwiesenermassen die Ausbreitung hindern. In dieser Situation nun auch noch Gesundheitspersonal zu entlassen, beweist den politischen und moralischen Bankrott der bürgerlichen und sozialdemokratischen Gesundheitspolitik.

Der VPOD hat zusammen mit den Entlassenen eine Petition für einen «guten Sozialplan» aufgegleist, die bis zum 19. März 2020 unterschrieben werden kann. Auch wenn die sofortige Wiedereinstellung das eigentlich gesellschaftlich Notwendige wäre, ist die Petition unterstützenswert. Unsere Solidarität gilt den elf entlassenen Arbeiter*innen.

Verwandte Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert