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Sahra Wagenknecht und die vermeintliche Intoleranz innerhalb der Linken

Sahra Wagenknecht hat mit der NZZ über eine grassierende Intoleranz innerhalb der Linken gesprochen. Feministische, antirassistische und ökologische Kämpfe sieht sie als Hauptursache für eine vom Proletariat entfremdete und autoritär auftretende Linke. Statt ein Zusammendenken solcher Kämpfe mit traditioneller Gewerkschafts- und Arbeiter:innenpolitik anzustreben, bezieht sie sich lieber auf eine rechtspopulistische Rhetorik und zeichnet ein weisses und männlich geprägtes Bild der Arbeiter:innenklasse.

von Nicola Bueb (BFS Jugend Zürich)

Vor einigen Tagen veröffentlichte die NZZ im Rahmen des Formats «Standpunkte» ein knapp einstündiges Gespräch mit Sahra Wagenknecht zum Motto «Identitätspolitik und Cancel Culture – wie selbstgerecht sind die Linken?». Das Video hat auf Youtube in kurzer Zeit bereits hunderttausende Aufrufe und eine mehrheitlich positive Resonanz erhalten. 

Sahra Wagenknecht ist Abgeordnete im Deutschen Bundestag für «die Linke» und eines der bekanntesten Gesichter der Partei. Ihre Beliebtheit, vor allem auch bei Konservativen bis Rechten, fusst mitunter darauf, dass sie linke Bewegungen frontal angreift und als intolerant, elitär und arbeiter:innenfeindlich diffamiert. In die gleiche Kerbe schlägt sie auch im Gespräch mit der NZZ.

Kerninhalt des Interviews ist eine Debatte über eine vermeintliche Intoleranz innerhalb der Linken. Sahra Wagenknecht argumentiert, dass sich grosse Teile der Linken durch ihre praktische und theoretische Auseinandersetzung mit Antirassismus, Feminismus und Ökologie von ihrer proletarischen Basis entfremdet hätten.

Damit bringt sie einmal mehr zum Ausdruck, wer aus ihrer Sicht Teil des Proletariats ist und wer aussen vorgelassen werden kann. Denn wer behauptet, dass antirassistische und feministische Kämpfe losgelöst vom Proletariat seien, schliesst bestimmte Teile der Arbeiter:innenklasse bewusst aus und zeichnet ein weisses und männliches Bild eben dieser. Sarah Wagenknechts Traum eines sozialeren Deutschlands, welches Aufstiegschancen für alle bietet, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als einzige Farce. Denn in ihrem Verständnis einer Gesamtgesellschaft sind Frauen und migrantische Personen und ihre Anliegen offensichtlich nicht mitgemeint.

Der «echte» Rassismus kommt von Rechtsaussen

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sie sich anmasst von einem «echten» Rassismus, der hauptsächlich von Rechtsextremen ausgeht, zu sprechen. 

Dieses Hinunterbrechen von Rassismus auf eine Gefahr von Rechtsaussen, welche konträr zu einer antirassistischen Mehrheitsgesellschaft steht, verhindert nicht nur eine Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus, sondern negiert in letzter Konsequenz sogar dessen Existenz. Dies führt dazu, dass Sahra Wagenknecht eine Konfrontation weisser Personen mit den strukturell bedingten Privilegien, aber auch mit der eigenen rassistischen Sozialisierung und dem daraus resultierenden rassistischen Sprachgebrauch als obsolet betrachtet. Mehr noch: Sie hält sie für eine Verzerrung des Rassismusbegriffs. Dies verärgere (weisse) Arbeiter:innen nur und sei Ausdruck einer intolerant und autoritär auftretenden Linken, welche allen anderen ihre Meinung aufdrücken wolle. Stattdessen sollen Linke mehr Verständnis für Arbeiter:innen aufbringen, welche sich gegen eine übermässige Einwanderung wehren. Wenn dies nicht passiert, sei ein Abdriften der Arbeiter:innen nach rechts die logische Konsequenz. 

Am Beispiel Ostdeutschland erklärt sie, dass es zwei Gründe für das Erstarken der Rechten gebe. Einerseits eine soziale Verunsicherung, hervorgerufen durch einen Staat, der sich nicht um die Bedürfnisse der Arbeiter:innen kümmere und andererseits eine schwindende Akzeptanz für die eigene (deutsche) Kultur, ausgelöst durch schwer integrierbare Migrant:innen. 

Anstelle einer verstärken Auseinandersetzung mit einer (deutschen) Kultur, in welcher Rassismus inhärenter und tragender Bestandteil war und weiterhin ist, fordert sie eine verstärkte Akzeptanz gegenüber ebendieser Kultur.

