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Sturm aufs Kapitol: Zeit für einen neuen Kurs gegen Rechts

Auch wenn der Putschversuch am Ende doch scheiterte, gelang es rechten Trump-Anhänger:innen, das US-Parlament in Washington zu besetzen. Denn der Staat reagierte nur zögerlich auf den rechten Mob. Für die sozialistische Linke sollte das ein Weckruf sein: Sie muss sich konsequent neu ausrichten. 

vom Spectre Editorial Board; aus intersoz.org

Das liberale Establishment setzt im Kampf gegen Rechts alleine auf den Staat – eine gefährliche Strategie für Schwarze, Migrant:innen und Linke. Derweil könnten die rechtsextremen Gruppierungen auch ohne Trump weiter anwachsen. 13 Gedanken zu den Ausschreitungen in Washington.

I.

Ein „Putsch“ als Social-Media-Spektakel. Die rechtsextremen Rebell:innen in ihren Pseudo-Wikinger-Klamotten und mit Konföderierten-Aufnähern waren ein ausgesprochen unsympathischer Haufen. Und ihrer Rebellion fehlte es völlig an einem kohärenten Plan, der über eingeschlagene Fenster und Selfies hinausging. Ihr Denken reichte nicht über die Loyalität gegenüber dem Lügner im Amt hinaus. Dennoch war es eine eindringliche Warnung an die Linke und alle fortschrittlichen Akteur:innen. Wenn wir uns nicht der Herausforderung stellen und das Wachstum dieser Bewegung stoppen, so könnte es das nächste Mal (oder das übernächste Mal) ernsthaft gefährlich werden.

II.

Dieser Auftritt war mit wochenlangen Vorbereitungen ins Werk gesetzt worden. Am Tag selbst hetzte Trump einen Mob auf, der von rechtsextremen Schlägern angeführt wurde, um das Capitol in Washing­ton zu stürmen. Ihre Anzahl war nicht überwältigend – vielleicht 15.000 in der Hauptstadt der Nation – neben mehreren hundert miteinander koordinierte Aktionen in mehreren Landeshauptstädten. Trotz allem signalisiert es eine neue Qualität in der Herausbildung einer faschistischen Rechten in den USA.

III.

Es war kein Putsch, sondern ein erbärmlicher rechter Putschversuch, der bemerkenswert schnell niedergeschlagen wurde. Es gab grünes Licht von Trump und seinem intimen Zirkel. Aber die Wortführer:innen der kapitalistischen Klasse haben ihn mit überwältigender Mehrheit verurteilt: National Association of Manufacturers (Vereinigung der Fabrikanten), Chamber of Commerce (Handelskammer), die CEOs (Generaldirektoren) der meisten großen Unternehmen sowie von Twitter und Facebook, die sperrten Trumps Konten. Die beiden bürgerlichen politischen Parteien, die Führung des Militärs und der Polizei und der Großteil der etablierten Medien prangerten den Putschversuch an. Kurz darauf trat der Kongress erneut zusammen, um Biden zu bestätigen. Es überrascht nicht, dass die Aktienmärkte auf der ganzen Welt anzogen, in der Hoffnung, dass eine neue Regierung das „business as usual“ wiederherstellen würde.

Trump-Supporter vor dem Capitol. Screenshot aus einem Live-Stream.

IV.

Trotz alledem besteht kein Zweifel daran, dass die Erstürmung des Kapitols in Zusammenarbeit mit Administration und Polizei geschah. Vergleichen wir das zurückhaltende Verhalten der Polizei auf die Gewalt der extremen Rechten mit ihrem paramilitärischen Auftreten gegenüber Black-Lives-Matter-Protesten im ganzen Land. Wir alle können uns die entsetzliche Polizeigewalt vorstellen, die entfesselt worden wäre, hätten Unterstützer:innen von Black Lives Matter (BLM) auf das Kapitol-Gebäude zumarschiert wären. Während der Umfang von koordinierten Absprachen mit der Polizei noch unklar ist, ist es keine Überraschung, dass die Polizei mit Samthandschuhen gegen die Faschisten vorgegangen ist. Die Pro-Trump-Stimmung ist bei der Polizei und ICE [Immigration and Customs Enforcement, eine Polizei- und Zollbehörde des Department for Home Security] stark verankert. Als sie den Rechten im Bundesstrikt gegenüberstanden, machten die Polizist:innen Selfies und schüttelten die Hände der Faschisten ‒ genau wie mit Kyle Rittenhouse in Kenosha, Wisconsin, im letzten Sommer, bevor er zwei Antirassisten ermordete.

V.

Der Staat mobilisierte erst einen Teil seiner Kräfte, um die Proteste niederzuschlagen, als klar wurde, dass sie eine Bedrohung für das politische Establishment darstellen. Dafür sorgten die Führer:innen von beiden Parteien, die Bürgermeisterin von DC und das Unternehmer-Establishment. Insbesondere wurde die National Guard aus Maryland und Virginia herbeigerufen. Zusammen mit der Polizei des Bundesdistrikts nahmen sie Dutzende „geringwertige“ Menschen fest, meist wegen Verstößen gegen die Ausgangssperre. Die Ordnung wurde wiederhergestellt, und Bidens Wahl wurde bestätigt, während Trump-Anhänger:innen wie [die Senator:innen] Lindsey Graham (South Carolina) und Kelly Loeffler (Georgia) überliefen und das Wahlergebnis bestätigten.

Liberale Kräfte werden magnetisch vom Regime von Recht und Ordnung angezogen, weil sie den Staat und nicht antifaschistische Massenaktionen als den Schlüssel zum Umgang mit der Rechten sehen.

VI.

Die unmittelbaren Auswirkungen werden widersprüchlich sein und gleichzeitig Trump schaden und die Bewegung um ihn herum stärken. Er wird eine weit breite Ablehnung durch das Großkapital, das politische Establishment und den Sicherheits-, Militär- und Polizeiapparat erfahren. All diese Gruppen werden Bidens Bemühungen unterstützen, „business as usual“ im Lande und die imperiale Glaubwürdigkeit im Ausland wiederherzustellen. Sie werden den 25. Verfassungszusatz in Anspruch nehmen und rechtliche Schritte einleiten, bevor er das Weiße Haus verlässt – und es wird mit weiteren Maßnahmen gedroht, nachdem er das Amt verlassen hat. All dies wird dazu dienen, die bürgerliche Integrität der Hauptstadt bestätigt zu bekommen.

VII.

Die herrschende Klasse und ihre politischen Repräsentant:innen werden nach erweiterten Befugnissen für ihr Militär und ihre Polizei rufen, um „Extremisten“ zu überwachen, zu verhaften und zu inhaftieren. Sie werden dies vordergründig tun, um die Faschisten einzudämmen und zu verfolgen. Aber die Linke sollte jede Unterstützung für die Law-and-Order-Kampagne ablehnen. Wir wollen die Macht der staatlichen Repression schwächen. Und wir wissen, dass Schwarze, Immigrant:innen, Muslime, Linke und Gewerkschaftsmitglieder in einer rassistischen, kapitalistischen Gesellschaft die Hauptzielscheiben sein werden.

VIII.

Diese Aktivitäten werden allesamt das Wachstum des Trumpismus und seiner faschistischen Strömung aufhalten. Sie sind aus den Aktionen vom Mittwoch gestärkt hervorgegangen. Sie glauben nicht nur, dass sie ihre Rechte gegen eine illegitime Regierung schützen, sondern sie haben die Grundlagen für ein noch größeres Wachstum gelegt. Die Rechte hat eine Medieninfrastruktur, Organisationen wie die Proud Boys und Netzwerke im ganzen Land, die in der Lage sind, Aktionen zu koordinieren. Sie sind allerdings immer noch klein und unserer Seite weit unterlegen, wenn mobilisiert wird. Denken wir daran, dass in diesem Sommer 26 Millionen Menschen bei BLM-Protesten auf die Straße gegangen sind. Jetzt sind nur etwa 15.000 losgezogen. Aber wenn sie unbehelligt bleiben, werden ihre Reihen anschwellen. Die Bedingungen, die ihren Aufstieg hervorgebracht haben – eine Krise im Leben des Kleinbürgertums, die durch das Versagen des Neoliberalismus, Shutdowns von Kleinbetrieben wegen der Pandemie und Pleiten dieser Betriebe wegen der Rezession verursacht wurde –, werden in den kommenden Monaten und Jahren noch akuter werden. Die Rechte wird eine klare, gegenwärtige und gefährliche Bedrohung für die Arbeiter:innen und alle unterdrückten Menschen darstellen.

IX.

Trumps innerer Kreis und seine Lakaien der GOP [Grand Old Party, die Republican Party] haben am 8. Januar ihr Schicksal in die Hände der extremen Rechten und der Faschisten gelegt. Als es um die Wahl ging, aus seiner Präsidentschaft Kapital zu schlagen, um Geld zu machen, oder sich als aufstrebender Führer einer neuen faschistischen Bewegung zu positionieren, wählte Trump Letzteres. Einige in der GOP werden ihm folgen, die meisten jedoch nicht. Aber Trump behält die Unterstützung von etwa 40 Prozent der Wählerschaft und hat die Basis, eine große Kraft innerhalb der GOP zu bleiben oder eine Alternative aufzubauen, wenn die Führer der letzteren ihn verstoßen. Eine Spaltung der GOP ist durchaus möglich, und damit auch die Bildung einer neuen rechtsextremen Partei. Ironischerweise könnte Trump das ungewollte Vehikel für einen sehr schmutzigen Bruch mit der Republikanischen Partei sein.

Wir können das bürgerliche Establishment, die neue Biden-Administration, ihre staatliche Repression im Inland und ihre imperiale Wiederbehauptung im Ausland nicht unterstützen. Stattdessen müssen wir unsere Kräfte konzentrieren, um allerorts antifaschistische Einheitsfronten aufzubauen, um die Rechten in großer Zahl zu konfrontieren und sie von den Straßen, aus den Betrieben und sozialen Organisationen zu vertreiben.

X.

Unterdessen wird Biden sich nach rechts bewegen, um die Führer:innen der GOP zu umarmen, die sich zu seiner Bestätigung versammelt haben – alles im Namen von „Einigung des Landes“ und „Wiederherstellung der Ordnung“. Er wird versuchen, die Pandemie zu überwinden, das Funktionieren des Kapitalismus wiederherzustellen und den US-Imperialismus zu rehabilitieren, um besser mit China konkurrieren zu können. Aber er wird auf unerbittlichen Widerstand von Trump und der extremen Rechten stoßen, die seine Regierung als illegitim ansehen werden. Die Behauptung der Illegitimität droht zum Gründungsmythos einer neofaschistischen Bewegung zu werden.

XI.

Die Liberalen werden sich überschlagen und sich in aller Eile hinter einer überparteilichen kapitalistischen Einheit und staatlicher Repression versammeln, um der faschistischen Bedrohung zu begegnen. Sie werden dem von beiden Parteien am Mittwoch artikulierten Konsens für Recht und Ordnung durch die Polizeibehörden und die Medien, insbesondere CNN, die für die polizeiliche Unterdrückung der Rechten eintraten, Glaubwürdigkeit verleihen. Liberale Kräfte werden magnetisch vom Regime von Recht und Ordnung angezogen, weil sie den Staat und nicht antifaschistische Massenaktionen als den Schlüssel zum Umgang mit der Rechten sehen.

XII.

Die sozialistische Linke benötigt einen radikal neuen Kurs. Wir können das bürgerliche Establishment, die neue Biden-Administration, ihre staatliche Repression im Inland und ihre imperiale Wiederbehauptung im Ausland nicht unterstützen. Stattdessen müssen wir unsere Kräfte konzentrieren, um allerorts antifaschistische Einheitsfronten aufzubauen, um die Rechten in großer Zahl zu konfrontieren und sie von den Straßen, aus den Betrieben und sozialen Organisationen zu vertreiben. Und wir müssen, das ist ganz entscheidend, unsere Anstrengungen verdoppeln, um eine aktionsfähige sozialistische Alternative aufzubauen, die unabhängig von den Demokraten für Forderungen kämpft, die sich mit den multiplen Krisen des kapitalistischen Systems befassen: echte Pandemiebekämpfung; Green New Deal; Mietpreiserleichterungen und ein Moratorium für Zwangsräumungen; Medicare für alle; der Mindestlohn von 15 Dollar und Gewerkschaftsrechte; empfindliche Kürzung der Finanzierung der Polizei; Abschaffung der Polizeibehörde ICE; massive Kürzungen des Militärhaushalts.

XIII.

All dies erfordert eine konsequente Neuausrichtung der sozialistischen Linken, insbesondere der Democratic Socialists of America (DAS), von ihrem überwältigenden Fokus auf Wahlen hin zur Organisierung von Kämpfen von unten, insbesondere von antirassistischen und betrieblichen Kämpfen. Wir befinden uns inmitten der tiefsten Krisen des kapitalistischen Systems seit den 1930er Jahren (ja, Krisen im Plural). Diese werden weiterhin eine tiefgreifende Polarisierung innerhalb der Länder, einen Anstieg der Klassen- und gesellschaftlichen Mobilisierung und eine Zuspitzung der Konflikte zwischen den kapitalistischen Staaten schüren. Daraus kann eine neue sozialistische Linke wachsen und organisierte Form annehmen. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um sie mit revolutionären sozialistischen Ideen, Strategien und Taktiken auszurüsten. Für nächstes Mal müssen wir vorbereitet sein.


Ursprüngliche Übersetzung auf intersoz.org mit freundlicher Genehmigung des spectre Journal aus den USA.

Quelle: Spectre Editorial Board, „We Cannot Let Yesterday’s Farce Become Tomorrow’s Tragedy“

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2 Kommentare

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