Menu Schließen

Bärn-Räp: Fischermätteli Hood Gäng – Realtalk, Satire & Trash

Die Fischermätteli Hood Gäng (kurz FHG) veröffentlicht am 11.12.2020 ihr seit sieben Jahren angekündigtes Debut-Album «Dr Bus isch da». Es ist die Vollendung in einer Reihe von bisher 4 Mixtapes. 2013 gings noch drei Minuten, bis der Bus kommt, dann zwei, eine, 59 Sekunden und nun ist er da! Der neueste Tonträger der Fischermätterlinge besteht aus 16 Tracks. Ein inhaltlicher roter Faden ist auf dem Album kaum zu erkennen, was aber beim Spassprojekt FHG auch nicht unbedingt nötig ist. Schliesslich gibt es genug anderes Material aus dem FHG-Umfeld, in denen der alltägliche kapitalistische Wahnsinn ernsthafter verarbeitet wird. Die FHG bewegt sich irgendwo zwischen Realtalk, Satire und Trash. Allerspätestens auf dem Bonustrack «Team Blau», auf dem die Polizei hochgenommen wird, offenbart sich, dass man es hier auf die eine oder andere Art mit Satire zu tun hat.

von Theo Vanzetti und Paula Rodrigues (BFS Zürich)

Älter werden: Von Vorstrafen zum geläuterten Strafregisterauszug

Mit den Songs «Tätowiert & vorbestraft» vom Mixtape «No 2 Minutä bis dr Bus chunt» und «Tätowierter & vorbestrafter» aus «No 1 Minutä bis dr Bus chunt» erlangte die FHG Legendenstatus. Seither gelten die vier Fischermätterlinge als der grösste Schreck aller ÖV-Chauffeur*innen und verfolgen Reto Nause1 bis in seine Albträume.

«Lug dr mau die Trottle ah, tätowiert u vorbestraft, was nüt im Chopf, jung, wiud und hochbegabt»2 (Tätowiert & vorbestraft, 2015)

«Lug mau die Erwachsene, glaseret u lang verjährt, was viu im Chopf, Ehe, Ching u Gartezwärg»3 (Glaseret & lang verjährt, 2020)

Doch auf «Glaseret & lang verjährt» ist es nun vorbei mit radikal und rebellisch. Der Protagonist im Song geht einem bedrückend langweiligen Büroalltag nach. Die Tattoos aus den wilden Jugendjahren sind mittlerweile zwecks Karrierechancen weggelasert. Und dank Verjährungsfrist sind auch die Einträge im Vorstrafenregister kein Hindernis mehr beim Vorstellungsgespräch. Der Song ist wohl eher nicht autobiografisch. Dagegen spricht all das, was man so übers Internet mitbekommt (LOL). Er ist wohl mehr als Parodie all jener zu sehen, die mit 35 Jahren Aussagen wie Folgende von sich geben: «Weisch, ich bi au mal jung gsi. Det hani au denkt, mer chönnti de Kapitalismus stürze und ha so Züg mit Dose gmacht.» Denn antikapitalistische Politik und Hip-Hop-Kultur sollten keine Frage des Alters sein. Zum Glück gibt’s auch genügend erfreuliche Gegenbeispiele. Und ganz ehrlich: Jene, die sich mit 35 von allem, was sie früher angestellt haben, distanzieren, haben es wohl auch schon mit 20 Jahren nicht wirklich ernst gemeint.

Sozialer Aufstieg: Von Gorbatschow zu Absolut

Auf «Soziale Ufstig» wird auf die Schippe genommen, was wir als Lohnabhängige für soziale Aufstiegschancen haben, oder eben nicht: Beispielsweise die Steigerung von Gorbatschow- auf Absolut-Vodka. Im gleichen Atemzug dieser zynischen Darstellung einer proletarischen Lebensrealität geht’s dann schnurstracks hinüber ins Rap-Game. Die musikalische Weiterentwicklung von Wurzel 5 zur FHG sei auch ein Aufstieg. Also ein kleiner, wohl nicht wirklich böse gemeinter Seitenhieb gegen die 90er-Jahre Berner Rap-Pioniere aus dem Chlyklass-Camp.