Migrant:innen als Sündenbock für soziale und kulturelle Verwerfungen darzustellen, ist ein viel verwendetes Argumentationsmuster von Sahra Wagenknecht. Dabei bedient sie sich selbst rassistischen Narrativen, indem sie Migrant:innen indirekt die Schuld für Lohndumping und kulturelle «Probleme» gibt. Während sie vorgibt, sich gegen Spaltung und für mehr Toleranz einzusetzen, spaltet sie die Arbeiter:innenklasse entlang ethnischer Trennlinien. Für Sahra Wagenknecht liegt der Schlüssel für eine erfolgreiche Linke im Übernehmen rechter, beziehungsweise nationalistischer Ideen und Denkmuster. 

Simplifizierende und falschen Aussagen zu feministischen und ökologischen Bewegungen

Vor dem gleichen Hintergrund sind ihre simplifizierenden und oftmals schlichtweg falschen Aussagen zu feministischen und ökologischen Bewegungen zu betrachten.

Der «moderne», durch Gendersternchen geprägte Feminismus zersplittert aus ihrer Sicht als Teil einer exzessiven Identitätspolitik die Gesellschaft. So getrauen sich laut Sahra Wagenknecht Personen, die weder weiblich gelesen noch Teil einer linken Szene sind, nicht mehr ihre Meinung zu feministischen Debatten kundzutun, aus Angst mittels eines durch woke Linke initiierten Shitstorms mundtot gemacht zu werden. Damit bläst sie ins gleiche Horn wie ihre rechten, meist männlichen Gesinnungsgenossen, welche strukturellen Sexismus und die Existenz einer patriarchalen Gesellschaft verneinen und sich vor laufender Kamera darüber echauffieren, dass sie Opfer einer linken «Cancel Culture» seien, welche ihnen den Mund verbietet.

Die ökologische Bewegung stellt sie als selbstgerecht und elitär dar. Getragen wird sie ihrer Meinung nach in erster Linie durch eine wohlstandsverwahrloste und akademische «lifestyle Linke», welche sich mittels nachhaltigen Konsums und E-Auto als ethisch überlegen profilieren will. Arbeiter:innen, welche sich einen «grünen» Lebensstil nicht leisten können, werden von der ökologischen Bewegung scheinbar ausgeschlossen oder gar als Benziner-fahrende und fleischessende Hauptverantwortliche der ökologischen Krise betrachtet. Sarah Wagenknecht erzeugt dabei willentlich ein falsches und undifferenziertes Bild der Klimabewegung, aber halt auch eines, auf welches ihre rechten Wähler:innen anspringen. 

Dogmatische Coronapolitik?

Über Antirassimus, Feminismus und Ökologie spannt Sarah Wagenknecht den Bogen zur Coronapolitik, wo Linke ihrer Ansicht nach oftmals ähnlich dogmatisch agieren, einen gesellschaftlichen Diskurs beispielsweise übers Impfen verhindern und Einschnitte in die Grundrechte von Bürger:innen befürworten. 

So stellt sie sich klar gegen Lockdowns und bezeichnet ein Herunterfahren wirtschaftlicher Sektoren als per se arbeiter:innenfeindlich. Damit blendet sie die strukturelle Ebene ein weiteres Mal aus. Wenn man ihr Argumentarium hört, könnte man beinahe meinen, es sei im ureigenen Interesse von Lohnabhängigen, während einer Pandemie für die Profite anderer arbeiten zu gehen und die eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen.

Dabei wird eines klar: Nicht die von Sahra Wagenknecht portraitierte Linke verhält sich autoritär, sondern sie selbst. In dem sie sich anmasst, die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung besser zu kennen als der gesamte Rest der Bevölkerung, der scheinbar von Linken in die irregeführt sei, tritt sie selbst extrem dogmatisch auf. Sahra Wagenknecht ist weder Verfechterin von Toleranz noch gesellschaftliche Brückenbauerin, sondern sie bedient Argumente einer neuen Rechten, allerdings versteckt hinter einem vermeintlich linken und sozialen Antlitz. 

Es mag stimmen, dass linke Bewegungen, Organisationen und Parteien oft sehr akademisch geprägt sind und wir uns die Frage stellen müssen, wie wir gewisse Teile des Proletariats für eine linke Perspektive gewinnen können. Ein Anbiedern an konservative und rechte Rhetorik und Politik stellt dabei aber sicher keinen gangbaren Weg dar. Stattdessen setzten wir uns für ein differenziertes Klassenverständnis, welches verschiedene Unterdrückungsformen und Lebensrealitäten mitdenkt, ein. Nur so kann die Grundlage für eine freie und solidarische Gesellschaft entstehen!


Titelbild: flickr.com

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