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Pandemiepolitik in der Schweiz: Nichts gelernt und alles wieder vergessen

Der Schweizer Bundesrat hat gestern am 14. April 2021 zur Verwunderung Aller weitgehende Lockerungen des partiellen Lockdowns beschlossen, obwohl vier von fünf Bedingungen, die er selbst für Öffnungen aufgestellt hat, nicht erfüllt sind. Der aggressive Druck, den die Wirtschaftsverbände in den letzten Tagen entfaltet haben, zeigt also seine Wirkungen. Während alle Nachbarländer in den letzten Wochen erneute Verschärfungen erlassen haben, glaubt die Schweiz einmal mehr, dass Naturgesetze zwischen Lac Léman und Bodensee nicht gelten. Das ist haarsträubend.

Die Argumentation der Regierung ist demnach dürftig und beschränkt sich entgegen allen Warnungen darauf, «es mal zu versuchen». Dass im Anschluss daran Bundesrat Alain Berset sich und die Regierung gleich noch aus der Verantwortung nahm, ist skandalös. «Wenn er heutige Schritt als Signal interpretiert wird, alles locker anzugehen, dann gibt es eine Katastrophe», meinte er scheinheilig.

Geringere Hospitalisierung- und Todesraten sind aber kein Argument für Öffnungen, weil in der Dritten Welle vor allem jüngere Menschen von Ansteckungen betroffen sind. Überhaupt sind Vergleiche zur ersten und zweiten Welle nicht sinnvoll, weil sich das Virus aufgrund der Mutationen schneller verbreitet und im schlimmsten Fall die Wirkungen der Impfungen unterläuft. Der Bundesrat betont, dass immerhin schon viele der über 65-Jährigen geimpft seien. Wie aber Wissenschaftler:innen der deutschen Max-Planck-Gesellschaft Ende März in einer Studie nachgewiesen haben, wirken steigende Ansteckungen durch verfrühte Öffnungen wie Trainingslager für Viren, solange erst ein kleiner Teil der Bevölkerung geimpft ist. Darüber hinaus wird in zahlreichen Studien eindringlich vor den Langzeitfolgen von LongCovid gewarnt. Alle diese banalen und seit Monaten bekannten Tatsachen werden ignoriert.

Dass es nun zu weitgehenden Lockerungen kommt, liegt nicht nur am aggressiven Druck der Wirtschaftsverbände und der Unvernunft der politischen Verantwortlichen. Auch die SP unterstützt die Öffnungen ohne Wenn und Aber. Diese gebe «eine Perspektive», hiess es vonseiten der Sozialdemokratie.

Ausserdem zeigt sich, dass die bisherigen Massnahmen zu wenig taugten, um die Pandemie tatsächlich einzudämmen. Ansonsten wäre der öffentliche Druck – so hoffen wir doch – grösser, sie beizubehalten. Eine wirkungsvolle Eindämmung würde in erster Linie radikale Einschränkungen am Arbeitsplatz, und nicht nur im Privatleben, bedingen. ZeroCovid, das durch einen solidarischen Shutdown und eine dreiwöchige bezahlte Pause der Wirtschaft erreicht werden kann, ist und bleibt das einzig vernünftige Ziel.

von Philipp Gebhardt (BFS Zürich)

[Am Rande vermerkt] ist eine Serie von Kurzartikeln. Wir wollen damit tagesaktuelles Geschehen kommentieren, einordnen, auf Veränderungen aufmerksam machen. Eine konsequente linke, antikapitalistische Politik zeichnet sich unseres Erachtens nicht nur dadurch aus, die grossen Analysen abzuliefern. Vielmehr gehört es für uns dazu, auch kleinere, unscheinbare Entwicklungen, skandalöse Aussagen und Auffälliges einordnen zu können.

Die kurze Form, der eher flüchtige Charakter und die zeitliche Nähe, die allesamt diese Artikelserie ausmachen, führen dazu, dass die hier geäusserten Einschätzungen vorübergehend sein können und nicht zwangsläufig mit den Ansichten unserer Organisation übereinstimmen müssen. Die Autor:innen und die verwendeten Quellen sind deshalb jeweils gekennzeichnet. Textvorschläge sind jederzeit herzlich willkommen.

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1 Kommentar

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