Die Fischermätteli Hood Gäng FHG besteht aus Frank Punk, Poul Soul, Lance Trance und Noa Goa. Mit den Alter Ego-Identitäten wird verschieden umgegangen: Von gar nicht vermummt bis gar nicht auf dem Pressefoto.

Beat-Wahl

Herausstechend sind auf dem Album die verschiedenen Beats, die genutzt werden. Sie führen zu sehr diversen Stimmungen in den einzelnen Songs. Von Party-Beats über lockere und aufheiternde, trappige bis zu melancholisch-düsteren Beats ist alles mit dabei. Auch der, seit einigen Jahren auf Rap-Alben üblich gewordene, Dancehall-Beat fehlt dank dem Song «Fischermätterlinge» nicht. Die Kehrseite der diversen Beat-Wahl ist jedoch, dass musikalisch hinter dem Album nicht wirklich ein Konzept zu erkennen ist. Und zumindest Theo war stellenweise zu viel 80er-Synthi-Trash mit dabei, wie zum Beispiel beim Song «Krawalltourismus».

Von Liebe und Krawall

Mit den Songs «5AM Vorplatz» und «Krawalltourismus» wird der Bezug der FHG zur linken Berner Szene wohl am deutlichsten. Ersterer ist ein Liebeslied an den Platz vor der Reitschule. Dem Treffpunkt, der seit drei Jahrzehnten die Jugend in Bern und über die Stadt hinaus prägt. Eigentlich komisch, dass es über diesen Platz nicht viel mehr Musik gibt. Aber das ist jetzt mal unsere Aussenperspektive aus Zürich. Auf «Krawalltourismus» erteilt die FHG allen Pazifist*innen, welche Gandhi nacheifern (ohne auch nur Ansatzweise eine Ahnung davon zu haben, wie die Dekolonialisierung Indiens tatsächlich vonstatten ging) eine klare Absage. Wie soll man sich auch gewaltfrei gegen Bullen und Faschos wehren? Aber es wird auch linke Szenepolitik kritisch auf den Arm genommen, wie die folgende Line veranschaulicht:

«Sie finge, dass ig die Verkehrspolizistin erschiesse e chli übertribe
Doch jedi Aktion isch politisch, solangi es Communiqué drüber schribe»4 (Song «Krawalltourismus»)

Fazit

Unser Eindruck des Albums ist gespalten. Manches finden wir echt witzig, mitunter ist auch die richtige Mucke für Partys dabei. Bei anderem ist uns wiederum nicht ganz klar, wieso es das auf das Album geschafft hat. Wir finden es aber auf jeden Fall klasse, dass es die FHG auch nach sieben Jahren immer noch gibt. Jeder neue Song, egal ob’s um Pflanzen legalisieren oder um Salzsteine lecken geht, löst immer noch jenes Glücksgefühl aus, welches wir alle aus der Kindheit kennen, wenn wir was geschenkt bekommen haben. Und ausserdem sind wir der Meinung, es sollte auf viel mehr Bühnen Zuckerwatte geben. Zum Abschluss wollen wir Lance Trance auf jeden Fall noch zur mit Abstand originellsten Capri-Sonne-Line im deutschsprachigen Rap-Game gratulieren:

«Im Monet verdieni e knappi Tonne
Mi Chef isch e Saftsack wie Capri-Sonne5» (Song «Fänchu»)

Hier kannst du das Album “Dr Bus isch da” als CD oder als Download kaufen.


[1] Bis 2008 Generalsekretär der CVP Schweiz und seit 2009 Berner Bullenchef a.k.a. Direktor für Sicherheit, Umwelt und Energie. 

[2] «Schau dir mal diese Trottel an, tätowiert und vorbestraft, was nichts im Kopf, jung wild und hochbegabt.»

[3] «Schau mal die Erwachsenen, gelasert und lang verjährt, was viel im Kopf, Ehe, Kinder und Gartenzwerg.»

[4] «Sie finden, dass ich diese Verkehrspolistin erschiesse ein Bisschen übertrieben. Doch jede Aktion ist politisch, solange ich ein Communiqué darüber schreibe.»

[5] «Im Monat verdiene ich eine knappe Tonne (knapp tausend Schweizerfranken). Mein Chef ist ein Saftsack wie Capri-Sonne.»

Verwandte Artikel

1 Kommentar

  1. Pingback:Bärn-Räp: «Aues für aui – Scho sit Partys im Blauliecht»

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert